TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/25 Ra 2019/19/0498

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Veröffentlicht am 25.01.2022
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §45 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des D M N in V, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2019, W242 2181107-1/E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 10. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab er unter anderem (unter Vorlage seines Taufscheins) an, in Österreich zum Christentum konvertiert zu sein. Er besuche wöchentlich den Gottesdienst sowie einen Bibelkurs.

3        Mit Bescheid vom 8. Dezember 2017 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

4        In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, ihm drohe im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Verfolgung auf Grund von Apostasie. Der Revisionswerber fügte seiner Beschwerde ein vom Pastor seiner Kirchengemeinde sowie vom Leiter der persischen Gemeindegruppe (Herrn H) gemeinsam verfasstes Schreiben bei, in dem diese darlegten, dass sie auf Grund der intensiven Bemühungen des Revisionswerbers von dessen „echte[r] Hinwendung zum christlichen Glauben“ ausgingen. Der Revisionswerber habe diesem Schreiben zufolge - mutmaßlich durch eine Lernschwäche - Probleme mit der Erfassung und Darstellung von Glaubensinhalten, die er jedoch mit seinem besonders eifrigen Verhalten in den Hintergrund habe treten lassen. Dies habe - nach erstmaliger Versagung - auch zur positiven Beantwortung seiner Taufanfrage geführt.

5        Mit Schriftsatz vom 27. September 2018 beantragte der Revisionswerber die Einvernahme des Pastors seiner Kirchengemeinde als Zeuge im Rahmen der vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) anberaumten mündlichen Verhandlung.

6        Das BVwG führte am 15. November 2018 eine mündliche Verhandlung durch und befragte den Revisionswerber zu seiner Glaubensausübung. Es stellte ihm darüber hinaus mehrere Wissensfragen zum Christentum und zu christlichen Grundwerten. Der Revisionswerber legte im Zuge dieser Verhandlung eine Reihe von Bescheinigungen vor, darunter ein „Unterstützungsschreiben“ des Bibelkurslehrers sowie ein weiteres „Empfehlungsschreiben“ des Herrn H (beide datiert mit 12. November 2018). Darin wurde ausgeführt, dass die Verfasser auf Grund der engagierten Beteiligung des Revisionswerbers an diversen Veranstaltungen ihrer Kirchengemeinde - so auch im Anschluss an seine Taufe - von der „Ernsthaftigkeit seines Glaubens an Jesus Christus“ ausgingen. Der Revisionswerber bemühe sich, ein „Leben in der Hingabe an Gott und in der Liebe zum Nächsten“ zu praktizieren. Dies sei umso bemerkenswerter, als der Revisionswerber erst in Österreich Lesen und Schreiben gelernt habe. Das BVwG vernahm zudem - wie vom Revisionswerber beantragt - den Pastor seiner Kirchengemeinde als Zeugen. Dieser wurde befragt, woraus sich für ihn ergebe, dass der Revisionswerber zum Christentum konvertiert sei. Der Zeuge führte im Wesentlichen aus, dass er dies aus der außergewöhnlich aktiven und hohen Beteiligung des Revisionswerbers in den Bibelkursen sowie dessen Bemühen, sich trotz bestehender Schwierigkeiten in komplizierte Sachverhalte hineinzudenken, schließe. Der Zeuge wies abschließend darauf hin, dass auch die Verfasser der vorgelegten Schreiben Auskunft über die Glaubensentwicklung des Revisionswerbers geben könnten.

7        Mit dem Erkenntnis vom 27. Februar 2019 wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

8        In seiner Begründung kam das BVwG zum Ergebnis, dass der christliche Glaube kein wesentlicher Bestandteil der Identität des Revisionswerbers geworden sei. Er werde „seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben“ im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht nachkommen.

9        Beweiswürdigend führte das BVwG zusammengefasst aus, die Angaben des Revisionswerbers hinsichtlich seiner Beweggründe, sich dem christlichen Glauben zuzuwenden, würden mangels Plausibilität und hinreichender Konkretisierung keine intensive Auseinandersetzung mit dem Christentum erkennen lassen. Es werde hierbei nicht verkannt, dass der Revisionswerber sein Wissen über das Christentum im Lauf des Asylverfahrens habe steigern können und bei ihm ein gewisses Maß an einschlägigem Interesse vorhanden sei. Auch die Angaben des Zeugen seien nicht ausreichend gewesen, um das BVwG von der ernsthaften inneren Hinwendung des Revisionswerbers zum Christentum zu überzeugen. Diese Angaben würden lediglich belegen, „dass der Revisionswerber regelmäßig die Kirche besucht habe und auch Fragen zum Inhalt der Bibel gestellt hat“. Es sei somit ersichtlich, dass sich der Revisionswerber „lediglich zur Erlangung von Asyl“ dem christlichen Glauben zugewandt habe. Er sei nur zum Schein zum Christentum konvertiert. Folglich sei „es auch nicht glaubhaft, dass der [Revisionswerber] bei einer Rückkehr nach Afghanistan sein Interesse am christlichen Glauben nach Außen zur Schau tragen würde“.

10       Rechtlich folgerte das BVwG daraus, dass dem Revisionswerber im Heimatland keine asylrelevante Verfolgung drohe.

11       Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH), der mit Beschluss vom 23. September 2019, E 1121/2019, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

12       In der Folge brachte der Revisionswerber vorliegende außerordentliche Revision ein.

Zur Begründung ihrer Zulässigkeit machte der Revisionswerber unter anderem geltend, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es die im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgelegten „Unterstützungs- bzw. Empfehlungsschreiben“ zur Gänze habe unberücksichtigt lassen. Diese würden jedoch in Übereinstimmung mit den Angaben des einvernommenen Zeugen die stetige und intensive inhaltliche Auseinandersetzung des Revisionswerbers - trotz seiner eingeschränkten Leistungsfähigkeit - mit dem Christentum darlegen. Auf deren Bedeutsamkeit zum Beweis dafür, dass der Revisionswerber aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei, habe auch der Zeuge im Rahmen seiner Einvernahme hingewiesen. Dies habe das BVwG jedoch in der mündlichen Verhandlung (ausschließlich) damit abgetan, „dass ein Zeuge keine Beweisanträge stellen könne“.

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

14       Die Revision erweist sich in Hinblick auf das obige Vorbringen als zulässig und auch als begründet.

15       Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 22.11.2021, Ra 2020/19/0207, mwN).

16       Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu dem gemäß § 17 VwGVG auch von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG ausgesprochen hat, bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung der (nunmehr verwaltungsgerichtlichen) Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in die Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof bei Behandlung einer zulässigen Revision auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0376, mwN).

17       Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 18.10.2021, Ra 2021/19/0262, mwN).

18       Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, die sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. VwGH 30.3.2021, Ra 2020/19/0048, mwN).

19       Im vorliegenden Fall hat sich das BVwG im Zuge seiner beweiswürdigenden Überlegungen bezüglich der Feststellung, der christliche Glaube sei kein wesentlicher Bestandteil der Identität des Revisionswerbers geworden, nicht inhaltlich mit den vom Revisionswerber vorgelegten „Unterstützungs- bzw. Empfehlungsschreiben“ des Bibelkurslehrers und des Leiters der persischen Gemeindegruppe vom 12. November 2018 auseinandergesetzt. Deren Relevanz für die Beurteilung der Frage, ob der vollzogene Glaubenswechsel aus innerer Überzeugung erfolgt sei, ergibt sich jedoch schon aus der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach regelmäßige Besuche religiöser Veranstaltungen ein maßgebliches Indiz für die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung darstellen.

Hinzu kommt die in der mündlichen Verhandlung vom einvernommenen Zeugen getätigte Aussage, dass die in den genannten Schreiben niedergelegten Eindrücke von (weiteren) Mitgliedern ihrer Kirchengemeinde seine Einschätzung, wonach der Revisionswerber sich aus innerer Überzeugung zum Christentum hingewandt habe, bestätigen würden. Die Verfasser dieser Schreiben hätten auf Grund ihres Kontakts zum Revisionswerber maßgebliche Wahrnehmungen zu dessen Glaubensentwicklung. Indem das BVwG diesbezüglich lediglich - nach zusammengefasster Wiedergabe der Zeugenaussage - vermeint, die Angaben des Zeugen würden alleinig belegen, „dass der [Revisionswerber] regelmäßig die Kirche besucht habe und auch Fragen zum Inhalt der Bibel gestellt hat“, lässt es keine hinreichende Berücksichtigung einschlägiger Beweismittel für die Beurteilung der Qualität des „Glaubenslebens“ des Revisionswerbers erkennen.

20       Die besagten Schreiben vom 12. November 2018 hätten auch deshalb einer entsprechenden Auseinandersetzung durch das BVwG bedurft, weil bereits in dem der Beschwerde beigefügten Schreiben des Pastors und des Leiters der persischen Gemeindegruppe (das ebenso nicht Eingang in die beweiswürdigenden Überlegungen des BVwG fand) die Vermutung geäußert wurde, der Revisionswerber habe Schwierigkeiten beim Erfassen und Wiedergeben von Glaubensinhalten. So erachtete das BVwG auch die Angaben des Revisionswerbers zu Glaubensinhalten als „derart vage und unzusammenhängend“, weshalb „von keiner ernsthaften, inneren Zuwendung [zum christlichen Glauben]“ ausgegangen werden könne. In der Revision wird zu Recht darauf hingewiesen, dass diesen Schreiben einschlägige Ausführungen zu entnehmen seien.

21       Da somit nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bei Vermeidung der zuvor angeführten unsachlichen Begründungselemente und Berücksichtigung der nicht in die Beweiswürdigung einbezogenen Schreiben vom 12. November 2018 hätte anders ausfallen können, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

22       Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. Jänner 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019190498.L00

Im RIS seit

17.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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