TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/15 Ra 2021/20/0105

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103000
E3L E19103010
E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Staatsbürgerschaft
41/07 Grenzüberwachung
60/02 Arbeitnehmerschutz
61/01 Familienlastenausgleich
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ABGB §197 Abs1
ASVG §293
ASVG §293 Abs1 lita sublitaa
ASVG §293 Abs1 lita sublitbb
AsylG 1997 §16
AsylG 1997 §3 Abs3 idF 2003/I/101
AsylG 2005 §17
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs2 Z2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs6
AsylG 2005 §34 Abs6 Z3
AsylG 2005 §35
AsylG 2005 §35 Abs1
AsylG 2005 §35 Abs2
AsylG 2005 §35 Abs4
AsylG 2005 §35 Abs4 Z3
AsylG 2005 §35 Abs5
AsylG 2005 §60 Abs2
AsylG 2005 §60 Abs2 Z3
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
EStG 1988 §33 Abs4 Z3 lita
EURallg
FamLAG 1967 §2 Abs2
FrÄG 2017
FrPolG 2005 §11 Abs3
FrPolG 2005 §11a Abs4
FrPolG 2005 §26
KBGG 2001
MRK Art8
MRK Art8 Abs1
NAG 2005 §11 Abs1 Z4
NAG 2005 §11 Abs2
NAG 2005 §11 Abs2 Z4
NAG 2005 §11 Abs5
NAG 2005 §30
NAG 2005 §30 Abs1
NAG 2005 §30 Abs2
NAG 2005 §45 Abs12
NAG 2005 §46
NAG 2005 §46 Abs1 Z2 litc
NAG 2005 §47 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
32003L0086 Familienzusammenführung-RL
32003L0086 Familienzusammenführung-RL Art12
32003L0086 Familienzusammenführung-RL Art16
32003L0086 Familienzusammenführung-RL Art16 Abs1 litb
32003L0086 Familienzusammenführung-RL Art16 Abs2 litb
32003L0086 Familienzusammenführung-RL Art3 Abs2 litc
32003L0086 Familienzusammenführung-RL Art9
32011L0095 Status-RL
32011L0095 Status-RL Art13
32011L0095 Status-RL Art15
32011L0095 Status-RL Art15 lita
32011L0095 Status-RL Art15 litb
32011L0095 Status-RL Art15 litc
32011L0095 Status-RL Art2 litj
32011L0095 Status-RL Art23
32011L0095 Status-RL Art3
62008CJ0578 Chakroun VORAB
62017CJ0380 K und B VORAB
62019CJ0768 Bundesrepublik Deutschland VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revision der N H in Äthiopien, vertreten durch Mag. Martin Nepraunik, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 1A, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Februar 2021, W235 2228429-1/2E, betreffend Visum nach § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft Addis Abeba), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die aus Somalia stammende und im Jahr 1998 geborene U H I reiste im Jahr 2016 mit einem ihr nach § 26 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) erteilten Visum in das Bundesgebiet ein. In der Folge wurde ihr vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 13. Mai 2016 aufgrund eines von ihr gestellten Antrages auf internationalen Schutz nach den Bestimmungen über das Familienverfahren gemäß § 3 iVm § 34 AsylG 2005 - abgeleitet von ihrem Vater - rechtskräftig der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

2        Am 13. Februar 2018 wurde bei der Österreichischen Botschaft (ÖB) Addis Abeba für die im Oktober 2015 geborene Revisionswerberin, die Staatsangehörige von Äthiopien ist, ein Antrag auf Erteilung eines Visums nach § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 gestellt. Es wurde vorgebracht, die Revisionswerberin sei die uneheliche Tochter von U H I (im Weiteren auch als Bezugsperson bezeichnet).

3        Der in Äthiopien lebende Vater der Revisionswerberin, der ebenfalls äthiopischer Staatsangehöriger ist, gab eine - vor einem Mitarbeiter der Botschaft unterzeichnete - schriftliche Erklärung ab. Darin führte er aus, ausdrücklich zu erlauben, dass die Revisionswerberin zu ihrer Mutter nach Österreich ziehe, weil er Sorge habe, dass die Revisionswerberin gegen seinen Willen im Genitalbereich beschnitten werden könnte. Das wolle er verhindern. In Österreich werde seine Tochter sicher sein.

4        Das in der Folge mit dem Antrag auf Erteilung eines Visums befasste Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab in seiner Stellungnahme vom 6. Mai 2019 bekannt, dass es die Gewährung des Status der Asylberechtigten an die Revisionswerberin als nicht wahrscheinlich ansehe. Die nach § 60 AsylG 2005 geforderte Voraussetzung, dass der Aufenthalt der Revisionswerberin zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen dürfe, liege nicht vor, weil die Bezugsperson in Österreich nie gearbeitet habe, Sozialhilfe bezogen habe und sie diese nach wie vor beziehe. Weiters sei der Nachweis über einen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft nicht erbracht worden. Auch nach Art. 8 EMRK sei die Erlaubnis zur Einreise nicht geboten, weil die Bezugsperson die Revisionswerberin verlassen habe, als diese fünf Monate alt gewesen sei. Es bestehe „somit seit mehreren Jahren kein Familienleben mehr und hat auch nie bestanden“.

5        In der daraufhin abgegebenen Stellungnahme vom 14. Mai 2019 führte die Revisionswerberin aus, ihre Mutter sei Ende 2014 nach Äthiopien gereist, weil sie in ihrem Heimatland (Somalia) mit einem Mitglied eines „höheren Clans“ hätte zwangsverheiratet werden sollen. In Äthiopien habe die Mutter als Hausmädchen gearbeitet. Der Sohn des Arbeitgebers sei der Vater der Revisionswerberin. Ihre Mutter habe die Schwangerschaft und die Geburt der Revisionswerberin allerdings geheim gehalten, weil der (zu dieser Zeit bereits in Österreich lebende) Vater ihrer Mutter die Familienzusammenführung nicht weiter betrieben hätte, wenn er von der Schwangerschaft gewusst hätte. Nach der Geburt der Revisionswerberin habe sie gemeinsam mit ihrer Mutter - im Haushalt des Arbeitgebers - bis zur Ausreise der Mutter gelebt. Nach der Ausreise der Mutter sei die Revisionswerberin von einer Freundin (S A) ihrer Mutter versorgt worden. Der Vater besuche die Revisionswerberin regelmäßig und befürworte ihre Ausreise nach Österreich. In der Zeit von Mitte Juni bis Mitte August 2017 habe die Mutter die Revisionswerberin in Äthiopien besucht. Während dieses Aufenthalts habe die Mutter die Unterbringung bei N H H (nach der mit der Stellungnahme vorgelegten Kopie eines vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angefertigten Protokolls über die Vernehmung der Mutter der Revisionswerberin: eine weitere Freundin der Mutter) veranlasst, bei der die Revisionswerberin bis dato lebe. Weiters sei der Mutter während dieses Aufenthalts in Äthiopien von der Großmutter väterlicherseits mitgeteilt worden, dass die Revisionswerberin beschnitten werden solle. Eine Beschneidung sei aber noch nicht durchgeführt worden. Da Beschneidungen meist im Alter von drei bis fünf Jahren durchgeführt würden, bestehe die Gefahr, dass die Revisionswerberin von der Großmutter aus dem Haus der N H H geholt und beschnitten werde. N H H könne die Beschneidung nicht verhindern.

6        Die Mutter der Revisionswerberin sei zu jener Zeit, als sie im April 2016 nach Österreich gekommen sei, im zweiten Monat mit dem zweiten Kind schwanger gewesen. Die Mutter habe zunächst in einem Flüchtlingsheim gelebt und sei dann mit ihren Eltern und Geschwistern im August 2016 nach N übersiedelt. Da davor noch nicht klar gewesen sei, wo sie leben werde, sei der Mutter der Revisionswerberin der Besuch eines Deutschkurses nicht möglich gewesen. Da ihr deshalb Kenntnisse der deutschen Sprache gefehlt hätten, habe sie nicht arbeiten können. In N habe die Mutter einen Monat lang einen Deutschkurs besucht. Im November 2016 sei allerdings die zweite Tochter geboren worden. Wegen der Betreuung dieses Kindes nach der Geburt sei der Mutter der Besuch des Deutschkurses nicht mehr möglich gewesen. Bis zum 31. Jänner 2018 habe sie Kinderbetreuungsgeld bezogen. Etwa eineinhalb Jahre nach der Geburt der zweiten Tochter sei „- nach einem Besuch in Äthiopien im Sommer 2017 -“ im März 2018 das dritte Kind geboren worden. Die Mutter der Revisionswerberin habe für dieses Kind bis 30. April 2019 Kinderbetreuungsgeld bezogen. Ein Antrag auf Verlängerung der Auszahlung von Kinderbetreuungsgeld sei eingebracht worden. Aufgrund der Betreuungspflichten für die beiden in Österreich lebenden Kinder sei es der Mutter der Revisionswerberin bislang nicht möglich gewesen, einen Deutschkurs zu besuchen.

7        Im Weiteren führte die Revisionswerberin aus rechtlicher Sicht ins Treffen, es könne nach dem geschilderten Sachverhalt nicht davon gesprochen werden, dass nie ein Familienleben (gemeint: zwischen ihr und ihrer Mutter) bestanden hätte. Die Verbindung könne auch nicht als gelöst betrachtet werden. Ihre Mutter habe den Kontakt zu ihr gehalten. Sie habe sich auch darum gekümmert, dass sie von einer Freundin der Mutter versorgt werde. Weiters stehe die Mutter auch über Videotelefonie in regelmäßigem Kontakt mit der Revisionswerberin. Die Revisionswerberin habe ein berechtigtes Interesse am Zusammenleben mit ihrer Mutter. Dies stelle die einzige Möglichkeit dar, mit einem leiblichen Elternteil leben zu können, weil der Vater sie nicht versorgen könne und auch nicht wolle. Zudem gehe „vom erweiterten väterlichen Familienkreis“ eine erhebliche Gefahr für das Kindeswohl aus, weil diese Verwandten ihre Beschneidung planten.

8        Die Mutter der Revisionswerberin habe bisher Kinderbetreuungsgeld, Familienbeihilfe und Mindestsicherung bezogen und Anträge auf Verlängerung dieser Leistungen eingebracht. Somit verfüge die Mutter über ausreichende Mittel, um auch den Unterhalt der Revisionswerberin sichern zu können. Selbst wenn damit der Nachweis der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht erbrächt wäre, wäre „Art. 8 EMRK zu prüfen“. Die dazu vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angestellten Erwägungen seien nicht korrekt. Im Besonderen erlange im vorliegenden Fall das Kindeswohl Beachtlichkeit.

9        In einem E-Mail an die Vertreterin der Revisionswerberin, die beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nachgefragt hatte, ob ihre Stellungnahme vom 14. Mai 2019 Berücksichtigung finden werde, gab diese Behörde bekannt, die bisherige Einschätzung nicht zu ändern. Sollte die ÖB Addis Abeba neuerlich anfragen, werde wegen des fehlenden Einkommens eine der Stellungnahme vom 6. Mai 2019 inhaltlich gleichlautende Stellungnahme abgegeben werden. Die Bezugsperson habe die Revisionswerberin als Baby in Äthiopien beim Vater zurückgelassen. Es könne nicht davon gesprochen werden, dass eine Bindung (zwischen der Revisionswerberin und ihrer Mutter) bestehe oder die Bezugsperson ihrer Obsorgeverpflichtung nachgekommen wäre. Die Bezugsperson habe die Existenz der Revisionswerberin „bewusst über Jahre verschwiegen“, weil die Bezugsperson ansonsten nicht nach Österreich hätte kommen dürfen. Auch nach der Einreise habe die Bezugsperson das Kind nicht angegeben. Von einer in Österreich erfolgten Integration der Bezugsperson, die kaum Kenntnisse der deutschen Sprache aufweise, könne nicht gesprochen werden.

10       Nach neuerlicher Befassung durch die ÖB Addis Abeba (aufgrund der Äußerung der Revisionswerberin vom 14. Mai 2019) erstattete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Schreiben vom 8. November 2019 eine weitere Stellungnahme, in der es neuerlich verneinte, dass es wahrscheinlich sei, dass der Revisionswerberin der Status der Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden würde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verwies - wie schon zuvor - darauf, dass die Mutter der Revisionswerberin keiner Arbeit nachgehe. Sie habe bisher Sozialhilfe bezogen und beziehe diese auch weiterhin. Der Aufenthalt der Revisionswerberin werde daher zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. Es erscheine auch nicht geboten, infolge Art. 8 EMRK die Einreise zu gestatten. Die Bezugsperson sei in der Zeit von 16. Juni 2017 bis 15. August 2017 in Äthiopien gewesen, um die Unterbringung ihrer Tochter zu organisieren. Es sei „interessant“, „dass genau 9 Monate nach dem Besuch in Äthiopien das nächste Kind in Österreich auf die Welt“ komme. Daher gehe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon aus, dass „ein Familienleben in Äthiopien mit dem Vater des Kindes möglich“ sei. Die Bezugsperson habe das Kind in Äthiopien zurückgelassen. Zur Erklärung gebe es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sei der Mutter das Kind egal gewesen und sie habe damit „auf jegliches Sorgerecht verzichtet“ oder sie habe gewusst, dass das Kind beim Vater gut versorgt sei, und „auf einen Asylstatus in Österreich nicht verzichten“ und das Kind später nachholen wollen. Zur Gefahr einer Beschneidung sei aus der Sicht des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl anzumerken, dass eine solche nicht durchgeführt worden sei, während die Revisionswerberin bei ihrem Vater gelebt habe. Jetzt lebe sie bei einer Freundin (der Mutter) und sei daher von einer solchen auch nicht „betroffen“. Die Mutter habe die Revisionswerberin verlassen, als sie fünf Monate alt gewesen sei. Es bestehe „somit seit mehreren Jahren kein Familienleben mehr und hat auch nie bestanden“.

11       Mit Bescheid vom 8. November 2019 wies die ÖB Addis Abeba den von der Revisionswerberin gestellten Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 ab. In ihrer Begründung verwies die Behörde darauf, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt habe, die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten oder der subsidiär Schutzberechtigten sei nicht wahrscheinlich. Weder sei die Erteilungsvoraussetzung des § 60 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005, wonach der Aufenthalt nicht zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen dürfe, nachgewiesen worden, noch sei die Erteilung des Einreisetitels aufgrund des Art. 8 EMRK geboten.

12       Die dagegen erhobene Beschwerde wies die ÖB Addis Abeba mit Beschwerdevorentscheidung vom 13. Jänner 2020 gemäß § 14 VwGVG als unbegründet ab. Ergänzend zur bereits im Bescheid vom 8. November 2019 enthaltenen Begründung führte die Behörde aus, sie habe - anders als in der Beschwerde vorgebracht - das Ermittlungsverfahren ordnungsgemäß geführt; insbesondere habe sie Parteiengehör gewährt. Sie sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete Stellungnahme gebunden.

13       Die Revisionswerberin brachte daraufhin einen Vorlageantrag ein.

14       Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis vom 8. Februar 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde, ohne die beantragte Verhandlung durchgeführt zu haben, als unbegründet ab.

15       In seiner Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die Bezugsperson mit ihren im November 2016 und März 2018 geborenen Kindern in einer 46,17m2 großen Mietwohnung lebe. Sie verfüge über eine Krankenversicherung. Sie bestreite den Lebensunterhalt für sich und die in Österreich lebenden Kinder ausschließlich aus staatlichen Mitteln. Sie sei nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt und den der Kinder aus eigenem zu sichern. Sie wäre sohin auch im Fall der Einreise der Revisionswerberin nicht in der Lage, für deren Unterhalt selbst zu sorgen. Die Revisionswerberin verfüge über keine eigenen Mittel, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch andere Angehörige würden im Fall ihres Aufenthalts in Österreich für ihren Unterhalt nicht aufkommen.

16       Die Bezugsperson sei im Jahr 2014 mit ihrer Familie von Somalia nach Äthiopien gezogen, wo sie als Hausmädchen gearbeitet habe. Die Revisionswerberin sei im Oktober 2015 in Äthiopien geboren. In den ersten fünf Monaten ihres Lebens sei sie von der Bezugsperson betreut und versorgt worden. Die damals noch minderjährige Bezugsperson sowie deren Mutter und Geschwister hätten in Äthiopien zwecks Fortsetzung des Familienlebens mit dem damals bereits in Österreich aufhältigen asylberechtigten Vater der Bezugsperson Anträge auf Erteilung von Einreisetiteln gestellt. Nach Erteilung des Einreisetitels sei (auch) die Bezugsperson nach Österreich gezogen. Zu diesem Zeitpunkt sei sie neuerlich schwanger gewesen. Die Revisionswerberin sei in Äthiopien verblieben und von einer Freundin der Bezugsperson betreut worden. Die Bezugsperson pflege seit ihrer Ausreise aus Äthiopien den Kontakt zur Revisionswerberin durch Verwendung von Mitteln der Telekommunikation. Die Bezugsperson führe mit dem Vater der Revisionswerberin, der auch der Vater der beiden anderen Kinder der Bezugsperson sei, nach wie vor eine Beziehung. Im Jahr 2017 habe die Bezugsperson die Revisionswerberin und den Vater in Äthiopien besucht. Sie habe die Unterbringung der Revisionswerberin bei N H H, einer weiteren Freundin der Bezugsperson, organisiert. Die Revisionswerberin werde aktuell von dieser Freundin betreut und versorgt. Ferner werde sie regelmäßig von ihrem leiblichen Vater besucht. Es werde nicht festgestellt, dass die Revisionswerberin im Herkunftsstaat einer realen Gefahr ausgesetzt sei, dass eine Zwangsbeschneidung durchgeführt werde.

17       Im Rahmen der beweiswürdigenden Erwägungen verwies das Bundesverwaltungsgericht darauf, dass sich die Feststellungen zum Leben der Bezugsperson in Äthiopien, zur Ausreise, zum Leben in Österreich und den Kontakten zur Revisionswerberin anhand der Stellungnahmen der Revisionswerberin und der vorgelegten Unterlagen ergäben. Allerdings habe die Revisionswerberin nicht glaubhaft dargetan, dass sie in Äthiopien Gefahr laufe, von der Großmutter väterlicherseits einer Genitalverstümmelung unterzogen zu werden. Die in der Stellungnahme vom 14. Mai 2019 zitierten Berichte hätten sich nicht auf Äthiopien, sondern auf Somalia bezogen. Die Revisionswerberin lebe nicht bei der Familie väterlicherseits, sondern bei einer Freundin der Bezugsperson, sodass „auch vor diesem Hintergrund nicht von der realen Gefahr einer Zwangsbeschneidung auszugehen“ sei. Wie es der Großmutter der Revisionswerberin möglich sein sollte, sie dort zu finden und gegen den Willen der Betreuungsperson mitzunehmen, sei im Verfahren nicht konkret dargelegt worden. Aufgrund des Vorbringens der Revisionswerberin und des von ihrem Vater unterfertigten Schreibens, wonach sich dieser ausdrücklich gegen eine Zwangsbeschneidung ausspreche, sei weiters davon auszugehen, dass der Vater auch willens sei, die Revisionswerberin vor einer von der Großmutter versuchten Zwangsbeschneidung zu schützen. Es sei sohin nicht als wahrscheinlich anzusehen, dass die Revisionswerberin im Herkunftsstaat Gefahr laufe, Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung zu werden.

18       In der rechtlichen Beurteilung ging das Bundesverwaltungsgericht zunächst davon aus, der gegenständliche Antrag sei nach Ablauf der in § 35 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 normierten Frist von drei Monaten nach Rechtskraft der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten an die Bezugsperson gestellt worden. Infolgedessen müssten für die Erteilung des begehrten Einreisetitels die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 Z 1 bis Z 3 AsylG 2005 vorliegen.

19       Die Bezugsperson gehe in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach. Den Unterhalt für sich und die in Österreich lebenden Kinder bestreite sie aus staatlichen Mitteln. Es sei im Verfahren auch nicht hervorgekommen, dass die Revisionswerberin selbst über „ausreichende finanzielle Ressourcen“ verfüge, um ihren Unterhalt zu sichern. Somit sei zu prognostizieren, dass der Aufenthalt der Revisionswerberin zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen werde; die Voraussetzung des § 60 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 sei nicht erfüllt.

20       Es sei aber im vorliegenden Fall auch aufgrund des Art 8 EMRK nicht geboten, der Revisionswerberin einen Einreisetitel zu erteilen.

21       Ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kindern entstehe nach der ständigen Rechtsprechung schon mit dem Zeitpunkt der Geburt. Diese besonders geschützte Verbindung könne nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden. Das Auflösen einer Hausgemeinschaft von Eltern und Kindern führe allein nicht zur Beendigung des Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK, solange nicht jegliche Bindung gelöst sei. Folglich könne nach der Judikatur des EGMR das familiäre Band zwischen Eltern und Kindern nur unter exzeptionellen Umständen zerreißen und es komme für die Frage, ob nicht mehr vom Bestehen familiärer Bindungen auszugehen ist, lediglich darauf an, ob tatsächlich jede Verbindung zwischen Eltern(teil) und Kind gelöst worden sei.

22       Im gegenständlichen Fall lägen solche exzeptionellen Umstände nicht vor, sodass vom Bestehen eines Familienlebens zwischen der Revisionswerberin und ihrer Mutter auszugehen sei. Der damit durch die Verweigerung eines Einreisetitels hervorgerufene Eingriff in das Familienleben sei jedoch fallbezogen nicht als unverhältnismäßig anzusehen. Das Familienleben zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson sei nur wenig ausgeprägt. Die Betreuung und Versorgung der Revisionswerberin sei seit August 2017 hauptsächlich durch eine Freundin der Bezugsperson erfolgt. Zuvor sei die Revisionswerberin von einer anderen Freundin der Bezugsperson betreut worden. Die Revisionswerberin habe im Herkunftsstaat regelmäßig persönlichen Kontakt zu ihrem dort lebenden Vater. Demgegenüber habe die Bezugsperson lediglich in den ersten fünf Monaten nach der Geburt der Revisionswerberin deren Betreuung vorgenommen. Dann sei die Bezugsperson - im damaligen Zeitpunkt selbst noch minderjährig - gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern ohne die Revisionswerberin nach Österreich gezogen, um ein Familienleben mit dem in Österreich aufhältigen Vater der Bezugsperson zu führen. Seither habe die Bezugsperson die Revisionswerberin nur einmal - im Jahr 2017 - in Äthiopien besucht. Sonst habe der Kontakt nur unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln stattgefunden.

23       Die Trennung der Revisionswerberin von der Bezugsperson stehe auch in keinem kausalen Zusammenhang mit der Flucht der Bezugsperson aus Somalia. Die Bezugsperson habe ihren Herkunftsstaat bereits im Jahr 2014 verlassen, sich in Äthiopien angesiedelt und dort als Hausmädchen gearbeitet. Die Revisionswerberin sei erst später im Oktober 2015 in Äthiopien geboren worden. Der Grund für die Ausreise der Bezugsperson aus Äthiopien und die damit verbundene Trennung von der Revisionswerberin sei dem Entschluss der Bezugsperson entsprungen, das Familienleben mit ihren Eltern und Geschwistern in Österreich fortzusetzen. Hätte die Bezugsperson tatsächlich ein Interesse daran gehabt, ein gemeinsames Familienleben in Österreich mit der Revisionswerberin zu führen, wäre es ihr spätestens nach der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten im Jahr 2016 möglich gewesen, eine Familienzusammenführung mit der Revisionswerberin nach § 35 AsylG 2005 zu veranlassen, um die Zeit der Trennung möglichst kurz zu halten. Es sei auch festzuhalten, dass die Bezugsperson bereits vor ihrer Einreise in Österreich in Äthiopien einer Erwerbstätigkeit als Hausmädchen nachgegangen sei, mit dem in Äthiopien wohnhaften Vater der Beschwerdeführerin nach wie vor eine Beziehung pflege und im Jahr 2017 nach Äthiopien gereist sei, sodass davon ausgegangen werden könne, dass eine Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens in Äthiopien möglich sei. Da auch - wie in der Beweiswürdigung dargelegt worden sei - nicht davon auszugehen sei, dass die Revisionswerberin im Fall der Nichterteilung eines Einreisetitels mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufe, einer Zwangsbeschneidung ausgesetzt zu sein, sei auch nicht zu sehen, dass das Kindeswohl der Verweigerung des begehrten Einreisetitels entgegenstehe.

24       Hinsichtlich der Abstandnahme von der Durchführung der beantragten Verhandlung verwies das Bundesverwaltungsgericht auf die Bestimmung des § 11a Abs. 2 FPG.

25       Die Erhebung einer Revision sei - so das Bundesverwaltungsgericht abschließend - nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil es sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf die im Rahmen der Erwägungen wiedergegebene ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes und eine ohnehin klare Rechtslage habe stützen können.

26       Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

27       Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

28       Die Revisionswerberin wendet sich zur Begründung der Zulässigkeit der von ihr erhobenen Revision gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung.

29       Die Revision ist aufgrund des diesbezüglichen Vorbringens zulässig und gibt (in mehrfacher Hinsicht) Anlass zu einer (weiteren) Klarstellung der Rechtslage. Sie ist auch begründet.

30       Die maßgeblichen Bestimmungen lauten (auszugsweise und samt Überschrift):

31       § 11, § 11a und § 26 FPG:

„Besondere Verfahrensregeln für das 3. bis 6. und das 12. bis 15. Hauptstück

Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11. (1) ...

...

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

(4) ...

...

Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§ 11a. (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.

(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.

(3) ...

(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt.

...

Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005

§ 26. Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Familienangehörigen gemäß § 35 Abs. 5 AsylG 2005 ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen.“

32       § 3, § 34, § 35 und § 60 AsylG 2005:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) ...

...

(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

(4a) ...

(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.

(5) ...

...

Sonderbestimmungen für das Familienverfahren

Familienverfahren im Inland

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1.   einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2.   ...

     ...

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1.   dieser nicht straffällig geworden ist und

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3.   gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) ...

...

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1.   ...

2.   auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3.   im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG).

Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

§ 35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.

(2) ...

(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.

(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1.   gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),

2.   das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und

3.   im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten. Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

...

Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen

§ 60. (1) ...

(2) Aufenthaltstitel gemäß § 56 dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn

1.   der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird,

2.   der Drittstaatsangehörige über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist,

3.   der Aufenthalt des Drittstaatsangehörige zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 5 NAG) führen könnte, und

4.   durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden.

(3) ...

...“

33       § 11, § 30 und § 46 NAG:

„Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1)

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1.   ...

2.   der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3.   der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4.   der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5.    durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6.   ...

     ...

(3) ...

(4) ...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

(6) ...

...

Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft und Aufenthaltsadoption

§ 30. (1) Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, dürfen sich für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen.

(2) An Kindes statt angenommene Fremde dürfen sich bei der Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nur dann auf diese Adoption berufen, wenn die Erlangung und Beibehaltung des Aufenthaltstitels nicht der ausschließliche oder vorwiegende Grund für die Annahme an Kindes statt war.

(3) Die Abs. 1 und 2 gelten auch für den Erwerb und die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts.

...

Bestimmungen über die Familienzusammenführung

§ 46. (1) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus‘ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und

1.   ...

2.   ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende

a)   ...

     ...

c)   Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt,

d)   ...

     ...

...“

34       § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG)

„Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.   die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.   das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.   die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.   der Grad der Integration,

5.   die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.   die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.   Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.   die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.   die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) ...

...“

35       I. Zur Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses

36       Im Hinblick auf die vom Verwaltungsgerichtshof (von Amts wegen) zu prüfende Prozessvoraussetzung nach § 26 VwGG ist eingangs darauf hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht die schriftliche Ausfertigung seiner Entscheidung dem im Bundesgebiet ansässigen rechtsfreundlichen Vertreter der Revisionswerberin durch Übersendung im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs übermittelt hat.

37       § 11a Abs. 4 FPG, der in Verfahren über Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten zur Anwendung gelangt - ein solches Verfahren liegt hier in Anbetracht dessen, dass sich die vorliegende Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen einen Bescheid der ÖB Addis Abeba, mit dem die Erteilung eines Visums nach § 26 FPG versagt wurde, gerichtet hat, zweifellos vor (zur Anwendbarkeit des § 11a FPG in solchen Verfahren vgl. etwa VwGH 27.4.2021, Ra 2020/14/0536, 0537, mwN) - legt fest, dass die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Vertretungsbehörde zu erfolgen hat. Schon durch den ebenfalls in § 11a Abs. 4 FPG enthaltenen Verweis auf § 11 Abs. 3 FPG erhellt allerdings, dass der Gesetzgeber dabei jene Konstellationen vor Augen hatte, in denen die mit der Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verbundenen Rechtswirkungen herbeigeführt werden sollen, wenn sich die vor dem Bundesverwaltungsgericht beschwerdeführende Partei, der dessen Entscheidung zugestellt werden soll, im Ausland aufhält. In diesem Fall sind nämlich hoheitlichen Tätigkeiten von österreichischen Behörden und Gerichten regelmäßig (enge) Grenzen gesetzt (vgl. dazu, dass Staaten nach den allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts grundsätzlich verpflichtet sind, in fremden Hoheitsräumen keine Amtshandlungen ohne Genehmigung des Territorialstaates vorzunehmen, VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100, 0101, mwN). Vor diesem Hintergrund soll mit der Anordnung des § 11a Abs. 4 FPG sichergestellt werden, den Abschluss des - letztlich vom Fremden selbst gewünschten - Verfahrens über den Antrag auf Erteilung eines Visums verlässlich herbeizuführen. Um diesen Zweck zu erreichen, legt § 11 Abs. 3 FPG besondere Formen fest, wie dem im Ausland aufhältigen Fremden die (schriftlich ausgefertigte) Entscheidung rechtsgültig zukommen kann (Zustellung durch Übergabe in der Vertretungsbehörde; Zustellung auf postalischem oder elektronischem Weg, soweit die internationale Übung dies zulässt; Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde, wenn die Zustellung auf die zuvor genannten Arten nicht möglich ist). Ein Fall, der einer solchen besonderen Art der Zustellung bedürfte, lag aber hier nicht vor, weil die Revisionswerberin vor dem Bundesverwaltungsgericht von einem in Österreich ansässigen Rechtsanwalt vertreten wurde, dem infolge der aufrechten Bevollmächtigung auch die Entscheidung zuzustellen war (vgl. in diesem Sinn auch VwGH 14.4.2016, Ro 2016/21/0005). Die Vornahme der Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts an den Rechtsanwalt durch das Verwaltungsgericht selbst (und nicht über die Vertretungsbehörde) stand somit nicht mit § 11a Abs. 4 FPG im Widerspruch.

38       Somit ergibt sich, dass der zunächst von der Revisionswerberin gestellte Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Sinn des § 26 Abs. 3 VwGG innerhalb der Revisionsfrist des § 26 Abs. 1 Z 1 erster Fall VwGG eingebracht wurde. Nach Bewilligung dieses Antrages wurde die gegenständliche Revision innerhalb der gemäß § 26 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG einzuhaltenden Frist erhoben. Sohin erweist sich die Revision (auch) aus diesem Blickwinkel als zulässig.

39       II. Zum Zweck und Anwendungsbereich des asylrechtlichen Familienverfahrens

40       Der Gesetzgeber verfolgt mit den Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 in erster Linie die Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband. Ziel der Bestimmungen ist, Familienangehörigen (im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005) den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen. Ist einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status des Asylberechtigten zu gewähren, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären. Dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen (vgl. VwGH 30.4.2018, Ra 2017/01/0418).

41       Aus der historischen Entwicklung jener Vorschriften in den österreichischen Asylgesetzen, die sich mit der Beantragung von internationalem Schutz aus dem Ausland befassen, wird deutlich, dass der Gesetzgeber im Laufe der letzten Jahrzehnte eindeutig und zunehmend einschränkend das Ziel verfolgt hat, ein Verfahren zur Gewährung von internationalem Schutz nur in Bezug auf Personen zu führen, die sich im Bundesgebiet befinden. Dass dabei - auch für Familienangehörige von in Österreich lebenden Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten - keine Ausnahme gemacht werden soll, lässt sich anhand der Rechtslage klar erkennen.

42       Da das geltende Recht Anträge auf internationalen Schutz aus dem Ausland nicht mehr kennt, hatte der Gesetzgeber entsprechend den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes sicherzustellen, dass über den Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels eines Familienangehörigen eines in Österreich aufhältigen Schutzberechtigten in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren entschieden wird und insbesondere auch Gesichtspunkte des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Familienleben nach Art. 8 EMRK berücksichtigt werden. Diesen Erfordernissen kann aber auch ohne Zulassung eines Antrags auf internationalen Schutz aus dem Ausland entsprochen werden (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0218, mwN).

43       Der Gesetzgeber hat - im Besonderen durch Novellierungen des AsylG 2005 - zum Ausdruck gebracht, diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben, aber auch jenen der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (Familienzusammenführungsrichtlinie), in der Weise nachzukommen, dass auch Familienangehörigen, die sich im Ausland aufhalten, zur Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Familienlebens mit dem bereits in Österreich lebenden Schutzberechtigten die Einreise in das Bundesgebiet ermöglicht wird, um hier einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Insofern dienen die Bestimmungen der §§ 34 und 35 AsylG 2005 (auch) der Familienzusammenführung, wobei sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, den nachziehenden Angehörigen auch dann den Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten einzuräumen, wenn die dafür an sich zu fordernden Voraussetzungen nicht erfüllt sind (vgl. VwGH 3.5.2018, Ra 2017/19/0609 bis 0611, mit Hinweis auf VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0218).

44       Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Sinn in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass die Erteilung eines Einreisetitels nach § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 die Möglichkeit der Familienzusammenführung mit dem Zweck darstellt, für die nachziehenden Personen nach Einreise in das Bundesgebiet ein Familienverfahren im Sinn des § 34 AsylG 2005 zu eröffnen und ihnen denselben Schutz wie dem bereits in Österreich aufhältigen Angehörigen zu gewähren. Demgegenüber ist die Familienzusammenführung für Familienangehörige von asylberechtigten Bezugspersonen (nur) in jenen Konstellationen, die nicht § 34 Abs. 2 AsylG 2005 unterliegen, in § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG geregelt (vgl. VwGH 31.5.2021, Ra 2020/01/0284 bis 0288).

45       Gerade jenem Zweck, den nachzugswilligen Personen nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet ein Verfahren im Sinn des § 34 AsylG 2005 für die Familienzusammenführung zu eröffnen, würde es allerdings widerstreiten, würde ihnen selbst dann danach ein Aufenthaltsrecht zuerkannt werden, wenn das Familienleben nicht (mehr) besteht und die Wiederaufnahme eines solchen nicht beabsichtigt oder - etwa weil dies von der in Österreich lebenden Bezugsperson abgelehnt wird - nicht möglich ist.

46       Solche Konstellationen spricht der Gesetzgeber in § 34 Abs. 6 AsylG 2005 - neben weiteren dort festgelegten Grenzen des asylrechtlichen Familienverfahrens - auch ausdrücklich an. In den dort genannten Fällen sind die Bestimmungen des - aus den §§ 34 und 35 bestehenden - 4. Abschnitts des 4. Hauptstückes des AsylG 2005 nicht anzuwenden.

47       Auf den in § 34 Abs. 6 Z 3 AsylG 2005 genannten Grund bezieht sich der Sache nach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seinen Stellungnahmen, in denen die Existenz jeglichen Familienlebens zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson in Abrede gestellt wird.

48       Der Gesetzgeber hat ungeachtet der in § 34 Abs. 6 Z 3 AsylG 2005 verwendeten Begriffe „Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption“, die nahelegen, dass sämtliche angesprochenen Rechtsinstitute von vornherein allein zu dem Zweck in Anspruch genommen worden sein müssten, dem nachzugswilligen Fremden ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen, durch den in dieser Bestimmung enthaltenen Verweis auf § 30 NAG zu erkennen gegeben, den Inhalt der letztgenannten Norm für das Verständnis des § 34 Abs. 6 Z 3 AsylG 2005 als maßgeblich wissen zu wollen.

49       Nach § 30 Abs. 1 NAG dürfen sich Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen. Dabei erfordert § 30 Abs. 1 NAG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass die Ehe - quasi in Missbrauchsabsicht - zu dem Zweck geschlossen wurde, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, sondern dass zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde oder des Verwaltungsgerichtes kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK (mehr) geführt wird. Beantragt ein Fremder die Erteilung eines Erstaufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung mit seinem Ehegatten, ist seine Absicht entscheidend, wie der angestrebte Titel genutzt werden soll. Ein formales Band der Ehe reicht nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des ausländischen Ehegatten abzuleiten (vgl. etwa VwGH 8.7.2020, Ra 2019/22/0020; 1.4.2021, Ra 2020/22/0214, jeweils mwN).

50       In Bezug auf die in § 30 Abs. 2 NAG genannte Konstellation hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass es für die von der inländischen Behörde vorzunehmende Beurteilung, ob eine Aufenthaltsadoption im Sinn des § 30 Abs. 2 NAG gegeben ist, auf die von ihr - allein unter dem Blickwinkel des österreichischen Fremdenrechts - zu prüfenden, der Adoption zugrundeliegenden Motive ankommt. Im Erkenntnis vom 19. Mai 2011, 2008/21/0537, hat der Verwaltungsgerichtshof betont, dass zu einer Beziehung, wie sie einem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern entspreche, bei minderjährigen Kindern grundsätzlich auch die Führung eines gemeinsamen Familienlebens gehöre (ein solches hatte im damaligen Fall zwischen dem Beschwerdeführer und den seit vielen Jahren in Österreich niedergelassenen Adoptiveltern unstrittig nicht bestanden und der vom damaligen Beschwerdeführer angestrebte Aufentha

Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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