TE OGH 2021/10/21 3Ob101/21f

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Veröffentlicht am 21.10.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei F.*****-Privatstiftung *****, vertreten durch Beck & Dörnhöfer & Partner Rechtsanwälte in Eisenstadt, gegen die verpflichtete Partei Marktgemeinde B*****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Räumung und Vornahme vertretbarer Handlungen, über die Revisionsrekurse der betreibenden Partei und des Einschreiters Y*****, vertreten durch Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 25. März 2021, GZ 13 R 80/20t, 81/20i-80, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Eisenstadt vom 15. April 2020, GZ 4 E 241/19p-69 und GZ 4 E 241/19p-70 (in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 7. Mai 2020, GZ 4 E 241/19p-74), abgeändert wurden, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Revisionsrekurs des Einschreiters wird zurückgewiesen.

2.1. Der Revisionsrekurs der betreibenden Partei wird, soweit er sich gegen die Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses ON 69 wendet, ebenfalls zurückgewiesen.

2.2. Soweit sich der Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen die Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses ON 70 richtet, wird ihm hingegen Folge gegeben und die erstgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt.

3. Der Einschreiter ist schuldig, der betreibenden Partei die mit 5.141,52 EUR (hierin enthalten 856,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens und die mit 2.142,54 EUR (hierin enthalten 357,09 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]            Das Erstgericht bewilligte der betreibenden Partei gegen die verpflichtete Partei mit Beschlüssen vom 23. Jänner 2019 aufgrund eines prätorischen Vergleichs vom 15. Jänner 2019 einerseits die zwangsweise Räumung näher bezeichneter, seinerzeit vom Einschreiter in Unterbestand genommener Flächen und andererseits die Exekution gemäß § 353 EO zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Entfernung von Gebäuden (Überbauten) auf den vom Einschreiter in Unterbestand genommenen Flächen.

[2]       Mit Beschluss vom 11. März 2019 schob das Erstgericht die Räumungsexekution und die Exekution gemäß § 353 EO gegen Erlag einer Sicherheitsleistung von jeweils 120.750 EUR bis zur rechtskräftigen Erledigung einer vom Einschreiter gegen die Betreibende erhobenen Exszindierungsklage auf, wobei es bei der Berechnung der Höhe der Sicherheitsleistung von einer Verfahrensdauer von etwa einem Jahr ausging. Noch im März 2019 erlegte der Einschreiter die beiden Sicherheitsleistungen von je 120.750 EUR, weshalb das Erstgericht mit Beschlüssen vom 19. und 25. März 2019 die mit Beschluss vom 11. März 2019 bewilligte Aufschiebung der beiden Exekutionen für wirksam erklärte.

[3]            Mit Eingabe vom 27. Februar 2020 beantragte die Betreibende die Fortsetzung des Exekutionsverfahrens; hilfsweise begehrte sie, die weitere Aufschiebung der Exekution vom Erlag einer zusätzlichen Sicherheitsleistung in Höhe von zumindest 428.055 EUR abhängig zu machen, weil damit zu rechnen sei, dass das Exszindierungsverfahren ein weiteres Jahr dauern werde.

[4]       Das Erstgericht wies mit Beschluss ON 69 den Antrag auf Fortsetzung der Exekution ab und trug dem Einschreiter den Erlag weiterer Sicherheitsleistungen in Höhe von jeweils 120.750 EUR bei sonstiger Fortsetzung der Räumungsexekution und der Exekution nach § 353 EO auf.

[5]       Mit Beschluss ON 70 bewilligte das Erstgericht in Hinblick auf eine vom Einschreiter (bereits im Jahr 2019) eingebrachte Klage auf Feststellung der absoluten Nichtigkeit des prätorischen Vergleichs, hilfsweise seiner Unwirksamkeit gegenüber dem Einschreiter, die Aufschiebung der Räumungsexekution und der Exekution gemäß § 353 EO jeweils gegen Erlag einer Sicherheitsleistung von 120.750 EUR.

[6]       Das Rekursgericht gab den Rekursen des Einschreiters gegen beide Beschlüsse (teilweise) Folge. Es änderte den Beschluss ON 69 dahin ab, dass es dem Einschreiter der Erlag einer weiteren Sicherheitsleistung von (nur) jeweils 60.375 EUR auftrug, widrigenfalls die beiden Exekutionen fortgesetzt würden. Den Beschluss ON 70 änderte es dahin ab, dass die Aufschiebung der Exekutionen in Hinblick auf die Feststellungsklage ohne Sicherheitsleistung bewilligt wurde.

[7]       Das Erstgericht habe dem Einschreiter im Beschluss ON 69 zu Recht eine weitere Sicherheitsleistung für den Zeitraum von einem Jahr auferlegt. Der Einschreiter habe schon für das erste Jahr der Aufschiebung eine Sicherheitsleistung von insgesamt 241.500 EUR erlegt. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass dieser, anders als im Regelfall des Exekutionsverfahrens, in dem die verpflichtete Partei bereits am vorangegangenen Titelverfahren beteiligt gewesen sei, gerade nicht diese Möglichkeit der Mitwirkung am Titelverfahren gehabt habe. Dies gelte umso mehr, als aufgrund der bereits erlegten und der nunmehr vom Erstgericht bestimmten weiteren Sicherheitsleistung die Gefahr nicht von der Hand zu weisen sei, dass dem Einschreiter die Führung des Exszindierungsverfahrens verunmöglicht werde. Aus diesem Grund sei die Höhe der vom Erstgericht festgelegten Sicherheitsleistung zu halbieren.

[8]       Der Rekurs des Einschreiters gegen die Auferlegung der Sicherheitsleistungen im Beschluss ON 70 sei berechtigt, weil die Sicherheitsleistung insgesamt nicht höher sein könne als der allenfalls mögliche Gesamtschaden. Da für den hier zu beurteilenden Zeitraum (zweites Aufschiebungsjahr) bereits mit Beschluss ON 69 eine Sicherheitsleistung unter Berücksichtigung des möglichen Schadens in diesem Zeitraum auferlegt worden sei, sei der Auftrag zum Erlag einer Sicherheitsleistung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Feststellungsverfahrens erst nach Beendigung des Exszindierungsverfahrens bzw bei Nichterlag der Sicherheitsleistung in diesem Verfahren möglich.

[9]            Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den hier entscheidungsrelevanten Fragen fehle, ob und wenn ja, in welchem Umfang die Nichtbeteiligung des Aufschiebungswerbers im Titelverfahren bei der Bestimmung der Höhe der Sicherheitsleistung zu berücksichtigen sei, und ob bei einer bereits gegen Erlag einer den drohenden Schaden abdeckenden Sicherheitsleistung aufgeschobenen Exekution für den Fall, dass aufgrund des Vorliegens eines weiteren Aufschiebungsgrundes ebenfalls die Aufschiebung bewilligt werde, erneut eine Sicherheitsleistung aufzutragen sei.

[10]           Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionsrekurse der Betreibenden mit dem Antrag auf Wiederherstellung der erstgerichtlichen Beschlüsse ON 69 und ON 70 und des Einschreiters mit dem Antrag, den dem Beschluss ON 69 zugrunde liegenden Eventualantrag der Betreibenden auf Auferlegung einer weiteren Sicherheitsleistung zur Gänze abzuweisen.

[11]     Die Betreibende und der Einschreiter beantragen in ihren Revisionsrekursbeantwortungen jeweils, den Revisionsrekurs der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12]     Die Revisionsrekurse sind, soweit sie sich gegen die Abänderung des Beschlusses ON 69 richten, infolge Wegfalls der Beschwer nicht zulässig. Hingegen ist der Revisionsrekurs gegen die Abänderung des Beschlusses ON 70 zulässig und berechtigt.

I. Zum Beschluss ON 69:

[13]           1. Jede Aufschiebung der Exekution setzt (ua) das Vorliegen eines der in § 42 EO aufgezählten Aufschiebungsgründe voraus. Die Exszindierungsklage des Einschreiters wurde mittlerweile rechtskräftig abgewiesen (vgl 3 Ob 71/21v vom 20. Mai 2021). Damit ist aber der dem Beschluss ON 69 zugrunde liegende Aufschiebungsgrund nach Fällung der Rekursentscheidung und nach Einbringung der Revisionsrekurse (wie auch der Revisionsrekursbeantwortungen) weggefallen, weshalb die in Hinblick auf die Exszindierungsklage angeordnete Aufschiebung der Exekutionen unabhängig vom Erlag einer weiteren Sicherheitsleistung hinfällig ist. Damit käme aber einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über die Höhe der im konkreten Fall aufzuerlegenden weiteren Sicherheitsleistungen nur noch theoretische Bedeutung zu.

[14]           2. Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer voraus, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, rein theoretische Fragen zu entscheiden (vgl RS0002495). Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Beschwer. Letztere liegt vor, wenn die (materielle oder prozessuale) Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt wird, diese also für ihn ungünstig ausfällt (vgl RS0041868 [T3, T7]). Ist das nicht der Fall, ist das Rechtsmittel auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidung formal vom Antrag abweicht (vgl RS0041868 [T15]). Die Beschwer muss zur Zeit der Einlegung des Rechtsmittels gegeben sein und zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen, widrigenfalls das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen ist (vgl RS0041770).

[15]           3. Die Revisionsrekurse sind daher, soweit sie sich gegen die Abänderung des Beschlusses ON 69 richten, wegen nachträglichen Wegfalls der Beschwer zurückzuweisen (vgl 3 Ob 235/16d; 3 Ob 1/00v; 3 Ob 1005/93).

II. Zum Beschluss ON 70:

[16]     1. Die Betreibende weist in ihrem Revisionsrekurs zutreffend darauf hin, dass die Vorgangsweise des Rekursgerichts, die Aufschiebung in Hinblick auf die Feststellungsklage angesichts der für die Aufschiebung hinsichtlich der Exszindierungsklage erlegten bzw noch zusätzlich zu erlegenden Sicherheitsleistung ohne Auferlegung einer weiteren Sicherheitsleistung zu bewilligen, zur Folge hätte, dass die Exekution vorerst auch dann aufgeschoben wäre, wenn der Einschreiter die für die weitere Aufschiebung in Hinblick auf die Exszindierungsklage aufgetragene Sicherheitsleistung nicht erlegen sollte. Dem kann der Einschreiter in seiner Revisionsrekursbeantwortung nichts entgegensetzen.

[17]     2. Dazu kommt, dass angesichts der mittlerweile rechtskräftigen Erledigung der Exszindierungsklage nicht damit zu rechnen ist, dass der Einschreiter die dafür aufgetragene weitere Sicherheitsleistung noch erlegt. Schon aus diesem Grund ist es geboten, den erstgerichtlichen Beschluss ON 70 wiederherzustellen.

III. Zur Kostenentscheidung:

[18]     1. Der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses in der Hauptsache führt zwar zur Zurückweisung des Rechtsmittels, ist aber gemäß § 50 Abs 2 ZPO iVm § 78 EO bei der Entscheidung über die Rechtsmittelkosten nicht zu berücksichtigen; die Kostenentscheidung ist vielmehr so zu treffen, wie wenn das Rechtsschutzinteresse nicht weggefallen wäre (vgl 3 Ob 235/16d; RS0036102 [T4]). Diese Prüfung hat nicht streng zu erfolgen (RS0036102 [T10]).

[19]     2. Die Betreibende macht in ihrem Revisionsrekurs (hinsichtlich des Beschlusses ON 69) zutreffend geltend, dass die Herabsetzung der Sicherheitsleistung durch das Rekursgericht mit der von diesem richtig wiedergegebenen Rechtsprechung, wonach kein Verstoß gegen Art 6 EMRK vorliegt und die Sicherheit nach § 44 Abs 2 EO den der betreibenden Partei infolge Verzögerung ihrer Befriedigung drohenden Schaden abdecken soll, nicht in Einklang zu bringen ist. Dem Revisionsrekurs der Betreibenden wäre daher bei meritorischer Entscheidung stattzugeben gewesen, während jener des Einschreiters erfolglos geblieben wäre.

[20]     3. Die hypothetisch (Beschluss ON 69) und tatsächlich (Beschluss ON 70) voll obsiegende Betreibende hat daher gemäß § 74 EO bzw gemäß § 50 Abs 2 ZPO iVm § 78 EO Anspruch auf Ersatz der Kosten ihres Revisionsrekurses und ihrer Revisionsrekursbeantwortung, sowie der Kosten ihrer Rekursbeantwortung zum Rekurs des Einschreiters gegen den Beschluss ON 70. Für einen Revisionsrekurs gegen eine Entscheidung über einen Aufschiebungsantrag ist allerdings keine Pauschalgebühr zu entrichten (TP 4 III GGG). Bei einer Bemessungsgrundlage von 174.474,56 EUR beträgt der Ansatz nach TP 3C, anders als in der Revisionsrekursbeantwortung verzeichnet, nur 1.426,80 EUR.

Textnummer

E133413

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00101.21F.1021.000

Im RIS seit

07.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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