TE Bvwg Beschluss 2022/1/11 W135 2236783-2

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Veröffentlicht am 11.01.2022
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Entscheidungsdatum

11.01.2022

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1
VOG §10
VOG §3
VOG §4
VOG §6a
VwGVG §8a Abs1

Spruch


W135 2236783-2/2E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC über den Antrag von XXXX , geb. XXXX , auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur weiteren Führung des Beschwerdeverfahrens gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 17.09.2020, Zl. XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages vom 11.05.2016 auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz:

A)

Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG stattgegeben und die Verfahrenshilfe bewilligt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I.       Verfahrensgang

Der Antragsteller brachte am 11.05.2016 einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen für Opfer in Form von Ersatz des Verdienstentganges, Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld, Heilfürsorge (Kostenübernahme einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung sowie der Selbstbehalte für Krankenhausaufenthalte und Arztbesuche) sowie orthopädische Versorgung nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) beim Sozialministeriumservice Wien ein.

Mit Bescheid des Sozialministeriumservice vom 17.09.2020 wurde der Antrag vom 11.05.2016 gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 3, § 3, § 4 Abs. 2 letzter Satz und Abs. 5, § 5, § 6a und § 10 Abs. 1 VOG abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 02.11.2020 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

Mit Schreiben vom 24.12.2021, beim Bundesverwaltungsgericht am 28.12.2021 eingelangt, stellte der Antragsteller - nach Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.02.2022 - einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe für die anwaltliche Vertretung in der mündlichen Verhandlung und legte ein Vermögensbekenntnis vor.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Einzelrichterin ergeben sich aus §§ 6 und 7 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) iVm § 9d Abs. 1 Verbrechensopfergesetz (VOG).

Zu A)   Stattgabe des Antrages auf Verfahrenshilfe:

Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat darauf verwiesen, dass Art. 47 Abs. 2 GRC Art. 6 Abs. 1 EMRK entspricht und gemäß Art. 52 Abs. 3 GRC jenen Rechten der GRC, die jenen durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite zukommt, wie sie ihnen in der EMRK verliehen werden (EuGH 22.12.2010, DEB, C-279/09 Rz 31, 35), weshalb der EuGH in seiner Beurteilung des Art. 47 GRC auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zurückgreift.

Nach der Rechtsprechung des EGMR ist es nicht erforderlich, dass Verfahrenshilfe in allen erdenklichen Verfahren zu gewähren ist. Vielmehr bedarf es einer Prüfung im Einzelfall. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 26.06.2015, G 7/2015, mit welchem § 40 VwGVG als verfassungswidrig aufgehoben wurde, die Judikatur des EGMR dahingehend zusammengefasst, dass der Zugang zu einem Gericht nicht bloß theoretisch und illusorisch, sondern effektiv gewährleistet sein muss; in jenen Fällen, in denen es unentbehrlich ist, dass der Partei eines Verfahrens ein unentgeltlicher Verfahrenshelfer beigestellt wird, muss ein solcher beigestellt werden. Die unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers ist etwa dann geboten, wenn im konkreten Verfahren Anwaltszwang besteht, das Verfahrensrecht kompliziert ist oder eine schwierig zu entscheidende Rechtsfrage vorliegt. Zudem muss der Anschein eines fairen Verfahrens gewahrt werden, wobei es auch auf die Bedeutung der Angelegenheit für die Partei ankomme (EGMR 13.3.2007, Laskowska, Appl. 77.765/01, Z51, 54). Der effektive Zugang zum Gericht ist jedoch nicht absolut und kann auch beschränkt werden. Die Beigebung eines unentgeltlichen Verfahrenshelfers kann etwa von der finanziellen Situation der Partei, den (mangelnden) Erfolgsaussichten im Verfahren, den begrenzten Mitteln der öffentlichen Hand sowie von Rechten Dritter oder auch der Beschleunigung des Verfahrens abhängig gemacht werden (EGMR 13.3.2007, Laskowska, Appl. 77.765/01, Z52).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung der Interessen der Verwaltungsrechtspflege vor allem auf die zweckentsprechende Verteidigung Bedacht zu nehmen. Als Gründe für die Beigebung eines Verteidigers sind besondere Schwierigkeiten der Sachlage oder Rechtslage, besondere persönliche Umstände des Beschuldigten und die besondere Tragweite des Rechtsfalles für die Partei (wie etwa die Höhe der dem Beschuldigten drohenden Strafe) zu berücksichtigen, wobei die Beigabe eines Verfahrenshelfers nur dann vorgesehen ist, wenn beide genannten Voraussetzungen (Mittellosigkeit, Interessen der Rechtspflege) kumulativ vorliegen (VwGH 18.05.2016, Ra 2016/04/0041, mwN).

Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG zählt zu den Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenshilfe, dass die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten. Gemäß § 8a Abs. 2 VwGVG sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe, soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften der ZPO zu beurteilen. In diesem Sinn wird auch in den Erläuterungen zur Novelle BGBl. I Nr. 24/2017 (1255 BlgNR 25. GP 3) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für die Frage, ob die Partei außerstande sei, die Kosten der Führung des Verfahrens zu bestreiten, die Bestimmungen der ZPO maßgeblich seien, namentlich § 63 Abs. 1 ZPO zur Definition des notwendigen Unterhalts. Nach dieser Bestimmung ist als notwendiger Unterhalt derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt (VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0205).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als notwendiger Unterhalt ein zwischen dem "notdürftigen" und dem "standesgemäßen" Unterhalt liegender anzusehen, der abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbstätigen und dem "Existenzminimum" liegt und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (VwGH 18.05.2016, Ra 2016/04/0041, mwN).

Dem gegenständlichen Antrag liegt ein Verfahren nach dem Verbrechensopfergesetz zugrunde, in welchem der Antragsteller die Gewährung von Hilfeleistungen für Opfer in Form von Ersatz des Verdienstentganges, Pauschalentschädung für Schmerzengeld, Heilfürsorge und orthopädische Versorgung begehrte. Mit Bescheid des Sozialministeriumservice vom 17.09.2020 wurde der entsprechende Antrag unter anderem auf Grundlage eines nervenfachärztlichen Sachverständigengutachtens, in welchem die Kausalität der beim Antragsteller vorliegenden Gesundheitsschädigungen mit den im angefochtenen Bescheid festgestellten Verbrechen verneint wurde, abgewiesen.

Im Hinblick darauf, dass jedenfalls eine Erörterung des eingeholten Sachverständigengutachtens im Rahmen einer mündlichen Verhandlung notwendig sein wird und die Kausalität der vom Sozialministeriumservice festgestellten Verbrechen und den beim Antragsteller vorliegenden Gesundheitsschädigungen unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen und im Zusammenhang mit dem beantragten Verdienstentgang und der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld allenfalls auch die Frage, ob eine schwere Körperverletzung vorliegt, zu beantworten sein wird, liegt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes eine komplexe Sach- und Rechtslage vor.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheint im Zusammenhang mit dem beantragten Verdienstentgang auch nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos, wenngleich über die Erfolgsaussichten zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aussage getätigt werden kann und der Ausgang des Verfahrens im Wesentlichen von den in der mündlichen Verhandlung aufgenommenen Beweisergebnissen abhängen wird. Das Verfahren hat für den Antragsteller auch eine erhebliche (finanzielle) Bedeutung, da ihm im Falle einer zu seinen Gunsten ausgehenden Entscheidung unter anderem ein Verdienstentgang zusteht.

Dem vom Antragsteller mit dem gegenständlichen Verfahrenshilfeantrag vorgelegten Vermögensbekenntnis und den beigelegten Unterlagen ist zu entnehmen, dass der Antragsteller eine monatliche Invaliditätspension in Höhe von € 553,24 und Beihilfen in Höhe von € 199,99 bezieht. Sein Bankkonto weist ein Guthaben in Höhe von € 82,77 auf. Darüber hinaus verfügt der Antragsteller über kein relevantes Vermögen. Der verheiratete Antragsteller zahlt als Eigentümer eines Hauses, welches seinem Wohnbedürfnis dient, eine monatliche Kreditrate in Höhe von € 253,00 an eine Bank zurück. Die monatlichen Hausbetriebskosten einschließlich Strom- und Heizkosten belaufen sich auf € 585,66. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Antragsteller die laufenden monatlichen Kosten gemeinsam mit seiner Ehefrau bestreitet, ist vor dem Hintergrund, dass das monatliche Gesamteinkommen des Antragstellers weit unter dem allgemeinen Existenzminimum liegt, davon auszugehen, dass er außerstande ist, die Kosten der Führung des weiteren Verfahrens ohne Beeinträchtigung einer bescheidenen Lebensführung zu bestreiten.

Da somit die gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG kumulativ erforderlichen Voraussetzungen der Mittellosigkeit des Antragstellers und die Interessen der Rechtspflege gegeben sind, ist dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe spruchgemäß stattzugeben.

Zu B)   Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine ständige, einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen der Zuerkennung der Verfahrenshilfe (VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0205; 18.05.2016, Ra 2016/04/0041, mwN) bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage.

Schlagworte

Mittellosigkeit mündliche Verhandlung Rechtsanwälte VerbrechensopferG Verfahrenshilfeantrag Vermögensbekenntnis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2022:W135.2236783.2.00

Im RIS seit

02.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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