TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/25 95/01/0159

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Veröffentlicht am 25.09.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §16 Abs2;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Dolp als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des I in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Mai 1995, Zl. 4.339.964/6-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 19. Mai 1995 wurde in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 31. Juli 1992, mit dem dem am 28. Juli 1992 gestellten Asylantrag des Beschwerdeführers - eines russischen Staatsangehörigen, der am 27. Juli 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist -, nicht stattgegeben worden war, abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 29. Juli 1992 zu seinen Fluchtgründen befragt im wesentlichen angegeben, er sei Mitglied der politischen Organisation "Drujba" gewesen. Als solches hätte er in den Jahren 1991 und 1992 Veranstaltungen der politisch gegnerischen "Pamjat"-Organisation gestört. Infolge dessen sei er von Anhängern dieser Organisation mehrfach angegriffen und verletzt, einmal sogar entführt worden. Auch habe er Drohbriefe erhalten. Ende Dezember 1991 seien die Scheiben seines Kraftfahrzeuges eingeschlagen worden, wobei er nicht sicher wisse, wer dies getan habe. Bezüglich der Sachbeschädigung und der Entführung habe er Anzeige bei der Polizei erstattet. Der Beschwerdeführer habe selbst keine Familienangehörigen, die Juden seien. Er wolle für immer in Österreich bleiben; wenn er in sein Heimatland zurückkehre, sei es nicht auszuschließen, daß er von Mitgliedern der "Pamjat"-Bewegung umgebracht werde.

Die Erstbehörde ging bei ihrer Entscheidung von der Richtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers aus, nahm jedoch den Standpunkt ein, daß infolge des Umstandes, daß die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Verfolgungshandlungen von Mitgliedern der "Pamjat"-Organisation begangen worden seien, eine Anerkennung als Flüchtling gemäß § 1 Abs. 1 Asylgesetz nicht in Frage komme.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung vom 12. August 1992 führte der Beschwerdeführer aus, es sei ihm entgegen der im § 16 Abs. 2 Asylgesetz 1991 festgelegten Verpflichtung kein Merkblatt ausgehändigt worden. Dem Bescheid der Erstbehörde ließe sich überdies nicht entnehmen, worauf sich die Annahme der belangten Behörde stütze, daß der Staat in seinem Fall gewillt oder in der Lage gewesen wäre, ihn vor den von der "Pamjat"-Bewegung ausgehenden Verfolgungshandlungen zu schützen. Die Erstbehörde habe es überdies unterlassen, ihrer besonderen Anleitungs- und Belehrungspflicht nach § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 sowie der amtswegigen Ermittlungspflicht gemäß § 39 AVG nachzukommen. Die Erstbehörde habe außerdem verkannt, daß der Beschwerdeführer aufgrund seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Bevölkerungsgruppe verfolgt worden sei und daß die russische Regierung nicht gewillt gewesen sei, ihn vor diesen Übergriffen zu schützen. Dies zeige sich in der gesamten Haltung der Regierung gegenüber der Organisation, zu deren Mitgliedern sogar Angehörige der Regierung zählten.

Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung als unbegründet ab. Sie ging dabei davon aus, daß die vom Beschwerdeführer vorgetragenen, gegen ihn gerichteten Handlungen nicht vom Staat, sondern von Privatpersonen ausgegangen seien, weshalb sie dem Staat grundsätzlich nicht zurechenbar seien. Davon könne nur dann ausgegangen werden, wenn der betroffene Bürger von staatlicher Seite nicht geschützt werden wolle oder könne. Der Beschwerdeführer habe selbst angegeben, sich an die Polizei gewandt zu haben und es sei ihm die Auskunft erteilt worden, daß nach den Tätern gesucht werde. Da die Erstbehörde von den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 29. Juli 1992 ausgegangen sei und diese Angaben der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt worden seien, habe im Berufungsverfahren auf weitere Ermittlungen verzichtet werden können. Selbst wenn dem Beschwerdeführer kein Merkblatt ausgefolgt worden wäre, so sei er doch über die Rechtsfolgen des § 19 Abs. 1 Asylgesetz 1991 belehrt worden, womit den Intentionen des § 16 Abs. 2 Asylgesetz 1991 weitgehend entsprochen worden sei.

Der Beschwerdeführer rügt unter dem Blickwinkel der Verletzung von Verfahrensvorschriften zunächst, daß ihm entgegen der Bestimmung des § 16 Abs. 2 Asylgesetz 1991 kein Merkblatt in seiner "Muttersprache" ausgefolgt worden sei. Dazu ist eingangs zu bemerken, daß § 16 Abs. 2 Asylgesetz 1991 derartiges von den Behörden nicht fordert. Das Gesetz sieht lediglich eine Ausfolgung eines Merkblattes betreffend die einem Asylwerber obliegenden Pflichten und die ihm zustehenden Rechte in einer ihm ausreichend verständlichen Sprache vor. Überdies unterläßt es der Beschwerdeführer, die Entscheidungsrelevanz des von ihm behaupteten Verfahrensmangels aufzuzeigen. Tatsächlich vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, wie die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, wenn sie unter Aufgreifung des vom Beschwerdeführer in seiner Berufung geltend gemachten und der Erstbehörde zuzurechnenden Verfahrensfehlers aus diesem Grunde eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens angeordnet hätte.

Dies trifft auch auf den weiteren vom Beschwerdeführer geltend gemachten Verfahrensmangel zu, die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, ein Gutachten einer Menschenrechtsorganisation darüber einzuholen, ob von der "Pamjat"-Bewegung in der Russischen Föderation Verfolgungshandlungen gegen Private gesetzt würden bzw. ob Mitglieder dieser Bewegung sich in hoher Regierungsposition befänden, diese Bewegung von "KG-Funktionären" infiltriert sei bzw. ob überhaupt wesentliche Teile der Staatsmacht mit dieser Bewegung einverstanden seien, ihre Ziele und Zwecke unterstützten, sodaß Verfolgungshandlungen dieser Bewegung auch den staatlichen Behörden zuzurechnen sei. Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 29. Juli 1992 angegeben, sich in zwei Fällen der von ihm behaupteten und von Mitgliedern der "Pamjat"-Bewegung ausgehenden Handlungen an die Polizei gewandt zu haben. Er hat nicht einmal andeutungsweise deponiert, daß ihm staatliche Hilfe im Zusammenhang mit diesen Handlungen nicht zuteil geworden sei; vielmehr hat er angegeben, es sei ihm in einem Fall die Auskunft erteilt worden, daß nach den Tätern gesucht werde. Daß mit dieser Auskunft der Beschwerdeführer nur hingehalten und damit die Verweigerung staatlicher Hilfe verschleiert werden sollte, behauptete der Beschwerdeführer nicht. Auch in seiner Berufung hat der Beschwerdeführer nicht einmal vorgebracht, daß die zur Stützung seines Asylbegehrens behaupteten Handlungen von staatlichen Stellen geduldet worden seien. Er hat in seiner Berufungsschrift lediglich gerügt, der Begründung des Bescheides sei nicht zu entnehmen, worauf sich die Feststellung gründe, daß der Staat in seinem Fall gewillt oder in der Lage gewesen sei, ihn zu schützen. Zu dieser Annahme war die Erstbehörde mangels gegenteiligen, in die andere Richtung weisenden Vorbringens des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 29. Juli 1992 durchaus berechtigt. Der belangten Behörde ist daher nicht anzulasten, sie habe es unterlassen, eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen. Das gleiche gilt auch für die vom Beschwerdeführer in seiner Berufung erstmals vorgetragene Behauptung, die Verfolgungshandlungen seien auf seine jüdische Herkunft zurückzuführen. Im übrigen könnte es dahinstehen, ob die vom Beschwerdeführer behaupteten und von der "Pamjat"-Bewegung ausgehenden Verfolgungshandlungen politische oder rassische Gründe haben, ist doch lediglich entscheidungswesentlich, daß der Beschwerdeführer im Verfahren nicht behauptet hat, die Behörden seines Heimatlandes wären nicht gewillt oder in der Lage, ihn vor diesen Verfolgungen zu schützen.

Soweit der Beschwerdeführer unter dem Blickpunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit in der Beschwerde erstmals vorträgt, die von ihm behaupteten Verfolgungshandlungen seien von russischen Behörden und russischen Politikern zu verantworten und seien deshalb den staatlichen Organen der Russischen Föderation indirekt zuzurechnen, so ist dem das sich aus § 41 Abs. 1 VwGG herzuleitende und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot entgegenzuhalten, hat doch der Beschwerdeführer im vorangegangenen Verfahren trotz der diesbezüglich ihm gebotenen Gelegenheit ein derartiges Vorbringen nicht an die Erstbehörde herangetragen. In diesem Zusammenhang ist zu der vom Beschwerdeführer in seiner Berufung vorgebrachten Rüge, die Erstbehörde sei der ihr auferlegten Manuduktionspflicht nur mangelhaft nachgekommen, darauf zu verweisen, daß aus der Bestimmung des § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden kann, Asylgründe, die der Asylwerber nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1995, Zl. 95/20/0112). Insoferne ist also das Verfahren vor der Erstbehörde nicht mangelhaft geblieben und hatte aus diesem Grunde die belangte Behörde auch keine Veranlassung, eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen.

Da sich die Beschwerde daher insgesamt als unberechtigt erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995010159.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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