TE Vwgh Beschluss 2021/12/15 Ra 2021/10/0178

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

E3L E15103020
L55003 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Niederösterreich
L55053 Nationalpark Biosphärenpark Niederösterreich
10/07 Verwaltungsgerichtshof
14/01 Verwaltungsorganisation
40/01 Verwaltungsverfahren
83 Naturschutz Umweltschutz

Norm

NatSchG NÖ 2000 §10
UVPG 2000 §19 Abs7
VwGG §30 Abs2
31992L0043 FFH-RL
32009L0147 Vogelschutz-RL

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der Umweltorganisation P, vertreten durch Mag. Dr. Gerit Katrin Jantschgi, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Bischofplatz 3/1. Stock, der gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 29. September 2021, Zl. LVwG-AV-951/001-2020, betreffend (u.a.) naturschutzrechtliche Bewilligung und Feststellung gemäß § 10 NÖ Naturschutzgesetz 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Horn; mitbeteiligte Partei: e GmbH, vertreten durch die Lindner Stimmler Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4/1/29), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

1        1. Mit der angefochtenen Entscheidung vom 29. September 2021 erteilte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich im Wesentlichen - im Beschwerdeverfahren - der Mitbeteiligten unter Vorschreibung verschiedener Auflagen die naturschutzrechtliche Bewilligung für die Änderung eines bestimmten Windparkes durch die Änderung der Anlagentype unter Reduktion der Anlagenanzahl von vier auf drei Anlagen (mit nunmehr größeren Rotoren und höherer Leistung) und geringfügigen Standortverschiebungen; weiters stellte das Verwaltungsgericht gemäß § 10 Abs. 2 NÖ Naturschutzgesetz 2000 fest, dass das bewilligte Änderungsprojekt weder einzeln noch im Zusammenhang mit anderen Plänen oder Projekten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Europaschutzgebiete Natura 2000 FFH-Gebiet „Waldviertler Teich-, Heide- und Moorlandschaft“, des Vogelschutzgebietes „Truppenübungsplatz Allensteig“ und des Vogelschutzgebietes „Kamp- und Kremstal“ führen könne.

2        Dazu stellte das Verwaltungsgericht - soweit für die vorliegende Entscheidung von Interesse - auf sachverständiger Grundlage fest, durch das bewilligte Vorhaben seien keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die Natur (etwa) durch Erhöhung des Kollisionsrisikos für Vögel zu erwarten.

3        Die in der Roten Liste für Österreich als „stark gefährdet“ eingestufte Wiesenweihe habe im Waldviertel eines ihrer bedeutendsten Brutgebiete in Österreich. Ein Teil dieses Brutgebietes liege in der Nähe des Projektgebietes, der kleinste Abstand betrage rund 700 m; der Bestand der Wiesenweihe rund um das Projektgebiet habe zuletzt drei Brutpaare gezeigt. Angesichts des - näher dargestellten - Flugverhaltens der Wiesenweihe lägen deren Flüge „immer noch außerhalb des Gefährdungsbereiches“. Durch die Reduktion der Zahl der Anlagen im offenen Ackerland sei überdies eine Entlastung des Brutgebietes in einem bestimmten Bereich zu erwarten; da die projektierten Anlagen näher zum Wald stünden, sinke das Kollisionsrisiko für die Art im Gebiet.

4        In dem Gebiet rund um den Wildpark lebten verschiedene Fledermausarten; bereits durch den bestehenden Windpark liege eine Vorbelastung durch Kollisionsrisiko vor. Durch die Verminderung der Zahl der Anlagen wie auch durch die größere Höhe der Rotoren über dem Boden sei eine Herabsetzung des Kollisionsrisikos zu erwarten. Zur Verminderung des Kollisionsrisikos für Fledermäuse schrieb das Verwaltungsgericht als Auflage die Abschaltung der Anlage zu bestimmten Zeiten abhängig von Windgeschwindigkeit und Lufttemperatur vor.

5        Auch eine Beeinträchtigung des Seeadlers, dessen dem Vorhaben nächstes bekanntes Brutvorkommen etwa 8 km östlich vom Windkraftort liege, sei nicht zu erwarten. Im „Untersuchungsgebiet“ sei der Seeadler seltener Nahrungsgast; es fehlten dort die größeren fischreichen Gewässer oder säugerreichen Ackerflächen.

6        2. Die Revisionswerberin, eine anerkannte Umweltorganisation gemäß § 19 Abs. 6 und 7 UVP-G 2000, verband mit ihrer außerordentlichen Revision gegen die Entscheidung vom 29. September 2021 den Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

7        3.Gemäß § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG ist der Revision auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. 

8        Um die vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, ist es grundsätzlich erforderlich, dass der Revisionswerber schon in seinem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darlegt, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt. Als „unverhältnismäßiger Nachteil für den Revisionswerber“ ist im vorliegenden Fall eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Umweltorganisation zu vertretenden, sich aus unionsrechtlich bedingten Umweltschutzvorschriften ergebenden Interessen als Folge einer Umsetzung der angefochtenen Entscheidung in die Wirklichkeit zu verstehen (vgl. zu all dem etwa VwGH 5.6.2020, Ra 2020/10/0035, mwN).

9        Nach der ständigen hg. Judikatur hat der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erkenntnisses nicht zu beurteilen und haben Mutmaßungen über den voraussichtlichen Ausgang des Verfahrens des Verwaltungsgerichtshofes bei der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung außer Bedacht zu bleiben. Selbst die mögliche Rechtswidrigkeit des Erkenntnisses ist kein Grund für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Ist daher das in der Revision erstattete Vorbringen nach der Aktenlage nicht etwa von vornherein als zutreffend zu erkennen, ist bei der Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls zunächst von den Annahmen des Verwaltungsgerichts auszugehen. Unter den „Annahmen des Verwaltungsgerichts“ sind hiebei die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Erkenntnis zu verstehen, die nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennen sind bzw. die ins Auge springende Mängel nicht erkennen lassen (vgl. etwa VwGH 7.9.2017, Ra 2017/10/0139, mwN).

10       4.1. Der Aufschiebungsantrag bringt zunächst mit Blick auf die Wiesenweihe vor, bei dieser könne „mit jährlichen Verlusten gerechnet werden“. Die hohe Kollisionsgefährdung der Wiesenweihe erfülle den „Verbotstatbestand der absichtlichen Tötung einer Art, die durch die VS-RL und die niederösterreichische Artenschutzverordnung geschützt ist“; bereits die „Tötung eines Individuums und des daraus wahrscheinlich resultierenden Verlustes einer Brut“ bewirke eine erhebliche Beeinträchtigung.

11       Soweit diesem Vorbringen auf den konkreten Fall bezogene Tatsachenbehauptungen überhaupt zu entnehmen sind, entfernen sich diese von den nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennenden Sachverhaltsfeststellungen des Verwaltungsgerichtes (vgl. oben unter Rz 3).

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen bereits darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung des Vorliegens eines unverhältnismäßigen Nachteils gemäß § 30 Abs. 2 VwGG im Falle der Tötung von Wildtieren, die durch die FFH-Richtlinie und die Vogelschutz-Richtlinie bzw. durch die diese umsetzenden nationalen Bestimmungen geschützt werden, vordergründig der Zweck der durch die nationalen Schutzbestimmungen umgesetzten Richtlinien, nämlich der Artenschutz und die Arterhaltung zu berücksichtigen ist (vgl. etwa VwGH 10.8.2018, Ra 2018/03/0066 bis 0068). Davon ausgehend wird mit dem bloßen Verweis auf die „Tötung eines Individuums und des daraus wahrscheinlich resultierenden Verlustes einer Brut“ ohne nähere Darlegungen zu den diesbezüglichen konkreten Auswirkungen auf die lokale Population unter dem Gesichtspunkt des Artenschutzes und der Arterhaltung ein unverhältnismäßiger Nachteil im genannten Sinne nicht aufgezeigt.

13       4.2. Mit Blick auf die im Projektbereich lebenden Fledermausarten bringt der Aufschiebungsantrag lediglich vor, „gutachterliche Feststellungen diesbezüglich“ seien „nicht nach dem Stand der Technik durchgeführt“ worden; die Aussage „der belangten Behörde“, dass durch den Entfall der sensibelsten Anlage kein erhöhtes Kollisionsrisiko bestehe, sei „falsch“. Durch den beträchtlich größeren Rotordurchmesser der drei verbleibenden Anlagen steige das Kollisionsrisiko überproportional.

14       Dieses Vorbringen lässt allerdings eine Auseinandersetzung mit den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichtes zu diesem Thema und mit der in diesem Zusammenhang vorgeschriebenen Auflage (vgl. oben Rz 4) vermissen, sodass auch insofern von diesen nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennenden Feststellungen auszugehen ist.

15       4.3. Soweit der Aufschiebungsantrag schließlich Kaiser- und Seeadler, Kornweihe und Weißstorch als „höchst relevant“ bezeichnet, vorbringt, auch der Mäusebussard gehöre „trotz seiner weiteren Verbreitung zu den besonders sensibel auf anthropogene Mortalität reagierenden Arten“, und die Flughöhen bestimmter „windkraftsensibler Arten“ anführt, bleibt er ein konkretes Vorbringen zu einem drohenden „unverhältnismäßigen Nachteil“ iSd § 30 Abs. 2 VwGG - wie nach der hg. Judikatur erforderlich (vgl. oben Rz 8) - schuldig.

16       5. Dem Aufschiebungsantrag war somit nicht stattzugeben.

Wien, am 15. Dezember 2021

Schlagworte

Unverhältnismäßiger Nachteil

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021100178.L00

Im RIS seit

15.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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