TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/10 95/20/0257

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Veröffentlicht am 10.10.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M in S, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. April 1995, Zl. 4.311.116/7-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 15. Oktober 1990 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. In seinem schriftlichen Asylantrag führte er aus, er sei als Mitglied eines Freundeskreises um den Volkssänger DB im Februar (1990) von der Militärgendarmerie verhaftet und der Bandenbildung beschuldigt worden. Da er Kassetten mit Darbietungen des B verkauft habe, sei er beschuldigt worden, Propaganda für den kurdischen Aufstand zu betreiben. Angesichts der Situation in den kurdischen Regionen der Türkei mache ihn das zur unerwünschten Person, die aufgrund eines Erlasses vom März 1990 in die Verbannung geschickt werden könne. Nach dem Ausbruch der Golfkrise sei in den kurdischen Regionen der Türkei das Kriegsrecht verhängt worden, was der Aufhebung der Menschenrechte für die Kurden gleichkomme.

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 7. Juni 1991 gab der Beschwerdeführer auf Befragen an, er sei von Beruf Kassettenverkäufer und habe keinen Militärdienst geleistet.

Seine Fluchtgründe beschrieb er wie folgt:

"Mein Onkel hat kurdische Kassetten produziert und ich habe diese in der Region verkauft (Region Cihanbeyli). Dabei wurde ich von türkischen Staatsangehörigen angezeigt. Im Feber 1991 (richtig: 1990) wurde ich wegen Verdacht des Separatismus in Haft genommen. Es konnte mir aber nichts nachgewiesen werden, ich wurde wieder freigelassen. Im Einverständnis mit der Familie wurde ich zur Flucht ins Ausland vorbereitet. Es wurden Geldbeträge beschafft, die ich für die Ausreise benötigte. Ich hatte 7.000 DM bekommen, die ich für die Flucht mit DB benötigte. Die Verfolgung erfolgte wegen des Gebrauches und der Verbreitung der kurdischen Sprache."

Mit Bescheid vom 1. August 1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling. Die Bescheidbegründung erwähnte das Datum der mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift, ging auf sein Vorbringen aber nicht ein.

In seiner Berufung vom 20. August 1991 rügte der Beschwerdeführer die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides als mangelhaft und gab an, aufgrund der Verbreitung von Musikkassetten mit der Musik seines Freundes (B) hätten bei ihm öfters Hausdurchsuchungen stattgefunden und er habe sich wöchentlich melden müssen. Da Veröffentlichungen in einer verbotenen Sprache in der Türkei verboten seien, seien die Kassetten "zum Anlaß mehrerer Verhaftungen" geworden. Als "weiteren Fluchtgrund" mache er geltend, er sei zum Militärdienst einberufen worden und wäre in die Osttürkei geschickt worden. Das würde bedeutet haben, daß er als Kurde auf Kurden hätte schießen müssen. Am 12. April 1991 sei in der Türkei ein neues Anti-Terror-Gesetz verabschiedet worden. Im Falle seiner Rückkehr in die Türkei würde der Beschwerdeführer nach diesem Gesetz zum Staatsfeind erklärt und es würde eine mehrjährige Haftstrafe über ihn verhängt werden.

In einem Schriftsatz vom 10. November 1993 brachte der (nun anwaltlich vertretene) Beschwerdeführer vor, bei der Berufungsentscheidung werde "auf die unterdessen eingetretene erhebliche Verschärfung der politischen Situation" hinsichtlich der Verfolgung der kurdischen Volksgruppe in der Türkei Bedacht zu nehmen sein. Der Beschwerdeführer habe sich in Österreich "mit der PKK solidarisiert" und "an diversen Protestkundgebungen teilgenommen". Im Frühjahr 1992 habe er sich in einem Raum der Universität Wien an einem Hungerstreik beteiligt, um gegen Massaker der türkischen Streitkräfte aus Anlaß der Nevroz-Feiern zu protestieren. Vor etwa drei Wochen habe er in Wien an einer kurdischen Demonstration aus Anlaß des Besuches des "türkischen Präsidenten" teilgenommen. Bei einer Rückkehr würde er Gefahr laufen, als Sympathisant der PKK verfolgt zu werden. Es drohe ihm eine Freiheitsstrafe oder die zwangsweise Einziehung zum Militär, wo er zum Einsatz gegen Kurden abkommandiert werden "könnte". Ein Cousin des Beschwerdeführers, der vor etwa drei Monaten nach der Ablehnung seines Asylantrages aus der Schweiz in die Türkei zurückgekehrt sei, sei nach seiner Festnahme an der Grenze und der zwangsweisen Einziehung zur türkischen Armee bei einem Einsatz gegen die PKK ums Leben gekommen. Dem Beschwerdeführer drohe das gleiche Schicksal.

In einem Schriftsatz vom 18. November 1993 erstattete der Beschwerdeführer ein umfangreiches "ergänzendes Anbringen", worin er zunächst auf Umstände VOR seiner Ausreise aus der Türkei Bezug nahm und dazu ausführte, er sei wegen Mißachtung des Verbotes der kurdischen Sprache von der Hauptschule verwiesen worden, habe danach in seinem Heimatdorf mit politischer Arbeit für die Widerstandsbewegung begonnen und sei deshalb 1988 20 Tage lang in Polizeihaft gewesen. 1989 sei er vom Vorsteher seines Heimatdorfes erneut angezeigt worden. Daraufhin sei es zu wiederholten Hausdurchsuchungen im Wohnhaus seiner Eltern gekommen. Der Beschwerdeführer habe sich versteckt gehalten. Im Februar 1990 sei er beim Verkauf von Kassetten mit Widerstandsliedern entdeckt und festgenommen, nach einem Verhör, bei dem man ihn der Bandenbildung beschuldigt habe, aber wieder auf freien Fuß gesetzt worden. "Schließlich" sei er zum Militärdienst einberufen worden, den er im November 1990 anzutreten gehabt hätte. Als Kurde habe er damit rechnen müssen, gegen kurdische Freiheitskämpfer eingesetzt zu werden. "All diese Gründe" hätten ihn zur Flucht bewogen.

In weiteren sechs Textabschnitten dieses Schriftsatzes bezog sich der Beschwerdeführer auf Umstände, die NACH seiner Ausreise eingetreten seien. Er gab an, die Verhältnisse in der Türkei hätten sich noch weiter verschlechtert und es habe schwere Massaker an der kurdischen Zivilbevölkerung gegeben. Besonders grausam sei das Vorgehen der türkischen Militär- und Polizeikräfte während der Nevroz-Feiern der Jahre 1991, 1992 und 1993 gewesen. Der Beschwerdeführer habe seine politische Arbeit in Österreich fortgesetzt, an den schon im Schriftsatz vom 10. November 1993 beschriebenen Ereignissen (Hungerstreik im Frühjahr 1992, Demonstration im Oktober 1993, hier:

anläßlich des Besuches "des" türkischen "Ministerpräsidentin") teilgenommen und bei der Weitergabe von Publikationen in Kurdistan geholfen. Kurden, die aus Mittel- und Westeuropa zwangsweise in die Heimat zurückgebracht würden, würden als potentielle PKK-Terroristen behandelt. Türkische Kurden würden zwangsweise in die türkische Armee eingezogen und für "Himmelfahrtskommandos" im Kampf gegen Kurden eingesetzt. Das sogenannte "Anti-Terror-Gesetz" vom 12. April 1991 stelle die Unterstützung angeblich terroristischer Organisationen, zu denen auch die PKK zähle, und Propaganda für solche Organisationen unter Strafe. Der Beschwerdeführer sei im Fall seiner Rückkehr in die Türkei in Gefahr, als politisch aktives Mitglied seiner Volksgruppe, wegen seiner Tätigkeiten in der kurdischen Widerstandsbewegung, seiner Zusammenarbeit mit der PKK, seiner Flucht nach Österreich und - im Falle der Rückkehr - seiner Abschiebung sowie aufgrund seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, und er müsse aus den erwähnten Gründen mit seiner sofortigen Festnahme, "Gefangenhaltung und Inhaftierung" auf unbestimmte Zeit, Folterung, zwangsweisen Einziehung zum Militär und Abberufung zu "staatsterroristischen Einsätzen" gegen die eigene Volksgruppe rechnen. Wie konkret diese Gefahren seien, zeige sich am Beispiel seines Cousins, dessen Schicksal auch dem Beschwerdeführer drohe. Der Beschwerdeführer weise darauf hin, daß die "jüngste politische Entwicklung in der Türkei" zu aufsehenerregenden Gegenaktionen der Exilkurden in Westeuropa geführt habe, so etwa zu Demonstrationen in Bonn und Frankfurt, an denen mehr als 100.000 Personen teilgenommen hätten, und vor etwa drei Wochen zu Aktionen gegen türkische Einrichtungen, die "in der Presse verfälschend als Anschläge bezeichnet" worden seien. Wegen dieser "jüngsten Entwicklung" werde die türkische Staatsmacht mit besonderer Härte gegen Personen vorgehen, von denen man wisse, daß sie - wie der Beschwerdeführer - besonders aktive Mitglieder des kurdischen Widerstandes seien. Mit diesem Vorbringen beziehe sich der Beschwerdeführer auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, nach der auch "Nachfluchtgründe" beachtlich seien.

Mit Schriftsatz vom 19. November 1993 legte der Beschwerdeführer weiters ein Konvolut Urkunden (Fotokopien aus Publikationen) mit dem Antrag vor, daß auf die darin dokumentierten "politischen Sachverhalte" bei der Entscheidung Bedacht genommen werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Nach einer Darstellung des Verfahrensganges, des Vorbringens des Beschwerdeführers in erster Instanz und im Berufungsverfahren und allgemeinen Rechtsausführungen gelangte sie zu dem Ergebnis, ihrer Entscheidung sei "ausschließlich" das Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens zugrundezulegen, und dieses reiche nicht aus, um daraus die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers abzuleiten. Weiters führte die belangte Behörde aus, dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers sei entgegenzuhalten, daß es unglaubwürdig sei, daß die türkischen Behörden von den Exilaktivitäten des Beschwerdeführers Kenntnis hätten. Somit ergebe sich "insgesamt", daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Dem in der Beschwerde breit dargelegten Standpunkt, schon die Behörde erster Instanz hätte aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers in seinem Asylantrag und bei der niederschriftlichen Befragung am 7. Juni 1991 Anlaß zu weiteren Befragungen des Beschwerdeführers und sonstigen Ermittlungen gehabt, und das in erster Instanz durchgeführte Ermittlungsverfahren sei deshalb mangelhaft geblieben, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht beizutreten. Das gilt im besonderen für den im Berufungsverfahren in den Vordergrund gerückten Umstand, daß sich der Beschwerdeführer durch die Flucht nach Österreich dem Militärdienst in der Türkei, zu dem er für November 1990 einberufen gewesen sei, entzogen habe, für die dafür ins Treffen geführten Gründe und für die Behauptungen über die Nachteile, mit denen der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei deshalb zu rechnen gehabt habe. Wenn der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme auf Befragen angab, keinen Militärdienst geleistet zu haben, zwischen diesem Umstand und seiner Flucht bei der Darstellung der Gründe für letztere aber keinerlei Beziehung herstellte, so gab dies nicht Anlaß zu diesbezüglichen Ermittlungen. Der Beschwerdeführer hat auch im gesamten Berufungsverfahren nicht dargetan, daß und wodurch er daran gehindert worden sei, diesen Fluchtgrund und auch die von ihm befürchteten Sanktionen nach dem Anti-Terror-Gesetz vom 12. April 1991 - soweit sie sich auf das Verhalten des Beschwerdeführers bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides beziehen sollten - im Verfahren vor der Sicherheitsdirektion geltend zu machen. In bezug auf diese nachträglich geltend gemachten, nach den Behauptungen des Beschwerdeführers aber nicht erst nach Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens eingetretenen Fluchtgründe hat die belangte Behörde daher zu Recht auf § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 verwiesen. Die erst in der Beschwerde erhobenen Behauptungen über die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens verstoßen auch gegen das Neuerungsverbot des § 41 VwGG.

Der Beschwerdeführer macht aber weiters geltend, die belangte Behörde habe in bezug auf die in den Berufungsergänzungen von ihm vorgebrachten Nachfluchtgründe gegen § 20 Abs. 2, dritter Fall, Asylgesetz 1991 verstoßen. Diese Kritik ist insoweit, als sich der Beschwerdeführer auf erst nach Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens eingetretene Änderungen der Lage in seinem Heimatland und auf seine exilpolitischen Aktivitäten berufen hatte, berechtigt. Die belangte Behörde hat die Frage, ob einer der Fälle der genannten, im angefochtenen Bescheid ihrem wesentlichen Inhalt nach vollständig wiedergegebenen Bestimmung vorliege, wie folgt beurteilt:

"Ihre anläßlich Ihrer Berufungsergänzung vorgelegten Urkunden beziehen sich jedoch sämtlich nicht auf Ihr erstinstanzliches Vorbringen, sondern ausschließlich auf Ihr über dieses hinausgehendes, gesteigertes Berufungsvorbringen, welches jedoch dem grundsätzlichen Neuerungsverbot des § 20 Abs. 1 leg. cit. unterliegt, sodaß in Ihrem Fall keine der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 leg. cit. für eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens zutrifft, weshalb davon auch Abstand genommen wird. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist somit ausschließlich aufgrund des Ergebnisses des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens festzustellen."

Bloß aus der Annahme, auf die im Berufungsverfahren vorgelegten Urkunden sei nicht Rücksicht zu nehmen, kann noch nicht logisch einwandfrei geschlossen werden, KEINE der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 sei erfüllt. Eine solche Schlußfolgerung hätte vorausgesetzt, daß einerseits das erstinstanzliche Verfahren nicht mangelhaft war (vgl. § 20 Abs. 2, erster Fall, Asylgesetz 1991) und andererseits auch der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegt worden war, sich in der Zwischenzeit nicht geändert hatte (vgl. § 20 Abs. 2, dritter Fall, Asylgesetz 1991). In bezug auf die zweite dieser Voraussetzungen hätte die belangte Behörde im vorliegenden Fall zu berücksichtigen gehabt, daß das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers nicht nur ein "gesteigertes" war, sondern auch die Behauptung erst nach dem Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens eingetretener, zumindest in ihrer Gesamtheit asylrelevanter Tatsachen enthielt. Mit der ausdrücklichen Ausklammerung aller im Berufungsverfahren behaupteten Tatsachen und somit auch derjenigen, die sich auf die Zeit NACH dem 1. August 1991 bezogen, aus dem entscheidungserheblichen Sachverhalt verstieß die belangte Behörde daher, wie die Beschwerde zu Recht geltend macht, gegen § 20 Abs. 2, dritter Fall, Asylgesetz 1991.

Der angefochtene Bescheid enthält jedoch - was nach den eben behandelten Ausführungen nur als Eventualbegründung verständlich ist - im Anschluß an die rechtliche Würdigung der auf der ausschließlichen Grundlage des in erster Instanz erstatteten Vorbringens getroffenen Feststellungen auch eine Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit des Berufungsvorbringens über die exilpolitischen Aktivitäten des Beschwerdeführers. Die belangte Behörde führt dazu aus, es erscheine ihr "äußerst unwahrscheinlich", daß die türkischen Behörden von diesen Tätigkeiten Kenntnis hätten. Bei der großen Anzahl der Exilkurden sei es für die türkischen Behörden nicht möglich, Kenntnis von den Aktivitäten "jedes einzelnen" zu haben. Daß der Beschwerdeführer sich an Veranstaltungen "führend betätigt" habe, habe er "mit keinem Wort dargetan". Seine "lapidare Behauptung", man wisse, daß er ein besonders aktives Mitglied des kurdischen Widerstandes sei, widerspreche daher "der allgemeinen Erfahrung". Dies "erhelle" auch daraus, daß der Beschwerdeführer selbst angegeben habe, Exilkurden hätten in Westeuropa schon Demonstrationen abgehalten, an denen über 100.000 Personen teilgenommen hätten. "Angesichts solcher Zahlen" könnten "einfache Demonstrationsteilnehmer ... keinerlei Überwachung oder Verfolgung zu befürchten haben".

Diese Ausführungen, denen der Beschwerdeführer mit dem Argument entgegentritt, es gebe Informationsflüsse von Salzburger Polizeibehörden zum türkischen Generalkonsulat, sind in sich nicht schlüssig. Der Beschwerdeführer hat nicht behauptet, bei einer der von ihm erwähnten Demonstrationen in Bonn und Frankfurt, an denen mehr als 100.000 Personen teilgenommen hätten, zugegen gewesen zu sein. Mit dem Hinweis auf diese Demonstrationen wollte er nach dem insoweit unmißverständlichen Inhalt seiner Ausführungen im Schriftsatz vom 18. November 1993 nur darlegen, daß exilpolitische Aktivitäten von Kurden dazu geführt hätten, daß die türkische Staatsmacht nun mit besonderer Härte gegen aktive Mitglieder des kurdischen Widerstandes vorgehen werde. Daß die Zahl der Teilnehmer an dem vom Beschwerdeführer behaupteten Hungerstreik im Frühjahr 1992 und an der Protestkundgebung in Wien im Oktober 1993 so groß gewesen sei, daß die Beteiligung des Beschwerdeführers den türkischen Behörden nicht zur Kenntnis gelangen konnte, versucht die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht darzutun. Die ohne jedes Ermittlungsverfahren, im besonderen auch ohne Befragung des Beschwerdeführers zu den behaupteten Nachfluchtgründen gewonnene Ansicht der belangten Behörde, im Falle seiner Teilnahme an den von ihm beschriebenen Aktivitäten könne sich daraus trotz der behaupteten Verschärfung der allgemeinen Lage keine Gefahr einer Verfolgung ergeben, ist unter diesen Umständen nicht nachvollziehbar.

Die belangte Behörde hat es daher zu Unrecht unterlassen, die im Berufungsverfahren erhobenen Behauptungen über neu eingetretene Tatsachen zum Gegenstand eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens zu machen und ihrer Entscheidung dessen Ergebnisse zugrundezulegen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200257.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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