TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/10 95/20/0234

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Veröffentlicht am 10.10.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §45 Abs1;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des Z in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. April 1995, Zl. 4.342.852/13-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste am 8. Mai 1993 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl.

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 10. Mai 1993 gab er zu seinen Fluchtgründen an, unter dem Regime Najibullahs sei sein Bruder N für den Geheimdienst und sein Bruder A für die Kriminalpolizei tätig gewesen. Der Beschwerdeführer habe für seine Brüder Observationen durchgeführt und Berichte darüber verfaßt, ob die observierten Personen mit den Mujaheddin Kontakte hätten. Dafür sei er jeden Monat von verschiedenen Beamten entlohnt worden. Er sei "daher als Mitarbeiter registriert" gewesen. N sei vor zwei Jahren, A vor drei Monaten "von der Gruppe Sayyaf, welche jetzt das Sagen hat", getötet worden. Da der Beschwerdeführer mit seinen Brüdern zusammengearbeitet habe, habe er befürchten müssen, ebenfalls ermordet zu werden. Er habe daher beschlossen, zu flüchten. Nach der Gefangennahme seines Bruders A durch "Sayyaf-Leute", welche der islamischen Vereinigung angehört hätten, habe sich der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise bei einer Tante in Kabul versteckt gehalten. Abschließend berichtigte der Beschwerdeführer seine Angaben dahingehend, daß zwar sein Bruder A von der "Gruppe Sayyaf", N jedoch von der "Gruppe Golbodin" ermordet worden sei, und fügte noch hinzu, er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil er sonst mit seiner Ermordung rechnen müsse.

Mit Bescheid vom 11. Mai 1993 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers ab. Die Bescheidbegründung erschöpfte sich - im Anschluß an eine verkürzte Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers und allgemeine Rechtsausführungen - im wesentlichen in der Behauptung, aus dem Vorbringen könne eine konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung "nicht abgeleitet" werden und der Beschwerdeführer habe "daher" in seinem Heimatstaat "keine Verfolgung zu befürchten".

In seiner Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, der von ihm dargestellte Umstand seiner Registrierung als Mitarbeiter (gemeint: der Behörden, für die seine Brüder tätig gewesen seien) sei schon in der Wiedergabe seiner Ausführungen durch das Bundesasylamt nicht berücksichtigt worden. Es sei aber auch die Befragung des Beschwerdeführers zu kurz und zu oberflächlich gewesen, weshalb er sich veranlaßt sehe, seine Darstellung weiter zu konkretisieren. Dem folgten in der Berufung Angaben darüber, wie es zur Tätigkeit des Beschwerdeführers für den Geheimdienst gekommen sei, bei welcher Einheit er als Mitarbeiter registriert gewesen sei und welche Aufgaben er im einzelnen erfüllt habe, sowie eine in eine Darstellung der allgemeinen Verhältnisse in Afghanistan eingebettete und um konkrete Details ergänzte Darstellung der Ermordung seines Bruders A, dessen Leiche nur wenige Stunden nach seiner nächtlichen Gefangennahme mit den Spuren schwerer Folterungen aufgefunden worden sei. Neu brachte der Beschwerdeführer vor, während er sich bei seiner Tante versteckt gehalten habe, habe er von seinen Eltern erfahren, daß er nicht mehr nach Hause zurückkehren könne, weil die "Sayyaf-Gruppe" inzwischen auch nach ihm suche. Die um die Führung des Landes kämpfenden Mojaheddin-Gruppen seien sich im Kampf gegen die ehemaligen Gefolgsleute Najibullahs einig. Zum Beweis für sein Berufungsvorbringen beantragte der Beschwerdeführer seine neuerliche Einvernahme und die Einholung bestimmter Auskünfte und Gutachten.

Mit Bescheid vom 17. Dezember 1993 wies die belangte Behörde die Berufung ab. Sie führte aus, das in erster Instanz durchgeführte Ermittlungsverfahren sei nicht "offenkundig" mangelhaft gewesen, und hielt dem Beschwerdeführer auf der Grundlage seiner in die Niederschrift aufgenommenen Angaben folgendes entgegen:

"Ihre Behauptung, daß Sie nach der Ermordung Ihrer beiden Brüder, die wie Sie unter der Regierung Najibullah für den Geheimdienst bzw. die Kriminalpolizei tätig gewesen sein sollen, ebenfalls befürchten müßten, ermordet zu werden, ist nicht geeignet, Ihre Flüchtlingseigenschaft zu indizieren, da aus diesen von Ihnen behaupteten Taten noch nicht geschlossen werden kann, daß SIE eine konkrete speziell gegen Ihre Person gerichtete Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 zu befürchten gehabt hätten.

Darüber hinaus schützt das Asylrecht nur Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen wird. Ihrem Vorbringen sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß Sie von STAATLICHEN Behörden eine Verfolgung zu befürchten gehabt hätten.

Da Sie keine konkreten, individuell gegen Ihre Person gerichteten Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes 1991 ausführen konnten, erscheint es der erkennenden Behörde nicht plausibel, daß Sie sich aus objektiver, wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb Ihres Heimatlandes befinden.

Überdies ist zu bemerken, daß es unter General DOSTOM zur Schaffung einer autonomen Nordregion gekommen ist, die fast ein Drittel des Landes umfaßt und in welcher Anhänger der ehemaligen Regierung maßgeblich am Aufbau eines neuen Staatswesens beteiligt sind.

Da die Verfolgung bzw. die Furcht davor im gesamten Gebiet des Heimatstaates bestehen muß, kann Ihr Vorbringen schon aus diesem Grunde den von Ihnen gewünschten Verfahrensausgang nicht rechtfertigen."

Der Beschwerdeführer sei daher nicht Flüchtling.

Diesen Bescheid hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 5. Oktober 1994, B 129/94, wegen Aufhebung des Wortes "offenkundig" im § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 auf. Das Verfahren über die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen denselben Bescheid (hg. Zl. 94/19/0111) wurde daraufhin eingestellt.

Mit Schreiben vom 9. März 1995, der (nicht anwaltlichen) Vertreterin des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren zugestellt am 14. März 1995, bot die belangte Behörde dem Beschwerdeführer Gelegenheit, binnen zwei Wochen eine der bereinigten Fassung des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 Rechnung tragende Berufungsergänzung einzubringen. Der Beschwerdeführer machte davon nicht Gebrauch.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung neuerlich ab. Sie begründete dies wie folgt:

"Die erkennende Behörde übernimmt in Erledigung Ihrer Berufung die Ausführungen des ho. Bescheides vom 17.12.1993, Zahl 4.342.852/2-III/13/93, Ihrer Vertreterin am 27.12.1993 persönlich zugestellt, allerdings mit der Maßgabe, daß nunmehr § 20 Asylgesetz 1991 in der Fassung BGBl. Nr. 610/1994 Anwendung findet, woraus folgt, daß auf Seite 5 Zeile 20, sowie auf Seite 6 Zeile 19 jeweils das Wort "offenkundig" zu streichen ist.

Im übrigen wird auf die Ausführungen des genannten Vorbescheides verwiesen, da Ihnen mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 09.03.1995, Ihrer bevollmächtigten Vertreterin zugestellt am 14.03.1995, zwar Gelegenheit gegeben wurde, Ihre Berufung zu ergänzen, Sie eine Berufungsergänzung jedoch nicht für erforderlich hielten."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde stützt ihre Ansicht, das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers könne seine Flüchtlingseigenschaft "nicht indizieren", auf die Annahme, aus der vom Beschwerdeführer geschilderten Ermordung seiner Brüder könne nicht geschlossen werden, daß der Beschwerdeführer selbst eine "konkrete speziell gegen (seine) Person gerichtete" Verfolgung zu befürchten gehabt habe. Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die Brüder des Beschwerdeführers - seinen Angaben zufolge - nach den Ausführungen der belangten Behörde WIE DIESER SELBST unter der Regierung Najibullah für den Geheimdienst bzw. die Kriminalpolizei tätig gewesen sein sollen, ist diese Annahme nicht nachvollziehbar. Sie würde gedanklich voraussetzen, daß zwischen der Ermordung der Brüder des Beschwerdeführers und deren vorangegangener Tätigkeit kein Zusammenhang bestanden hätte. Für eine derartige, der Darstellung des Beschwerdeführers, der seine eigene Furcht vor Verfolgung und Ermordung mit seiner Eigenschaft als "registrierter Mitarbeiter" des früheren Regimes begründet hatte, widersprechende Hilfsannahme fehlt in den Ausführungen der belangten Behörde aber jede Begründung. Auch der weitere Vorhalt, der Beschwerdeführer habe keine "konkreten, individuell gegen (seine) Person gerichteten" Verfolgungshandlungen "ausführen" (gemeint wohl: anführen) können, ist nicht zielführend, weil aus dem Umstand, daß Verfolgungshandlungen nicht schon stattgefunden hätten, nicht ohne nähere Begründung ableitbar ist, eine "objektive, wohlbegründete" Furcht, solche Handlungen stünden bevor, sei "nicht plausibel". Daß etwas, was noch nicht stattgefunden hat, aus diesem Grund auch in Zukunft nicht zu erwarten sei, worauf es in rechtlicher Hinsicht ankäme, kann nur in Verbindung mit zusätzlichen Annahmen richtig sein. Welche Annahmen dafür im vorliegenden Fall in Betracht kommen sollen, ist den Ausführungen der belangten Behörde aber nicht zu entnehmen. Die Ansicht, der Beschwerdeführer habe keine gegen ihn gerichtete Verfolgung zu befürchten gehabt, beruht daher auf einer Scheinbegründung, die sich mit dem zu beurteilenden Vorbringen nicht ausreichend konkret und nachvollziehbar auseinandersetzt.

Mit dem Argument, das Vorbringen des Beschwerdeführers habe "keine Anhaltspunkte" für eine zu befürchtende Verfolgung durch "staatliche Behörden" enthalten, geht die belangte Behörde über die in der Niederschrift enthaltene Behauptung des Beschwerdeführers hinweg, die "Gruppe Sayyaf" habe "jetzt das Sagen". Mit der Frage, ob dies zutrifft und die vom Beschwerdeführer erwähnte Gruppierung den Trägern der staatlichen Macht in Afghanistan zuzurechnen ist, ob es umgekehrt eine staatliche Macht gibt, die vor dieser Gruppierung Schutz gewähren kann und dazu auch bereit ist, oder ob weder das eine noch das andere zutrifft, setzt sich die belangte Behörde nicht auseinander. Da es sich hiebei um eine für die Beurteilung des Falles wesentliche Rechtsfrage handelt, belastet der Umstand, daß die belangte Behörde dieser Frage keine Bedeutung beimaß und dazu trotz der wiedergegebenen Behauptung des Beschwerdeführers keine Feststellungen traf, den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit und sekundären Verfahrensmängeln.

Schließlich kann auch die kursorische "Bemerkung", in einer "autonomen Nordregion" Afghanistans seien "Anhänger der ehemaligen Regierung maßgeblich am Aufbau eines neuen Staatswesens beteiligt", nicht ausreichen, um in bezug auf den Beschwerdeführer, der sich in dieser Region nicht aufgehalten hat und auch nicht als bloßer "Anhänger", sondern als ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter des früheren Regimes bedroht zu sein behauptet, die Voraussetzungen für das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative als gegeben anzusehen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200234.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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