TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/13 Ra 2021/03/0119

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.12.2021
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
27/01 Rechtsanwälte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §57
RAO 1868 §26 Abs5
Satzung Versorgungseinrichtung TeilA ÖRAK §32 Abs4
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Dr. S A in G, vertreten durch Battlogg Rechtsanwalts GmbH in 6780 Schruns, Gerichtsweg 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 4. Mai 2021, Zl. LVwG-460-1/2020-R11, betreffend eine Berufsunfähigkeitsrente nach der Rechtsanwaltsordnung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gesamtausschuss der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer Vorarlberg hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer (Abteilung 2) vom 6. Mai 2020 wurde dem Revisionswerber aufgrund seines Antrags vom 10. Dezember 2019 eine unbefristete Berufsunfähigkeitsrente gemäß der Satzung der Versorgungseinrichtung Teil A und Teil B (2018) zuerkannt. Gleichzeitig wurde ihm aufgetragen, im Abstand von sechs Monaten „sämtliche aus medizinischer Sicht erforderlichen Behandlungen“, eine „entsprechende Medikation“ und „andere aus medizinischer Sicht erforderliche Maßnahmen, wie stationäre Rehabilitationsmaßnahmen“ in Anspruch zu nehmen.

2        Der dagegen erhobenen Vorstellung des Revisionswerbers gab der Gesamtausschuss der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer mit Bescheid vom 18. November 2020 teilweise Folge und änderte die Nebenbestimmungen des bekämpften Bescheides dahingehend ab, dass sie zu lauten hätten:

„a)  Es sind einmal monatlich Kontrolltermine bei einem Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin wahrzunehmen und dazu halbjährlich (im Abstand von 6 Monaten) die entsprechenden Nachweise vorzulegen.

b)   Die ärztlich verschriebenen Medikamente sind gewissenhaft einzunehmen. Eine Änderung der derzeitigen Medikation [...] ist der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer innert 4 Wochen bekanntzugeben.“

3        Der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg nur insoweit Folge, als die Verpflichtung des Revisionswerbers, eine Änderung der derzeitigen Medikation der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer binnen vier Wochen bekanntzugeben, ersatzlos zu entfallen habe. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

4        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber leide an einer anhaltenden depressiven Störung, bei der es sich um eine mittlerweile chronifizierte psychische Erkrankung handle. Deshalb sei der Revisionswerber nicht mehr in der Lage, seinem bisherigen Beruf als Rechtsanwalt nachzukommen und es gebühre ihm die (unbefristete) Berufsunfähigkeitsrente. Es sei auch nicht unzulässig, die Gewährung dieser Rente an Auflagen zu knüpfen. Aus dem eingeholten Gutachten vom 4. November 2019 gehe hervor, dass „eine Genesung aus heutiger Sicht nicht mehr abzusehen“ sei. Damit werde eine Genesung nicht völlig ausgeschlossen, wenngleich sie aus heutiger Sicht nicht sehr wahrscheinlich sei. Laut Gutachtensergänzung vom 12. Oktober 2020 sei es dem Revisionswerber zumutbar, die vom Gutachter für notwendig erachteten monatlichen Kontrolltermine bei einem Facharzt wahrzunehmen und die ihm verschriebenen Medikamente einzunehmen, sodass eine Stabilisierung seines Gesundheitszustandes eintritt und damit eine allfällige Genesung zumindest im Bereich des Möglichen bleibe, wenn sie auch aus heutiger Sicht nicht sehr wahrscheinlich sei. In diesem Zusammenhang sei es aber nicht erforderlich, dass der Revisionswerber eine Änderung der Medikation der belangten Behörde bekannt gebe. Diese Auflage verfolge erkennbar den Zweck, die Medikation des Revisionswerbers zu überprüfen oder zu hinterfragen. Es wäre dem Revisionswerber aber nicht zumutbar, andere Medikamente einzunehmen als jene, die ihm sein Arzt verschrieben habe. Die Auflage könne daher ihren Zweck für die belangte Behörde nicht erfüllen. Sie sei daher nicht gerechtfertigt und müsse entfallen.

5        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6        Zur Zulässigkeit und in der Sache macht die Revision zusammengefasst geltend, das Erkenntnis stehe im Widerspruch zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung, wonach die Beisetzung einer Nebenbestimmung nur dann zulässig sei, wenn dies das Gesetz bestimme. § 33 der Satzung (gemeint: Verordnung der Vertreterversammlung des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages über die Versorgungseinrichtungen Teil A der österreichischen Rechtsanwaltskammern - Satzung Teil A 2018) sehe keine ausdrückliche Regelung betreffend Auflagen vor. Im Gegenteil werde in § 33 Abs. 2 Z 3 leg. cit. lediglich angeordnet, dass die Rente entzogen werden könne, wenn die Inanspruchnahme einer zur Beseitigung der Berufsunfähigkeit dienlichen und zumutbaren Heilbehandlung verweigert werde.

7        Überdies habe das Verwaltungsgericht übersehen, dass mit dem Vorstellungsbescheid in die Rechtskraft des Bescheides der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg (Abteilung 2) unzulässig eingegriffen worden sei, weil der Revisionswerber in seiner Vorstellung eine Auflage, wie sie der Gesamtausschuss erteilt habe, nicht begehrt habe.

8        Es gebe auch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes über die Zulässigkeit von medizinischen Auflagen; dies unter der Prämisse, dass derartige Auflagen nicht zu einer Beseitigung der Berufsunfähigkeit führen. Der Gutachter habe ausgeführt, dass eine Verbesserung des Krankheitsbildes nicht (mehr) zu erwarten sei. Das angefochtene Erkenntnis sei daher „aktenwidrig“, weil es auf diese Ergebnisse des Gutachtens nicht Bedacht nehme.

9        Der Gesamtausschuss der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer erstattete zu dieser Revision eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10       Die Revision ist, wie im Folgenden näher dargestellt wird, zulässig und begründet.

11       Soweit die Revision geltend macht, die gegenständlichen Auflagen seien in der Satzung Teil A 2018 nicht vorgesehen und deshalb unzulässig, kann ihr nicht zugestimmt werden. Nach § 32 Abs. 4 der Satzung Teil A 2018 haben sich Bezieher von dauerhaft zuerkannten Berufsunfähigkeitsrenten bis zum Erreichen des für die vorzeitige Altersrente maßgeblichen Alters den von der zur Entscheidung über den Leistungsanspruch zuständigen Rechtsanwaltskammer angeordneten Kontrolluntersuchungen zu unterziehen. Damit wird implizit zum Ausdruck gebracht, dass die zuständige Rechtsanwaltskammer derartige Kontrolluntersuchungen anordnen kann. In welcher Form diese Anordnung zu erfolgen hat, wird in der Satzung nicht ausdrücklich geregelt. Dass die Anordnung auch in Form einer Auflage im Leistungsbescheid erfolgen darf, ist vor diesem Hintergrund nicht als fehlerhaft zu erkennen.

12       Auch das Revisionsvorbringen, der Gesamtausschuss der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg habe mit dem Vorstellungsbescheid in die (Teil-)Rechtskraft des vorangegangenen Bescheides der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg (Abteilung 2) eingegriffen, ist nicht von Erfolg beschieden.

13       Bei der in § 26 Abs. 5 RAO normierten Vorstellung handelt es sich um kein aufsteigendes Rechtsmittel. Sie dient vielmehr dazu, auf der Grundlage des unter Wahrung des Parteiengehörs ermittelten Sachverhalts bescheidmäßig neu zu entscheiden. Dabei ist im Vorstellungsbescheid grundsätzlich auszusprechen, ob die Entscheidung der Abteilung aufrecht bleibt oder ob sie behoben (beseitigt) oder abgeändert wird. Prozessgegenstand des Verfahrens über die Vorstellung ist somit der Bescheid, gegen den Vorstellung erhoben worden ist; dieser ist in jeder Richtung auf seine Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen (vgl. VwGH 27.1.2016, Ro 2015/03/0044). Dem Gesamtausschuss war es daher fallbezogen nicht verwehrt, die von der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg (Abteilung 2) im Bescheid vom 6. Mai 2020 formulierte Auflage neu zu fassen, und zwar auch dann, wenn der Revisionswerber mit seiner Vorstellung, wie er geltend macht, eine derartige Auflage nicht angestrebt hatte.

14       Zulässig und berechtigt ist die Revision insoweit, als sie sich gegen den Inhalt der gegenständlichen Auflage wendet und dabei - wenn auch unter der unrichtigen rechtlichen Bezeichnung der „Aktenwidrigkeit“ - geltend macht, dass die gegenständliche Auflage in den eingeholten medizinischen Gutachten keine Deckung findet.

15       Vorauszuschicken ist in diesem Zusammenhang, dass die in § 32 Abs. 4 der Satzung Teil A 2018 vorgesehene Kontrolluntersuchung ihrem Sinn und Zweck nach erkennbar dazu dient, allfällige gesundheitliche Veränderungen, die für den Leistungsbezug von Bedeutung sein können, zu ermitteln. Dementsprechend sind auch die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer Auflage, mit der solche Kontrolluntersuchungen angeordnet werden, und damit auch die Rechtmäßigkeit der Auflage vor dieser normativen Zielsetzung zu beurteilen.

16       Das Verwaltungsgericht möchte die Auflage an den Revisionswerber, sich monatlich Kontrolluntersuchungen zu unterziehen und darüber halbjährlich Nachweise an die Rechtsanwaltskammer Vorarlberg zu liefern, aus den medizinischen Gutachten vom 4. November 2019 und vom 12. Oktober 2020 ableiten. Dem kann nicht gefolgt werden:

17       In seinem Gutachten vom 4. November 2019 führte der medizinische Sachverständige aus, dass aufgrund des bisherigen Verlaufs der depressiven Erkrankung des Revisionswerbers „eine Genesung aus heutiger Sicht nicht mehr abzusehen“ sei. Es könne festgestellt werden, dass die derzeit laufende medikamentöse Behandlung und psychiatrisch-psychotherapeutische Betreuung unter der gegebenen Entlastung durch die Berufsunfähigkeit zu einer Stabilisierung geführt habe, wenngleich auf einem niedrigen Niveau. Es sei aber nicht zu erwarten, dass eine weitere medikamentöse Umstellung bzw. Erhöhung der Dosierung eine Verbesserung ergeben würde.

18       In einer Gutachtensergänzung vom 12. Oktober 2020 beantwortete der Sachverständige die Frage, wie oft und in welchem Rhythmus der Revisionswerber Behandlungen von Fachärzten für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin in Anspruch nehmen sollte, dahingehend, dass er in regelmäßigen Abständen einmal monatlich Kontrolltermine bei seinem Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin wahrnehmen sollte. Dass dadurch eine Verbesserung des Gesundheitszustandes des Revisionswerbers (in Richtung der Beseitigung der Berufsunfähigkeit) zu erzielen wäre, lässt sich dem Gutachten aber nicht entnehmen. Im Gegenteil: auf die weitere Frage, welche Rehabilitationsmaßnahmen zur Behandlung notwendig seien, um eine Verbesserung des Zustandes zu erreichen, meinte der Gutachter, aufgrund des bisherigen Verlaufes sei davon auszugehen, dass es sich bei dem Krankheitsbild des Revisionswerbers um eine mittlerweile chronifizierte psychische Erkrankung handle, die, wie er bereits im Gutachten von November 2019 beschrieben habe, durch Entlastung und regelmäßige fachärztliche Behandlung, wenngleich auf niedrigem Niveau, stabilisiert werden könne. Eine anhaltende Besserung, sodass eine Stärkung der Belastbarkeit und damit eine Wiederherstellung der Berufsfähigkeit des Revisionswerbers erreicht werden könne, sei aber aus heutiger Sicht durch keine andere Maßnahme (wie z.B. psychische Rehabilitation, Psychotherapie oder auch stationäre psychiatrische Behandlung) zu erreichen.

19       Der medizinische Gutachter erachtete es somit für medizinisch zweckmäßig, wenn der Revisionswerber zur Stabilisierung des erreichten Gesundheitszustandes monatlich einen Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin kontaktiert. Eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes dahingehend, dass er die Berufsfähigkeit wiedererlangen könnte, wäre dadurch aber nicht zu erwarten.

20       Die medizinischen Gutachten bieten deshalb keine Grundlage dafür, den Revisionswerber dazu zu verpflichten, in kurzen zeitlichen Abständen Kontrolluntersuchungen vorzunehmen, um eine allfällige Änderung seines Gesundheitszustandes, die für den Leistungsbezug relevant sein kann (und nur auf eine solche käme es im gegebenen Zusammenhang an), zu überprüfen.

21       Dass der Gutachter, wie das Verwaltungsgericht argumentiert, die Besserung des Gesundheitszustandes nicht vollkommen ausgeschlossen hat, mag zutreffen, zumal der Gutachter seine Beurteilung nur „aus heutiger Sicht“ vorgenommen hat. Allerdings boten die Gutachten keinen Anhaltspunkt für die spekulative Annahme des Verwaltungsgerichts, Kontrolluntersuchungen in der angeordneten zeitlichen Dichte könnten erforderlich und zweckmäßig sein, um allfällige vom Gutachter noch nicht abschätzbare Veränderungen zu beobachten.

22       Ausgehend davon war die Vorschreibung eine Auflage, sich monatlichen Kontrolluntersuchungen zu unterziehen und darüber der Rechtsanwaltskammer Vorarlberg halbjährlich Nachweise vorzulegen, auf der Grundlage der Beweisergebnisse nicht rechtmäßig.

Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Dezember 2021

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021030119.L00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten