TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/29 W158 2207327-2

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Veröffentlicht am 29.09.2021
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Entscheidungsdatum

29.09.2021

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W158 2207327-2/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheids werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Um Wiederholungen zu vermeiden wird zum bisherigen Verfahrensgang auf den Beschluss vom 14.11.2018, W158 2207327-1/2E verwiesen, womit der den Antrag der Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) abweisende Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) aufgrund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens im Verfahren ihrer Mutter aufgehoben und die Sache an das BFA zurückverwiesen wurde.

I.2 Nachdem das BFA die Ermittlungsmängel im Verfahren der Mutter saniert hatte, wies das BFA mit Bescheid vom 11.01.2019, der BF am 15.01.2019 durch Hinterlegung zugestellt, den Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen die BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Dazu führte das BFA mit näherer Begründung aus, dass die Eltern der BF ihr Fluchtvorbringen nicht glaubhaft machen hätten können. Sie sei auch nicht „westlich“ orientiert. Die BF könne mit ihrer Familie nach Kabul zurückkehren, wo sie lange gelebt habe. Der Antrag der BF sei daher abzuweisen gewesen. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr der BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen würde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.3. Mit Verfahrensanordnung vom 14.01.2019 wurde der BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.4. Am 08.02.2019 erhob die BF Beschwerde in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Sie beantragte, ihr den Status der Asylberechtigten in eventu den der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und einen Aufenthaltstitel zu erteilen, in eventu den Bescheid zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das BFA zurückzuverweisen und eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Begründend wird die Beweiswürdigung bestritten und ausgeführt, dass die BF „westlich“ orientiert wäre. Ihr wäre daher der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Jedenfalls und unabhängig davon wäre ihr aber der Status der subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren.

I.5. Am 13.02.2019 langte die gegenständliche Beschwerde samt dem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.6. Am 07.07.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die BF, ihre Familie und die gemeinsame Rechtsvertretung teilnahmen. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurden die BF und ihre Mutter im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu ihrer Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, ihren Familienangehörigen und ihren Fluchtgründen befragt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-        Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend die BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-        Befragung der BF und ihrer Mutter im Rahmen der Beschwerdeverhandlung am 07.07.2021;

-        Einsicht in das Strafregister.

II. Feststellungen:

Die BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Sie ist Staatsangehörige von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung an. Ihre Muttersprache ist Dari.

Die BF wurde in Kabul geboren und ist in Kabul und in Teheran, Iran, aufgewachsen. Sie hat insgesamt acht Jahre die Schule besucht.

Die BF ist strafrechtlich unbescholten.

Die BF ist das zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige, ledige Kind der XXXX (W158 2207232-2) und des XXXX (W158 2207328-2). Außerdem leben zwei Geschwister der BF im Bundesgebiet: XXXX (W158 2207326-2) und XXXX (W158 2207324-2). Weitere Geschwister der BF leben in Schweden. Der Mutter der BF wurde mit Erkenntnis vom heutigen Tag der Status der Asylberechtigten gewährt.

III. Beweiswürdigung:

III.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

III.2. Die Feststellungen zur BF, insbesondere zu ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihrer Muttersprache und ihrem Aufwachsen in Afghanistan und im Iran, traf bereits das BFA aufgrund der Angaben der BF in Verbindung mit denen ihrer Eltern. Da diese Feststellungen im Beschwerdeverfahren nicht bestritten wurden, sind daran keine Zweifel aufgekommen, sodass sie auch der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden können.

Gleichfalls unstrittig sind die Feststellungen zu den Familienverhältnissen der BF. Auch diese legte das BFA aufgrund der Aussagen der Familienmitglieder seinen Entscheidungen zugrunde. Auch dagegen wendet sich die Beschwerde nicht.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit der BF war aufgrund eines aktuellen Strafregisterauszugs festzustellen.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

IV.1. Zum Spruchpunkt A)

Nach § 34 Abs. 2 AsylG hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (Z 1) und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Z 3).

Nach § 2 Abs. 1 Z 22 lit c AsylG ist Familienangehöriger ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten. Die BF war zum Zeitpunkt der Einreise noch minderjährig, sie ist daher unzweifelhaft Familienangehörige ihrer Mutter. Für die vollumfängliche Anwendung der Vorschriften über das Familienverfahren ist es hinreichend, dass (und solange) zumindest ein Fall des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG gegeben ist. Wenn daher – wie hier – sämtliche Fremde den Antrag zur selben Zeit gestellt haben und zu dieser Zeit das Kind noch minderjährig war, sind die Vorschriften für das Familienverfahren nach § 34 AsylG vollumfänglich anzuwenden (VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040). Ihrer Mutter wurde der Staus der Asylberechtigten zuerkannt. Der BF ist daher aufgrund der Bestimmung des § 34 Abs. 2 AsylG ebenfalls der Status der Asylberechtigten zu gewähren, zumal sie weder straffällig wurde, noch ein Aberkennungsverfahren gegen ihre Mutter anhängig ist. Eine Prüfung eigener Fluchtgründe kann daher entfallen (VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

Der BF war daher in Stattgabe der Beschwerde der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen. Dies ist gemäß § 3 Abs. 5 AsylG mit der Feststellung zu verbinden, dass der BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Der BF kommt damit – da sie ihren Antrag nach dem 15.11.2015 stellte (§ 75 Abs. 24 AsylG) – gemäß § 3 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigte zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

Bei diesem Ergebnis waren die übrigen Spruchpunkte des Bescheids aufzuheben, da sie ihre Grundlage verlieren.

IV.2. Zum Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Entscheidung hält sich im Rahmen der einheitlichen oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs. Auch wenn die Entscheidung des VwGH vom 24.10.2018, Ra 2018/14/0040 zu einer früheren Rechtslage erging, ist diese auch auf die neue Bestimmung übertragbar. Durch die Änderung des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG aufgrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 26.6.2020, G 298/2019 u.a. sollte nämlich bis auf den gesetzlichen Vertreter, der hier jedoch nicht maßgeblich ist, keine inhaltliche Änderung erfolgen (ErläutRV 349 BlgNR, 27. GP, 5). Die zitierte Rechtsprechung ist daher auch trotz dieser Änderung nach wie vor maßgeblich.

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung von Familienangehörigen Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung ersatzlose Teilbehebung Familienangehöriger Familienleben Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft Kassation mündliche Verhandlung Rückkehrentscheidung behoben Spruchpunktbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W158.2207327.2.00

Im RIS seit

21.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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