TE Vfgh Erkenntnis 1994/11/28 V115/94

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.11.1994
beobachten
merken

Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litb
FahrverbotsV des Gemeinderates der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf vom 27.11.89
StVO 1960 §94b Abs1 litb
StVO 1960 §94d

Leitsatz

Aufhebung einer von einer Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich erlassenen FahrverbotsV wegen Verordnungserlassung durch ein unzuständiges Organ; Überwiegen überörtlicher Interessen

Spruch

Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf vom 27. November 1989, Z6-664-BT-O-L/1989, kundgemacht durch Aufstellung von Verkehrszeichen gemäß §52 Z9 c und Z1 StVO 1960, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Burgenländische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat Burgenland ist ein Berufungsverfahren gegen einen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf anhängig, mit dem der Berufungswerber bestraft wurde, weil er seinen PKW in Bad Tatzmannsdorf, auf der "Lichtenwaldstraße nächst Nr. 14, auf einer Straße abgestellt (habe), die er nur durch Verletzen eines gesetzlichen Verbotes erreichen konnte". Im gegenständlichen Bereich bestehe nämlich ein "Fahrverbot in beiden Richtungen, ausgenommen landwirtschaftliche Fahrzeuge, Radfahrer und Anrainer".

Gestützt auf Art129 a Abs3 B-VG beantragt der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland gemäß Art139 B-VG die Aufhebung des "§1 litb) der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf vom 27 11 1989, Zl. 6-664-BT-O-L/1989", in eventu der ganzen Verordnung, als gesetzwidrig.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland erblickt die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung in der Unzuständigkeit des verordnungserlassenden Organes. Die gegenständliche Verordnung sei vom Gemeinderat der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf erlassen worden. In §94 d StVO 1960 befinde sich aber keine Bestimmung, die die Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zur Erlassung eines Fahrverbots in beiden Richtungen ermächtigen würde. Das vom Gemeinderat verfügte Fahrverbot führe zudem dazu, "daß auf dem Güterweg Bad Tatzmannsdorf Richtung St. Martin (letzteres ist ein Ortsteil von Oberwart) der Verkehr generell beschränkt ist, somit die Verordnung über das Gebiet der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf hinaus wirksam wird". Auch insofern sei der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde überschritten worden.

Abschließend weist der Unabhängige Verwaltungssenat darauf hin, daß seitens der Burgenländischen Landesregierung keine Verordnung gemäß §94 c Abs1 StVO 1960 ergangen ist.

2. Der Gemeinderat der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf legte die Verordnungsakten vor, äußerte sich aber ebenso wie die Burgenländische Landesregierung zu den gegen die Verordnung erhobenen Bedenken nicht.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die angefochtene Verordnung lautet:

"Verordnung

des Gemeinderates der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf vom 27.11.1989 über Verkehrsbeschränkungen in Bad Tatzmannsdorf.

Gemäß §94 d, Zif. 4 StVO. 1960, BGBl. Nr.159 i.d.g.F., 13 StVO-Novelle, wird aus Gründen der Beschaffenheit der Straßen und des Gebietes (Kurort) verordnet:

§1

Auf den Güterweg Bad Tatzmannsdorf-Oberwart, Ast-Verlängerung Lichtenwaldstraße-St.Martin-Straße wird

a) das Fahren für Fahrzeuge mit über 3,5 t Gesamtgewicht verboten;

b) ein allgemeines Fahrverbot ausgenommen landwirtschaftl. Fahrzeuge, Radfahrer und Anrainer, erlassen.

§2

Diese Verordnung tritt mit Anbringung der entspr. Straßenverkehrszeichen (§52 Zif. 9 c und Zif. 1) in Kraft.

..."

2. Es ist offenkundig, daß der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland bei seiner Entscheidung über die bei ihm anhängige Berufung die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf vom 27. November 1989, Z6-664-BT-O-L/1989, deren Übertretung Voraussetzung für die Bestrafung des Berufungswerbers ist, anzuwenden hat. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist sohin insoweit gemäß Art129 a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und 3 sowie Art139 Abs1 B-VG zulässig. Im Hinblick auf das unter 4. dargestellte Ergebnis des Verordnungsprüfungsverfahrens und die unter 5. daraus gezogene Schlußfolgerung erübrigt sich eine nähere Abgrenzung des präjudiziellen Teiles der Verordnung.

3. Aus den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verordnungsakten geht hervor, daß der Gemeinderat der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf in seiner Sitzung am 27. November 1989 "einstimmig für das Güterwegbaulos Bad Tatzmannsdorf-Oberwart, Bereich: Verlängerung Lichtenwaldstraße 14 - Güterweg St. Martin folgende Verkehrsbeschränkungen (beschlossen hat):

Gewichtsbeschränkung mit 3,5 t und Allg. Fahrverbot ausgenommen landwirtschaftl. Fahrzeuge, Radfahrer und Anrainer".

In einem Schreiben vom 7. Dezember 1989 an die Bezirkshauptmannschaft Oberwart ersuchte der Bürgermeister der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf um "Erlassung einer entspr. Verordnung". Die Bezirkshauptmannschaft Oberwart teilte der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf in der Folge mit Schreiben vom 19. Dezember 1989, ZX-B-148-1989, mit, daß "gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates vom 27.11.1989 betreffend Verkehrsbeschränkung Güterweg Bad Tatzmannsdorf - Oberwart, Verlängerung Lichtenwaldstraße ... keine Bedenken" bestehen. Eine entsprechende Verordnung wurde jedoch - wie aus dem Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Oberwart an das Gemeindeamt Bad Tatzmannsdorf vom 26. April 1994 hervorgeht - "nach Aktenlage von der BH-Oberwart" nicht erlassen. Die Kundmachung der gegenständlichen Verordnung des Gemeinderates erfolgte durch Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen am 28. Dezember 1989. Es ist also davon auszugehen, daß dieser Kundmachung der Beschluß des Gemeinderates der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf vom 27. November 1989 zugrundeliegt.

4. Gemäß §94 b Abs1 litb StVO 1960 ist die Bezirksverwaltungsbehörde für die Erlassung von Verordnungen zuständig, "sofern der Akt der Vollziehung nur für den betreffenden politischen Bezirk wirksam werden soll und sich nicht die Zuständigkeit der Gemeinde oder der Bundespolizeibehörde ergibt". §94 d leg.cit. umschreibt den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde. Was in §94 d StVO 1960 nicht ausdrücklich aufgezählt ist, darf auch nicht im eigenen Wirkungsbereich vollzogen werden (VfSlg. 7063/1973).

In seinem Erkenntnis VfSlg. 6944/1972 prüfte der Verfassungsgerichtshof, "ob die Verfügung eines Fahrverbotes nach §43 Abs1 litb Z1 bzw. §43 Abs7 StVO eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde ist". Er stellte dabei fest, daß die Regelung des fließenden Verkehrs nur unter Bedachtnahme auf ein überörtliches Konzept erfolgen kann und daher in Belangen der Erlassung eines Fahrverbotes die überörtlichen Interessen überwiegen, sodaß sich "§94 d StVO nicht deshalb als verfassungswidrig (erweist), weil er die Erlassung von Fahrverboten betreffend Straßen von örtlicher Verkehrsbedeutung ... nicht in der Liste jener Angelegenheiten enthält, die in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen".

Entgegen §94 b Abs1 litb und §94 d StVO 1960 (im Verein mit der dargestellten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes) hat der Gemeinderat der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf das angefochtene Fahrverbot im eigenen Wirkungsbereich erlassen.

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die angefochtene Verordnung von einem unzuständigen Organ erlassen wurde.

5. Gemäß Art139 Abs3 litb B-VG hat der Verfassungsgerichtshof "die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben", wenn er zur Auffassung gelangt, daß diese von einer unzuständigen Behörde erlassen wurde. Die Verordnung war daher über den beim Unabhängigen Verwaltungssenat Burgenland präjudiziellen Teil, nämlich §1 litb der Verordnung, hinaus zur Gänze aufzuheben.

Die Verpflichtung der Burgenländischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung ergibt sich aus Art139 Abs5 B-VG.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Fahrverbot, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Straßenpolizei örtliche, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:V115.1994

Dokumentnummer

JFT_10058872_94V00115_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten