TE Vwgh Beschluss 2021/12/9 Ro 2021/19/0001

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Veröffentlicht am 09.12.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22 litd
AsylG 2005 §34 Abs2
VwGG §28 Abs3
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §29 Abs2
VwGVG 2014 §29 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des S A M, vertreten durch Dr. Hans Gradischnig und Mag. Hannes Gradischnig, Rechtsanwälte in 9500 Villach, Moritschstraße 5/Stg. 1, gegen das am 19. Juli 2021 mündlich verkündete und am 1. September 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W114 2205211-1/11Z, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der minderjährige Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 30. November 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Begründend brachte er vor, dass er bei seinem Onkel aufgewachsen sei, weil seine Eltern Feinde gehabt hätten, wegen derer sie hätten fliehen müssen. Der Revisionswerber fürchte sich vor den Feinden seiner Eltern, die schon seinen Bruder entführt hätten, und habe mit seinem Onkel und dessen Ehefrau seinen Herkunftsstaat verlassen.

2        Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 21. Dezember 2016, 2 PS 258/16g, wurde der Onkel des Revisionswerbers mit der Obsorge des Revisionswerbers betraut.

3        Mit Bescheid vom 6. August 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.).

4        Mit Erkenntnis vom 17. Juni 2021, W128 2205210-1/18E, W128 2205208-1/18E und W128 2205206-1/13E, erkannte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dem Onkel und der Tante des Revisionswerbers, sowie deren Sohn - im Beschwerdeverfahren - den Status der Asylberechtigten zu.

5        Mit dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung verkündeten angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu, erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung, und behob die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos. Ein Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unterblieb.

6        Der Revisionswerber erhob mit Schriftsatz vom 6. August 2021 Revision gegen das mündlich verkündete Erkenntnis.

7        In der auf Antrag des Revisionswerbers ergangenen schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Erkenntnisses vom 1. September 2021 sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

11       Da das BVwG in dem angefochtenen mündlich verkündeten Erkenntnis keinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision gemäß § 25a Abs. 1 VwGG tätigte, war die vorliegende Revision als ordentliche Revision zu behandeln. Auch für eine solche ordentliche Revision gilt, dass der Revisionswerber von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision darzulegen hat (vgl. VwGH 21.3.2018, Ro 2017/18/0004).

12       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, dem Revisionswerber wäre ebenso wie seinem Onkel, seiner Tante und deren gemeinsamen Kind der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen, zumal er als „mehr oder weniger Familienangehöriger“ die identen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten in seiner Person verwirkliche. Die Argumentation des BVwG, wonach die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung als Enkel eines seinerseits verfolgten Großvaters als gering anzusehen wäre, sei nicht nachvollziehbar. Er habe sich wie sein Onkel und seine Tante eine westliche Gesinnung angeeignet und sei von jener Bedrohung, die das BVwG für seinen Onkel und dessen Familie angenommen habe, ebenso betroffen.

13       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist selbst eine erst nach Revisionserhebung - aber vor Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - zugestellte schriftliche Ausfertigung eines Erkenntnisses für das Revisionsverfahren beachtlich (vgl. VwGH 23.9.2020, Ra 2019/14/0558, mwN). Die schriftliche Ausfertigung des angefochtenen mündlich verkündeten Erkenntnisses ist somit im gegenständlichen Fall bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision zu berücksichtigen.

14       Soweit der Revisionswerber vorbringt, ihm sei die Flüchtlingseigenschaft als Familienangehörigen zuzuerkennen, ist darauf hinzuweisen, dass der Onkel des Revisionswerbers mit Beschluss des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 21. Dezember 2016, 2 PS 258/16g, mit der Obsorge des Revisionswerbers betraut wurde. Die gesetzliche Vertretung des Revisionswerbers durch seinen Onkel bestand noch nicht im Zeitpunkt der Einreise in das Bundesgebiet, weshalb der Revisionswerber kein Familienangehöriger seines Onkels im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 lit. d AsylG 2005 ist. Die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Revisionswerber im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 ist daher ausgeschlossen.

15       Indem der Revisionswerber die Argumente des BVwG als nicht nachvollziehbar bezeichnet, wendet er sich gegen dessen Beweiswürdigung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 28.10.2021, Ra 2021/19/0261, mwN).

16       Das BVwG kam nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zum Ergebnis, dass sich aus den vom Onkel des Revisionswerbers vorgebrachten Fluchtgründen keine individuelle und konkrete Bedrohung oder Verfolgung des Revisionswerbers ableiten lasse und legte im Detail dar, worin es Widersprüche und Unstimmigkeiten in den Schilderungen des Onkels des Revisionswerbers erkannte. Das BVwG führte aus, weshalb es auch bei Wahrunterstellung dieses Vorbringens nicht wahrscheinlich sei, dass der Revisionswerber in Afghanistan als Mitglied seiner Familie bzw. als Enkel seines kommunistischen Großvaters erkannt werden würde, und betonte, dass sein Onkel für ihn keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht habe. Es gelingt der Revision nicht aufzuzeigen, dass die vom BVwG vorgenommene Beweiswürdigung an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet.

17       Soweit der Revisionswerber in der Revision vorbringt, dass er sich wie sein Onkel und seine Tante eine westliche Orientierung angeeignet habe, beruft er sich auf ein neues Vorbringen, das im bisherigen Verfahren nicht erstattet worden ist. Damit verstößt dieses Revisionsvorbringen gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG). Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG kann aber nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot fällt (vgl. etwa VwGH 8.6.2021, Ra 2019/19/0190, mwN).

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 9. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021190001.J00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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