TE Vfgh Erkenntnis 2021/11/29 E2089/2021

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Veröffentlicht am 29.11.2021
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gerichtsakt
StGG Art2
EpidemieG 1950 §6, §20, §26, §32, §43, §50
COVID-19-BetriebsschließungsV BGBl II 74/2020
COVID-19-Seilbahn- und Beherbergungsbetriebs-SchließungsV der Bezirkshauptmannschaft St Johann im Pongau vom 13.03.2020
COVID-19-Seilbahn- und Beherbergungsbetriebs-SchließungsbeendigungsV der Bezirkshauptmannschaft St Johann im Pongau vom 28.03.2020
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Antrags auf finanzielle Vergütung einer Gesellschaft nach dem EpidemieG 1950 für deren Verdienstentgang durch die Schließung von Seilbahn- und Beherbergungsbetrieben auf Grund der Verordnung einer Salzburger Bezirkshauptmannschaft; Verdienstentgänge durch Betriebsschließungen für öffentliche Verkehrsanstalten sind einem Vergütungsanspruch nach dem EpidemieG 1950 zugänglich

Spruch

I. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die beschwerdeführende Gesellschaft betreibt ein privates Seilbahnunternehmen in Obertauern, Gemeinde Untertauern. Sie stellte am 29. April 2020, ergänzt am 30. April 2020, bei der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau einen Antrag auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß §32 Abs1 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) für den Zeitraum zwischen 16. März und 13. April 2020, in eventu zwischen 16. und 30. März 2020, welcher ihr auf Grund der durch die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 13. März 2020, Z 30405-508/3618/137-2020, verfügten Schließung von Seilbahnbetrieben gemäß §26 EpiG entstanden sei.

2. Mit Bescheid vom 2. Februar 2021 wies die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau diesen Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft ab und begründete dies damit, dass die auf §26 EpiG gestützte Schließung von Seilbahnbetrieben keinen Entschädigungstatbestand des §32 Abs1 EpiG erfülle, weshalb der Vergütungsanspruch schon dem Grunde nach nicht bestehe.

3. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Es begründet seine Entscheidung zusammengefasst wie folgt:

§32 EpiG sehe einen Rechtsanspruch auf Vergütung von Vermögensnachteilen nur in den in Abs1 dieser Bestimmung taxativ aufgezählten Fällen vor. Ein Anspruch auf Vergütung eines Vermögensnachteiles gemäß §32 Abs1 Z5 EpiG bestehe somit nur dann, wenn eine Betriebsschließung gemäß §20 EpiG erfolgt sei, also die beschränkende Maßnahme auf §20 EpiG gestützt war. Es sei aber keine konkret auf §20 EpiG gestützte Betriebsschließung verfügt worden. Vielmehr sei die Schließung von Seilbahnen ausdrücklich auf §26 EpiG gestützt worden. Eine auf §26 EpiG gestützte Verordnung sei in der taxativen Aufzählung des §32 Abs1 leg cit nicht enthalten.

Ob §26 EpiG unmittelbar zur Schließung eines Seilbahnbetriebes ermächtige oder lediglich die Ermächtigung zur Erlassung einer Durchführungsverordnung bilde, könne dahinstehen. Auch wenn die in Rede stehende Verordnung mangels einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage gesetz- bzw verfassungswidrig wäre, wäre für die beschwerdeführende Gesellschaft nichts gewonnen, zumal die Aufhebung der Verordnung keinen Anspruch auf Vergütung nach §32 Abs1 Z5 EpiG bewirken würde.

Das EpiG unterscheide ausdrücklich zwischen Maßnahmen zur Schließung von "bestimmten Gewerben" (§20 leg cit) und Maßnahmen für den Betrieb öffentlicher Verkehrsanstalten (§26 leg cit). Der Seilbahnbetrieb der beschwerdeführenden Gesellschaft sei eine öffentliche Verkehrsanstalt und kein Gewerbe. Die in Rede stehende, Seilbahnen betreffende Verordnung, könne daher auch nicht auf §20 EpiG gestützt werden.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, sowie in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend führt die beschwerdeführende Gesellschaft der Sache nach aus, die unmittelbar auf Grundlage von §26 EpiG erfolgte Betriebsschließung sei gesetz- und verfassungswidrig, weil diese Bestimmung zunächst einer Durchführungsverordnung bedürfe, auf deren Grundlage erst eine Betriebsschließung erfolgen könne. Das private Seilbahnunternehmen der beschwerdeführenden Gesellschaft sei keine öffentliche Verkehrsanstalt iSd §26 EpiG, sondern ein Gewerbebetrieb iSv §20 EpiG. Die entschädigungslose Schließung ihres Seilbahnbetriebes verletze infolge "unsachlicher Unterscheidung zwischen Gewerbebetrieben und [ihrer] privaten Seilbahnunternehmung" den Gleichheitssatz.

5. Die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau hat die Verwaltungsakten sowie den Verordnungsakt zu ihrer Verordnung vom 13. März 2020, Z 30405-508/3618/137-2020, vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

6. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat die Gerichtsakten vorgelegt und keine Gegenschrift erstattet.

II. Rechtslage

1. §20, §26, §32 und §43 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, idF BGBl 702/1974 (§32) und BGBl I 63/2016 (§43) lauteten wie folgt:

"Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen.

§20. (1) Beim Auftreten von Scharlach, Diphtherie, Abdominaltyphus, Paratyphus, bakterieller Lebensmittelvergiftung, Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera, Pest oder Milzbrand kann die Schließung von Betriebsstätten, in denen bestimmte Gewerbe ausgeübt werden, deren Betrieb eine besondere Gefahr für die Ausbreitung dieser Krankheit mit sich bringt, für bestimmt zu bezeichnende Gebiete angeordnet werden, wenn und insoweit nach den im Betriebe bestehenden Verhältnissen die Aufrechterhaltung desselben eine dringende und schwere Gefährdung der Betriebsangestellten selbst sowie der Öffentlichkeit überhaupt durch die Weiterverbreitung der Krankheit begründen würde.

(2) Beim Auftreten einer der im ersten Absatz angeführten Krankheiten kann unter den sonstigen dort bezeichneten Bedingungen der Betrieb einzelner gewerbsmäßig betriebener Unternehmungen mit fester Betriebsstätte beschränkt oder die Schließung der Betriebsstätte verfügt sowie auch einzelnen Personen, die mit Kranken in Berührung kommen, das Betreten der Betriebsstätten untersagt werden.

(3) Die Schließung einer Betriebsstätte ist jedoch erst dann zu verfügen, wenn ganz außerordentliche Gefahren sie nötig erscheinen lassen.

(4) Inwieweit die in den Abs1 bis 3 bezeichneten Vorkehrungen auch beim Auftreten einer anderen anzeigepflichtigen Krankheit getroffen werden können, wird durch Verordnung bestimmt."

"Vorschriften in Bezug auf Verkehrsanstalten im Inlande.

§26. (1) Für den Betrieb öffentlicher Verkehrsanstalten (Eisenbahnen, Binnenschiffahrtsunternehmungen, Flöße usw) und für den Verkehr auf denselben wird durch Verordnung bestimmt, in welcher Weise und durch welche Organe die in diesem Gesetze bezeichneten Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten in Anwendung zu bringen sind.

(2) In gleicher Weise werden die erforderlichen Anordnungen über die Anwendung der Bestimmungen dieses Gesetzes auf Schiffen und Hafenbauten und sonstigen im Bereiche der Seebehörden gelegenen Objekten durch Verordnung erlassen."

"Vergütung für den Verdienstentgang.

§32. (1) Natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes ist wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit

1. sie gemäß §§7 oder 17 abgesondert worden sind, oder

2. ihnen die Abgabe von Lebensmitteln gemäß §11 untersagt worden ist, oder

3. ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gemäß §17 untersagt worden ist, oder

4. sie in einem gemäß §20 im Betrieb beschränkten oder geschlossenen Unternehmen beschäftigt sind, oder

5. sie ein Unternehmen betreiben, das gemäß §20 in seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt worden ist, oder

6. sie in Wohnungen oder Gebäuden wohnen, deren Räumung gemäß §22 angeordnet worden ist, oder

7. sie in einer Ortschaft wohnen oder berufstätig sind, über welche Verkehrsbeschränkungen gemäß §24 verhängt worden sind,

und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.

(2) Die Vergütung ist für jeden Tag zu leisten, der von der in Abs1 genannten behördlichen Verfügung umfaßt ist.

(3) Die Vergütung für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist nach dem regelmäßigen Entgelt im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes, BGBl Nr 399/1974, zu bemessen. Die Arbeitgeber haben ihnen den gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen. Der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund geht mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf den Arbeitgeber über. Der für die Zeit der Erwerbsbehinderung vom Arbeitgeber zu entrichtende Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung und der Zuschlag gemäß §21 des Bauarbeiterurlaubsgesetzes 1972, BGBl Nr 414, ist vom Bund zu ersetzen.

(4) Für selbständig erwerbstätige Personen und Unternehmungen ist die Entschädigung nach dem vergleichbaren fortgeschriebenen wirtschaftlichen Einkommen zu bemessen.

(5) Auf den gebührenden Vergütungsbetrag sind Beträge anzurechnen, die dem Vergütungsberechtigten wegen einer solchen Erwerbsbehinderung nach sonstigen Vorschriften oder Vereinbarungen sowie aus einer anderweitigen während der Zeit der Erwerbsbehinderung aufgenommenen Erwerbstätigkeit zukommen."

"V. HAUPTSTÜCK.

Allgemeine Bestimmungen.

Behördliche Kompetenzen.

§43. (1) Die Bestimmungen des Gesetzes vom 30. April 1870, RGBl. Nr 68, betreffend die Organisation des öffentlichen Sanitätsdienstes, bleiben durch die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes unberührt.

(3) Beim Auftreten von Scharlach, Diphtherie, Abdominaltyphus, Paratyphus, Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera, Pest, Ägyptischer Augenentzündung, Wutkrankheit, Bißverletzungen durch wutkranke oder wutverdächtige Tiere sowie in sonstigen Fällen dringender Gefahr sind die im §5 Abs1 bezeichneten Erhebungen und die in den §§7 bis 14 bezeichneten Vorkehrungen auch sofort an Ort und Stelle von den zuständigen, im öffentlichen Sanitätsdienste stehenden Ärzten zu treffen.

(4) Die Einleitung, Durchführung und Sicherstellung sämtlicher in diesem Gesetze vorgeschriebener Erhebungen und Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten beziehungsweise die Überwachung und Förderung der in erster Linie von den zuständigen Sanitätsorganen getroffenen Vorkehrungen sind Aufgabe der Bezirksverwaltungsbehörde.

(5) Dem Landeshauptmann obliegt im Rahmen seines örtlichen Wirkungsbereichs die Koordinierung und Kontrolle der Maßnahmen der Bezirksverwaltungsbehörden gemäß Abs4. Besteht der Verdacht oder die Kenntnis über einen bundesländerübergreifenden Ausbruch einer Erkrankung gemäß §1 Abs1 und 2, so haben die Landeshauptmänner der betroffenen Bundesländer zusammenzuarbeiten und ihre Tätigkeiten zu koordinieren.

(6) Das Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend ist im Fall von Krankheitsausbrüchen vom Landeshauptmann unverzüglich zu verständigen."

2. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen bei Auftreten von Infektionen mit SARS-CoV-2 ("2019 neuartiges Coronavirus"), BGBl II 74/2020, lautet wie folgt:

"Auf Grund des §20 Abs4 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 37/2018, und die Bundesministeriengesetz-Novelle 2020, BGBl I Nr 8/2020, wird verordnet:

Die in §20 Abs1 bis 3 des Epidemiegesetzes 1950, in der jeweils geltenden Fassung, bezeichneten Vorkehrungen können auch bei Auftreten einer Infektion mit SARS-CoV-2 ('2019 neuartiges Coronavirus') getroffen werden."

3. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 13. März 2020, Z 30405-508/3618/137-2020, betreffend Schließung des Seilbahnbetriebes und von Beherbergungsbetrieben zur Eindämmung der Ausbreitung von SARS-CoV-2, kundgemacht ua durch Anschlag an der Amtstafel des Gemeindeamtes Untertauern vom 16. bis zum 30. März 2020, lautete:

"Verordnung

der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau als Bezirksverwaltungsbehörde betreffend die Schließung des Seilbahnbetriebes und von Beherbergungsbetrieben zur Verhinderung der Ausbreitung von SARS-CoV-2

Gemäß §26 sowie 20 Abs1 und 4 Epidemiegesetz 1950, BGBl Nr 186, in der geltenden Fassung, in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen bei Auftreten von Infektionen mit SARS-CoV-2 ('2019 neuartiges Coronavirus'), BGBl II Nr 74/2020, wird verordnet:

§1 (1) Der Betrieb von Seilbahnen (§2 Abs1 Seilbahngesetz 2003) ist gemäß §26 Epidemiegesetz 1950 eingestellt.

(2) Das Betriebsverbot nach Abs1 gilt nicht für Einzelfahrten in Notfällen oder im Fall einer im öffentlichen Interesse erforderlichen Anordnung der Bezirksverwaltungsbehörde.

§2 (1) Beherbergungsbetriebe (§111 Abs1 Z1 GewO 1994) sind gemäß §20 Abs1 und 4 und der Verordnung BGBl II Nr 74/2020 zu schließen.

(2) Die Bezirksverwaltungsbehörde kann Ausnahmen vom Gebot nach Abs1 gewähren, soweit sich die Schließung einzelner Betriebe als unverhältnismäßige Maßnahme erweist.

§3 (1) §1 tritt mit der Kundmachung der Verordnung in jeder Gemeinde des Bezirks (§6 Abs2 Epidemiegesetz 1950 in Verbindung mit §53 Abs2 GdO 2019) frühestens jedoch am 15.03.2020, 17:00 Uhr, in Kraft.

(2) §2 tritt mit der Kundmachung gemäß Abs1, frühestens jedoch am 16.03.2020,

20:00 Uhr in Kraft.

(3) Diese Verordnung tritt mit Ablauf 13. April 2020, außer Kraft."

4. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 28. März 2020, Z 30405-508/3618/310-2020, kundgemacht ua durch Anschlag an der Amtstafel des Gemeindeamtes Untertauern vom 30. März bis zum 14. April 2020, lautete:

"Verordnung

der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau als Bezirksverwaltungsbehörde betreffend die Aufhebung einer Verordnung zur Schließung des Seilbahnbetriebes und von Beherbergungsbetrieben zur Verhinderung der Ausbreitung von SARS-CoV-2

Gemäß §26 sowie 20 Abs1 und 4 Epidemiegesetz 1950, BGBl Nr 186, in der geltenden Fassung, in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen bei Auftreten von Infektionen mit SARS-CoV-2 ('2019 neuartiges Coronavirus'), BGBl II Nr 74/2020, wird verordnet:

§1

Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann/Pg. als Bezirksverwaltungsbehörde vom 13.03.2020 betreffend die Schließung des Seilbahnbetriebes und von Beherbergungsbetrieben zur Verhinderung der Ausbreitung von SARS-CoV-2, kundgemacht am 13.03.2020 durch Anschlag in den Gemeinden des Bezirks wird aufgehoben.

§2

Diese Verordnung tritt mit Wirkung für eine Gemeinde des Bezirks in Kraft, sobald sie in dieser Gemeinde kundgemacht wird (§6 Abs2 Epidemiegesetz 1950 und §53 Abs2 GdO 2019)."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat. Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn es den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Salzburg unterlaufen:

3. §26 Abs1 EpiG sieht vor, dass für den "Betrieb öffentlicher Verkehrsanstalten (Eisenbahnen, Binnenschiffahrtsunternehmungen, Flöße usw) und für den Verkehr auf denselben […] durch Verordnung bestimmt [wird], in welcher Weise und durch welche Organe die in diesem Gesetze bezeichneten Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten in Anwendung zu bringen sind". Diese Bestimmung erfasst alle Verkehrsanstalten, die der Allgemeinheit zu-gänglich sind, unabhängig davon, ob sie von privater oder öffentlicher Hand betrieben werden.

4. Die Sonderregelung des §26 EpiG trägt zunächst der (auch historischen) Sonderstellung öffentlicher Verkehrsanstalten (wie Eisenbahnen) Rechnung, indem sie diese einerseits von "gewerblichen Unternehmen" (§20 EpiG) abhebt. Anderseits determiniert §26 EpiG die auf seiner Grundlage zu ergreifenden Maßnahmen nicht selbst, sondern verweist auf die an anderer Stelle des EpiG bereitgestellten Befugnisse (arg.: "in welcher Weise und durch welche Organe die in diesem Gesetze bezeichneten Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten in Anwendung zu bringen sind") und ermächtigt damit in Verbindung mit §20 leg cit jedenfalls auch die Bezirksverwaltungsbehörden (§43 Abs4 EpiG) insbesondere zu Betriebsbeschränkungen und Betriebsschließungen.

5. Betriebsschließungen für öffentliche Verkehrsanstalten nach dem Epidemiegesetz 1950, mag sich die Behörde auch förmlich nur auf §26 leg cit berufen, sind damit Eingriffe iSv §20 iVm §26 EpiG und sohin einer Vergütung nach §32 Abs1 Z(4 und) 5 EpiG zugänglich. Die gegenteilige Auffassung, wonach bei Vergütungs-ansprüchen nach §32 EpiG zwischen Betriebsschließungen nach §20 und solchen nach §26 leg cit zu unterscheiden wäre, würde dem Gesetz zudem einen verfassungswidrigen, nämlich gleichheitswidrigen Inhalt unterstellen (VfGH 5.10.2021, E848/2021).

6. Die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau hat mit §1 Abs1 ihrer auf §26 EpiG gestützten Verordnung vom 13. März 2020, Z 30405-508/3618/137-2020, betreffend Schließung des Seilbahnbetriebes und von Beherbergungsbetrieben zur Eindämmung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 die Einstellung des Betriebes von Seilbahnen mit Wirkung vom 16. März 2020 (vgl §3 Abs1 der Verordnung) verfügt (und diese Betriebsschließung mit weiterer Verordnung vom 28. März 2020, Z 30405-508/3618/310-2020, vorzeitig wieder aufgehoben). Damit hat sie eine Betriebsschließung iSv §20 iVm §26 EpiG angeordnet, ohne dass dem die am 16. März 2020 in Kraft getretene Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, entgegengestanden wäre, die nämlich den "öffentlichen Verkehr" (§2 Abs1 Z17 leg cit) von ihrem Betretungsverbot (§1 leg cit) ausgenommen hat (vgl §4 Abs2 COVID-19-MG in der Stammfassung BGBl I 12/2020: "im Rahmen des Anwendungsbereichs dieser Verordnung").

7. Indem das Landesverwaltungsgericht Salzburg den Vergütungsanspruch der beschwerdeführenden Gesellschaft nach §32 EpiG für den Geltungszeitraum dieser Verordnung schon dem Grunde nach mit der Begründung verneint hat, dass auf §26 EpiG gestützte Betriebsschließungen schlechthin nicht vergütungsfähig seien, hat es dem Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt und die beschwerdeführende Gesellschaft im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG, Art7 B-VG) verletzt.

8. Im weiteren Verfahren wird das Landesverwaltungsgericht Salzburg insbesondere zu prüfen haben, welche Vermögensnachteile der beschwerdeführenden Gesellschaft auf die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 13. März 2020, Z 30405-508/3618/137-2020, zurückzuführen sind.

IV. Ergebnis

1. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

COVID (Corona), Einkünfte, Entscheidungsbegründung, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E2089.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.02.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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