TE Vwgh Beschluss 2022/1/5 Ra 2021/17/0199

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Veröffentlicht am 05.01.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Mag. Berger, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache des M H M in W, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in 8054 Seiersberg-Pirka, Haushamer Straße 2/4. OG, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Mai 2021, W195 2207012-3/11E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 22. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 20. Juli 2018 wurde der Antrag abgewiesen und dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Unter einem erließ das BFA gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

2        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Entscheidung vom 7. April 2020 als verspätet zurück.

3        Der Revisionswerber kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern stellte am 1. Juli 2020 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005.

4        Mit Bescheid des BFA vom 23. Februar 2021 wurde dieser Antrag abgewiesen (Spruchpunkt I.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.), die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bangladesch festgestellt (Spruchpunkt III.), eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise bestimmt (Spruchpunkt IV.) und ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).

5        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Weiters sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Das BVwG traf Feststellungen zum Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich, seiner Ausbildung sowie seinem Privat- und Familienleben und der Situation - auch in Bezug auf die Covid-19-Pandemie - in seinem Herkunftsstaat Bangladesch. Insbesondere stellte es fest, der Revisionswerber habe in Bangladesch eine Ehefrau und zwei minderjährige Kinder, zu denen er regelmäßigen Kontakt halte und die er nach Österreich holen wolle. Seine übrige (Groß)Familie lebe ebenfalls in Bangladesch. Der Revisionswerber sei in Bangladesch im Textilhandel sowie im Gemüsehandel seines Bruders tätig gewesen. Der Revisionswerber spreche fast kein Deutsch. Er leide an pulmonaler Sarkoidose Typ II sowie an Diabetes Mellitus Typ II. Diese Krankheiten seien in Bangladesch behandelbar und die hierfür erforderlichen Medikamente verfügbar.

7        Der Revisionswerber erhob gegen das angefochtene Erkenntnis des BVwG zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung mit Beschluss vom 22. September 2021, E 2511/2021-7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Zur Begründung ihrer Zulässigkeit macht die Revision Verfahrensmängel, insbesondere eine Verletzung des Rechtes auf Parteiengehör, Begründungsmängel (vor allem Feststellungsmängel) und eine fehlerhafte Beweiswürdigung geltend.

12       Dazu ist zunächst auszuführen, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 3.12.2020, Ra 2020/20/0392, mwN).

13       Diesen Anforderungen wird in der Revision mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen schon deshalb nicht entsprochen, weil sie keinerlei Darstellung der Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel enthält.

14       Zudem ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 14.9.2021, Ra 2020/20/0405, mwN).

15       Dem Revisionswerber, der zusammengefasst lediglich behauptet, dass das BVwG von seiner Unglaubwürdigkeit ausgegangen sei und eine antizipierende Beweiswürdigung vorgenommen habe, gelingt es nicht aufzuzeigen, dass Erwägungen des Verwaltungsgerichts (nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung) mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit behaftet wären.

16       Weiters bringt die Revision in Bezug auf die für die Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 und die für die Erlassung der Rückkehrentscheidung maßgebliche Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK vor, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen sei.

17       Der Verwaltungsgerichtshof hat schon vielfach ausgesprochen, dass die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK iVm § 9 BFA-VG dann nicht revisibel ist, wenn sie im Ergebnis vertretbar ist und keinen maßgeblichen Begründungsmangel erkennen lässt (vgl. etwa VwGH 6.10.2021, Ra 2021/17/0063, mwN).

18       Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof auch wiederholt ausgesprochen, dass ein Fremder im Allgemeinen zwar kein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und der Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Solche liegen vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. Ob derartige außergewöhnliche Umstände vorliegen, ist eine von der Behörde bzw. vorliegend dem BVwG zu beurteilende Rechtsfrage (vgl. VwGH 1.9.2021, Ra 2020/19/0439, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon festgehalten, dass es einem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse im Sinn des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. VwGH 17.3.2021, Ra 2021/14/0052, mwN).

19       Inwiefern solche exzeptionellen Umstände vorliegen, zeigt die Revision, die im Wesentlichen die Feststellungen des BVwG zur Lage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie wiederholt, nicht auf.

20       Davon ausgehend vermag die Revision vor dem Hintergrund der vom BVwG getroffenen Feststellungen (insbesondere zur medizinischen Versorgungslage, zur Behandlungsmöglichkeit der Erkrankung des Revisionswerbers und zur Covid-19-Situation in Bangladesch, sowie zur weitgehend fehlenden Integration des Revisionswerbers in Österreich, zu seinen familiären Bindungen im Herkunftsstaat und zur nicht erfolgten Ausreise trotz seiner Ausreiseverpflichtung) nicht aufzuzeigen, dass im vorliegenden Fall das nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erzielte Ergebnis als unvertretbar anzusehen wäre.

21       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 5. Jänner 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021170199.L00

Im RIS seit

26.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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