TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/10 95/20/0323

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.10.1996
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des C in G, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. April 1995, Zl. 4.345.458/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheide wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. April 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von China, der am 6. Oktober 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 7. Oktober 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. November 1994 abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hatte in seinem schriftlichen Asylantrag als Gründe für das Verlassen seiner Heimat angegeben, er sei Mitglied eines in China mittlerweile verbotenen Vereines gewesen. Er habe gemeinsam mit der Schule, in welcher er als Lehrer tätig gewesen sei, im Rahmen der politischen Unruhen am Tian-an-men Platz in Peking und an Protesten in seiner Heimatstadt teilgenommen. Deshalb sei er am 29. Juli 1989 von der chinesischen Polizei verhaftet, für fünf Monate inhaftiert, und in der Folge aus gesundheitlichen Gründen entlassen worden. Da sich im Juni 1990 wieder Proteste gegen das herrschende Regieme formiert hätten, er für seine politische Einstellung bekannt gewesen sei, und ihm Freunde mitgeteilt hätten, daß er nunmehr abermals von der Polizei gesucht würde, habe er im Juni 1990 seinen Heimatort verlassen und sei in die Provinz Shi Chuan übergewechselt, wo er sich versteckt gehalten und mit Hilfe von Freunden einen Reisepaß besorgt habe. Deshalb habe er erst Ende September 1990 seine Heimat in Richtung Hongkong und weiter nach Thailand verlassen können.

Anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 9. November 1994 gab der Beschwerdeführer an, er habe 1989 einer namentlich bestimmten Studentenbewegung angehört, einen Ausweis über die Mitgliedschaft könne er nicht vorlegen. Diese Gruppe habe Demonstrationen gegen die Regierung organisiert. Am 18. Mai 1989 sei eine große Demonstration in der Stadt Fuzhou gegen die Regierung abgehalten worden, an welcher er teilgenommen habe. Zweck der Veranstaltung sei die Unterstützung jener Studenten gewesen, welche sich im Hungerstreik befunden hätten. Es sei ein Telefax an die Regierung in Peking geschickt worden, auf dem die Unterschrift der unterstützenden Studenten in einer Liste angeführt gewesen seien. Die Unterstützung sei auch auf der Straße auf Plakaten kundgetan worden und die Regierung sei aufgefordert worden, Reformen durchzuführen. Es sollte die Korruption abgeschafft werden und es sollten die Familienmitglieder hoher Beamter nicht bevorzugt werden. Die Demonstranten seien auch für die Pressefreiheit eingetreten und für andere Parteien. Der Beschwerdeführer habe auch an der zweiten Demonstration am 1. Juni 1989 teilgenommen. Anläßlich dieser Demonstration habe man mit dem Bürgermeister sprechen wollen, dies sei von Polizeibeamten verhindert worden. Im Gedränge seien etliche Personen, vermutlich auch Polizisten, verletzt worden. Nach der Demonstration sei er am 7. Juni 1989 vom Direktor der Schule, in welcher er gearbeitet habe, wegen der Teilnahme an den Demonstrationen entlassen worden. Er sei in seinen Heimatort zurückgekehrt und habe dort eine Ladung vom Sicherheitsamt für den 29. Juli 1989 erhalten. Nach seinem Erscheinen beim Sicherheitsamt sei er verhaftet worden, da er Reaktionär und gegen die Regierung eingestellt sei. Er sei alle drei bis fünf Tage verhört und mit den Händen und einmal mit einem Schlüsselbund auf den Kopf geschlagen worden. Man habe wissen wollen, was die einzelnen Teilnehmer der Demonstration gemacht haben. Er sei am 30. Dezember 1989 wegen Fieber und Magenschmerzen entlassen worden. In der Folge sei er zu Hause von seinen Eltern gesundgepflegt worden. Bis Mai 1990 sei er nicht mehr verfolgt worden und habe sein Heimatland auch nicht verlassen wollen. Für 16. Mai 1990 habe er wieder eine schriftliche Ladung des Sicherheitsamtes erhalten. Es hätten alle Personen, welche schon einmal verhört worden seien, nocheinmal beim Sicherheitsamt erscheinen sollen, weil die Regierung Angst davor gehabt habe, daß zum Jahrestag wieder Demonstrationen abgehalten werden könnten. Er habe der Ladung nicht Folge geleistet, sondern sei am 14. Mai 1990 zu einem Verwandten in die Provinz Shi Chuan geflüchtet. Dort habe er bis zum 18. September 1990 gewohnt. Seine Eltern hätten in der Zwischenzeit einen Reisepaß besorgt. Sein Vater habe viel Geld (ungefähr 1.000 US-$) für den Reisepaß bezahlt. Während dieser Zeit sei den Eltern des Beschwerdeführers wegen der Nichtbefolgung der Ladung ein Fahndungsbefehl zugegangen. Der Beschwerdeführer habe seine Heimat am 23. September 1990 verlassen. Er habe bei der legalen Ausreise deshalb keine Angst davor gehabt, von den staatlichen Organen festgenommen zu werden, weil er "rasch aus dem Heimatland geflüchtet" sei und "der Fahndungsbefehl nur für die Provinz, in der meine Eltern und ich gewohnt haben ausgestellt" gewesen sei, er sich aber inzwischen in einer anderen Provinz aufgehalten habe. Der Beschwerdeführer legte als Beweismittel die genannten Vorladungen und den Fahndungsbefehl des Sicherheitsamtes Fuqing, seinen Personalausweis und das Zeugnis der Hochschule vor.

Zu seiner Fluchtroute gab der Beschwerdeführer an, er sei am 23. September 1990 nach Hongkong gefahren, habe dort ein Visum für Thailand erhalten, sei damit nach Thailand geflogen und habe in Thailand die Verlängerung dieses Visums versucht. Dies sei ihm nicht gelungen, weshalb er, nachdem er erfahren habe, daß man ohne Visum in Ungarn einreisen könne, am 6. Oktober 1990 nach Ungarn geflogen. Nach Verschärfung der Aufenthaltsbestimmungen in Ungarn sei er nach Bulgarien gefahren, wo er ein Visum mit Gültigkeit für ein Jahr ausgestellt erhalten habe. Er habe versucht, dieses Visum für Bulgarien zu verlängern, was ohne Erfolg geblieben sei. Aus diesem Grund sei er am 4. Oktober 1994 über die ehemalige SFRJ nach Österreich gefahren.

Das Bundesasylamt wies den Antrag sowohl deshalb ab, weil der Beschwerdeführer im Heimatland keine Verfolgung zu befürchten habe, als auch weil er sich in Ungarn und Bulgarien nach Verlassen seiner Heimat aufgehalten habe und in diesen Ländern vor Verfolgung sicher gewesen sei.

Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung erging der nunmehr angefochtene Bescheid, in welchem die belangte Behörde sich nicht mehr darauf stützte, daß der Beschwerdeführer in Staaten seines Aufenthaltes nach Verlassen seiner Heimat Sicherheit vor Verfolgung gefunden habe.

Die belangte Behörde begründete, sie habe sich "im Rahmen der Beweiswürdigung" von folgenden Überlegungen leiten lassen:

a) Die Mitgliedschaft zu einer politischen Gruppierung ALLEIN sei noch kein Grund für die Anerkennung als Flüchtling.

b) Aus dem Schreiben von Parolen bzw. Aufrufen und deren Verteilen ALLEIN lasse sich eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht ableiten.

c) Das gleiche gelte für die Teilnahme an verbotenen Demonstrationen, soferne nicht auch diesbezüglich weitere, ins Gewicht fallende Umstände hinzutreten, wobei die Festnahme und Anhaltung von Teilnehmern solcher Demonstrationen noch keine Verfolgungshandlungen darstellten.

d) Zur angeblichen Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis sei anzumerken, daß zwar nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne, daß der Verlust des Arbeitsplatzes aus politischen Gründen erfolgt sei, jedoch habe es sich hiebei um keine Maßnahme gehandelt, die geeignet sei, als Verfolgung i.S.d. AsylG 1991 qualifiziert zu werden.

e) Die während der angeblichen Haft des Beschwerdeführers ca. alle drei bis fünf Tage stattgefundenen Verhöre seien ALLEIN jedoch keine Verfolgungshandlungen. Die Schläge während der Haft hätten nicht eine solche Intensität erlangt, daß von einer Verfolgungshandlung gesprochen werden könne. Es sei auch festzuhalten, daß der Beschwerdeführer angeblich aufgrund seiner Krankheit freigelassen worden sei, ohne daß der Vorwurf einer strafbaren Handlung erhoben worden sei.

f) Da diese Vorfälle im Jahr 1989 stattgefunden hätten, somit schon längere Zeit vor der Ausreise zurücklägen, seien sie nicht mehr beachtlich.

g) Weder eine Ladung zum Sicherheitsamt noch die Ausstellung eines Fahndungsbefehles seien Verfolgungshandlungen. Denn es hätten alle Leute, die schon einmal verhört worden seien, nochmals beim Sicherheitsamt erscheinen sollen. Daher stelle sich diese Maßnahme der Behörde nicht als konkrete gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlung seitens des Heimatstaates dar.

h) Gegen sein subjektives Schutzbedürfnis spreche weiters, daß er sein Heimatland unter Verwendung eines echten, auf sein Nationale ausgestellten Reisepasses verlassen habe und sich den staatlichen Grenzkontrollen gestellt habe. Auch die Paßausstellung selbst spreche gegen ein "wie immer geartetes Interesse" der staatlichen Behörde an seiner Person, da ansonsten kein Reisedokument ausgestellt worden wäre.

i) Die Verfolgung (bzw. die Furcht davor) müsse im gesamten Gebiet des Heimatstaates des Asylwerbers bestanden haben. Dem angebliche Fahndungsbefehl habe nur für die Provinz gegolten, in der der Beschwerdeführer und seine Eltern gelebt hätten. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht zu entnehmen, daß er während seines Aufenthaltes in der Provinz Shi Chuan wie immer gearteten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei.

j) Gegen eine Angst vor (drohender) Verfolgung spreche weiters, daß der Beschwerdeführer sein Heimatland angeblich am 23. September 1990 verlassen habe, jedoch erst am 6. Oktober 1994 in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei und am 10. Oktober 1994 einen Asylantrag gestellt habe. Er habe in der Zwischenzeit in den Ländern seiner Reisebewegung nicht danach getrachtet, Asyl zu erhalten. Bei tatsächlicher Angst vor (drohender) Verfolgung hätte sich der Beschwerdeführer sogleich in ein sicheres Drittland begeben, und dort einen Asylantrag stellen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat im erstinstanzlichen Verfahren politisch bedingte Furcht vor Verfolgung behauptet. Er hat als ihn konkret betreffende Ereignisse seinen im Gefolge der Teilnahme an Demonstrationen erfolgten Verlust seiner Arbeitsstelle, eine Vorladung im Jahre 1989, die Inhaftierung bei deren Befolgung für die Dauer von ca. fünf Monaten, die während der Haft vielfach wiederholten Verhöre, bei denen er auch geschlagen worden sei, die nach ca. fünf Monaten verfolgungsfreier Zeit erfolte neuerliche Ladung und den ihn betreffenden, wegen Nichtbefolgung der Ladung ausgestellten Haftbefehl angegeben. Im Zuge einer Gesamtschau ist nicht auszuschließen, daß diese Umstände INSGESAMT asylrechtliche Relevanz erreichen. Die belangte Behörde hat sich jedoch mit einer Einzelbeurteilung von in möglicherweise asylrelevantem Zusammenhang stehenden Einzelvorkommnissen begnügt, weshalb sie den angefochtenen Bescheid bereits deshalb mit Rechtswidrigkeit belastet hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 9. Mai 1995, Zl. 95/20/0380, und vom 20. Juni 1996, Zlen. 95/19/0062, 0079 u.a.). Des weiteren belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit dadurch, daß sie einerseits auf die - immerhin fünf Monate lang währende - Haft des Beschwerdeführers überhaupt nicht einging und andererseits die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu AUSSCHLIEßLICH vorgebrachten Verhören und Befragungen auf solche Verhöre anwendet, welche - während einer langandauernden Haft stattfanden.

Des weiteren verkennt die belangte Behörde, daß der mangelnde zeitliche Zusammenhang vergangener Verfolgungshandlungen mit der Ausreise nur dann als Abweisungsgrund herangezogen werden kann, wenn es sich um abgeschlossene Ereignisse handelt. Der Beschwerdeführer hat aber unzweifelhaft den Zusammenhang zwischen der erlittenen Haft des Jahres 1989 und der seine Flucht tatsächlich auslösenden Vorladung im Jahre 1990 hergestellt. Danach hat er sich bis zur Ausreise im September 1990 versteckt gehalten.

In der Argumentation der belangten Behörde betreffend die Ausstellung des Reisepasses übersieht sie, daß der Beschwerdeführer angegeben hat, seine Eltern hätten 1.000 US-$ für dessen Ausstellung bezahlen müssen.

Daß der Fahndungsbefehl vom 13. Juni 1990 nach Angaben des Beschwerdeführers zunächst nur für die Provinz seines Heimatortes ausgestellt gewesen sei, läßt - ohne nähere Ermittlungen über die von den Behörden des Heimatlandes gepflogene Praxis - nicht in stichhältiger Weise den Schluß zu, der Beschwerdeführer wäre in einer anderen Provinz seiner Heimat sicher vor Verfolgung gewesen, da bei der geographischen Ausdehnung Chinas nicht auszuschließen ist, daß ein Fahndungsbefehl zunächst nur lokal erlassen wird, jedoch auf andere Provinzen ausgedehnt wird, wenn sich herausstellt, daß er in der Ausstellungsprovinz nicht vollzogen werden kann.

Letztlich versagt aber auch das Argument der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sich sogleich in ein seiner Meinung nach sicheres Drittland begeben können, um dort einen Asylantrag zu stellen. Denn der Beschwerdeführer hielt sich nach Verlassen seiner Heimat mit Sichtvermerken legal in den Ländern seiner Reisebewegung auf, er reiste erst weiter, nachdem ihm eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung nicht möglich war, weshalb er erst ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vor Ab- oder Rückschiebung sicher war. Aus dem Umstand, daß der Beschwerdeführer während des legalisierten Aufenthaltes in verschiedenen Staaten keinen Asylantrag stellte, kann daher keinesfalls auf das Nichtvorliegen von drohender Verfolgung im Heimatland rückgeschlossen werden.

Deshalb erweist sich der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet - welche der Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht - , weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200323.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten