TE Vwgh Beschluss 2021/12/9 Ra 2020/14/0472

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Veröffentlicht am 09.12.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
VwGVG 2014 §29
VwGVG 2014 §29 Abs4

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/14/0473
Ra 2020/14/0474

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revisionen 1. des R A, 2. der F A, und 3. der J A, alle in W, alle vertreten durch Mag. Kenneth Hasenöhrl, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Wiedner Hauptstraße 120-124, Top 5.1, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. August 2020, 1. W251 2213442-1/18E, 2. W251 2213441-1/20E und 3. W251 2225597-1/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden, soweit sie sich gegen Spruchpunkt A) I. der angefochtenen Erkenntnisse (Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten) richten, zurückgewiesen.

Die Revisionen werden im Übrigen, also soweit sie sich gegen Spruchpunkt A) III. der angefochtenen Erkenntnisse (Erteilung von befristeten Aufenthaltsberechtigungen) richten, als gegenstandslos geworden erklärt und die Verfahren insoweit eingestellt.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige Afghanistans. Der Erst- und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und stellten am 4. Dezember 2015 nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Die Drittrevisionswerberin ist deren gemeinsame Tochter. Für sie wurde am 24. Juni 2019 nach ihrer Geburt im Bundesgebiet ein Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 gestellt.

2        Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20. Dezember 2018 und vom 24. Oktober 2019 wurden diese Anträge sowohl hinsichtlich des Status von Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Weiters wurden den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit den in Revision gezogenen, mit 28. August 2020 datierten Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden hinsichtlich der Begehren auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten in Spruchpunkt A) I. als unbegründet ab. Jedoch wurde den revisionswerbenden Parteien vom BVwG in Spruchpunkt A) II. jeweils der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen in Spruchpunkt A) III. gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung „bis zum 28.8.2021“ erteilt. Schließlich behob das BVwG in Spruchpunkt A) IV. in Erledigung der Beschwerden die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide ersatzlos. Unter einem sprach es in Spruchpunkt B) jeweils aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Diese - schriftlich erlassenen - Erkenntnisse wurden sowohl der damaligen Vertreterin der revisionswerbenden Parteien als auch dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als belangter Behörde am 1. September 2020 zugestellt.

4        Dagegen wurden die vorliegenden außerordentlichen Revisionen erhoben, die sich ausdrücklich nur gegen die Spruchpunkte A) I. und A) III. der angefochtenen Erkenntnisse richten.

5        Nach Vorlage der Verfahrensakten durch das BVwG und Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

1. Allgemeines

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2. Zur Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt A) I.)

9        Die Revisionen begründen ihre Zulässigkeit diesbezüglich mit behaupteten Mängeln der Beweiswürdigung des BVwG. Dieses ist davon ausgegangen, dass einerseits das Fluchtvorbringen des Erst- und der Zweitrevisionswerberin unglaubwürdig und andererseits die Zweitrevisionswerberin eine unselbstständige Frau mit zwar ausreichenden Deutschkenntnissen sei, die in Österreich jedoch nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius wahrnehme, sodass sie eine „westliche Orientierung“, der eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Lebensweise immanent sei, weder verinnerlicht noch in ihrer alltäglichen Lebensführung verankert habe. Es drohe daher keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat.

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 15.6.2021, Ra 2020/14/0454, mwN).

11       Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Erst- und von der Zweitrevisionswerberin verschaffen konnte, in einer umfangreichen Beweiswürdigung mit sämtlichen Verfahrensergebnissen, insbesondere den Angaben des Erst- und der Zeitrevisionswerberin und deren Plausibilität, auseinandergesetzt.

12       Eine nach dem dargestellten Maßstab unvertretbare Beweiswürdigung zeigen die Revisionen mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, das einerseits darauf verweist, dass das BVwG sich - auch, aber nicht allein tragend - auf bei der Erstbefragung gemachte Angaben bezieht, und andererseits bloß einzelnen weiteren Argumenten der Beweiswürdigung entgegentritt, nicht auf.

13       Von den revisionswerbenden Parteien werden somit - soweit sie sich gegen Spruchpunkt A) I. der angefochtenen Erkenntnisse richten - keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

3. Zur Befristung der Aufenthaltsberechtigungen (Spruchpunkt A) III.)

14       Die Revisionen sind hingegen - soweit sie sich gegen Spruchpunkt A) III. der angefochtenen Erkenntnisse richten - zulässig, weil sie zutreffend aufzeigen, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Festlegung der Gültigkeitsdauer befristeter Aufenthaltsberechtigungen abgewichen ist. Sie sind in diesem Umfang aber mittlerweile wegen Wegfalls des rechtlichen Interesses an einer Entscheidung darüber gegenstandslos geworden.

15       § 8 Abs. 4 AsylG 2005 lautet:

„(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.“

16       Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist aus Anlass der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsberechtigung subsidiär Schutzberechtigter die Gültigkeitsdauer der zu erteilenden Berechtigung ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt festzulegen (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

17       Die Erlassung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erfolgt mit Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung oder ihrer mündlichen Verkündung. Damit wird sie rechtlich existent (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0133, mwN).

18       Das BVwG hat mit den angefochtenen, mit 28. August 2020 datierten, jedoch am 1. September 2020 erstmals zugestellten - und erst damit erlassenen - Erkenntnissen den revisionswerbenden Parteien Aufenthaltsberechtigungen erteilt und diese bis zum 28. August 2021 befristet.

19       Wenn das Bundesverwaltungsgericht jedoch die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigungen nicht ausgehend von der Erlassung der Erkenntnisse, mit denen die Aufenthaltsberechtigungen erteilt wurden, bestimmt, sondern - wie hier - ausgehend vom Datum der Genehmigung der Entscheidung berechnet und festlegt, belastet es diese Erkenntnisse insofern mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (vgl. wiederum VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

20       Wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, ist die Revision gemäß § 33 Abs. 1 VwGG nach Anhörung des Revisionswerbers in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen. § 33 Abs. 1 VwGG ist nicht auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall (wegen Gegenstandslosigkeit) liegt insbesondere auch dann vor, wenn der Revisionswerber kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat (vgl. VwGH 31.3.2020, Ra 2020/14/0035, mwN).

21       Unabhängig vom Ausgang des Revisionsverfahrens wäre die erstmalige Befristung der Aufenthaltsberechtigungen der revisionswerbenden Parteien spätestens mit 1. September 2021 und damit mittlerweile jedenfalls abgelaufen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat über Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes mitgeteilt, dass die revisionswerbenden Parteien dort am 16. Juli 2021 Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen eingebracht hätten und dass über diese Anträge zumindest bis zum 4. November 2021 nicht entschieden worden sei.

22       Ergeht die Entscheidung über die Verlängerung nach Ablauf der in der zuvor erteilten Aufenthaltsberechtigung bestimmten Gültigkeitsdauer, so ist auch bei der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 zweiter Satz AsylG 2005 die Gültigkeitsdauer der zu erteilenden Berechtigung ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt - und nicht ausgehend vom Ende der zuvor abgelaufenen Befristung - festzulegen (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281, Rn 38).

23       Die rechtliche Situation der revisionswerbenden Parteien hängt somit nicht mehr davon ab, ob die erstmalige Befristung ihrer Aufenthaltsberechtigungen am 28. August 2021 oder am 1. September 2021 endete, weil diese Aufenthaltsberechtigungen nach § 8 Abs. 4 letzter Satz AsylG 2005 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die fristgerecht beantragte Verlängerung des Aufenthaltsrechts weiter bestehen und im Falle ihrer Verlängerung ausgehend vom Zeitpunkt der diesbezüglichen Entscheidung zu befristen sein werden.

24       Die revisionswerbenden Parteien sind diesen Umständen im Rahmen ihrer Anhörung zur Klaglosstellung nicht konkret entgegengetreten, sondern haben lediglich ohne weitere Begründung vorgebracht, dass weiter ein rechtliches Interesse an einer Entscheidung über die vorliegenden Revisionen bestehe, auch soweit diese Spruchpunkt A). III. der bekämpften Erkenntnisse betreffen.

25       Ein solches liegt aber, wie dargelegt, nicht mehr vor. Die Revisionen waren daher gemäß § 33 Abs. 1 VwGG im verbleibenden Umfang als gegenstandslos zu erklären und die Verfahren insoweit einzustellen.

26       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 58 Abs. 2 erster Satz VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 9. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140472.L00

Im RIS seit

07.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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