TE Vwgh Beschluss 2021/12/13 Ra 2021/14/0370

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.12.2021
beobachten
merken

Index

19/05 Menschenrechte
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

ABGB §138
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52
MRK Art8

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/14/0371
Ra 2021/14/0372

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Richter Dr. Himberger, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen 1. des I S, 2. der C S und 3. des H S, alle vertreten durch Mag. Kurt Jelinek, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 1a, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 13. Oktober 2021, 1. L518 2174728-1/21E, 2. L518 2174725-1/18E und 3. L518 2174727-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern des Drittrevisionswerbers. Alle Revisionswerber sind Staatsangehörige der Republik Aserbaidschan und stellten am 6. August 2016 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005, die sie im Wesentlichen damit begründeten, der Erstrevisionswerber habe viele Schulden und Angst, von der Mafia getötet zu werden.

2        Mit den Bescheiden jeweils vom 21. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge ab, erteilte den Revisionswerbern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Aserbaidschan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden - nach Durchführung einer Verhandlung - mit den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 13. Oktober 2021 als unbegründet abgewiesen. Unter einem wurde ausgesprochen, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Zur Begründung der Zulässigkeit der Revisionen wird vorgebracht, dem Bundesverwaltungsgericht sei bezüglich der wohlbegründeten Furcht und dem Vorliegen eines Fluchtgrundes sowie der innerstaatlichen Fluchtalternativen ein Denkfehler unterlaufen, dem grundsätzliche Bedeutung zukomme. Darüber hinaus habe sich das Bundesverwaltungsgericht unzureichend mit der Rückkehrsituation der Familie und dem Kindeswohl auseinandergesetzt. Auch habe das Bundesverwaltungsgericht es unterlassen, für die mündliche Verhandlung einen für die Zweitrevisionswerberin geeigneten Dolmetscher für die türkische Sprache zu laden.

8        Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. VwGH 13.10.2021, Ra 2021/14/0320, mwN).

9        Diesen Anforderungen werden die Revisionen mit den Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung nicht gerecht, zumal sie lediglich auf einen - nicht näher ausgeführten - Denkfehler des Bundesverwaltungsgerichts „bezüglich der wohlbegründeten Furcht und dem Vorliegen eines Fluchtgrundes sowie der innerstaatlichen Fluchtalternativen“ hinweisen, dem grundsätzliche Bedeutung zukomme. Dabei wird weder konkret angegeben, von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Verwaltungsgericht nach Ansicht der Revisionswerber abgewichen sein soll, noch zeigen die Revisionen eine Rechtsfrage auf, die der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hätte (vgl. VwGH 26.8.2019, Ra 2019/20/0378, mwN).

10       Soweit sich die Revisionen gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidungen vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wenden, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist - nicht revisibel (vgl. VwGH 30.7.2021, Ra 2021/14/0232 bis 0233, mwN).

11       Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. auch dazu VwGH 3.9.2021, Ra 2020/14/0282, mwN).

12       In diesem Zusammenhang haben die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bereits wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, auch im Bereich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in denen auf das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen sei, dienten die in § 138 ABGB genannten Kriterien als Orientierungsmaßstab (vgl. VwGH 14.12.2020, Ra 2020/20/0408 bis 0411, mwN).

13       Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer Verhandlung, in deren Rahmen es sich auch einen unmittelbaren Eindruck von den revisionswerbenden Parteien verschafft hat - die für die jeweilige Entscheidung maßgeblichen Umstände festgestellt. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zudem im Rahmen der Interessenabwägungen am Boden der fallbezogen gegebenen Umstände ausreichend mit dem Kindeswohl des Drittrevisionswerbers auseinandergesetzt und näher begründet, wie es zum Ergebnis gelangte, dass eine Gefährdung des Kindeswohls nicht erkennbar sei. Die Revisionen treten weder diesen Erwägungen mit Substanz entgegen, noch zeigen sie auf, dass das Bundesverwaltungsgerichts von den oben dargelegten Grundsätzen abgewichen wäre.

14       Soweit die Revisionen schließlich geltend machen, das Bundesverwaltungsgericht habe für die Zweitrevisionswerberin keinen geeigneten Dolmetscher geladen, machen sie einen Verfahrensmangel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 13.10.2021, Ra 2021/14/0305, mwN).

15       Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarlegung lassen die Revisionen mit ihrem pauschalen Vorbringen, die Zweitrevisionswerberin hätte auf die Fragen des Richters präziser antworten und den Sachverhalt unmittelbar schildern können, ohne jedoch darzulegen, was sie konkret ausgesagt hätte, vermissen. Abgesehen davon, dass der Niederschrift der mündlichen Verhandlung nicht entnommen werden kann, dass die Beantwortung der Fragen nicht ausreichend möglich gewesen wäre, ergibt sich daraus weiters, dass die Zweitrevisionswerberin - in Anwesenheit ihres Rechtsvertreters - nach Rückübersetzung gegen die Niederschrift keine Einwendungen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit erhob.

16       In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 13. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140370.L00

Im RIS seit

07.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten