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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung der COVID-19-Maßnahmenverordnung betreffend Betretungsverbote von Gastgewerbebetrieben für bestimmte Gruppengrößen und die Pflicht zur Konsumation im Sitzen mangels ausreichender Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen sowie mangels Nachvollziehbarkeit der Anhörung der Corona-Kommission im Verfahren zur VerordnungserlassungRechtssatz
Feststellung, dass §6 Abs1a, 1b und 3a der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) betreffend Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen werden (COVID-19-Maßnahmenverordnung - COVID-19-MV) idF BGBl II 455/2020 gesetzwidrig war. Gemäß §6 Abs1a und 1b COVID-19-MV idF BGBl II 455/2020 durfte der Betreiber einer Betriebsstätte des Gastgewerbes Besuchergruppen nur einlassen, wenn diese aus sechs Personen (in geschlossenen Räumen der Betriebsstätte) bzw maximal zwölf Personen (im Freien) oder ausschließlich aus Personen bestehen, die im gemeinsamen Haushalt leben. §6 Abs3a der Verordnung ordnete an, dass Speisen und Getränke nur im Sitzen an Verabreichungsplätzen konsumiert werden dürfen. Der Antragsteller hat mit seinem Vorbringen, er sei Inhaber, Geschäftsführer und gemäß §9 VStG Verantwortlicher eines Gasthauses samt Gastgarten, hinreichend dargelegt, dass er durch die in §6 Abs1a, 1b und 3a COVID-19-MV normierten Beschränkungen betreffend das zulässige Betreten von Betriebsstätten des Gastgewerbes unmittelbar in seiner Rechtssphäre betroffen ist. Der Umstand, dass die COVID-19-MV mit 03.11.2020 außer Kraft getreten ist, schadet in der vorliegenden Konstellation mit Blick auf die mit VfSlg 20399/2020 beginnende Rsp nicht. Im Hinblick auf die - an die Inhaber von Betriebsstätten gerichtete - Verwaltungsstrafdrohung in §8 Abs4 COVID-19-MG steht dem Antragsteller auch kein anderer zumutbarer Weg offen, die behauptete Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen an den VfGH heranzutragen.
Unzulässigkeit des Individualantrags auf Aufhebung des §6 Abs2a COVID-19-MV idF BGBl II 455/2020 sowie der angefochtenen Wortfolge in §10 Abs3 COVID-19-MV idF BGBl II 455/2020: §6 Abs2a COVID-19-MV richtet sich an die Konsumenten alkoholischer Getränke und ordnet keine weiteren Verpflichtungen für Betreiber von Betriebsstätten des Gastgewerbes an. Damit wird auch nicht deren Verhalten innerhalb des eigenen Betriebes geregelt. Da der Antragsteller daher in seiner Funktion als Geschäftsführer und verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlicher einer Betriebsstätte des Gastgewerbes nicht Normadressat des angefochtenen §6 Abs2a COVID-19-MV ist und auch nicht ersichtlich ist, dass diese Regelung in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreift. In Bezug auf §10 Abs3 COVID-19-MV begründet der Antragsteller seine unmittelbare Betroffenheit damit, dass er "bisweilen selbst (etwa als Privatperson und Vereinsobmann) als verantwortlicher Veranstalter fungiert" und er "bei der entgeltlichen Bewirtung von Zusammenkünften bzw Veranstaltungen mit Speisen und Getränken (§111 Abs1 Z2 GewO) jedenfalls auch selbst die Norm des §10 Abs3 COVID-19-MV bei sonstiger Strafbarkeit zu beachten hat". Mit diesem Vorbringen vermag der Antragsteller nicht darzutun, inwiefern er im Antragszeitpunkt konkret beabsichtigt hat, eine bzw mehrere Veranstaltungen mit ausschließlich zugewiesenen und gekennzeichneten Sitzplätzen iSd §10 Abs1 iVm Abs3 COVID-19-MV in seinem Gastgewerbebetrieb durchzuführen.
Im Verordnungsakt zu BGBl II 455/2020 ist entgegen §10 COVID-19-MG nicht dokumentiert, dass vor Erlassung der Verordnung, und somit vor Anordnung der angefochtenen Maßnahmen gemäß §6 Abs1a, 1b und 3a COVID-19-MV, die Corona-Kommission gehört wurde oder dass diese auf Grund von Gefahr im Verzug nicht gehört werden konnte. Die Verordnung wurde daher nicht in einem dem §10 COVID-19-MG entsprechenden Verfahren erlassen. Im Übrigen ist aus dem vorgelegten Verordnungsakt nicht ersichtlich, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände, insbesondere auf Grundlage welcher zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung BGBl II 455/2020 vorgelegenen epidemiologischen Situation, die angefochtene Verordnungsentscheidung fußt.
Der BMSGPK hat damit im Verordnungsakt nicht dargelegt, dass er die angefochtenen Maßnahmen im Einklang mit den im COVID-19-MG normierten Verfahrensregelungen erlassen sowie die im Gesetz vorgegebenen Kriterien für die Bewertung der epidemiologischen Situation angewendet hat. §6 Abs1a, 1b und 3a COVID-19-MV, BGBl II 197/2020, idF BGBl II 455/2020 verstößt somit gegen §3 und §10 COVID-19-MG.
Schlagworte
COVID (Corona), Bindung (des Verordnungsgebers), Verordnungserlassung, Legalitätsprinzip, Determinierungsgebot, VfGH / Individualantrag, GrundlagenforschungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:V560.2020Zuletzt aktualisiert am
14.01.2022