TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/15 Ra 2020/15/0037

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §188
BAO §209a Abs2
BAO §209a Abs4
BAO §295 Abs1
BAO §302 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der H GmbH in H, vertreten durch die TPA Steuerberatung GmbH in 1100 Wien, Wiedner Gürtel 13, Turm 24, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 3. Jänner 2020, Zl. RS/5100016/2019, betreffend Körperschaftsteuer 2010, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit dem am 14. Juni 2011 ergangenen Körperschaftsteuerbescheid 2010 wurde - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - die Körperschaftsteuer der revisionswerbenden GmbH festgesetzt und dabei eine steuerliche Tangente der HH GmbH & atypisch Still in Höhe von Null berücksichtigt, woraus sich Einkünfte aus Gewerbebetrieb und ein Einkommen der revisionswerbenden GmbH für das Jahr 2010 in Höhe von Null ergaben.

2        Auf Grund des am 7. Juli 2011 nachfolgend ergangenen Feststellungsbescheides der HH GmbH & atypisch Still entfiel auf die revisionswerbende GmbH jedoch eine negative Tangente in Höhe von - 548.025,81 €. Eine Folgeänderung gemäß § 295 BAO hinsichtlich des Körperschaftsteuerbescheids 2010 der revisionswerbenden GmbH erging jedoch nicht.

3        Mit Eingabe vom 2. Juli 2019 erhob die revisionswerbende GmbH schließlich Säumnisbeschwerde gemäß § 284 Abs. 1 BAO betreffend den Körperschaftsteuerbescheid 2010 an das BFG.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BFG die Beschwerde ab. Begründend führte es aus, das Säumnisbeschwerderecht nach § 284 Abs. 1 erster Fall BAO (Anbringen) umfasse auch Parteianbringen auf Durchführung einer nicht im Ermessen stehenden Bescheidanpassung nach § 295 Abs. 1 BAO. Solche Bescheidanpassungen seien jedoch gemäß § 302 Abs. 1 BAO nur bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig. Der Körperschaftsteuerbescheid 2010 sei am 14. Juni 2011 ergangen, womit die Festsetzungsverjährung (§§ 207 ff BAO) mit Ablauf des Jahres 2016 eingetreten sei.

5        Der Feststellungsbescheid der HH GmbH & atypisch still sei am 7. Juli 2011 ergangen. Dadurch sei die als Anbringen zu wertende Feststellungserklärung erledigt worden. Gemäß § 209a BAO stehe zwar der Eintritt der Verjährung der Abgabenfestsetzung unter bestimmten Umständen nicht entgegen. Dies habe gemäß § 209a Abs. 2 BAO jedoch zur Voraussetzung, dass ein Antrag auf Änderung nach § 295 Abs. 1 BAO vor Eintritt der Verjährung beim Finanzamt eingebracht worden sei. Eine derartige Antragstellung liege jedoch nicht vor. Erst mit Beschwerde vom 2. Juli 2019 sei die Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß § 284 Abs. 1 BAO beim BFG geltend gemacht worden.

6        Eine unerledigte Abgabenerklärung, die - sofern sie zu einer Gutschrift führen würde - gemäß § 209a Abs. 4 BAO als Antrag im Sinn des Abs. 2 anzusehen wäre, liege ebenfalls nicht vor, und zwar weder die Körperschaftsteuer 2010 noch das Feststellungsverfahren 2010 betreffend, weshalb weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Abhängigkeit der Abgabenfestsetzung von einem noch zu erledigenden, vor Eintritt der Verjährung eingebrachten Antrag in Form einer Abgabenerklärung unterstellt werden könne.

7        Bei Änderungsbescheiden gemäß § 295 Abs. 1 BAO handle es sich um von Amts wegen zu erlassende Bescheide. Daher könne Säumnisbeschwerde nach § 284 Abs. 1 zweiter Fall BAO auch dann erhoben werden, wenn solche Maßnahmen nicht innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt der Verpflichtung zur Bescheiderlassung durchgeführt würden. Die gegenständliche Säumnisbeschwerde vom 2. Juli 2019 wäre daher, gerechnet von der Erlassung des Feststellungsbescheides am 7. Juli 2011 (Annahme Zustellungsdatum) bereits ab 8. Februar 2012 (= sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft des Feststellungsbescheides mit 8. August 2011 und damit Eintritt der Verpflichtung zur amtswegigen Erlassung des Bescheides nach § 295 Abs. 1 BAO) zulässig gewesen.

8        Amtswegige Bescheidänderungen nach § 295 Abs. 1 BAO seien nach der Regelung des § 302 Abs. 1 BAO nur innerhalb der Verjährungsfrist zulässig. Da die Verjährung betreffend Körperschaftsteuer 2010 mit Ablauf des Jahres 2016 bereits eingetreten sei, sei die mit der Säumnisbeschwerde vom 2. Juli 2019 geltend gemachte Erlassung eines gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Körperschaftsteuerbescheides für das Jahr 2010 wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung mit Ende des Jahres 2016 unzulässig. Eine Verletzung der Entscheidungspflicht liege daher nicht mehr vor.

9        Die Revision ließ das BFG nicht zu, weil „die entscheidungswesentliche Frage, ob eine Änderung gemäß § 295 BAO nach Ablauf der Verjährung zulässig ist, ... auf den eindeutigen Wortlaut[..] des § 302 BAO“ gründe.

10       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Zu deren Zulässigkeit führt die revisionswerbende GmbH insbesondere aus, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung bzw. sei das BFG von dieser abgewichen. Zudem enthalte das angefochtene Erkenntnis wesentliche Begründungsfehler. Aus § 209a Abs. 2 BAO ergebe sich, dass auch Anträge, von denen eine Abgabenfestsetzung mittelbar abhänge, von Relevanz seien. Wenn man aber den mittelbaren Konnex zwischen Abgabenfestsetzung und Feststellungerklärung in Betracht ziehe, dann sei die Abgabenfestsetzung, die durch die Feststellungserklärung beantragt worden sei, nicht mit dem „bloßen“ Erlassen des Feststellungsbescheides, sondern erst dann erledigt, wenn auch die Abgabe entsprechend der Feststellungserklärung festgesetzt worden sei. Inhärenter Zweck der Feststellungserklärung sei im Endergebnis nämlich eine Abgabenfestsetzung. Solange die Einkünfte des abgeleiteten Körperschaftsteuerbescheids 2010 nicht entsprechend dem Feststellungsbescheid festgesetzt worden seien, liege sohin ein unerledigter Antrag im Sinne des 209a Abs. 2 BAO vor.

11       Der Eintritt der Verjährung stehe aufgrund § 209a Abs. 2 Tatbestand 2 BAO auch nach Rechtsprechung und Literatur der Erlassung eines abgeleiteten Abgabenfestsetzungsbescheides nicht entgegen (Hinweis auf Stoll, BAO 2209 sowie VwGH 4.3.1999, 98/16/0253). § 209a Abs. 4 BAO halte ausdrücklich fest, dass auch Abgabenerklärungen (wie im Revisionsfall die Feststellungserklärung) als Pflichteingaben als Anträge im Sinne des § 209 Abs. 2 BAO gälten und daher von § 209a Abs. 2 BAO umfasst seien. Der Normzweck des § 209a Abs. 2 BAO liege darin, die Partei vor Rechtsnachteilen (durch Eintritt der Bemessungsverjährung) zu schützen, die lediglich dadurch entstünden, dass die Abgabenbehörde Anbringen nicht unverzüglich erledige. Die von Finanzamt und BFG vertretene Auffassung führe hingegen dazu, dass die Abgabepflichtigen jeglichen diesbezüglichen Rechtsschutz verlören, wenn das Finanzamt beispielsweise mit der Erledigung des Feststellungsverfahrens so lange zuwarte, bis Verjährung eingetreten sei. Da § 295 BAO zwingend anzuwenden sei, habe es im Revisionsfall auch keines weiteren Antrags der Partei bedurft.

12       Darüber hinaus weiche das angefochtene Erkenntnis auch von der Rechtsprechung des VwGH ab, weil dieser bereits im Erkenntnis vom 4. März 1999, 98/16/0253, die Auffassung vertreten habe, dass § 209a Abs. 2 BAO all jene Fälle erfasse, in denen eine Abgabenfestsetzung von der Erledigung eines „in Abgabenvorschriften vorgesehenen Antrages“ abhängig sei, wenn der Antrag vor Verjährung des anknüpfenden Abgabenanspruches eingebracht worden sei. Würden Feststellungserklärungen vor Ablauf der für die abgeleiteten Abgaben maßgebenden Verjährungsfrist abgegeben, der davon berührte (auf den vorgeschalteten Feststellungsbescheid aufbauende) Abgabenbescheid aber erst nach Ablauf der Verjährung erlassen, bleibe daher auch diese Festsetzung nach § 209a Abs. 2 BAO zulässig.

13       Schließlich fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob mit dem Einbringen einer Säumnisbeschwerde die Verjährungsfrist gehemmt werden könne. Das BFG vertrete die Ansicht, dass die Revisionswerberin bis zum Jahr 2016 Säumnisbeschwerde hätte erheben müssen, um den (vom BFG behaupteten) Eintritt der Verjährung für die Körperschaftsteuer 2010 zu verhindern. Dies sei unrichtig. Die Säumnisbeschwerde diene nicht dazu, Rechte zu wahren und den Eintritt von Verjährung zu verhindern, sondern dazu, Verfahren zu beschleunigen. Schon gar nicht bestehe eine Verpflichtung der Steuerpflichtigen, eine Säumnisbeschwerde zu stellen, um Rechte zu wahren oder Verjährung zu verhindern. Das BFG vertrete demgegenüber die Rechtsansicht, dass die Revisionswerberin aktiv hätte werden müssen, um den (vom BFG behaupteten) Eintritt der Verjährung des auf Grund eines Fehlers nicht rechtsrichtigen Körperschaftsteuerbescheids 2010 zu verhindern. Dies sei weder im Gesetz vorgesehen noch habe dies der VwGH in seiner Rechtsprechung jemals festgestellt. Zu dieser Rechtsfrage fehle sohin höchstgerichtliche Rechtsprechung.

14       Das Finanzamt hat nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung erstattet.

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

16       Die Revision ist im Hinblick auf die dargelegten Auslegungsfragen zu § 209a BAO zulässig; sie ist auch begründet.

17       Gemäß § 295 Abs. 1 BAO ist ein Bescheid, der von einem Feststellungsbescheid abzuleiten ist, ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, im Fall der nachträglichen Änderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen.

18       Ist der abgeleitete Bescheid, wie im Revisionsfall, ein Abgabenbescheid, so ist seine Änderung § 302 Abs. 1 BAO zufolge - sofern nicht der Ausnahmefall des § 209a Abs. 2 BAO vorliegt - nur bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig.

19       Gemäß § 209a Abs. 2 BAO steht der Abgabenfestsetzung der Eintritt der Verjährung u.a. dann nicht entgegen, wenn die Abgabenfestsetzung unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer vor dem Eintritt der Verjährung eingebrachten Beschwerde oder eines in Abgabenvorschriften vorgesehenen Antrages (§ 85) abhängt. Eine Abhängigkeit im Sinne dieser Vorschrift liegt etwa dann vor, wenn ein Abgabenbescheid von einem mit einem Rechtsmittel bekämpften Feststellungsbescheid gemäß § 188 BAO abzuleiten ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, werden Fälle, in denen ein Rechtsmittel gegen den Feststellungsbescheid anhängig ist, durch § 209a Abs. 2 BAO den Fällen, in denen die Abgabenfestsetzung selbst Gegenstand eines anhängigen Rechtsmittelverfahrens ist, gleichgestellt (vgl. VwGH 22.2.2017, Ra 2016/13/0027, mwN).

20       Gemäß dem durch das AbgÄG 2011, BGBl I 2011/76, aufgenommenen § 209a Abs. 4 BAO gelten „Abgabenerklärungen ... als Anträge im Sinn des Abs. 2, wenn die nach Eintritt der Verjährung vorzunehmende Abgabenfestsetzung zu einer Gutschrift führen würde“.

21       In den Erläuterungen der Regierungsvorlage betreffend das AbgÄG 2011 wird zu dieser Bestimmung ausgeführt (1212 BlgNR 24. GP 30):

„Die Ergänzung des § 209a BAO stellt sicher, dass auch lang andauernde Verletzungen der Entscheidungspflicht über Abgabenerklärungen für den Abgabepflichtigen nicht zum Verlust des Rechtsanspruches auf bescheidmäßige Erledigung führen. Dies betrifft beispielsweise Feststellungserklärungen (§ 43 EStG 1988), wenn sich erst nach Eintritt der Bemessungsverjährung abgeleiteter Abgaben (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer) etwa im Berufungsverfahren herausstellt, dass an Stelle eines Feststellungsbescheides (§ 188 BAO) ein ,Nichtbescheid‘ erlassen würde.“

22       Auch im Revisionsfall liegt eine solche „lang andauernde Verletzung der Entscheidungspflicht über Abgabenerklärungen“ vor. Zwar hat das Finanzamt auf die eingereichte Feststellungserklärung hin einen Feststellungsbescheid gegenüber der HH GmbH & atypisch Still erlassen. Die mit einem solchen Feststellungsverfahren gleichsam verbundene Pflicht zur amtswegigen Anpassung der abgeleiteten Abgabenfestsetzungen über § 295 BAO hat es aber gegenüber der Revisionswerberin nicht wahrgenommen. Eine gesonderte formale Antragsstellung der Revisionswerberin zur Durchsetzung einer solchen Anpassung ist in der BAO auch nicht vorgesehen, weshalb damit bereits die Umsetzung der Feststellungserklärung gegenüber der Revisionswerberin durch das Finanzamt unerledigt blieb.

23       Hängt sohin - wie die Revision zutreffend ausführt - eine Abgabenfestsetzung (hier: die Festsetzung der Körperschaftsteuer 2010 der Revisionswerberin) mittelbar von der Erledigung eines in Abgabenvorschriften vorgesehenen Antrages (hier: des Feststellungsantrags der HH GmbH & atypisch Still) ab, so steht der Abgabenfestsetzung der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn der Antrag (also im Revisionsfall: die Feststellungserklärung der HH GmbH & atypisch Still) vor diesem Zeitpunkt eingebracht wird und die Abgabenfestsetzung zu einer Gutschrift führen würde.

24       Der vorliegenden Säumnisbeschwerde gemäß § 284 Abs. 1 BAO zur Durchsetzung der Verpflichtung zur amtswegigen Erlassung abgeleiteter Bescheide gemäß § 295 Abs. 1 BAO konnte somit nicht der Ablauf der Bemessungsverjährung entgegengehalten werden.

25       Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

26       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. Dezember 2021

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150037.L00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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