TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/9 94/03/0102

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Veröffentlicht am 09.10.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §16 Abs1 litc;
StVO 1960 §16 Abs2 litb;
VStG §22 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des V in H, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 17. Jänner 1994, Zl. 15/75-9/1993, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 8. März 1993 wurde der Beschwerdeführer - soweit hier noch relevant - schuldig erkannt, er habe am 7. August 1992 gegen

13.25 Uhr, als Lenker eines nach dem Kennzeichen bestimmten PKWs auf der Ötztalstraße B 186, im Bereich des sogenannten "Tumpener Gstoag", von km 7,8 bis km 8,0 taleinwärts fahrend, auf der dortigen unübersichtlichen Straßenstelle (Kurvenbereich) mehrere mehrspurige Kraftfahrzeuge überholt, obwohl das Überholen bei ungenügender Sicht und auf unübersichtlichen Straßenstellen, z.B. vor und in unübersichtlichen Kurven und vor Fahrbahnkuppen verboten ist (Spruchpunkt 3), und den unter Spruchpunkt 3 angeführten Überholvorgang durchgeführt, obwohl er nicht einwandfrei habe erkennen können, daß er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang wieder in den Verkehr einordnen könne, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern. Er habe hiedurch die Bestimmungen des § 16 Abs. 2 lit. b StVO 1960 (Spruchpunkt 3) und des § 16 Abs. 1 lit. c leg. cit. (Spruchpunkt 4) verletzt, weshalb über ihn "gemäß § " Geldstrafen von je S 1.000,-- (und Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt wurden.

Mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 17. Jänner 1994 wurde die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, "als die Strafe gemäß § 99 Abs. 3 lit. a VStG verhängt" werde.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 16 Abs. 1 lit. c StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen, wenn er nicht einwandfrei erkennen kann, daß er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern. Nach § 16 Abs. 2 lit. b leg. cit. darf außer den im Absatz 1 angeführten Fällen der Lenker eines Fahrzeuges nicht bei ungenügender Sicht und auf unübersichtlichen Straßenstellen, z.B. vor und in unübersichtlichen Kurven und vor Fahrbahnkuppen überholen; es darf jedoch überholt werden, wenn die Fahrbahn durch eine Sperrlinie geteilt ist und diese Linie vom überholenden Fahrzeug nicht überragt wird. Die beiden genannten Strafdrohungen der Straßenverkehrsordnung 1960 schließen einander nicht aus; werden beide Tatbestände erfüllt, sind zwei Strafen nebeneinander zu verhängen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 1971, ZVR 1971/245).

Die belangte Behörde ging zur Begründung des angefochtenen Bescheides von den Aussagen der Meldungsleger aus, erachtete diese als glaubwürdig und sah den Sachverhalt im übrigen auch aufgrund des schlüssigen Sachverständigengutachtens als erwiesen an. Den Angaben der Ehefrau des Beschwerdeführers folgt die belangte Behörde "aufgrund ihres Naheverhältnisses" zum Beschwerdeführer nicht.

Der Beschwerdeführer wendet demgegenüber u.a. ein, daß er im "Tumpener Gstoag" kein Überholmanöver durchgeführt habe, abgesehen davon, daß die belangte Behörde nicht konkretisiert habe, in welchem Bereich des "Tumpener Gstoag" der Überholvorgang stattgefunden habe. Eine konkrete Feststellung, daß er in diesem Bereich ein Überholmanöver durchgeführt habe, lasse sich der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht entnehmen, die Aussagen der Meldungsleger seien diesbezüglich unbestimmt und widersprüchlich gewesen, sodaß eine konkrete Tatortbestimmung aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse nicht möglich sei.

Schon damit ist er im Recht:

Der Beschwerdeführer bekämpft im wesentlichen die Beweiswürdigung der belangten Behörde, wobei an der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu seiner diesbezüglichen Kontrollbefugnis, die sich demnach nur auf die Vollständigkeit des ermittelten Sachverhaltes und die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung zu erstrecken hat, festzuhalten ist (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1990, Zl. 89/02/0195).

Bei Beachtung dieser Kriterien hält der angefochtene Bescheid einer Überprüfung auf seine Rechtmäßigkeit nicht stand: Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß das Gutachten des Amtssachverständigen zur Frage eingeholt wurde "ob die Ötztaler Bundesstraße B 186 im Bereich des sogenannten "Tumpener Gstoag" von km 7,8 bis km 8,0 taleinwärts einen unübersichtlichen Kurvenbereich aufweist, wenn davon ausgegangen wird, daß der überholte Verkehr eine Geschwindigkeit von ca. 50 bis 60 km/h einhielt und das gegenständliche Überholmanöver nach der Linkskurve gesetzt wurde, wobei sich in diesem Bereich eine kurze Gerade befindet". Der Sachverständige beantwortet diese Frage zusammenfassend damit, daß es sich auf der Ötztaler Bundesstraße B 186 im Bereich von km 7,8 bis km 8,0 um einen unübersichtlichen Kurvenbereich handle, und schließt - berücksichtigt man seine ergänzenten Ausführungen in der Verhandlung vor der belangten Behörde am 30. September 1993 - generell eine Überholmöglichkeit, je nachdem um welchen Bereich es sich bei dieser Strecke handelt, nicht aus.

Der belangten Behörde kann jedoch nicht gefolgt werden, wenn sie die Ausführungen dieses Gutachtens ihrer Entscheidung zugrunde legte, weil schon die Angaben, von denen der Sachverständige nach dem ihm erteilten Auftrag auszugehen hatte, nicht einwandfrei aus den Beweisergebnissen abzuleiten sind. Die belangte Behörde läßt nämlich unberücksichtigt, daß die Beamten bei der Vernehmung vor der belangten Behörde die Tatörtlichkeit nicht eindeutig eingrenzen, eingehaltene Fahrgeschwindigkeiten nicht präzisieren, und auch nicht angeben konnten, wieviel Fahrzeuge der Beschwerdeführer überholt habe. Auch die Anzeige, auf die der eine der beiden Beamten verwies, gibt über die Tatörtlichkeit keinen einwandfreien Aufschluß. Der zweite Beamte sagte aus, daß er aufgrund des inzwischen verstrichenen Zeitraumes zu diesem Vorfall nichts mehr genaues angeben könne, es sei eine "Kurvenkombination vor Umhausen" gewesen, er könne in diesem Bereich weder zum Beginn des Überholmanövers noch zur Geschwindigkeit des Beschwerdeführers konkrete Angaben machen. Auch zur Kilometrierung wisse er nichts. Der Grund für die Anhaltung des Beschwerdeführers sei eine vermeintliche Geschwindigkeitsüberschreitung gewesen (das diesbezüglich eingeleitete Strafverfahren war eingestellt worden).

Auf Basis dieser Aussagen kann nicht nachvollzogen werden, welche Erwägungen die belangte Behörde leiteten, die im Spruch genannte Örtlichkeit als Tatörtlichkeit anzusehen, die Angaben der Ehefrau des Beschwerdeführers mit dem bloßen Hinweis auf ihr Naheverhältnis zum Beschwerdeführer abzutun und im übrigen die Aussage des Beschwerdeführers selbst gänzlich unerwähnt zu lassen. Der Begründung des angefochtenen Bescheides fehlt somit die hinreichende Schlüssigkeit.

Da somit die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994030102.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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