TE Vfgh Erkenntnis 1994/10/5 B1282/93

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Veröffentlicht am 05.10.1994
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art83 Abs2
ASVG §412 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Zurückweisung eines Einspruchs gegen die Feststellung einer Pflichtversicherung und gegen die Festsetzung von Pensionsversicherungsbeiträgen mangels ausreichender Begründung; Vorliegen einer Begründung aufgrund der behaupteten Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihrer Rechtsvertreter die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 21. April 1993 wurde auf Antrag des Beschwerdeführers ausgesprochen, daß dieser gemäß dem FSVG in der Pensions- und Unfallversicherung pflichtversichert sei und gemäß §3 Abs1 leg.cit. iVm §25 GSVG im Jahre 1993 einen monatlichen Beitrag in der Pensionsversicherung von S 7.840,-- zu entrichten habe.

2.1. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Einspruch mit der Begründung erhoben, daß der Bescheid verfassungswidrig sei und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, "weil die Höhe der Beiträge nach dem FSVG sich von der Beitragshöhe nach dem GSVG ohne sachliche Rechtfertigung unterscheidet". Außerdem wurde die Abänderung des angefochtenen Bescheides dahin beantragt, daß eine Beitragspflicht des Einspruchswerbers nach dem FSVG nicht bestehe.

2.2. Der Landeshauptmann von Tirol wies den Einspruch mit Bescheid vom 2. Juni 1993, ZVd-4067/1, mangels hinreichender Begründung als unzulässig zurück.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1. Der Beschwerdeführer bekämpft die Zurückweisung seines Einspruches, da die belangte Behörde "in weitwendigen und rechtlich verfehlten Ausführungen" behaupte, der Hinweis auf die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Rechtsvorschriften reiche zur Begründung eines Einspruches nicht aus. Es werde ihm auf diese Weise eine Sachentscheidung verweigert. Damit schneide ihm die belangte Behörde den Weg zum Verfassungsgerichtshof rechtswidrig ab und frustriere daher seinen durch Art144 B-VG (verfassungsgesetzlich) gewährleisteten Rechtsschutz, der (verfassungsrechtlich) an die Voraussetzung der Erschöpfung des Instanzenzuges geknüpft sei. Damit werde der Beschwerdeführer "im buchstäblichen Sinn seinem gesetzlichen Richter, nämlich dem Verfassungsgerichtshof, entzogen."

4.2. Die belangte Behörde begründet die Zurückweisung des Einspruches damit, daß dieser nicht (ausreichend) begründet sei und führt weiters u.a. aus:

"Insbesondere fehlt aber jede Begründung, aus der hervorgeht, warum der angefochtene Bescheid auf Grund der geltenden Rechtslage gesetzeswidrig sein soll. Weder die Berechnung des Beitrages und seine Höhe noch die Versicherungspflicht werden angefochten. Der Hinweis auf eine allfällige Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung kann deshalb nicht ausreichen, weil die entscheidende Behörde an die geltende Rechtslage gebunden ist. Deshalb wird auch keinerlei Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Bescheides behauptet, insbesondere nicht eine unrichtige Anwendung der bestehenden Gesetze durch die Einspruchsgegnerin.

...

Da der Einspruchswerber in keiner Weise begründet, warum der Bescheid nach der geltenden Gesetzeslage gesetzeswidrig sein soll und warum der unterschiedliche Beitragssatz nach FSVG und GSVG sachlich ungerechtfertigt wäre, und da er weiters nicht erkennen läßt, warum er deshalb seine Beitragspflicht nach dem FSVG überhaupt ablehne, war der vorliegende Einspruch als unzulässig zurückzuweisen."

5. Die Beschwerde ist tatsächlich im Recht.

5.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde insbesondere verletzt, wenn die Behörde zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987).

5.2. Im Verfahren nach dem GSVG und dem FSVG ist §412 Abs1 ASVG anzuwenden. Nach dieser Gesetzesstelle hat der Einspruch den Bescheid zu bezeichnen, gegen den er sich richtet, und einen begründeten Entscheidungsantrag zu enthalten.

Es ist hinreichend, wenn aus einer Berufung zumindest erkennbar ist, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertritt (VfSlg. 9205/1981). Darauf, ob die in der Berufung enthaltene Begründung rechtlich zutreffend oder vertretbar ist oder nicht, kommt es bei der Prüfung der formellen Erfordernisse des Rechtsmittels nicht an - dieser Umstand ist nur für die Art der meritorischen Erledigung entscheidend -, sondern ausschließlich darauf, ob daraus entnommen werden kann, womit der Beschwerdeführer meint, seinen Rechtsstandpunkt vertreten zu können.

5.3. Der Beschwerdeführer brachte im Einspruch vor, daß der Bescheid vom 21. April 1993 verfassungswidrig sei und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Schon aus dem Einspruch geht zweifelsfrei hervor, daß der erstinstanzliche Bescheid mit der Begründung bekämpft wird, daß der Beschwerdeführer die angewendeten Rechtsvorschriften für verfassungswidrig erachtet. Die angestrebte Sachentscheidung, auch wenn diese negativ sein sollte, dient dem Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers, weil es ihm nur nach Ausschöpfung des Verwaltungsweges möglich ist, den von ihm erhobenen Vorwurf der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlagen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

Im Hinblick auf den Wortlaut des Art144 Abs1 B-VG hat die Behauptung der Verfassungswidrigkeit der dem bekämpften Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften als ausreichende Berufungsbegründung zu gelten, da andernfalls die Rechtssache nie an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden könnte und der Berufungswerber, der ausschließlich die Verfassungswidrigkeit bestimmter Rechtsvorschriften geltend machen will, zusätzlich eine bloße Scheinbegründung vorbringen müßte.

5.4. Die Begründung des Einspruches liegt bereits in der behaupteten Verfassungswidrigkeit der den erstinstanzlichen Bescheid tragenden Rechtsgrundlagen und entspricht sohin den gesetzlichen Erfordernissen (vgl. VfSlg. 8380/1978, 12607/1991). Da auch sonst nichts hervorgekommen ist, was die Behörde zur Zurückweisung berechtigt hätte, wurde der Beschwerdeführer durch die Zurückweisung seines Einspruches im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

6. Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind S 2.500,-- an USt enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz und Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Berufungsantrag begründeter, Formgebrechen, Sozialversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B1282.1993

Dokumentnummer

JFT_10058995_93B01282_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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