RS Vfgh 2021/12/6 G247/2021

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Veröffentlicht am 06.12.2021
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
EMRK Art8
EMRK Art14
ABGB §191 Abs2
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Neben Einzelpersonen, Ehegatten und eingetragenen Partnern sind auch Personen einer Lebensgemeinschaft zur Adoption berechtigt; verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung des ABGB gewährt das Recht der Annahme an Kindes statt, soweit sie dem Kindeswohl entspricht

Rechtssatz

Abweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung des §191 Abs2 ABGB idF BGBl I 59/2017.

Nach der geltenden Rechtslage steht die Adoption jedenfalls Einzelpersonen sowie Ehegatten und eingetragenen Partnern offen. Im Falle der Adoption durch eine Einzelperson ist es selbstverständlich möglich, dass der Annehmende in einer Lebensgemeinschaft lebt und ein angenommenes Kind faktisch von beiden Partnern aufgezogen wird. Darüber hinaus steht es auch Lebensgefährten offen, das leibliche Kind des anderen Partners anzunehmen. Diese Möglichkeiten bestehen im Übrigen unabhängig von der jeweiligen sexuellen Orientierung der annehmenden Personen.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Adoption in diesen Konstellationen nicht nur dem Kindeswohl entsprechen kann, sondern vielmehr aus diesem Grund sogar geboten sein kann. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang gemäß §194 Abs1 erster Satz ABGB in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Annahme an Kindes statt dem Kindeswohl entspricht und eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entsprechende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll.

Für den VfGH bestehen keine Zweifel, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Adoption und insbesondere die Wahrung des Kindeswohles auch in einer auf Dauer angelegten, stabilen Lebensgemeinschaft vorliegen können. Eine Auslegung der angefochtenen Bestimmung, wonach Lebensgefährten generell von der Möglichkeit der gemeinsamen Adoption ausgeschlossen wären, verstieße gegen Art8 iVm Art14 EMRK sowie den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art7 B-VG. Das Gericht hat in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die (gleichzeitige oder sukzessive) Adoption durch zwei Lebensgefährten dem Kindeswohl entspricht bzw aus diesem Grund sogar geboten ist.

Die geltende Rechtslage steht dieser Auslegung nicht entgegen. In diesem Sinne geht die herrschende Ansicht davon aus, dass eine Adoption durch zwei Lebensgefährten nach geltender Rechtslage möglich ist. Der angefochtene §191 Abs2 ABGB enthält - anders als die aufgehobene Vorgängerbestimmung (VfSlg 19942/2014) - keine Beschränkung der gemeinsamen Adoption auf Ehegatten. Die Regelung bestimmt lediglich, dass Ehegatten ein Kind im Regelfall nur gemeinsam annehmen können und sieht von diesem Grundsatz bestimmte Ausnahmen vor. Ein Verbot der gemeinsamen - gleichzeitigen oder sukzessiven - Adoption durch zwei Personen in Lebensgemeinschaft lässt sich nach Auffassung des VfGH auch aus keiner anderen Bestimmung ableiten.

Da die angefochtene Bestimmung somit dahin auszulegen ist, dass sie einer Adoption durch Lebensgefährten - bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen - nicht entgegensteht, ist der vorliegende Antrag auf Aufhebung des §191 Abs2 ABGB abzuweisen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Adoption, Lebensgemeinschaft, Privat- und Familienleben, Zivilrecht, Auslegung verfassungskonforme, Kinder, VfGH / Parteiantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G247.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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