TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/15 Ra 2019/13/0120

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

83 Naturschutz Umweltschutz

Norm

AWG 2002 §2 Abs1 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des e.U. in M, vertreten durch die Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 25. September 2019, Zl. LVwG-AV-223/003-2016, betreffend Feststellung nach § 10 ALSAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Pölten; mitbeteiligte Partei: Bund, vertreten durch das Zollamt Österreich, Zollstelle St. Pölten in 3100 St. Pölten, Daniel Gran-Straße 8), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Zur Vorgeschichte des Revisionsfalls wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. März 2019, Ra 2019/13/0002, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof das damals angefochtene Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf. Das Landesverwaltungsgericht hatte unrichtigerweise die damals strittigen Materialien entgegen dem Verweis in § 2 Abs. 4 ALSAG ohne Rückgriff auf § 2 Abs. 1 bis 3 AWG 2002 als Abfälle qualifiziert. Zudem führte der Verwaltungsgerichtshof aus, Bodenaushubmaterial im Sinne des § 3 Abs. 1a Z 4 ALSAG müsse zwar im Zeitpunkt der Maßnahme die in § 2 Abs. 17 ALSAG geforderten Eigenschaften haben. Der „Nachweis“ dieser und der sonstigen Voraussetzungen für die Ausnahme sei nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers aber erst auf Verlangen des Zollamts „oder im Rahmen eines Feststellungsverfahrens“ zu erbringen. Eine Beitragspflicht bestehe nach § 3 Abs. 1 Z 1 ALSAG nur für das Ablagern von „Abfällen“ und nicht von Material, von dem im Zeitpunkt des Ablagerns nicht feststehe, ob es Abfall sei. „Abfälle“ im objektiven Sinn seien nach dem in § 2 Abs. 4 ALSAG verwiesenen § 2 Abs. 1 Z 2 AWG 2002 bewegliche Sachen, deren Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall „erforderlich sei“, um die in § 1 Abs. 3 AWG 2002 umschriebenen öffentlichen Interessen nicht zu beeinträchtigen. Ob das Erfordernis im Zeitpunkt der Maßnahme bestanden habe, sei im Feststellungsverfahren zu klären. Die auf einen Prüfbericht gestützte Aussage des Sachverständigen, eine Beeinträchtigung von Boden und Gewässern sei nicht zu erwarten, sei für das Verfahren, soweit es den objektiven Abfallbegriff des § 2 Abs. 1 Z 2 AWG 2002 betrifft, daher von Bedeutung und nicht, wie es in den Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes hieß, „irrelevant“.

2        Im fortgesetzten Verfahren gab das Landesverwaltungsgericht der Beschwerde nur „insofern Folge“, als es eine Mengenangabe änderte, und wies sie im Übrigen als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges traf das Landesverwaltungsgericht folgende Feststellungen: Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 31. März 1989 sei dem Revisionswerber die naturschutzbehördliche Bewilligung für eine Trockenbaggerung auf näher bezeichneten Grundstücken unter Auflagen erteilt worden. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 21. November 1989 sei dem Revisionswerber die wasserrechtliche Bewilligung zur Gewinnung von Sand und Kies auf näher bezeichneten Parzellen und anschließender Rekultivierung mit Auflagen erteilt worden.

3        Im ersten und zweiten Quartal des Jahres 2015 sei auf der vom Revisionswerber ehemals betriebenen Schottergrube Bodenaushubmaterial, vermengt mit Baurestmassen, auf einer zusammenhängenden Schüttfläche von ca. 4.410 m² in einer durchschnittlichen Schütthöhe von ca. 1,4 Meter im Ausmaß von ca. 6.000 m³, das sind im ausgehobenen Zustand ca. 9.000 t, aufgebracht worden, und zwar ca. 2.000 m³ Humus und ca. 4.000 m³ nicht bewuchsfähiges Material. Vor Durchführung dieser Schüttmaßnahme sei der seit mindestens 17 Jahren bestehende Blaufichtenbewuchs auf der Aufforstungsfläche gefällt worden. Eine Genehmigung gemäß §§ 80 und 81 ForstG 1975 sei hierfür bei der zuständigen Forstbehörde nicht beantragt worden. Auch sei um keine naturschutzrechtliche Genehmigung für die Anschüttung angesucht worden. Grund der Schüttung sei insbesondere gewesen, dass der bestehende Waldbestand auf diesen Grundstücken aufgrund des schlechten Bodenzustandes ein geringes Wachstum gezeigt habe. Es sei nicht nur gewachsener Boden für die Herstellung der Schüttung verwendet worden; unter dem Humus sei Unterboden vorhanden und an einigen Stellen im Schüttbereich seien Baurestmassenanteile erkennbar gewesen. Die bei der Schüttmaßnahme eingesetzten Materialien seien vor Durchführung der Maßnahme nicht grundlegend charakterisiert worden. Auch die Herkunft der Materialien könne nicht festgestellt werden. Es seien drei ortsfremde Bodentypen für die Schüttung verwendet worden: Humusreicher Lehm; schluffiger, gerundeter Sand und Kies (der aus geologischer Sicht einer Abraumschicht einer Schottergrube in bestimmten Bezirken entspreche), und Sand und Kies mit Bauschutt vermengt (welches Material optisch von einer gängigen Baustelle in denselben Bezirken stammen müsse).

4        Mit Bescheid der belangten Behörde vom 29. Juni 2015 sei der Revisionswerber auf Rechtsgrundlage des § 73 AWG 2002 und der §§ 6, 7 und 35 NÖ NSchG 2000 rechtskräftig verpflichtet worden, das verfahrensgegenständliche Bodenaushubmaterial im Ausmaß von 6.000 m³, vermengt mit Baurestmassen, zum Zweck der Beweissicherung und zur Kontrolle seiner Umweltverträglichkeit von einem befugten Unternehmen prüfen zu lassen. Die Herstellung der Schürfe und Mischproben seien für den humosen Oberboden und den darunterliegenden Schüttkörper getrennt vorgeschrieben worden. Am 6. Juli 2015 sei der belangten Behörde das Gutachten der E GmbH vom 2. Juli 2015 über die Beweissicherung des aufgebrachten Schüttmaterials auftragsgemäß vorgelegt worden. Daraus ergebe sich, dass die Schüttung ohne weitere Sicherungsmaßnahmen aus boden- und gewässerschutztechnischer Sicht vor Ort verbleiben könne. Mit Antrag des Revisionswerbers vom 6. Juli 2015 sei um naturschutzrechtliche Bewilligung für die im 1. und 2. Quartal 2015 getätigte Anschüttung sowie deren Erweiterung über die gesamte Aufforstungsfläche im Ausmaß von insgesamt 7.250 m² mit ca. 12.480 m³ angesucht worden. Dieses Ansuchen sei mit Bescheid der Naturschutzbehörde vom 22. Februar 2016 naturschutzrechtlich bewilligt worden.

5        Dass das eingesetzte Material vor Durchführung der Schüttmaßnahme nicht grundlegend charakterisiert wurde, ergebe sich einerseits aus der Tatsache, dass gemäß Gutachten der E GmbH vom 2. Juli 2015 die Beprobung der Schüttung am 15. Juni 2015 erfolgte. Andererseits sei auch niemals behauptet worden, dass das Material dem Stand der Technik entsprechend zu einem früheren Zeitpunkt untersucht worden wäre.

6        Der beantragte Zeuge F - der Vater des Revisionswerbers - habe seine Abwesenheit bei der mündlichen Verhandlung damit begründet, dass er aufgrund einer länger geplanten Reise an diesem Tag verhindert gewesen sei. Auf seine Einvernahme als Zeuge habe im gegenständlichen Beschwerdeverfahren verzichtet werden können, zumal die bei einem Lokalaugenschein am 28. Mai 2015 vorgefundene Materialqualität vom im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestellten Sachverständigen vor Ort festgestellt sowie verbal und in fachlich fundierter Weise beschrieben worden sei. Auch sei festzuhalten, dass der Nachweis über die Materialherkunft nur eine Voraussetzung von mehreren Kriterien darstelle, welche zur Inanspruchnahme der „Sonderregelung gemäß Kapitel 7.15.8. gemäß Bundes-Abfallwirtschaftsbereich 2011 (Sonderregelung für die Verwertung von Kleinmengen aus unbedenklichen Bereichen entweder der objektive oder der subjektive Abfallbegriff erfüllt sei. Die objektive Abfalleigenschaft von beweglichen Sachen sei u.a. dann gegeben, wenn deren Behandlung im öffentlichen Interesse erforderlich sei. Zu betonen sei dabei, dass für die Verwirklichung des objektiven Abfallbegriffes keine konkrete Kontamination notwendig sei, sondern bereits die bloße Möglichkeit einer Gefährdung von Schutzgütern im Sinne des § 1 Abs. 3 AWG 2002 ausreiche. Im Sinne dieser Gesetzeslage und Judikatur sei das gesamte verfahrensrelevante Material im Hinblick auf den im ersten Quartal des Jahres 2015 begonnenen, verwirklichten Sachverhalt demnach danach zu beurteilen, ob zu diesem Zeitpunkt dessen Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall iSd § 2 Abs. 1 Z 2 AWG 2002 erforderlich gewesen sei. Ob zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht ein Abfallende nach § 5 AWG 2002 eingetreten sei oder nicht, sei für die Beurteilung der Erforderlichkeit nicht relevant.

7        Im abfallrechtlichen Verfahren habe der Amtssachverständige für Deponietechnik die Untersuchung des abgelagerten Materials gefordert, „um die Umweltverträglichkeit feststellen zu können“. Ebenso sei vom Sachverständigen ausgesagt worden, dass auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse die Möglichkeit für die Beurteilung geschaffen werde, ob das angeschüttete Material gesichert werden müsse, ohne weitere Maßnahmen zum Schutz des öffentlichen Interesses am Boden und Gewässer vor Ort verbleiben könne oder zu entfernen sein werde. Auch dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Gutachten des Amtssachverständigen für Deponietechnik und Gewässerschutz sei zu entnehmen, dass ohne analytische Untersuchung vor Durchführung der Schüttung eine Boden- und Gewässerbeeinträchtigung im Zeitpunkt der behördlichen Überprüfung (nach Durchführung der Maßnahme) nicht ausgeschlossen werden könnte, ergo für möglich erachtet worden sei. Der fachlichen Beurteilung des Amtssachverständigen folgend sei im Zeitpunkt der Verfüllung von der Möglichkeit einer Boden- und Gewässerbeeinträchtigung durch die verfahrensgegenständlichen Materialien auszugehen gewesen, weshalb deren Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall iSd § 2 Abs. 1 Z 2 AWG 2002 erforderlich gewesen sei, sodass das gesamte verfahrensrelevante Material Abfall im objektiven Sinn darstelle.

8        Sekundär von Bedeutung sei im gegenständlichen Beschwerdeverfahren auch, dass die Vermengung von Abfall mit Nichtabfall dann zur Abfalleigenschaft des Gesamtgemenges führt, wenn eine Separierung der vermengten Stoffe nicht mehr möglich sei. Das verwaltungsgerichtliche Beweisverfahren habe ergeben, dass unterschiedliche Materialien verwendet worden seien und eine Trennbarkeit der vom Revisionswerber abgelagerten Materialien iSd § 15 Abs. 2 AWG 2002 nicht gegeben sei, sodass die Beurteilung der verschiedenen Bodenaushubmaterialien als untrennbares Gemisch zu erfolgen habe.

9        In weiterer Folge bejahte das Landesverwaltungsgericht auch den subjektiven Abfallbegriff. Es führte mit Verweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aus, es komme bei der Beurteilung der subjektiven Abfalleigenschaft weder auf die eigene Entledigungsabsicht noch auf die Absicht in Bezug auf eine in Aussicht genommene Verwendung der Materialien an. Eine Sache sei schon dann als Abfall zu qualifizieren, wenn bei irgendeinem Vorbesitzer die Entledigungsabsicht bestanden habe. In diesem Zusammenhang komme es darauf, wer den Aushub vorgenommen habe, nicht entscheidend an. Es sei vielmehr darauf abzustellen, ob die ausführende Firma hinsichtlich der von ihr getätigten Aushübe mit der Durchführung des Aushubs von Dritten beauftragt worden oder ob sie selbst Bauherr gewesen sei. Sei sie mit der Durchführung der Bautätigkeiten lediglich beauftragt, so sei bei der Prüfung der Abfalleigenschaft darauf abzustellen, ob die Überlassung der Aushubmaterialien vom Bauherrn an die ausführende Firma als in prima facie anzunehmender Entledigungsabsicht des Bauherrn erfolgt anzusehen sei oder nicht. Es bestehe kein Zweifel daran, dass zumindest ein Hauptmotiv für die Verbringung von der Baustelle darin gelegen gewesen sei, dass die Bauherren diese Abbruchmaterialien loswerden wollten, und somit insoweit eine Entledigungsabsicht bestanden habe. Bezüglich des festgestellten, nicht gewachsenen Bodenaushubmaterials samt Baurestmassen seien weder im behördlichen noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Umstände hervorgekommen, auf deren Grundlage andere, nicht auf den dargestellten Anscheinsbeweis gestützte Schlüsse gezogen werden könnten. In Konnex mit den obigen Ausführungen zu den Rechtsfolgen einer Vermengung seien bei den gesamten verfahrensgegenständlichen Materialien die Voraussetzungen des subjektiven Abfallbegriffes im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 deshalb ebenso erfüllt. Folglich sei die Auffassung der belangten Behörde, dass in Bezug auf das gesamte beschwerdegegenständliche Material der subjektive Abfallbegriff erfüllt worden sei, nicht zu beanstanden.

10       Bezüglich des Vorbringens des Revisionswerbers zur fehlenden Entledigungsabsicht, weil das Material von einer in seinem Eigentum stehenden Grube stammen würde und zur Rekultivierung verwendet werden sollte, sei der Vollständigkeit halber auf die Ausnahmebestimmung des § 3 Abs. 1 Z 3 AWG 2002 zu verweisen. Wie festgestellt, sei bei der Errichtung des Schüttkörpers (auch) Abraummaterial verwendet worden, welches - gemäß Beschwerdevorbringen - bei einem Bergbaubetrieb des Revisionswerbers angefallen sein solle. Im Hinblick auf die genannte Ausnahmebestimmung sei wesentlich, dass dieses Material nicht innerhalb des Bergbaubetriebes abgelagert worden sei, sodass diese bergbaulichen Abfälle jedenfalls dem AWG 2002 unterlägen und im Übrigen ohne technische Barrieren und nachvollziehbare Aufzeichnungen mit anderen Fraktionen abgelagert worden seien. Ebenso komme die Ausnahmebestimmung des § 3 Abs. 1 Z 8 AWG 2002 nicht zur Anwendung, sei doch das Bodenaushubmaterial „am später eingebauten Ort“ zuvor unbestritten nicht ausgehoben worden. Aus all diesen Gründen seien die verfahrensgegenständlichen Materialien als Abfall iSd § 2 Abs. 1 AWG 2002 anzusprechen.

11       Die Verwirklichung der in § 3 Abs. 1a Z 4 bis 6 iVm Abs. 1 Z 1 lit. c ALSAG normierten Ausnahmetatbestände habe u.a. zur Voraussetzung, dass die Materialien für den angestrebten Zweck unbedenklich verwendet werden könnten. Zum Nachweis der Ausnahme von der Beitragspflicht gehöre auch der Nachweis über die Qualität des Materials als Bodenaushubmaterial im Sinne des § 2 Abs. 17 ALSAG. § 2 Abs. 17 ALSAG enthalte eine Definition des Bodenaushubmaterials, die besage, welche Beschaffenheit Bodenaushubmaterial aufweisen müsse, damit eine zulässige Verwendung im Sinne des § 3 Abs. 1a Z 4 ALSAG und damit eine Beitragsfreiheit erzielt werden könne. Zwar sei dem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes folgend bei der Prüfung des Vorliegens des Ausnahmetatbestandes des § 3 Abs. 1a ALSAG für die Beurteilung der Zulässigkeit der Maßnahme nicht entscheidend, dass das Material erst im Nachhinein geprüft worden sei. Entscheidungswesentlich sei aber, dass Bodenaushubmaterial nach der Bestimmung des § 3 Abs. 1a Z 4 ALSAG von der Beitragspflicht nur dann ausgenommen sei, sofern dieses zulässigerweise für eine Tätigkeit gemäß Abs. 1 Z 1 lit. c verwendet werde. Eine solche zulässige Verwertung liege aber nur dann vor, wenn alle erforderlichen Bewilligungen (nach dem WRG 1959, dem AWG 2002 oder anderen Materiengesetzen) für die Vornahme der Verfüllung oder der Geländeanpassung im Sinn dieser Bestimmung in dem für das Entstehen der Beitragsschuld maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt vorgelegen seien. Eine in diesem relevanten Zeitpunkt einmal entstandene Abgabenschuld könne durch die nachträgliche Einholung einer fehlenden Bewilligung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Eine zulässige Verwertung liege etwa nicht vor, wenn die Ablagerung ohne naturschutzrechtliche Bewilligung erfolgte, sofern eine solche nach Lage des Falles erforderlich sei. Die Verwaltungsbehörde habe eine zulässige Verwertung im konkreten Fall verneint, weil sie davon ausgegangen sei, dass zum Zeitpunkt der Anschüttung mit Bodenaushubmaterial die nach § 7 Abs. 1 Z 4 NÖ NSchG 2000 erforderliche naturschutzrechtliche Bewilligung nicht existiert habe. Eine naturschutzrechtliche Bewilligung für die verfahrensgegenständliche Anschüttung sei vom Revisionswerber im Zeitpunkt des Ablagerungsvorganges nicht beantragt worden und habe demnach auch nicht vorgelegen, obwohl das Ausmaß der Anschüttung die normierte Genehmigungspflicht ausgelöst habe. Im vorliegenden Fall liege keine zulässige Verwertung iSd § 15 Abs. 4a AWG 2002 vor, vielmehr eine unzulässige Beseitigungsmaßnahme. Weil der Revisionswerbers nicht über die notwendigen Genehmigungen für die verfahrensgegenständliche Tätigkeit verfügt habe und in diesem Zusammenhang einen Normenverstoß nach § 15 Abs. 3 AWG 2002 zu verantworten habe, seien die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Ausnahme von der Beitragspflicht nach § 3 Abs. 1a Z 4 ALSAG nicht vorgelegen, sodass der Beschwerde „nicht Folge zu geben“ gewesen sei.

12       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Landesverwaltungsgericht weiche bei der Auslegung des objektiven Abfallbegriffes von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab. Demnach müssten bei der Beurteilung des objektiven Abfallbegriffes sämtliche Ermittlungsergebnisse, die zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen, berücksichtigt werden. Es sei unzulässig, Material in einer ex post Beurteilung nur deshalb als Abfall im objektiven Sinn zu werten, weil zum Zeitpunkt seiner Verwendung näher bezeichnete Nachweise über seine Eigenschaften nicht vorgelegen seien. Auch im zu der Sache ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes sei explizit ausgeführt worden, dass Beitragspflicht nur für das Ablagern von Abfällen bestehe und nicht von Material, von dem im Zeitpunkt des Ablagerns nicht feststehe, ob es Abfall sei. Das Landesverwaltungsgericht weiche auch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum subjektiven Abfallbegriff ab, weil der Revisionswerber stets die Entledigungsabsicht bestritten habe und dazu keinerlei Ermittlungen und gegenteilige Feststellungen vorgenommen worden seien.

13       Der Bund, vertreten durch das Zollamt, sowie die belangte Behörde erstatteten eine Revisionsbeantwortung.

14       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

15       Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

16       Der Verwaltungsgerichtshof hat im Vorerkenntnis vom 27. März 2019, Ra 2019/13/0002, ausgesprochen, dass eine Beitragspflicht nach dem hier maßgeblichen § 3 Abs. 1 Z 1 ALSAG nur für das Ablagern von „Abfällen“ besteht und nicht von Material, von dem im Zeitpunkt des Ablagerns nicht feststeht, ob es Abfall ist. Das Landesverwaltungsgericht hatte im aufgehobenen Erkenntnis die Ansicht vertreten, wonach Abfall im objektiven Sinn dann vorliege, wenn zumindest im Zeitpunkt der Verfüllung die Möglichkeit einer Boden- und Gewässerbeeinträchtigung „ohne analytische Untersuchung vor Durchführung der Schüttung“ nicht auszuschließen gewesen sei. Eine erst im Nachhinein durchgeführte Untersuchung, auf deren Grundlage ein Sachverständiger eine solche Gefährdung verneinen konnte, könne nichts an der Eigenschaft von Abfall im objektiven Sinn im Zeitpunkt der Verfüllung ändern. Dieser Ansicht ist der Verwaltungsgerichtshof entgegengetreten. Ob das - die Abfalleigenschaft begründende - Erfordernis einer Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall, um die in § 1 Abs. 3 AWG 2002 umschriebenen öffentlichen Interessen nicht zu beeinträchtigen, im Zeitpunkt der Maßnahme bestand, ist vielmehr im Feststellungsverfahren zu klären.

17       Das Landesverwaltungsgericht hat in seinem Erkenntnis die Aussagen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung nicht wiedergegeben, wonach es sich „bei dem [...] geprobten und nachfolgend untersuchte[n] Material um nicht verunreinigtes Bodenaushubmaterial handelt, welches den Grenzwertvorgaben für die Deponieklasse Bodenaushubdeponie gemäß Deponieverordnung 2008 entspricht. [...] Hinsichtlich der Ergebnisse gem. dem Prüfbericht der Firma [Z] vom 02.07.2015 kann festgehalten werden, dass auf Grundlage der ermittelten Messwerte eine Beeinträchtigung von Boden und Gewässer nicht zu erwarten ist und das Material daher, auch ohne weitere Sicherungsmaßnahmen, vor Ort verbleiben kann.“

18       Das Landesverwaltungsgericht hat erneut darauf abgestellt, ob nach dem Kenntnisstand im Zeitpunkt der Verfüllung die Möglichkeit einer Boden- und Gewässerbeeinträchtigung nicht auszuschließen gewesen ist. Damit hat es die Relevanz der späteren Untersuchung (Prüfbericht vom 2. Juli 2015), die laut Angaben des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung eine Unbedenklichkeit der abgelagerten Materialien bestätigt hatte, abermals verneint.

19       Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

20       Das Verwaltungsgericht hat der dargelegten Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den objektiven Abfallbegriff nicht entsprochen und es daher auch verabsäumt, sich mit den Aussagen des Sachverständigen auseinanderzusetzen.

21       Im zweiten Rechtsgang hat das Landesverwaltungsgericht allerdings auch das Vorliegen des subjektiven Abfallbegriffs bejaht. Der Revisionswerber bringt dazu u.a. vor, er habe im gesamten Verfahren die in § 2 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 geforderte Entledigungsabsicht bestritten und das Landesverwaltungsgericht habe keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen und sich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers nicht auseinandergesetzt. Zudem sei eine Einvernahme des Vaters des Revisionswerbers als Zeuge trotz Antrag unterblieben, obwohl dieser näher bezeichnete Angaben zur Materialherkunft hätte machen können.

22       Mit diesem Vorbringen ist die Revision auch im Recht.

23       Gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 liegt Abfall im subjektiven Sinn vor, wenn der Besitzer sich einer beweglichen Sache entledigen will oder entledigt hat.

24       Die Revision bringt vor, dass das Material aus einer Materialgewinnungsstätte des Revisionswerbers in Z stamme, im Zuge von Aushubarbeiten angefallen sei und dort mit der Absicht zwischengelagert worden sei, es nach Ende der Abbautätigkeit für die Rekultivierung dieser Grube zu verwenden.

25       In Verfahren vor den Verwaltungsgerichten gilt das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG (vgl. VwGH 27.11.2020, Ra 2020/03/0086, mwN). Gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen gehört es zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. VwGH 30.1.2019, Ra 2018/03/0131, mwN). Das Verwaltungsgericht hat daher alle zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise aufzunehmen, es darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 27.6.2016, Ra 2015/08/0184, mwN).

26       Der Revisionswerber hat mehrfach im Verfahren die Einvernahme seines Vaters als Zeugen beantragt, um die Herkunft des Bodenaushubmaterials zu klären. Das Landesverwaltungsgericht hat den Vater des Revisionswerbers als Zeugen zur mündlichen Verhandlung geladen, wobei dieser sich aufgrund einer nachweislich schon vor der Ladung gebuchten Auslandsreise entschuldigte. Aus der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung ist aufgrund der Aussagen des Zeugen G ersichtlich, dass der Vater des Revisionswerbers den Bodenaushub und die Rekultivierung veranlasst hat und nähere Angaben zu der Herkunft des Materials machen könnte.

27       Da seitens des Revisionswerbers bestritten wurde, dass das Material aus anderen Gruben als jener in Z stammt und er ein Beweisanbot in Form der Zeugeneinvernahme gestellt hat, hätte das Landesverwaltungsgericht den Vater des Revisionswerbers als Zeugen anhören müssen.

28       Der Revision ist auch zuzustimmen, dass sich das Landesverwaltungsgericht nicht mit dem Vorbringen zur Entledigungsabsicht bei der Grube in Z auseinandergesetzt hat.

29       Ob eine Entledigungsabsicht vorliegt, hat das Verwaltungsgericht aufgrund der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen (vgl. VwGH 16.3.2016, Ra 2016/05/0012, mwN).

30       Das Landesverwaltungsgericht hat seine Beurteilung nicht in Auseinandersetzung mit dem Parteivorbringen begründet.

31       Nach dem Gesagten hat das Landesverwaltungsgericht sein Erkenntnis mit einer vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

32       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019130120.L00

Im RIS seit

21.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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