TE Vfgh Beschluss 1994/11/28 G35/94

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.11.1994
beobachten
merken

Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art89 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
RAO §57
EGVG ArtIX Abs1 Z4 idF BGBl 50/1991

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags des UVS Wien auf Aufhebung einer Bestimmung des EGVG betreffend Winkelschreiberei mangels Präjudizialität angesichts einer bestehenden spezielleren Vorschrift gegen unbefugte Parteienvertretung in der RAO

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien stellte zum AZ G35/94 in dem bei ihm anhängigen Verfahren über die Berufung der M L gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 18. Bezirk, vom 12. November 1992, Z MBA 18 - S 5189/92, womit über sie wegen Übertretung des ArtIX Abs1 Z4 EGVG, BGBl. 50/1991, eine Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wurde, gemäß Art140 Abs1 (iVm Art129 a Abs3 und Art89 Abs2) B-VG den Antrag auf Aufhebung des "ArtIX Abs1 Z4 EGVG, BGBl. 172/1950 idF BGBl. 356/1990" (wohl: idFd WV BGBl. 50/1991) als verfassungswidrig.

1.2.1. Im Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien heißt es ua. wörtlich:

"Sie haben, ohne zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugt gewesen zu sein, in der Zeit vom 30. März bis zum 11. Mai 1992 durch die gewerbsmäßige Verfassung von Eingaben an das australische Verlassenschaftsgericht und die gewerbsmäßige Vertretung der Interessen von Frau Dr. U R, wofür Sie mit der am 11. Mai 1992 ausgestellten und an Frau Dr. U R gerichteten Honorarnote Entgelt beansprucht haben, Winkelschreiberei begangen...".

1.2.2. Die zu einer schriftlichen Äußerung eingeladene Bundesregierung führte zu den Prozeßvoraussetzungen (mit Beziehung auf die wortgleiche Bestimmung des ArtIX Abs1 Z1 EGVG) ua. aus:

"Soweit sich den vorgelegten Schriftsätzen entnehmen läßt, wurde der Berufungswerberin im Anlaßverfahren vorgeworfen, eine in Österreich den Rechtsanwälten vorbehaltene Tätigkeit ausgeübt zu haben.

Da gemäß ArtIX Abs3 EGVG Abs1 Z1 nicht anzuwenden ist, soweit besondere Vorschriften gegen die unbefugte Parteienvertretung bestehen, kommt im Anlaßfall offensichtlich §57 RAO zum Tragen. Gemäß §57 Abs2 RAO begeht, wer unbefugt eine durch dieses Bundesgesetz den Rechtsanwälten vorbehaltene Tätigkeit gewerbsmäßig ausübt, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Strafe bis zu 60.000 S zu bestrafen. Diese Tat darf nicht auch nach anderen Bestimmungen über die Strafbarkeit der Winkelschreiberei geahndet werden.

Somit enthält auch §57 Abs2 den ausdrücklichen Hinweis auf die Spezialität von §57 Abs2 RAO. Er schließt auch die Anwendung des ArtIX Abs1 Z1 EGVG aus. Soferne daher der Berufungswerberin im Anlaßverfahren nicht Handlungen vorgeworfen werden, die nicht als Ausübung einer den Rechtsanwälten vorbehaltenen Tätigkeit anzusehen sind, kommt im Anlaßfall ArtIX Abs1 Z1 EGVG nicht zur Anwendung.

Der unabhängige Verwaltungssenat ist daher zur Stellung eines Antrags gemäß Art89 Abs2 B-VG betreffend ArtIX Abs1 Z1 B-VG aus Anlaß des vorliegenden Verfahrens nicht berechtigt."

2.1. Zur - zunächst zu prüfenden - Frage des Vorliegens der Prozeßvoraussetzungen sei vorausgeschickt, daß der Verfassungsgerichtshof nicht berechtigt ist, durch seine Entscheidung über die Präjudizialität einer Norm die anfechtende Instanz an eine bestimmte Gesetzesauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Organs in der Hauptsache vorgriffe. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs darf daher ein derartiger Antrag nach Art140 Abs1 B-VG nur dann wegen fehlender Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß das - angefochtene - Gesetz eine Voraussetzung für die Entscheidung im Anlaßfall bildet (vgl. zB VfSlg. 4318/1962, 4644/1964, 5357/1966, 7999/1977, 8136/1977, 9911/1983, 11027/1986).

Dies trifft hier zu.

Es ist nämlich - wie die Bundesregierung richtig darlegt - schlechterdings ausgeschlossen, daß die bekämpfte Bestimmung im Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat angewendet werden könnte. Denn nach der unmißverständlichen Bestimmung des ArtIX Abs3 EGVG, BGBl. 50/1991, ist Abs1 Z4 dieses Artikels (Winkelschreiberei) nicht anzuwenden, soweit gegen die unbefugte Parteienvertretung besondere Vorschriften bestehen: §57 RAO, RGBl. 96/1868 idF BGBl. 556/1985, ist aber eine solche - die Ahndung der Tat nach anderen Bestimmungen hindernde - (Sonder-)Vorschrift (s. auch Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, 1987, Bd. 1, Fn 33 zu ArtIX Abs3 EGVG).

2.2. Aus diesen Erwägungen war der Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien als unzulässig zurückzuweisen.

2.3. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Verwaltungsverfahren, Vertreter (Verwaltungsverfahren), Rechtsanwälte, Berufsrecht Rechtsanwälte, Derogation, lex specialis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:G35.1994

Dokumentnummer

JFT_10058872_94G00035_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten