TE Vfgh Beschluss 2021/10/6 V40/2021 ua

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Veröffentlicht am 06.10.2021
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82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z3
COVID-19-MaßnahmenV - Schigebiete des Landeshauptmannes von Tirol LGBl 4/2021

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung der Novellierungsanordnung einer COVID-19-Maßnahmenverordnung

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Anträge

Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B-VG begehren die antragstellenden Parteien, der Verfassungsgerichtshof möge

"[d]ie Verordnungen des Landeshauptmanns für Tirol vom 14.1.2021, mit der die Verordnung über zusätzliche Maßnahmen Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 in Schigebieten in Tirol (in der Fassung der Kundmachung im Landesgesetzblatt für Tirol, LGBl Nr 142/2020 vom 22. Dezember 2020) geändert wird, zur Gänze,

in eventu den ArtI der genannten Verordnung,

in eventu die Wortfolgen '§2 hat zu lauten:

'§2

Diese Forderung tritt mit 24. Dezember 2020 in Kraft.'

in eventu die Wortfolgen 'Artikel II

Diese Verordnung tritt mit 17. Jänner 2021 in Kraft'"

als verfassungs- und gesetzwidrig aufheben, in eventu feststellen, dass die außer Kraft getretenen Bestimmungen rechtswidrig waren.

II. Rechtslage

Die Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 14. Jänner 2021, mit der die Verordnung über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 in Schigebieten in Tirol geändert wird, LGBl 4/2021, lautete:

"Aufgrund des §3 Abs1 Z1 in Verbindung mit §7 Abs2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, zuletzt geändert durch das Gesetz BGBl I Nr 138/2020, wird verordnet:

Artikel I

Die Verordnung des Landeshauptmannes über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 in Schigebieten in Tirol, LGBl Nr 142/2020, wird wie folgt geändert:

§2 hat zu lauten:

'§2

Diese Verordnung tritt mit 24. Dezember 2020 in Kraft.'

Artikel II

Diese Verordnung tritt mit 17. Jänner 2021 in Kraft."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die antragstellenden Parteien betreiben Schi- bzw Almhütten in Schigebieten in Tirol.

1.1. Zu ihrer Antragslegitimation bringen sie zusammengefasst Folgendes vor:

1.1.1. Die durch die antragstellenden Parteien betriebenen Gastgewerbebetriebe würden insbesondere im Winter über keine allgemein zugänglichen öffentlichen Zufahrtsmöglichkeiten verfügen. Sowohl im Sommer als auch im Winter würden Wanderer regelmäßig die Betriebe besuchen, die dafür keine Aufstiegshilfen benützen. Auch Schitourengeher bzw zum Teil auch Rodler würden in den Wintermonaten diese Almhütten besuchen, wofür diese ebenso keine Aufstiegshilfen benützen oder benötigen.

1.1.2. Mit der angefochtenen Verordnung werde den antragstellenden Parteien die Möglichkeit genommen, den zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes notwendigen Umsatz zu erzielen. Gemäß §1 der auf §3 Abs1 Z1 iVm §7 Abs2 COVID-19-MG gestützten Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 22. Dezember 2020 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 in Schigebieten in Tirol, LGBl 142/2020, sei die Abholung von Speisen und Getränken bei solchen Betriebsstätten des Gastgewerbes in Schigebieten, die durch Gäste nicht mit Kraftfahrzeugen über Straßen erreicht werden können, deren Benutzung durch die Allgemeinheit vom Willen des Grundeigentümers oder Straßenerhalters unabhängig ist, untersagt worden. Dieses Verbot der Abholung von Speisen und Getränken habe die antragstellenden Parteien aktuell und unmittelbar betroffen. Dies insbesondere, weil ihnen untersagt worden sei, dass Kunden die Betriebsstätten zum Erwerb von Speisen und alkoholfreien Getränken (Take Away) zwischen 06.00 und 19.00 Uhr unter Wahrung der sonstigen Vorgaben aufsuchen können.

1.1.3. Diese Verordnung sei jedoch mit Ablauf des 17. Jänner 2021 außer Kraft getreten. Durch die vorliegend bekämpfte am 17. Jänner 2021 in Kraft getretene Verordnung des Landeshauptmannes vom 14. Jänner 2021, mit der die Verordnung über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 in Schigebieten in Tirol geändert wird, LGBl 4/2021, sei dieses konkrete Verbot der Abholung von Speisen und Getränken jedoch über den 17. Jänner 2021 hinaus unbefristet verlängert worden. In Folge werde den antragstellenden Parteien weiterhin, auch über den 17. Jänner 2021 hinaus, untersagt, Speisen und Getränke zur Abholung anzubieten, wodurch sie erhebliche Umsatz- und Gewinneinbußen hätten.

1.1.4. Die Anträge seien zulässig, weil die Verordnung tatsächlich in die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien unmittelbar eingreife, nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt sei und die rechtlich geschützten Interessen der antragstellenden Parteien aktuell beeinträchtigt seien sowie kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des zumindest behaupteterweise rechtswidrigen Eingriffs zur Verfügung stehe.

1.2. In der Sache sehen sich die antragstellenden Parteien durch die angefochtenen Bestimmungen in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art7 B-VG, Art2 StGG, Art20 und Art21 GRC) auf Freiheit der Erwerbsbetätigung (Art6 StGG, Art15 GRC) bzw der unternehmerischen Freiheit (Art16 GRC) sowie auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK, Art17 GRC) verletzt. Überdies verstoße die Verordnung in Überdehnung der Ermächtigungsgrundlage sowohl gegen §3 Abs1 iVm §7 Abs2 COVID-19-MG als auch gegen das Legalitätsprinzip des Art18 Abs2 B-VG.

2. Der Landeshauptmann von Tirol erstattete eine Äußerung, in der er die Zurückweisung der Anträge, in eventu deren Abweisung begehrt.

2.1. Der Landeshauptmann von Tirol verneint die Zulässigkeit der Anträge mit der Begründung, dass es an der unmittelbaren Betroffenheit fehle.

2.1.1. Die vorliegenden Anträge würden sich, ungeachtet ihrer sprachlich fehlerhaften Formulierung eindeutig gegen die Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol, mit der die Verordnung über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 in Schigebieten in Tirol geändert wird, LGBl 4/2021, und zwar zur Gänze bzw eventualiter gegen näher bezeichnete Teile, richten.

2.1.2. Der einzige Inhalt dieser Verordnungsnovelle sei aber die Verlängerung der Geltungsdauer der geänderten Verordnung. Bei den angefochtenen Bestimmungen handle es sich daher lediglich um Novellierungsanordnungen, die selbst nicht in die Rechtssphäre eines Normadressaten eingreifen und aus denen sich daher die vorgebrachten Beeinträchtigungen der antragstellenden Parteien nicht ergeben könnten.

2.1.3. Selbst wenn man die Anträge als Begehren auf Aufhebung der Verordnung LGBl 142/2020 in der Fassung der Novelle LGBl 4/2021 deuten würde, wären diese nicht zulässig. So sei die behauptete aktuelle Beeinträchtigung – nämlich das konkrete Verbot der Abholung von Speisen und Getränken – bereits Gegenstand der Verordnungsprüfungsverfahren V7/2021 bis V14/2021. Die Rechtmäßigkeit der maßgeblichen Bestimmungen werde daher bereits vom Verfassungsgerichtshof geprüft. Dies beinhalte auch die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung LGBl 142/2020 durch die Verordnung LGBl 4/2021. Neuerliche Individualanträge derselben antragstellenden Parteien bei identer Norm und identen Bedenken wären daher mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig zurückzuweisen.

2.2. Auch in der Sache tritt der Landeshauptmann von Tirol den Anträgen entgegen.

3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

IV. Zulässigkeit

1. Die – in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen – Anträge sind nicht zulässig.

2. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 8594/1979, 15.527/1999, 16.425/2002 und 16.426/2002).

3. Die Anträge richten sich ihrem Wortlaut nach eindeutig gegen die Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol, mit der die Verordnung über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 in Schigebieten in Tirol geändert wird, LGBl 4/2021. Bei den angefochtenen Bestimmungen handelt es sich aber um Novellierungsanordnungen, aus denen sich die ins Treffen geführten Beeinträchtigungen der antragstellenden Parteien nicht ergeben können. Daher können diese nur durch die Verordnung LGBl 142/2020 in der Fassung der Novelle aktuell betroffen sein, nicht aber durch die Novellierungsanordnung. Folglich ist auch nur die Verordnung des Landeshauptmannes über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 in Schigebieten in Tirol in der Fassung der angefochtenen Novelle mittels Individualantrag angreifbar, nicht aber die bloße Novellierungsanordnung (vgl VfSlg 17.363/2004, 18.285/2007, 18.878/2009, 19.141/2010; VfGH 3.3.2019, V89/2019 ua).

4. Die Anträge erweisen sich daher schon aus diesem Grund als unzulässig.

V. Ergebnis

1. Die Anträge sind zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Formerfordernisse, COVID (Corona), Novellierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:V40.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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