TE Lvwg Erkenntnis 2021/12/7 LVwG-AV-1343/001-2021

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Veröffentlicht am 07.12.2021
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Entscheidungsdatum

07.12.2021

Norm

MSG NÖ 2010 §26
VwGVG 2014 §7
AVG 1991 §71
ZustG §13
ZustG §17
ZustG §19
VVG 1991 §3

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Warum als Einzelrichter über die Beschwerde der A, in ***, ***, vertreten durch C, Rechtsanwalt in ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Krems vom 14.07.2021, Zl. ***, betreffend Abweisung eines Zustellantrages und Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie Zurückweisung von Anträgen zur Aufhebung der Vollstreckbarkeit und Aufschiebung der Exekution, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

1.   Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt 1. des Bescheides richtet, gemäß § 71 AVG und § 17 Abs. 3 ZustG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides abgeändert wird und lautet wie folgt:

„Der Antrag vom 22.6.2021 auf Zustellung des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Krems vom 09.01.2019, ***, und auf Wiedereinsetzung dieses Verfahrens in den vorigen Stand werden abgewiesen.“

2.   Der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt 2. des Bescheides richtet, gemäß § 3 VVG mit der Maßgabe Folge gegeben, dass die Vollstreckbarkeitsbestätigung vom 4.5.2021, ***, aufgehoben wird.

Im Übrigen wird die Beschwerde zu diesem Spruchpunkt abgewiesen.

3.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

1.   Verfahrensgang und entscheidungswesentliche Feststellungen:

1.1. Mit Bescheid vom 9.1.2019, ***, verpflichtete die Bezirkshauptmannschaft Krems (im Folgenden: Belangte Behörde) die Beschwerdeführerin unter Anwendung von § 26 und § 28 NÖ Mindestsicherungsgesetz (NÖ MSG) die Kosten der mit näher bezeichneten Bescheiden der belangten Behörde gewährten Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Höhe von € 3.255,54 dem Land Niederösterreich zu ersetzen.

Die belangte Behörde versuchte zunächst, den Bescheid (zu diesem Zeitpunkt noch mit 29.11.2018 als Bescheiddatum) per RSb der Beschwerdeführerin an der Adresse ***, *** – dem zu dieser Zeit gemeldeten Hauptwohnsitz der Beschwerdeführerin – zuzustellen. Die Postsendung wurde jedoch mit dem Postvermerk „Ortsabwesenheit bis 6.1.2019“ an die belangte Behörde retourniert.

Am 11.1.2019 erfolgte ein erneuter Zustellversuch mittels Rückscheinbrief. Der Bescheid wurde am 11.1.2019 an der Postleitzahl *** hinterlegt und eine Verständigung über die Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung eingelegt. Eine Retournierung an die belangte Behörde durch die Post mit dem Vermerk „Ortsabwesenheit“ erfolgte nicht.

1.2. Mit Schriftsatz vom 19.1.2019 erhob die Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 9.1.2019 Beschwerde und brachte diese per E-Mail am 4.2.2019 bei der belangten Behörde ein. Die belangte Behörde bestätigte daraufhin mit E-Mail vom 5.2.2019 der Beschwerdeführerin den Eingang der Beschwerde.

1.3. Mit Erkenntnis vom 27.6.2019, LVwG-AV-185/001-2019, wies das Landesverwaltungsgericht NÖ (LVwG NÖ) die Beschwerde als unbegründet ab.

Der Beschwerdeführerin wurde das Erkenntnis mittels RSb übermittelt und am 10.10.2019 versucht zuzustellen. Es erfolgte eine Hinterlegung am 11.10.2019 bei der Postleitzahl ***.

1.4. Mit Schreiben vom 4.5.2021, ***, bestätigte die belangte Behörde, dass der Bescheid vom 9.1.2019 mit Erkenntnis des LVwG NÖ vom 27.6.2019 seit 22.11.2019 rechtskräftig sei und keinem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug mehr unterliege.

1.5. Mit Beschluss vom 12.5.2021, ***, bewilligte das Bezirksgericht *** zunächst die von der belangten Behörde beantragte Fahrnisexekution bei der Beschwerdeführerin als verpflichteter Partei wegen € 3.255,54.

1.4. Mit Antrag vom 22.6.2021 begehrte die Beschwerdeführerin, nunmehr anwaltlich vertreten, 1. die neuerliche Zustellung des Bescheides der belangten Behörde vom 9.1.2019 und 2. des Erkenntnisses des LVwG NÖ vom 27.6.2019. Weiters stellte die Beschwerdeführerin (in eventu) 3. einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und 4. einen Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung.

Darin wird zusammengefasst ausgeführt, dass keine rechtswirksame Zustellung des Bescheides vom 9.1.2021 erfolgt und dieser daher nicht rechtskräftig sei. Die Beschwerdeführerin habe von der Existenz des Bescheides vom 9.1.2021 und des Erkenntnisses vom 27.6.2019 des LVwG NÖ erst durch den Besuch eines Gerichtsvollziehers am 8.6.2021 erfahren. Die Kenntnis einer Exekution sei auslösendes Ereignis von weiteren Nachforschungen und zugleich Information von möglichen Fristversäumnissen gewesen. Die Frist zur Einbringung eines Antrages auf Wiedereinsetzung sei daher gewahrt. Für die Beschwerdeführerin sei es unerwartet und auch unvorhergesehen gewesen, das amtliche Schriftstücke nicht zugestellt worden seien. Die Fristversäumnis sei de facto auf unverschuldete Kenntnis über das Vorliegen einer allfälligen Zustellung zurückzuführen. Es liege daher nur ein minderer Grad des Versehens vor, auch weil der Name einer E-Mail-Adresse nicht mit dem Inhaber oder Betreiber der E-Mail-Adresse ident sein müsse.

Weiters werde von der Beschwerdeführerin das Säumnis nachgeholt und von ihr „das Rechtsmittel“ erhoben. Die Beschwerdeführerin habe Ausgaben für das Erbe in Höhe von € 24.000,- gehabt.

Schließlich werde vorgebracht, dass die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Bescheides vom 9.1.2019 sowie des Erkenntnisses des LVwG NÖ vom 27.6.2019 nicht gedeckt sei aufzuheben sei. Weder der Bescheid noch das Erkenntnis seien bis dato wirksam zugestellt worden. Aus diesem Grund werde auch die Aufschiebung der Exekution gemäß § 42 Exekutionsordnung (EO) beantragt.

1.5. Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 14.7.2021, ***, wies die belangte Behörde den Zustellantrag und den Wiedereinsetzungsantrag vom 22.6.2021 ab (Spruchpunkt 1.). Gleichzeitig wies sie den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit und den Antrag auf Aufschiebung der Exekution vom 22.6.2021 zurück (Spruchpunkt 2.).

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführerin sowohl der Bescheid vom 9.1.2019 als auch das Erkenntnis des LVwG NÖ vom 27.6.2019 nachweislich durch Hinterlegung zugestellt worden und daher rechtskräftig seien. Konkrete Gründe, dass die Beschwerdeführerin durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen wäre, die Frist einzuhalten, seien nicht angeführt worden und würden nach Ansicht der belangten Behörde auch nicht vorliegen. Auf Grund der Rechtskraft der genannten Entscheidungen seien die Anträge auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und Aufschiebung der Exekution zurückzuweisen gewesen.

1.6. Mit Schriftsatz vom 13.8.2021 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid.

Darin wird zusammengefasst ausgeführt, dass die Hinterlegungen der Schriftstücke zwar erfolgt seien, diese auf Grund von Ortsabwesenheit der Beschwerdeführerin jedoch keine Wirksamkeit entfaltet hätten. E-Mail-Zustellungen der Behörde seien außerdem ohnehin unwirksam, weshalb die belangte Behörde zu Recht nicht auf dieses Argument eingegangen sei. Weder der Bescheid vom 9.1.2019 noch das Erkenntnis vom 27.6.2019 seien durch rechtlich wirksame Hinterlegung zugestellt worden. Die Beschwerdeführerin habe erst durch Mitteilung seitens des Gerichtsvollziehers davon Kenntnis erlangt. Die Beschwerdeführerin sei von 30.9.2019 bis 17.11.2019 ortsabwesend gewesen. Dem Zustellantrag, in eventu Wiedereinsetzungsantrag kämen aus diesem Grund Berechtigung zu.

Weiters werde in der Beschwerde der Schriftsatz an die belangte Behörde vom 22.6.2021 wiederholt.

1.7. Mit Beschluss vom 22.9.2021, ***, sprach das Bezirksgericht *** aus, dass die mit Beschluss vom 12.5.2021 bewilligte Fahrnisexekution „bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts über die Beschwerde der [Beschwerdeführerin] gegen den Bescheid der BH Krems vom 14.7.2021, *** auf Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages der [Beschwerdeführerin] aufgeschoben [wird], falls zur Sicherstellung des Anspruches der betreibenden Partei ein Betrag von EUR 3.360,94 bei Gericht erlegt wird.“

1.8. Weitere Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin A, geb. am ***, deutsche Staatsangehörige, war von 30.9.2019 bis 17.11.2019 bei der Österreichischen Post AG als ortsabwesend gemeldet. Sie befand sich in diesem Zeitraum auch tatsächlich nicht an ihrer zu diesem Zeitpunkt hauptwohnsitzgemeldeten Adresse in ***, ***, und somit Abgabestelle. Mit 28.9.2019 reiste sie nach Deutschland, konkret nach *** in ***, ***, um dort einen Freund – Herrn B – zu besuchen. Weiters besuchte sie ihre dort in der Nähe wohnende, nunmehr 83 Jahre alte, Mutter. Am 22.10.2019 reiste die Beschwerdeführerin wieder nach Österreich zurück, um am 23.10.2019 einen Kuraufenthalt anzutreten. Vom 23.10.2019 bis 13.11.2019 befand sie sich im Kurhotel D in *** in Niederösterreich auf Kur.

Die Beschwerdeführerin war im Jänner 2019 bis 6.1.2019 als ortsabwesend gemeldet. Im Zeitraum ab dem 11.01.2019, mindestens für zwei Wochen, bestand keine Ortsabwesenheit der Beschwerdeführerin von ihrer Abgabestelle an der Adresse ***, ***.

2.   Beweiswürdigung:

Das erkennende Gericht hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, ***, sowie durch Befragung der Beschwerdeführerin in der durchgeführten mündlichen Verhandlung. In der Verhandlung hat die Beschwerdeführerin ausgesagt, im Oktober 2019 nach Deutschland gereist zu sein. Für das erkennende Gericht erweist sich dieser Umstand insofern als plausibel, als es im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung liegt, seine Eltern, auch wenn diese im Ausland leben, zu besuchen. Dies gilt umso mehr, als diese bereits fortgeschrittenen Alters sind. Da die Beschwerdeführerin überdies eine Bestätigung über einen Kuraufenthalt von 23.10.2019 bis 13.11.2019 dem Gericht vorgelegt hat, war in Zusammenschau mit der ebenso vorgelegten und von der Österreichischen Post AG bestätigten Ortsabwesenheitsmeldung davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich im bei der Post angegebenen Zeitraum von 30.9.2019 bis 17.11.2019 nicht an ihrer damaligen Hauptwohnsitzadresse aufhältig war. Insofern war es auch nicht mehr erforderlich, dass der von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung zu diesem Beweisthema namhaft gemachte Entlastungszeuge angehört wird. Da das erkennende Gericht dem Vorbringen der Beschwerdeführerin diesbezüglich Glauben schenkt, konnte darauf verzichtet und das Beweisverfahren geschlossen werden.

Zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 9.1.2019 durch Hinterlegung am 11.1.2019 ist auszuführen, dass die Beschwerdeführerin dazu keine Ortsabwesenheitsmeldung dem Gericht vorgelegt hat. Da sie für Oktober 2019 über eine solche verfügt hat und diese dem Gericht auch präsentiert hat, wäre davon auszugehen gewesen, dass sie eine Ortsabwesenheitsmeldung vorgelegt hätte, hätte eine solche auch für Jänner 2019 bestanden, zumal sie bis 6.1.2019 als ortsabwesend bei der Post gemeldet war. Es war sohin davon auszugehen, dass für den maßgeblichen Zeitraum der Zustellung des Bescheides vom 9.1.2019, beginnend mit 11.1.2019, keine Ortsabwesenheitsmeldung vorgelegen hat. Überdies konnte die Beschwerdeführerin, dazu befragt in der mündlichen Verhandlung, auch keine genaueren Angaben machen. Ihr war es auch nicht mehr erinnerlich, wo sie sich genau in diesem Zeitraum im Jänner 2019 aufgehalten hat. Dies ebenso im Gegensatz zu Oktober bzw. November 2019, wo sie es genau sagen konnte. Ihr pauschaler Verweis darauf, dass sie gerne reise, kann ihr hier nicht zum Erfolg verhelfen, wird dies vom Gericht als jedenfalls nicht ausreichend konkret und daher als Schutzbehauptung qualifiziert. Überdies hat die Beschwerdeführerin gegen den genannten Bescheid vom 9.1.2019 Beschwerde erhoben, welche von der E-Mail-Adresse „***“ versendet wurde. Im Beschwerdeschriftsatz wird auch explizit der Name der Beschwerdeführerin angeführt. Schließlich bestätigte die belangte Behörde per Mail der Beschwerdeführerin den Eingang der Beschwerde und erhielt darauf keine Fehlermeldung bzw. Reaktion, dass diese Bestätigung etwa an eine falsche Adresse gesendet worden wäre. In Zusammenschau dieser Umstände war daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin in diesem Zeitraum nicht ortsabwesend war, ihr dementsprechend der Bescheid vom 9.1.2019 übermittelt wurde und sie dagegen Beschwerde an das LVwG NÖ erhoben hat.

3.   Rechtslage:

3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) lauten auszugsweise:

„Beschwerderecht und Beschwerdefrist
§ 7.

(1) – (3) […]

(4) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG oder wegen Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG beträgt vier Wochen. Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG beträgt sechs Wochen. Sie beginnt

1.

in den Fällen des Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG dann, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer nur mündlich verkündet wurde, mit dem Tag der Verkündung,

[…]“

3.2. § 71 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) lautet auszugsweise:

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
§ 71.

(1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1.

die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2.

die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

[…]“

3.3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Zustellgesetzes (ZustG) lauten auszugsweise:

„Zustellung an den Empfänger
§ 13.

(1) Das Dokument ist dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Ist aber auf Grund einer Anordnung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichtes an eine andere Person als den Empfänger zuzustellen, so tritt diese an die Stelle des Empfängers.

[…]

Hinterlegung
§ 17.

(1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde.

[…]

Rücksendung, Weitersendung und Vernichtung
§ 19.

(1) Dokumente, die weder zugestellt werden können, noch nachzusenden sind oder die zwar durch Hinterlegung zugestellt, aber nicht abgeholt worden sind, sind entweder an den Absender zurückzusenden, an eine vom Absender zu diesem Zweck bekanntgegebene Stelle zu senden oder auf Anordnung des Absenders nachweislich zu vernichten.

(2) Auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) ist der Grund der Rücksendung, Weitersendung oder Vernichtung zu vermerken.“

3.4. § 3 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VVG) lautet auszugsweise:

„Eintreibung von Geldleistungen
§ 3.

(1) Die Verpflichtung zu einer Geldleistung ist in der Weise zu vollstrecken, daß die Vollstreckungsbehörde durch das zuständige Gericht nach den für das gerichtliche Exekutionsverfahren geltenden Vorschriften die Eintreibung veranlaßt. In diesem Fall schreitet die Vollstreckungsbehörde namens des Berechtigten als betreibenden Gläubigers ein. Die Vollstreckungsbehörde kann die Eintreibung unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften über die Einbringung und Sicherung der öffentlichen Abgaben selbst vornehmen, wenn dies im Interesse der Raschheit und der Kostenersparnis gelegen ist.

(2) Der Vollstreckungstitel muss mit einer Bestätigung der Stelle, von der er ausgegangen ist, oder der Vollstreckungsbehörde versehen sein, dass er einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht mehr unterliegt (Vollstreckbarkeitsbestätigung). Einwendungen gegen den Anspruch im Sinne des § 35 der Exekutionsordnung – EO, RGBl. Nr. 79/1896, sind bei der Stelle zu erheben, von der der Vollstreckungstitel ausgegangen ist.

[…]“

4.   Erwägungen:

4.1. Eine maßgebliche Frage im gegenständlichen Verfahren ist zunächst, ob das Erkenntnis des LVwG NÖ vom 27.6.2019 der Beschwerdeführerin rechtswirksam durch Hinterlegung am 11.10.2019 zugestellt worden ist. Wie festgestellt, war die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt ortsabwesend. Da die Ortsabwesenheit bis 17.11.2019 gedauert hat, war in Anwendung von § 17 Abs. 3 ZustG davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin wegen Abwesenheit von der Abgabestelle, ihrer Wohnung, nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte.

Daran ändert nach Ansicht des erkennenden Gerichts auch der Umstand nichts, dass die Beschwerdeführerin am 22.10.2019 an ihrer Abgabestelle zurückgekehrt ist. Nach § 17 Abs. 3 letzter Satz ZustG wird die Zustellung „an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.“ Da die Beschwerdeführerin am 23.10.2019 ihre Kur angetreten hat und auf Grund der bei der Post gemeldeten Ortsabwesenheit auch nicht damit rechnen musste, ein (behördliches) Schriftstück zu empfangen – zumal diese bei gemeldeter Ortsabwesenheit mit einem solchen Vermerk retourniert werden – war nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin das Schriftstück hätte beheben können. Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Erkenntnis des LVwG NÖ vom 27.6.2019 bis dato nicht rechtswirksam zugestellt worden ist.

4.2. Demgegenüber ist in Bezug auf den Bescheid vom 9.1.2019 von einer ordnungsgemäßen Zustellung auszugehen. Nach der Rechtsprechung des VwGH wird der Beweis, dass eine Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, durch den eine öffentliche Urkunde darstellenden Zustellnachweis (Rückschein) erbracht, gegen den jedoch gemäß § 292 Abs. 2 ZPO iVm § 24 VStG und § 47 AVG der Gegenbeweis zulässig ist. Behauptet jemand, es liege ein Zustellmangel vor, so hat er diese Behauptung entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen, welche die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet sind. Jedoch reicht etwa die bloße Behauptung einer Ortsabwesenheit ohne konkrete Angabe über Zeitraum und Grund der Abwesenheit nicht aus (VwGH 19.12.2012, 2012/06/0094, mHa E 1. April 2008, Zl. 2006/06/0243; E 27. Jänner 2005, Zl. 2004/16/0197).

Wie oben ausgeführt, konnte sich die Beschwerdeführerin nicht mehr erinnern, wo sie sich im Jänner 2019 genau aufgehalten hat, sie konnte also – im Gegensatz zu Oktober bzw. November 2019 – keine konkreten Angaben über Zeitraum und Grund ihrer Abwesenheit darlegen und hat auch keine Ortsabwesenheitsmeldung präsentiert. Es war deshalb im Sinne der höchstgerichtlichen Rechtsprechung von einer wirksamen Zustellung des Bescheides vom 9.1.2019 auszugehen. Der belangten Behörde ist daher nicht entgegenzutreten, wenn sie den entsprechenden Zustellantrag abgewiesen hat, wobei Spruchpunkt I. des Bescheides auf Grund der Ausführungen unter Pkt. 4.1. entsprechend abzuändern war.

4.3. Zum eventualiter gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf das verwaltungsbehördliche Verfahren ist auszuführen, dass der Antrag mit der „Versäumung der Einspruchsfrist eines Rechtsmittels gegen den Bescheid vom 09.01.2019“ begründet wird. Wie oben ausgeführt, wurde ein solches von der Beschwerdeführerin jedoch eingebracht. Dementsprechend kam es in Folge auch zu einem Beschwerdeverfahren vor dem LVwG NÖ. Sohin kann aber von der Versäumung einer Frist, wie sie gemäß § 71 Abs. 1 erster Satz AVG notwendige Voraussetzung für die Bewilligung einer Wiedereinsetzung ist, keine Rede sein. Die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher, soweit es das verwaltungsbehördliche Verfahren betrifft, abzuweisen.

4.4. Was den Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumnis der Frist zur Erhebung einer Revision an den VwGH gegen das Erkenntnis vom 27.6.2019 betrifft, ist auf die Ausführungen zu Pkt. 4.1. zu verweisen, wonach eine rechtswirksame Zustellung des Erkenntnisses vom 27.6.2019 noch nicht erfolgt ist. Auf den diesbezüglich eventualiter gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung brauchte daher nicht weiter eingegangen werden.

4.5. Dem Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ist zunächst insofern zuzustimmen, als im Zeitpunkt der Antragstellung und auch im Zeitpunkt der Erlassung des hier angefochtenen Bescheides vom 14.7.2021 im Ergebnis das Verfahren deshalb noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war, weil es eben an der Zustellung der Entscheidung des LVwG vom 27.6.2019 mangelte. Da einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt, erwies sich der Bescheid vom 9.1.2019 „in der Fassung des Erkenntnisses des LVwG NÖ vom 27.6.2019“ als noch nicht vollstreckbar. Die Vollstreckbarkeitsbestätigung vom 4.5.2021 der belangten Behörde ist daher nicht im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen.

Hierzu ist jedoch Folgendes anzumerken: Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung wird die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts mit ihrer Erlassung rechtskräftig (VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050). Das bedeutet, dass die Rechtskraft mit Zustellung der Entscheidung vom 27.6.2019 eintritt, woran auch der Umstand nichts ändern würde, dass gegen die betreffende Entscheidung eine Revision an den VwGH erhoben wird (vgl. VwGH 29.6.2017, Ra 2016/04/0150).

4.6. Zum Antrag auf Aufschiebung der Exekution gemäß § 42 EO ist auszuführen, dass die Zuständigkeit zu einer solchen Aufschiebung eines gerichtlichen Exekutionsverfahrens in die Zuständigkeit des Exekutionsgerichts und nicht der belangten Behörde fällt (vgl. VwGH 26.3.1998, 97/11/0267). Allenfalls ist ein Antrag auf Aufschiebung einer Exekution gemäß § 42 EO von der belangten Behörde als Titelbehörde beim Exekutionsgericht zu stellen (vgl. VwGH 6.8.1996, 93/17/0093). Dieser Antrag kann jedoch nicht durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden, würde es denn die „Sache“ des Verfahrens überschreiten. Überdies ist dazu auf den Beschluss des Bezirksgerichts *** vom 22.9.2021, ***, zu verweisen. Die Beschwerde war deshalb in diesem Umfang abzuweisen.

5.   Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Im Übrigen waren Fragen der Beweiswürdigung zu klären.

Schlagworte

Sozialrecht; Sozialhilfe; Rückerstattung; Verfahrensrecht; Antrag; Zustellung; Wiedereinsetzung; Vollstreckbarkeit;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.1343.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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