TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/26 95/19/0103

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Veröffentlicht am 26.09.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Mai 1995, Zl. 4.328.788/7-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Mai 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Nigeria, der am 5. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am selben Tag den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. April 1992, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme angegeben: Er stamme aus Aba und habe an der National High School Geschichte studiert. Sein Vater habe bei der Kemoa-Organisation seit dessen 20. Lebensjahr gearbeitet und sei im Februar 1991 verstorben. Diese Organisation sei geheim und töte Menschen. Nach seinem Tod habe man die Mutter des Beschwerdeführers wissen lassen, daß der Beschwerdeführer dieser Organisation beitreten solle. Er habe aber nicht wollen, weil Menschen umgebracht würden. Sein Cousin habe ihm Geld gegeben, damit er seine Heimat verlassen könne. Er sei per Flugzeug nach Belgrad gereist. Dort habe ihn ein in Belgrad studierender Freund seines Onkels und Cousins abgeholt. Er habe etwa eine Woche in Belgrad zugebracht. Letzten Samstag habe er in Belgrad seinen Reisepaß verloren und sei mittels LKW nach Budapest gereist. Von Budapest aus habe er sich in den folgenden eineinhalb Tagen zur österreichischen Staatsgrenze begeben und diese illegal überschritten.

In seiner aufgrund der abweisenden Entscheidung der ersten Instanz erhobenen Berufung brachte er vor: Er habe keine Vernehmung durch eine Asylbehörde gehabt. Die Gründe, die bei seiner fremdenpolizeilichen Vernehmung im Protokoll festgehalten worden seien, seien nicht geeignet, seine Fluchtgründe voll verstehen zu lassen. Dies sei ein Verfahrensmangel.

Kemer oder Ogboni sei ein Geheimbund in den südlichen Staaten Nigerias. Seine Mitglieder seien unter anderem Geschäftsleute, Polizisten, Politiker. Es sei eine Art "Protektion Society". Es sei zwingend der Brauch, daß der älteste Sohn eines Mitgliedes in diesen Geheimbund eintrete. Der Vater des Beschwerdeführers sei Mitglied dieses Geheimbundes gewesen. Im Alter von 12 Jahren habe er ungewollt Kenntnis über Aktivitäten des Geheimbundes erhalten. Dieses Wissen haben den Druck auf ihn verstärkt, Mitglied zu werden. Der Beschwerdeführer habe nicht beitreten wollen, weil er Christ sei und gegen die Ausübung von "Yu Yu" sei, eine Aktivität, bei welcher Menschen getötet würden und ihre Körper zur Erzeugung von spirituellen Gegenständen verwendet würden. Im Jahre 1985, als der Beschwerdeführer 20 Jahre alt geworden sei, hätten seine Probleme begonnen, akut zu werden. Er sei zur "Initiationszeremonie" aufgefordert worden. Er habe als Mitglied des nigerianischen Nationalteams zu dieser Zeit an den Jugend-Weltmeisterschaften teilgenommen, weshalb er dieser Situation entkommen habe können. Nach seiner Rückkehr sei er erneut unter Druck gesetzt worden, als Mitglied beizutreten. Er habe sich gezwungen gesehen, sein Land zu verlassen, und sei 1986 in den Nachbarstaat Ghana gegangen, wo er als Fußballspieler bekannt geworden sei. Der Geheimbund habe von seinem Aufenthalt in Ghana Kenntnis erhalten und er sei gegen seinen Willen nach Nigeria zurückgebracht worden. Die Mutter des Beschwerdeführers habe diesen Umstand bei der Polizei angezeigt. Diese habe nicht helfen können, weil der Einfluß des Geheimbundes bis in die Sicherheitsorgane und die Gesellschaft des Landes hineinreiche. Es sei ihm ein Anmeldeformular für die Mitgliedschaft aufgezwungen worden, welches der Beschwerdeführer auszufüllen hatte, um an den Initiationsriten am "30.2.1991" teilzunehmen. Andernfalls sei ihm mit der Ermordung gedroht worden. Infolgedessen habe ihm seine Familie - vorwiegend seine Mutter - geraten, Nigeria zu verlassen. Ein Cousin habe ein Visum für Jugoslawien besorgt, wo der Beschwerdeführer mit dem Cousin in einem Studentenheim gelebt habe. Bei Ausbruch des Krieges sei der Cousin nach Nigeria zurückgekehrt und der Beschwerdeführer nach Ungarn mit einem Schlepper geflüchtet. Da er dort kein Flüchtlingslager für Schwarze habe finden können und weil ihm sein Gepäck und Paß auf der Flucht durch Ungarn verloren gegangen seien (Paßverlust am 1.12.1991), sei er nach Österreich weitergeflüchtet und habe die österreichische Grenze am 5.12.1991 erreicht.

Die belangte Behörde erließ daraufhin den Bescheid vom 1. Dezember 1992, welcher aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0446, infolge Anwendung einer verfassungswidrigen Norm (Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) aufgehoben wurde.

Die belangte Behörde bot dem Beschwerdeführer mittels Manuduktionsschreiben Gelegenheit, einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz, welche er im Rahmen seiner Berufung möglicherweise nicht releviert habe, zu ergänzen. Der Beschwerdeführer brachte jedoch keine Ergänzung zu seiner Berufung ein.

Daraufhin erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen (Ersatz-)bescheid. Die belangte Behörde ging auf das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren ein. Sie resümierte, daß den Angaben des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen sei, daß er jemals konkrete oder individuelle Verfolgung aus den in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründen zu gewärtigen gehabt habe bzw. derzeit für den Fall einer etwaigen Rückkehr in seine Heimat zu befürchten hätte, weshalb ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zukäme und deshalb die Asylgewährung zwingend ausgeschlossen sei.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wiederholt der Beschwerdeführer im wesentlichen sein bisheriges Sachverhaltsvorbringen. Ausdrücklich führt der Beschwerdeführer an:

"... und wurde dem Beschwerdeführer mit der Ermordung gedroht, so er nicht die Mitgliedschaft bei der Kemoa annimmt. Aufgrund dieser Morddrohungen hat der Beschwerdeführer in weiterer Folge das Anmeldeformular für die Mitgliedschaft ausgefüllt und gezwungenermaßen am 30.2.1991 an den Initiationsriten teilgenommen. In weiterer Folge ist der Beschwerdeführer nach Jugoslawien geflohen..."

Desweiteren führt der Beschwerdeführer in der Beschwerde aus, daß im Falle der VERWEIGERUNG EINES BEITRITTES des ältesten Sohnes eines Mitgliedes des Geheimbundes nicht nur mit der Ermordung gedroht werde, sondern bei weiterer Weigerung tatsächlich zwecks Abschreckung anderer die Ermordung des "nicht Beitrittswilligen" erfolge.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht im engsten Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.

Der Beschwerdeführer hat als ausschließlichen Grund für seine Flucht die Furcht vor der Ermordung durch Mitglieder der Kemoa-Sekte FÜR DEN FALL DER VERWEIGERUNG DER MITGLIEDSCHAFT vorgebracht. Er gibt in der Beschwerde aber selbst an, das Anmeldeformular für die Mitgliedschaft ausgefüllt und am "30.2.1991" (wenn auch gezwungenermaßen) an den Initiationsriten teilgenommen zu haben. Mit diesem Beitritt zum Geheimbund fällt daher die Motivation, den Beschwerdeführer wegen Verweigerung des Beitrittes zu ermorden, weg. Der Beschwerdeführer hat nach der Darstellung der zeitlichen Abfolge der Ereignisse in der Niederschrift vom 5. Dezember 1991 - deren Richtigkeit er nicht bestreitet - sein Heimatland erst nach Mitte November 1991 verlassen. Der Beschwerdeführer hat zwischen dem (erzwungenen) Beitritt zum Geheimbund bis zu seiner Ausreise - immerhin ein Zeitraum von mehr als 8 Monaten - keine weitere Verfolgung behauptet, was auch im Einklang damit steht, daß die angedrohte Ermordung sich nur auf den Fall des Nichtbeitrittes bezog.

Die belangte Behörde hat daher im Ergebnis zu Recht eine dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland drohende konkrete und individuelle Verfolgung aus den in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründen verneint und die Asylgewährung verweigert.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995190103.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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