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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §18 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des M in T, vertreten durch Dr. Z, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 6. April 1995, Zl. St 17/95, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen rumänischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 und 2 sowie den §§ 19, 20 und 21 FrG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von sieben Jahren erlassen. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer halte sich seit 1981 im Bundesgebiet auf. Er sei geschieden, seine Eltern und drei Brüder lebten ebenfalls in Österreich. Er gehe einer Erwerbstätigkeit nach. Im Jahre 1982 sei er mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich als Flüchtling anerkannt worden. Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. Oktober 1994 sei ihm die Flüchtlingseigenschaft wiederum aberkannt worden. Während des Aufenthaltes im Bundesgebiet sei der Beschwerdeführer in folgenden Fällen rechtskräftig verurteilt worden:
"1.
Landesgericht Linz, Urteil vom 15.6.1993 wegen §§ 105 Abs. 1, 83 Abs. 1 und 135 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von insgesamt S 7.200,-- / Ersatzfreiheitsstrafe 120 Tage bedingt auf drei Jahre.
2.
Bezirksgericht Linz-Land, Urteil vom 2.8.1993 wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von S 6.000,-- / Ersatzfreiheitsstrafe 15 Tage, Probezeit von drei Jahren.
3.
Landesgericht Linz, Urteil vom 1.7.1994 wegen §§ 127, 129/1, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten bedingt auf drei Jahre."
Weiters würden im Verwaltungsstrafregister der Bezirkshauptmannschaft Linz folgende Vormerkungen betreffend den Beschwerdeführer aufscheinen:
"1.
Sich-96/439/1993 21.4.1993 § 3 Abs. 1 Meldegesetz 91
S 200,--
2.
Sich-96/454/1993 21.4.1993 § 3 Abs. 1 Meldegesetz 91
S 200,--
3.
Pol-96-224-1994 20.4.1994 Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 91
S 300,--
4.
Pol-96-652-1994 13.1.1995 Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 91
S 400,--."
Das rechtskräftige Urteil vom 1. Juli 1994 erfülle den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG; die rechtskräftigen Bestrafungen gemäß § 3 Abs. 1 Meldegesetz 1991 erfüllten den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG.
Die beträchtliche Zahl der vom Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet begangenen Straftaten (drei gerichtliche Verurteilungen und insgesamt vier Verwaltungsstrafen) sowie die sich in den Verurteilungen und Bestrafungen manifestierende Geringschätzung der körperlichen Integrität anderer Menschen, fremder Rechtsgüter bzw. der österreichischen Rechtsordnung überhaupt, würden nicht nur die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertigen, sondern ließen das Aufenthaltsverbot auch im Sinne des § 19 als dringend geboten und im Sinne des § 20 FrG als zulässig erscheinen.
Aufgrund der Dauer des Aufenthaltes sei eine weitgehende Integration anzunehmen. Die Tatsache, daß die Eltern sowie die drei Brüder des Beschwerdeführers bereits österreichische Staatsbürger seien, sei ebenfalls zu beachten. Dem stehe jedoch gegenüber, daß sich der Beschwerdeführer in regelmäßigen Abständen strafbar gemacht habe. Die auf die einzelnen strafbaren Handlungen folgenden Verurteilungen bzw. Bestrafungen hätten nicht ausgereicht, den Beschwerdeführer von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Selbst die niederschriftliche Ermahnung vom 5. Jänner 1994 unter Hinweis auf die Einleitung fremdenpolizeilicher Maßnahmen bei Begehung weiterer strafbarer Handlungen hätten ihn nicht davon abhalten können, neuerlich straffällig zu werden.
Gemäß § 20 Abs. 2 FrG dürfe ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 verliehen hätte werden können. Der für die Beurteilung, ob die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG gegeben sind, entscheidende Zeitpunkt (vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes) ist der der Rechtskraft der vorletzten rechtskräftigen Bestrafung. Bezogen auf diesen Zeitpunkt sei zu beurteilen, ob beim Beschwerdeführer sämtliche der im § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG angeführten Voraussetzungen vorlägen. Sei das Vorliegen auch nur einer dieser kumulativen Voraussetzungen zu verneinen, so stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbotes § 20 Abs. 2 FrG nicht entgegen. Der Beschwerdeführer habe in diesem Zeitpunkt die Verleihungsvoraussetzungen der Z. 6 nicht erfüllt. Die Art und Häufigkeit der letztlich doch regelmäßig begangenen Straftaten, sowie die Nichtbeachtung der schriftlichen Ermahnung ließen ein Charakterbild von ihm erkennen, das zweifelsohne den Schluß rechtfertige, daß er gegenüber den zum Schutz des Eigentums bzw. gegenüber den zum Schutz der körperlichen Integrität anderer Personen erlassenen Vorschriften negativ eingestellt sei und solcherart eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bilde. Daraus folge, daß aufgrund des Verleihungshindernisses des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG die Verhängung des Aufenthaltsverbotes auch im Grunde des § 20 Abs. 2 FrG nicht unzulässig sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluß vom 25. September 1995, B 1386/95). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet. Auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde bleiben die im angefochtenen Bescheid als maßgeblicher Sachverhalt festgestellten rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen und verwaltungsbehördlichen Bestrafungen des Beschwerdeführers unbestritten. Die Beschwerde läßt weiters den aus diesen Feststellungen gezogenen rechtlichen Schluß auf die Verwirklichung der Tatbestände des § 18 Abs. 2 Z. 1 und Z. 2 FrG und in der Folge jene des § 18 Abs. 1 leg. cit. unbekämpft. Der Verwaltungsgerichtshof hegt insoweit keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung.
Die Frage, ob die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer aus dem Blickwinkel des § 19 und des § 20 Abs. 1 FrG zulässig war, bedarf im Hinblick auf die folgenden Ausführungen keiner weiteren Erörterung.
Die Beschwerde hält den bekämpften Bescheid (unter anderem) deshalb für rechtswidrig, weil die belangte Behörde den § 20 Abs. 2 FrG im Fall des Beschwerdeführers unrichtig angewendet habe.
Damit ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht: Die belangte Behörde hat als bestimmte Tatsache im Sinne des § 18 Abs. 1 FrG die drei genannten gerichtlichen Verurteilungen und die vier verwaltungsbehördlichen Bestrafungen des Beschwerdeführers angenommen. Weiters war sie der Auffassung, daß für die Beurteilung, ob die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG gegeben seien, der entscheidende Zeitpunkt vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes der der Rechtskraft der vorletzten rechtskräftigen Bestrafung des Beschwerdeführers sei. Damit hat sie aber den Gehalt des § 20 Abs. 2 FrG verkannt. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. Februar 1996, Zl. 95/21/0372, und vom 19. Juni 1996, Zl. 95/21/0132, mit weiterem Nachweis) dürfen als für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes "maßgeblicher Sachverhalt" im Sinne des § 20 Abs. 2 FrG nur solche Umstände herangezogen werden, die zu einem Zeitpunkt eingetreten sind, in welchem der Fremde die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG nicht mehr erfüllt hat. Bei Fremden, die die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG erfüllt haben, ist gemäß § 20 Abs. 2 FrG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes daher nur dann zulässig, wenn es bei Anwendung der §§ 18 bis 20 Abs. 1 FrG auch unter Außerachtlassung jener Umstände verhängt werden dürfte, die zum Wegfall der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG geführt haben (vgl. nochmals das bereits genannte Erkenntnis vom 19. Juni 1996).
Da der Beschwerdeführer nicht wegen einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung verurteilt worden ist, hätte die belangte Behörde prüfen müssen, ob die Voraussetzung des § 20 Abs. 2 erster Teil FrG erfüllt ist. Sie hätte daher feststellen müssen, welche gerichtliche Verurteilung oder gerichtlichen Verurteilungen und/oder welche verwaltungsbehördliche Bestrafung oder verwaltungsbehördlichen Bestrafungen im Falle des Beschwerdeführers als Verleihungshindernis im Sinne des § 10 Abs. 1 StbG in Frage kommen. Diese Verurteilung(en) und/oder Bestrafung(en) hätte die belangte Behörde dann aber nicht mehr als bestimmte Tatsachen im Sinne des § 18 Abs. 1 und sohin als maßgeblichen Sachverhalt im Sinne des § 20 Abs. 2 FrG nochmals berücksichtigen dürfen.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996210083.X00Im RIS seit
20.11.2000