TE Vfgh Erkenntnis 1994/10/5 B1676/94

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Veröffentlicht am 05.10.1994
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZivildienstG §2 Abs1 idF BGBl 187/1994
ZivildienstG §5 Abs4 idF BGBl 187/1994
ZivildienstG §5a Abs3 Z4 idF BGBl 187/994
AVG §13 Abs3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung durch Feststellung des Nichteintretens der Zivildienstpflicht wegen unvollständiger Zivildiensterklärung; Behandlung von - dem Fehlen von Angaben zum Lebenslauf vergleichbaren - Fehlern als behebbare Formgebrechen aufgrund verfassungskonformer Gesetzesauslegung geboten

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seiner Rechtsvertreter, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der - als tauglich zum Wehrdienst befundene - Beschwerdeführer richtete am 16. März 1994 an das Militärkommando Wien eine Eingabe, in der er mitteilte, er "suche hiermit um Zulassung zum Zivildienst an". Eine Begründung dafür sowie die Versicherung, keinem Wachkörper anzugehören, waren in der Eingabe nicht enthalten.

b) Der Bundesminister für Inneres (BMI) erließ darauf folgenden, mit 13. Juni 1994 datierten Bescheid:

"Gem. §5a Abs4 in Verbindung mit §5a Abs3 Z4 ZDG idF BGBl. Nr. 187/94, wird festgestellt:

Ihre Zivildiensterklärung vom 16.03.1994 ist mangels Bezugnahme auf Gewissensgründe gegen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen, die Ihnen die Erfüllung der Wehrpflicht ohne Gewissensnot nicht möglich machten sowie mangels ausdrücklicher Erklärung, deshalb Zivildienst leisten zu wollen und keinem Wachkörper nach Art78d B-VG anzugehören (§2 Abs1 Z1 bis 3 ZDG), unvollständig und kann Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen.

B e g r ü n d u n g :

Mit der im Spruch genannten Erklärung gaben Sie bekannt, daß Sie um Zulassung zum Zivildienst ansuchen.

Aus Ihrer Erklärung geht nicht hervor, daß Sie aus Gewissensgründen gegen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen Zivildienst leisten wollen, weiters unterließen Sie die im Spruch genannten gesetzlich geforderten zusätzlichen Angaben.

Da unvollständige Erklärungen gem. §5a Abs3 Z4 ZDG mangelhaft sind, ist gem. §5a Abs4 ZDG die Zivildienstpflicht nicht eingetreten."

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

Der Beschwerdeführer kritisiert vor allem, daß die Behörde ihrer Manuduktionspflicht nicht nachgekommen sei.

3. Der BMI erstattete eine Gegenschrift, in der er beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Er bestreitet, daß die Behörde ihre gesetzliche Manuduktionspflicht verletzt habe.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der vorliegende Fall ist nach dem Zivildienstgesetz 1986 - ZDG, BGBl. 679, idF der Novelle BGBl. 187/1994, (im folgenden: ZDG nF), zu beurteilen.

Die hier maßgebenden Bestimmungen dieses Gesetzes lauten:

"§2. (Verfassungsbestimmung) (1) Der Wehrpflichtige im Sinne des Wehrgesetzes 1990 - WG, BGBl. Nr. 305, der erstmals tauglich zum Wehrdienst befunden wurde, kann innerhalb eines Monates nach Abschluß des Stellungsverfahrens erklären (Zivildiensterklärung),

1.

die Wehrpflicht nicht erfüllen zu können, weil er es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus Gewissensgründen ablehnt, Waffengewalt gegen Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in Gewissensnot geraten würde,

2.

deshalb Zivildienst leisten zu wollen und

3.

keinem Wachkörper (Art78 d B-VG) anzugehören.

Die Zivildiensterklärung darf nicht an Vorbehalte und Bedingungen gebunden werden; ihr sind Angaben zum Lebenslauf (Schul- und Berufsausbildung sowie beruflicher Werdegang) anzuschließen. Das Recht, eine Zivildiensterklärung abzugeben, kann ausgeschlossen sein. Die näheren Bestimmungen trifft dieses Bundesgesetz.

(2) Mit Einbringung einer Zivildiensterklärung gemäß Abs1 wird der Wehrpflichtige von der Wehrpflicht befreit und zivildienstpflichtig. Er hat nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes Zivildienst zu leisten.

(3) ..."

"§5. (1) - (3) ...

(4) Der Bundesminister für Inneres hat ohne unnötigen Aufschub mit Bescheid festzustellen, ob Zivildienstpflicht eingetreten ist. Für Formgebrechen der Erklärung oder fehlende Angaben zum Lebenslauf gilt §13 Abs3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51. Der Feststellungsbescheid ist innerhalb von zwei Wochen nach Erlassung unter Angabe des Rechtskraftdatums dem Militärkommando (Abs2) zur Kenntnis zu bringen.

(5) ..."

"§5 a. (1) - (2) ...

(3) Eine Zivildiensterklärung ist mangelhaft, wenn

1.

der Wehrpflichtige für den Wehrdienst nicht tauglich ist (§2 Abs1), oder

2.

die Frist für die Abgabe der Zivildiensterklärung (§2 Abs1) abgelaufen ist, oder

3.

die Zivildiensterklärung unter Vorbehalten oder Bedingungen abgegeben wird (§2 Abs1),

4.

die Zivildiensterklärung unvollständig ist (§2 Abs1 Z1 bis 3), oder

5.

ein Ausschlußgrund nach Abs1 vorliegt.

(4) Weist eine Zivildiensterklärung Mängel auf, ist mit Bescheid festzustellen (§5 Abs4), daß Zivildienstpflicht nicht eingetreten ist."

2. Das durch §2 Abs1 iVm Abs2 ZDG idF der Novelle 1994 (wie schon zuvor durch §2 Abs1 idF der Novelle BGBl. 675/1991) verfassungsgesetzlich verbürgte Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung hat zunächst zum Inhalt, daß die in dieser Norm umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Zivildienstpflicht und die damit verbundene Ausnahme von der Wehrpflicht von der Behörde richtig beurteilt werden; das genannte Recht wird aber auch dann verletzt, wenn grobe Verfahrensfehler dazu führen, daß eine nach §2 Abs1 ZDG abgegebene Erklärung von der Behörde als nicht rechtswirksam qualifiziert wird (vgl. VfGH 1.7.1993 B2069/92,

S 7 f.; 4.3.1994 B1115/93, S 8).

3.a) Zwar steht fest, daß die vom Beschwerdeführer abgegebene Zivildiensterklärung die im angefochtenen Bescheid (s.o. I.1.b) angeführten Mängel aufwies.

Die Behörde war aber offenkundig der Ansicht, bei diesen Mängeln könne es sich nicht um behebbare Formgebrechen i.S. des §13 Abs3 AVG handeln, sondern um eine Fehlerhaftigkeit der Eingabe in materieller Hinsicht. Sie unterließ es daher, dem Beschwerdeführer einen Mängelbehebungsauftrag zu erteilen.

b) Diese Ansicht ist unzutreffend:

Gemäß §13 Abs3 AVG ermächtigen Formgebrechen schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr dem Einschreiter die Behebung der Formgebrechen mit der Wirkung aufzutragen, daß das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist zurückgewiesen wird. Wird das Formgebrechen rechtzeitig behoben, gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

Gemäß §5 Abs4 ZDG nF gilt §13 Abs3 AVG u.a. für "Formgebrechen der Erklärung". Was unter (behebbaren) Formgebrechen zu verstehen ist, besagt §13 Abs3 AVG nicht, sondern kann nur der jeweils in Betracht kommenden Verwaltungsvorschrift entnommen werden (vgl. Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, I. Bd., Wien 1987, E 18 zu §13 AVG).

Das ZDG nF regelt nun zwar nicht ausdrücklich, wie Mängel nach §5a Abs3 Z4 (iVm §2 Abs1 Z1 bis 3) ZDG nF in der hier maßgebenden Hinsicht zu beurteilen sind. Im Hinblick darauf, daß auch das Fehlen von Angaben zum Lebenslauf (§2 Abs1 drittletzter Satz ZDG nF) der expliziten Anordnung des §5 Abs4 ZDG nF zufolge als behebbares Formgebrechen gilt, ist jedoch davon auszugehen, daß das Gesetz auch damit vergleichbare Fehler nach §5a Abs3 Z4 (iVm §2 Abs1 Z1 bis 3) leg. cit. als solche behebbare Formgebrechen behandelt wissen will.

Eine andere Auslegung des Gesetzes würde zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen: Einerseits wäre es sachlich nicht begründbar, im Fall des Fehlens von Angaben zum Lebenslauf §13 Abs3 AVG anzuwenden, bei Vorliegen anderer (vergleichbarer) Mängel hingegen nicht; zum anderen wäre es unverhältnismäßig, an die Unvollständigkeit der Zivildiensterklärung die Folge des absoluten Erlöschens des Rechtes auf Ausnahme von der Wehrpflicht zu knüpfen (s. §2 Abs1 ZDG nF, wonach die Zivildiensterklärung nur innerhalb einer - nicht verlängerbaren - Frist von einem Monat nach Abschluß des Stellungsverfahrens abgegeben werden kann).

Das Prinzip der verfassungskonformen Gesetzesauslegung gebietet sohin, die erwähnten Mängel als behebbare Formgebrechen anzusehen.

c) Im Hinblick darauf, daß die Bestimmungen über die Zivildiensterklärung durch die ZDG-Novelle 1994 wesentlich geändert wurden (vgl. insbesondere §5 Abs4 und 5 ZDG aF (sc. Fassung der Novelle BGBl. 675/1991) einerseits und §5 Abs4 und §5a Abs3 ZDG nF andererseits), kann insofern die vor der ZDG-Novelle 1994 ergangene Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Bescheid des BMI über die Feststellung der Rechtswirkungen einer Zivildiensterklärung (z.B. VfGH 1.7.1993 B2069/92, und 4.3.1994 B1115/93) nicht mehr herangezogen werden.

d) Ausgehend von der verfehlten Rechtsmeinung, die erwähnten Mängel der vom Beschwerdeführer abgegebenen Zivil-diensterklärung seien keine behebbaren Formgebrechen iS des §13 Abs3 AVG, gelangte der BMI zum Ergebnis, die vom Beschwerdeführer eingebrachte Zivildiensterklärung habe nicht die Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung bewirkt.

Die Behörde wäre hingegen nach dem zuvor Gesagten verpflichtet gewesen, dem Einschreiter zunächst einen Auftrag zur Behebung der Mängel zu erteilen (vgl. z.B. Ringhofer, aaO, E 32a zu §13 AVG). Dies hat sie aber unterlassen.

e) Damit hat die Behörde den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt.

Der angefochtene Bescheid war deshalb aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Zivildienst, Verwaltungsverfahren, Eingaben, Formgebrechen, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B1676.1994

Dokumentnummer

JFT_10058995_94B01676_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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