TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/21 W242 2215929-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.10.2021
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Entscheidungsdatum

21.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W242 2215929-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Heumayr als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit China, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU GmbH), 1020 Wien, Leopold-Moses-Gasse 4, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX 2021 zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein, stellte am XXXX 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am XXXX 2019 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die chinesische Sprache einer niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen. Er bestätigte die Rückübersetzung der Niederschrift in eine ihm verständliche Sprache, die Tatsache, dass er keine Ergänzungen sowie Korrekturen zu machen habe und dass er alles verstanden habe, mit seiner Unterschrift.

Am XXXX 2019 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter Beziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Mandarin die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers statt, wobei dieser durch seine Unterschrift bestätigte, dass ihm die Niederschrift rückübersetzt worden sei und dass der Inhalt richtig sei.

Mit Bescheid vom XXXX 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seinen Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer auch keine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach China zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.) und dem Beschwerdeführer schließlich aufgetragen von XXXX 2019 bis zur Rechtskraft des Verfahrens in einem bestimmten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VII.).

Gegen den Bescheid erhob der Beschwerdeführer am XXXX 2019 fristgerecht Beschwerde und begründete diese unter anderem mit der Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Des Weiteren brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, es könne davon ausgegangen werden, dass dieser im Falle einer Abschiebung nach China einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse und der derzeit in China vorherrschenden Sicherheitslage mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde. Jedenfalls sei ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, sollte dem Vorbringen keine Asylrelevanz zugemessen werden. Schließlich falle im vorliegenden Fall auch die Rechtsgrundlage für die Rückkehrentscheidung weg.

Mit Beschwerdevorlage vom XXXX 2019 informierte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über gegenständliches Verfahren und übermittelte dem BVwG die Beschwerde samt Akt mit dem Antrag, das BVwG möge die Beschwerde als unbegründet abweisen.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom XXXX 2021 wurde die gegenständliche Rechtssache neu zugwiesen – eingelangt am XXXX 2021.

Am XXXX 2021 erfolgte unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die chinesische Sprache die mündliche Einvernahme des Beschwerdeführers in Anwesenheit seiner Rechtsvertretung. Im Zuge der Verhandlung legte der Beschwerdeführer einen Meldezettel XXXX 2021 im Original und Kopie sowie Gehaltsabrechnungen von VI., VII. und VIII. 2021, von Jänner bis Mai 2020 und von Juli 2020 und von November und Dezember 2019 (im Original) vor, wobei der Beschwerdeführer die Meldezettel und Lohnzettel im Original zurückerhielt. Darüber hinaus übermittelte der Beschwerdeführer im Rahmen der Verhandlung die erteilte Vollmacht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX . Er ist chinesischer Staatsangehöriger, seine Muttersprache ist Chinesisch. Er wurde am XXXX in XXXX geboren. Er ist geschieden, lebt derzeit in keiner Lebensgemeinschaft und hat zwei Kinder. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer arbeitete in China vor seiner Ausreise als Bauer. Er besitzt nach wie vor Land, welches er derzeit verpachtet hat.

In seinem Herkunftsland leben seine beiden erwachsenen Kinder. Zu diesen hat der Beschwerdeführer ab und zu Kontakt, selten auch zu seiner ehemaligen Ehefrau.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er leidet weder an chronischen oder akuten Krankheiten noch an anderen Leiden oder Gebrechen.

Zum (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste spätestens am XXXX 2019 nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Familienangehörige oder sonstige Verwandte. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er durch seine Tätigkeit als Koch im Lokal „ XXXX “. Mit Bescheid des AMS vom XXXX 2019 wurde dem Beschwerdeführer für den Zeitraum vom XXXX 2019 bis XXXX 2020 eine Beschäftigungsbewilligung für eine Beschäftigung als Koch im Ausmaß von 40 Stunden pro Woche und mit einem monatlichen Entgelt von EUR 1.600 brutto erteilt. Er ist kein Mitglied in einem Verein.

Der Beschwerdeführer ist seit XXXX 2021 in XXXX gemeldet. Seine erste Meldung im Bundesgebiet erfolgte am XXXX 2019. Er ist strafrechtlich unbescholten.

Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer in China keiner konkreten und individuellen Gefahr ausgesetzt ist, von Privatpersonen und/oder von staatlichen Behörden mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

Des Weiteren wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer in China auch sonst keiner konkreten und individuellen Gefahr ausgesetzt ist, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlicher Ansichten mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführer wird, insb. vor dem Hintergrund seiner früheren Tätigkeit als Bauer und seiner im Bundesgebiet gesammelten Berufserfahrung sowie seiner in China lebenden Familienangehörigen, im Falle der Rückkehr in der Lage sein, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft zu befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung nach China somit keine Verletzung seiner Rechte im Sinne der Art. 2 und Art. 3 EMRK bzw. im Sinne der Zusatzprotokolle zur EMRK Nr. 6 und Nr. 13 droht.

Zur maßgeblichen Situation in China:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 05.01.2021 auszugsweise wiedergegeben:

„[…]

1. COVID-19

Letzte Änderung: 16.12.2020

Nach Bekanntwerden von COVID-19 Fällen im Dezember 2019, wurde von den Behörden trotz eines umfassenden, landesweit ausgebauten Meldesystems für Epidemien die bestehenden Vorfälle verharmlost und vertuscht (TNYT 1.2.2020). Die chinesischen Behörden haben medizinische Fachkräfte, die über das "geheimnisvolle Lungenleiden" informierten, vorgeworfen, Falschinformationen zu verbreiten (DP 4.4.2020).

Wuhan wurde als Ausgangspunkt der Pandemie rund eineinhalb Monate nach der Registrierung des ersten Patienten unter Quarantäne gestellt (DW 12.2.2020), nachdem von staatlicher Seite mehr als 55.000 Infektionsfälle gemeldet wurden (TG 23.4.2020). Später folgten weitere Regionen, in denen – je nach Anzahl der Infektionen – unterschiedlich strenge Maßnahmen durch die Regierung angeordnet wurden. Von den ergangenen drastischen Regelungen waren rund 60 Millionen Menschen betroffen (Addendum 20.3.2020; vgl. ZO 14.4.2020, SF 9.4.2020).

Die Industrieproduktion ging im Januar und Februar um 13,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück (ZO 14.4.2020), was den stärksten Einbruch seit 30 Jahren bedeutet (LVAk 5.2020; vgl. ZO 14.4.2020). Mittlerweile meldet China kaum noch neue COVID-19 Fälle (DW 8.5.2020; vgl. FORBES 17.4.2020), doch treten vermehrt "importierte Fälle" auf (FORBES 17.4.2020; vgl. DS 27.3.2020). Verschwiegen wird jedoch in den Staatsmedien stets, dass es sich bei den eingereisten Infizierten bis zu 90 Prozent um Staatsbürger der Volksrepublik China handelt. Ausländer, darunter auch Diplomaten, durften damals nur in Ausnahmefällen ins Land (LVAk 5.2020).

Seit 28.3.2020 besteht ein Einreiseverbot für ausländische Staatsbürger (WKO 10.12.2020). Das chinesische Gesundheitssystem hielt nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung mit. Gemäß aktuellen Vergleichszahlen der OECD sind für 1.000 Einwohner 2,7 Krankenschwestern und -pfleger sowie zwei Ärzte verfügbar. Zwar räumt die Regierung Schwachstellen im zentralisierten Gesundheitswesen ein (HB 19.2.2020), jedoch haben Kritik am Vorgehen der Regierung, wie auch eine kritische Berichterstattung mitunter Verhaftungen wegen der "Verbreitung falscher Gerüchte" zur Folge (RSF 14.4.2020). Der chinesische Präsident Xi Jinping hat sich währenddessen verpflichtet, ein leistungsfähiges öffentliches Gesundheitssystem aufzubauen, das für Chinas Entwicklungsstrategie und nationale Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist (SCMP 5.6.2020).

Im März und April 2020 nahmen Fabriken und unterschiedliche Unternehmen, ihre Arbeit wieder auf (LVAk 5.2020). In der Jahresmitte 2020 stellte sich die COVID-19-Gesamtsituation sich landesweit stabil dar, sporadische Fälle traten auf (XN 4.6.2020; vgl. FR 26.5.2020) und es wird von vereinzelten (XN 4.6.2020; vgl. DW 30.5.2020, FR 26.5.2020), vorrangig aus dem Ausland importierten Fällen von Neuinfektionen berichtet (CGTN 8.6.2020; vgl. FR24 1.6.2020, AnA 26.5.2020, TG 23.5.2020). Das seit 28.3.2020 gültige Einreiseverbot für ausländische Staatsbürger nach Festlandchina, auch für solche mit gültiger Aufenthaltsberechtigung ist weiterhin aufrecht (BMEIA 24.11.2020; vgl. MoFA CH 26.3.2020).

Im Ursprungsland des Coronavirus bleiben die Neuinfektionen seit Monaten derart niedrig, dass an den offiziellen Zahlen Zweifel bestehen. Konstant vermelden die chinesischen Behörden zwar neue Infektionen, aber die sind nahezu täglich im niedrigen zweistelligen Bereich. Tauchen doch kleinere Cluster auf, müssen sich alle Bewohner einem Test unterziehen. Zudem werden für einzelne Stadtviertel oder gesamte Städte strikte Ausgangssperren verhängt. Verwunderlich aber ist es dennoch, dass die Zahl der Neuinfektionen so gut wie nie 30 überschreitet (DS 12.10.2020).

2. Politische Lage

Letzte Änderung: 17.12.2020

Die Volksrepublik (VR) China ist mit geschätzten 1,395 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2020) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 24.11.2020).

China ist in 33 Verwaltungseinheiten, 22 Provinzen, die fünf autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) gegliedert. Es gibt sieben Militärzonen, die jeweils verschiedene Provinzen bzw. Teile umfassen (ÖB 10.2020; vgl. AA 6.11.2020).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauer" beruht (BMBF 2020; vgl. Heilmann 2016). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 11.3.2020). Zentral für das politische System Chinas ist der Führungsanspruch der Kommunistischen Partei Chinas, der auch in der Verfassung verankert ist. Andere politische Organisationen, Medien, Zivilgesellschaft und religiöse Aktivitäten haben sich den Zielen der Partei unterzuordnen und werden streng reguliert. Ministerpräsident Li Keqiang leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem „inneren Kabinett“ aus vier Stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung (BMBF 2020; vgl. Heilmann 2016).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird für fünf Jahre gewählt (FH 4.3.2020; vgl. BMBF 2020). Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 4.3.2020; vgl. BMBF 2020) und ist formal das gesetzgebende Organ der VR China. Er tagt als Plenum einmal jährlich und beschließt mit einer Legislaturperiode von fünf Jahren nationale Gesetze (LVAk 9.2019).

Eine parlamentarische Opposition zur KP Chinas gibt es nicht (AA 1.12.2020). Seit dem Massaker vom Tiananmen-Platz im Jahr 1989, als die Volksbefreiungsarmee (PLA) gewaltsam gegen eine von Studenten geführte pro-demokratische Bewegung vorgegangen ist, hat es keine Versuche gegeben, den politischen Wettbewerb zu erhöhen. Nach dem "Vorfall", der nach wie vor in China ein Tabuthema ist, wurden die politischen Reformer von der KP-Führung gesäubert (BS 29.4.2020). Zwar sind acht sogenannte demokratische Parteien offiziell anerkannt, jedoch sind alle der KP Chinas unterstellt (BS 29.4.2020). Chinas Einparteiensystem unterdrückt die Entwicklung einer organisierten politischen Opposition rigoros. Selbst innerhalb der KPCh hat Xi Jinping seit 2012 seine eigene Macht und Autorität stetig ausgebaut, sowie eine selektive Antikorruptionskampagne geführt, um potenzielle Rivalen auszuschalten (FH 4.3.2020).

Der vom Präsidenten Xi Jinping konzipierte "Chinesische Traum" soll China den Status einer Weltmacht wiedererlangen helfen. Die chinesische Regierung verfolgt gesellschaftliche Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung als zwei zentrale Anliegen in ihrer Agenda. Demgegenüber stellt eine Transformation zur Demokratie auf der Grundlage der Herrschaft des Rechts keines der langfristigen strategischen Ziele der Regierung dar. Vielmehr verfolgt die Regierung als bewusste Strategie, einer Bedrohung durch pro-demokratische Tendenzen und Herausforderungen für die politische Hegemonie der Partei entgegenzuwirken (BS 29.4.2020).

Zu Beginn der Tagung des Volkskongresses im Mai 2020 kündigte die Regierung an, dass trotz der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie sowie des Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten der Verteidigungshaushalt im laufenden Jahr abermals deutlich erhöht werden soll. Diese Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren gewachsenen Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarstaaten sowie den USA wegen der von Peking erhobenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer (FAZ 21.5.2020; vgl. WKO 1.12.2020).

Ungeachtet internationaler Proteste hat Chinas Nationaler Volkskongress die Einführung eines Sicherheitsgesetzes für Hongkong gebilligt, mit dem nach Ansicht von Kritikern die Bürgerrechte in der Sonderverwaltungszone massiv beschnitten werden. Zum Abschluss der Jahrestagung beauftragten die Abgeordneten den Ständigen Ausschuss des Parlaments, das Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Chinas Sonderverwaltungsregion zu erlassen (ZO 28.5.2020). Peking reagiert mit dem Sicherheitsgesetz auf die monatelangen, mitunter gewalttätigen Proteste der Hongkonger Demokratiebewegung im vergangenen Jahr. Das Gesetz soll "Abspaltung", "Subverson", "Terrorismus" und die "Gefährdung der nationalen Sicherheit" unter Strafe stellen und den offenen Einsatz festlandchinesischer Sicherheitsbehörden in Hongkong ermöglichen. Die Pekinger Pläne haben neue Proteste in Hongkong ausgelöst, bei denen es zu gewalttätigen Konfrontationen mit der Polizei kommt (ARTE 28.5.2020).

3. Sicherheitslage

Letzte Änderung: 17.12.2020

Wegen der Ausbreitung von COVID-19 kommt es in China zu verschärften Einreisekontrollen, Gesundheitsüberprüfungen und seit 28.03.2020 zu einer Einreisesperre für Ausländer (BMEIA 24.11.2020). Die Fallzahlen haben sich in China auf einem niedrigen Niveau stabilisiert (AA 7.12.2020).

Aufgrund einer massiven Präsenz von Sicherheitskräften in besonders gefährdeten Regionen ist eine Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen in China generell niedrig (GW 19.6.2020). Berichten zufolge wurden in den letzten zehn Jahren 170 Millionen Überwachungskameras in Städten und Gemeinden im ganzen Land installiert (DFAT 3.10.2020). Dennoch kann es vereinzelt zu Demonstrationen und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften kommen. Auch sind in den letzten Jahren in China Anschläge verübt worden (EDA 23.7.2020). Konflikte und mutmaßliche Diskriminierung und Ungleichbehandlung durch die Han-Mehrheitsbevölkerung und die anhaltende harte Linie der lokalen Regierung, können die laufende Problematik der muslimischen Gemeinschaft über die uigurischen Minderheiten hinaus noch verschärfen (GW 17.6.2020).

Zwar gibt es in China noch keine unversöhnlichen ethnischen, sozialen oder religiösen Spaltungen, soziale Unruhen sind allerdings an der Tagesordnung. Auch wenn die meisten Demonstrationen als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik personell meist gering ausfallen, betreffen sie dennoch existentielle Fragen wie Lohnrückstände, dem Abriss von Häusern und der Umsiedlung oder Enteignung (BS 29.4.2020). Landerwerb ohne volle Einbeziehung der örtlich Betroffenen stößt zunehmend auf Proteste, insbesondere in Guangdong, Fujian, Zhejiang, Jiangsu, Shandong und Sichuan. Proteste wegen der Modalitäten von Zwangsumsiedlungen wie auch Entschädigungsleistungen sind an der Tagesordnung und die Behörden verfolgen einige der Anführer solcher Proteste strafrechtlich. Die Wahrscheinlichkeit von Protesten, vor allem in Form von Demonstrationen und Blockaden, wird in Bezug auf den Bau größerer Infrastrukturprojekte, dem Bergbau, etc. auch weiterhin hoch eingeschätzt. Wesentliche Störungen sind aufgrund einer starken Sicherheitspräsenz unwahrscheinlich (GW 17.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, BS 29.4.2020).

China hat anhand der Vorkommnisse der späten 1980er Jahre gelernt, dass soziale Spannungen zu einer ernsthaften Gefährdung des Systems führen können. Infolgedessen wurde ein engmaschiges Kontroll- und Regulierungssystem sowohl in urbanen Kerngebieten als auch in den peripheren Siedlungsgebieten der Minderheiten aufgebaut (LVAk 9.2019). Die staatliche Kontrolle durch eine massive, sichtbare Polizeipräsenz an strategischen Punkten und wichtigen Orten wird aufrechterhalten (BS 29.4.2020). Medienberichten zu Folge haben die chinesische Polizei und die Sicherheitsbehörden 2016 damit begonnen, Fotodatenbanken, künstliche Intelligenz und Überwachungskameras mit Gesichtserkennungstechnologie zu kombinieren, um Verdächtige und "destabilisierende Akteure" in der Gesellschaft aufzuspüren (DFAT 3.10.2020). Berichten zufolge werden auch gewonnene DNA-Proben, Urinproben, Sprachaufzeichnungen, Fingerabdrücke, Fotos und eine Vielzahl von persönlichen Daten von den Sicherheitsbehörden gesammelt (BBC 19.12.2019; vgl. RFA 23.8.2019, HRW 16.5.2017).

Auf der Tagung des Volkskongresses im Mai 2020 kündigte der Ministerpräsident an, dass auch trotz der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie sowie des Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten, der Verteidigungshaushalt im laufenden Jahr abermals deutlich steigen soll. Die Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren gewachsenen Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarstaaten sowie die USA wegen der von Peking erhobenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer (SN 22.5.2020; vgl. FAZ 21.5.2020, WKO 12.5.2020).

China und Russland:

Die chinesisch-russischen Beziehungen werden aus chinesischer Sicht als eine "stabile strategische Partnerschaft" betrachtet (LVAk 5.2020; vgl. GH 17.2.2016). Diese politische, wirtschaftliche und auch militärische Partnerschaft beruht auf einer nüchternen Einschätzung der jeweiligen nationalen Interessen (CISR 2020; vgl. LVAk 5.2020). Langfristigen Aussichten für die chinesisch-russische Partnerschaft sind ungewiss. Vor dem Hintergrund eines unruhigen internationalen Umfelds stehen China und Russland vor großen Herausforderungen, um die Dynamik ihrer Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten (CISR 2020).

Seit 2003 arbeiten Russland und China eng im UN-Sicherheitsrat zusammen. Um die jeweiligen Positionen zu koordinieren, werden die diplomatische Rahmenstrukturen der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika)-Gruppe und die SCO (Shanghai Cooperation Organization – SCO), Russland, China, Indien, Kasachstan, Kirgisistan, Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan genutzt. Äußerst relevant stellt sich die Sicherheitskooperation innerhalb der SCO dar. Diese widmet sich dem Kampf der "three evil forces", Terrorismus, Separatismus (Taiwan, Tibet und Xinjiang) und Extremismus. In diesen Bereichen soll auch ein Austausch nachrichtendienstlicher Informationen erfolgen und Auslieferungsabkommen exekutiert werden (LVAk 5.2020; vgl. BAMF 2.2020).

China und Indien:

Der südasiatische Subkontinent ist der bedeutendste geopolitische Rivale Chinas in Asien (IPG 15.10.2020). Die Streitigkeiten zwischen China und Indien über den Grenzverlauf im bevölkerungsarmen Himalaya-Gebiet ist seit dem Grenzkrieg von 1962 nicht beigelegt (LVAk 5.2020). China und Indien beanspruchen gegenseitig Geländeabschnitte, wobei es gelegentlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in diesem Grenzgebieten kommt (LVAk 5.2020; vgl. REUTERS 2.9.2020). Ein "Handgemenge" zwischen indischen und chinesischen Soldaten führte zuletzt am 15. Juni 2020 zum Tod von Soldaten auf beiden Seiten (WSJ 17.6.2020).

China betreibt im Zuge seiner "String of pearls Strategy" (CEFIP 13.8.2019; vgl. FA 9/10 2019) den weiteren Ausbau von Häfen in befreundeten Staaten an der nördlichen Küste des Indischen Ozeans wie Kambodscha, Myanmar, Bangladesch, Sri Lanka, Pakistan, den Malediven und darüber hinaus in Afrika forciert aus und bedroht damit im Zuge der "Belt and Road"-Initiative Einflusssphären Indiens in diesem Raum (DRM 26.8.2019). Die guten Beziehungen zwischen China und Pakistan stellen besonders im Hinblick auf den verbindenden Wirtschaftskorridor und die Unterstützung Chinas der pakistanische Anliegen im Kaschmir ein weiterer Konfliktpunkt zwischen China und Indien dar (SWP 2016; vgl. DRM 26.8.2019).

China und USA:

Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen China und den USA sowie eine zunehmend konfrontative diplomatische Sprache und militärische Haltung erhöhen das Risiko unbeabsichtigter Eskalationen in den umstrittenen Regionen (GW 23.8.2020; vgl. DRM 26.8.2020).

4. Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 17.12.2020

Die Führung unternimmt Schritte, das Rechtssystem auszubauen (AA 1.12.2020). Auf der Plenartagung des Zentralausschusses der KPCh im Oktober 2019 wurde die Notwendigkeit betont, die Macht der KPCh zu festigen und ihre Kontrolle über alle Ebenen der chinesischen Gesellschaft auszuweiten (FH 4.3.2020). Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden abgelehnt (DP 27.6.2019). Im März 2018 wurden neue Kontroll- und Ausgleichsmechanismen in die Verfassung aufgenommen, um die Umsetzung zentraler Richtlinien und Vorschriften durchzusetzen. Die Zentralregierung verlässt sich zunehmend auf große Datenmengen, die sie zur Überwachung und Kontrolle der Umsetzung der Reformpolitik auf den verschiedenen Verwaltungsebenen einsetzt. Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 12.2020; vgl. FH 4.3.2020). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 10.2020). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen (FH 4.3.2020; vgl. AI 30.1.2020). Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen solche, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, den politisch-juristischen Ausschüssen (FH 4.3.2020). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, d.h. der Kommunistischen Partei (KP), keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 10.2020; vgl. AA 1.12.2020).

Die Richterernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahme seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es – vor allem auf unterer Gerichtsebene – noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 10.2020).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden (AA 1.12.2020).

Das umstrittene System der „Umerziehung durch Arbeit“ („laojiao“) wurde Ende 2013 offiziell abgeschafft. Missbräuchliche Einweisungen politisch missliebiger Personen (vor allem Petitionäre oder Dissidenten) in psychiatrische Anstalten aber auch willkürliche Festsetzungen in sogenannten schwarzen Gefängnissen („black jails“ bzw. „legal education center“) ohne faires Gerichtsverfahren oder aufgrund falscher oder gefälschter medizinischer Gutachten kommen weiterhin vor (AA 1.12.2020).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt die "Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft befindlichen Personen innerhalb von 24 Stunden über die erfolgte Festnahme informiert werden. Es müssen von den Behörden jedoch keine Angaben zum Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort der festgenommenen Person gegeben werden. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befinden, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein (ÖB 10.2020). Das Strafprozessgesetz sieht zudem vor, dass Verdächtige, die die staatliche Sicherheit gefährden, an einem "designierten Ort" bis zu sechs Monate unter "Hausarrest" gestellt werden können (ÖB 10.2020).

Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "schwarzen Gefängnissen" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 1.12.2020).

Das 2019 erneut revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert dem Wortlaut nach die Stellung des Beschuldigten/Angeklagten und des Verteidigers im Ermittlungs- und Strafprozess. Die Umsetzung steht aber in jedem Fall unter dem politischen Eingriffsvorbehalt der jeweiligen Parteiorgane, die fester integrierter Bestandteil auch bei den Strafgerichten sind (AA 1.12.2020).

Seit 2014 wurden schrittweise Reformen zur Verbesserung der Justizleistung unter Wahrung der Parteivormachtstellung durchgeführt. Die Änderungen konzentrierten sich auf die Erhöhung der Transparenz, Professionalität und Autonomie gegenüber den lokalen Behörden (FH 4.3.2020).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StGB) ersetzt. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 1.12.2020). Der Handlungsraum für Menschenrechtsanwälte zur Ausübung ihrer Tätigkeit wird immer weiter eingeschränkt. Menschenrechtsanwälte sind behördlicher Überwachung, Belästigungen, Einschüchterungen und Inhaftierungen ausgesetzt (AI 30.1.2020). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang in der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. Unter anderem wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 1.12.2020).

Das mehrjährige harte Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte hat den Zugang der Angeklagten zu unabhängigem Rechtsbeistand geschwächt (FH 4.3.2020). Anwälten und Mitarbeitern von Kanzleien und Aktivisten droht bei öffentlicher Kritik am System Festnahme und Haft (AI 1.10.2019; vgl. ZO 29.1.2019, DP 19.1.2018). Von schikanösen Maßnahmen können auch Familienangehörige betroffen sein (AI 1.10.2019; vgl. TT 29.3.2016).

Seit der offiziellen Abschaffung des Systems der "Umerziehung durch Arbeit" werden Menschenrechtsaktivisten nicht mehr in administrativer Haft angehalten, sondern systematisch auf Basis von Strafrechtstatbeständen wie Staatsgefährdung, Separatismus, Volksverhetzung, oder gemeiner Vergehen oder Verbrechen verurteilt, womit der Anschein der Rechtsstaatlichkeit erweckt werden soll. Aufgrund der vagen Tatbestände, des Zusammenhalts der einzelnen Institutionen und des Mangels an unabhängiger engagierter anwaltlicher Vertretung, kann ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt relativ leicht "geschaffen" werden (ÖB 10.2020). Eine neue Form der außergerichtlichen Inhaftierung für Ziele von Antikorruptions- und offiziellen Fehlverhaltensuntersuchungen, die als „Liuzhi“ bekannt ist, wurde 2018 zusammen mit der Einrichtung der National Supervisory Commission (NSR) eingeführt. Einzelpersonen können unter Anwendung dieser Maßnahmen bis zu sechs Monate lang ohne Zugang zu Rechtsbeistand inhaftiert werden (FH 4.3.2020).

Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgerinnen und Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen seit einigen Jahren ab. Petitionäre, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um unliebsame Personen aus dem Verkehr zu ziehen (AA 1.12.2020; vgl. ÖB 10.2020).

5. Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 17.12.2020

Zivile Behörden haben die Kontrolle über die Militär- und Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020). Xi Jinping, Präsident und Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas, ist Oberkommandierender der Streitkräfte, welche seit 1997 direkt der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt sind (GX 10.11.2019). Die Ausgaben für die innere Sicherheit sind in allen Provinzen und Regionen im Zeitraum von 2007 bis 2016 um 215 Prozent angestiegen und erhöhten sich 2018 insbesondere in sensiblen Minderheitenregionen wie Xinjiang und Tibet weiter (DFAT 3.10.2019).

Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Die Zuständigkeiten des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit sind die innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Verantwortung für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen (ÖB 10.2020).

Im Juni 2017 wurde mit dem Aufklärungsgesetz ("Intelligence Law" 2017; geändert 2018), durch das Ständige Komitee des Nationalen Volkskongresses Chinas ein neues Gesetz erlassen, welches über die staatlichen Sicherheitsbehörden hinaus jedes einzelne Mitglied der chinesischen Gesellschaft aufruft, zur nationalen Aufklärungsarbeit beizutragen und nachrichtendienstlich relevante Informationen über Dritte, die an Aktivitäten beteiligt sind, welche der nationalen Sicherheit Chinas oder seinen Interessen schaden können, an die Behörden weiterzugeben (DFAT 3.10.2019). Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger „Blockwarte“ die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 10.2020).

Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017).

6. Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 17.12.2020

China ratifizierte bereits 1988 die UN-Konvention gegen Folter. Nach Art. 247 und 248 StGB wird Folter zur Erzwingung eines Geständnisses oder zu anderen Zwecken in schweren Fällen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen mit bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe oder Todesstrafe geahndet (AA 1.12.2020; vgl. ÖB 10.2020).

In den letzten Jahren wurden außerdem einige Verordnungen erlassen, die formell für Tatverdächtige im Ermittlungsverfahren einen besseren Schutz vor Folter bieten sollen. Ein großes Problem bleibt jedoch die mangelnde Umsetzung dieser Rechtsinstrumente. Die Sicherheitsbehörden genießen weiterhin auch aufgrund des Mangels an Kontrolle und Transparenz einen großen Handlungsspielraum. Sicherheitskräfte setzen sich routinemäßig über rechtliche Schutzbestimmungen hinweg. Für die Polizei stellt Straflosigkeit im Falle von Brutalität und bei verdächtigen Todesfällen in Gewahrsam die Norm dar (ÖB 10.2020; vgl. FH 4.3.2020, AI 30.1.2020). 2019 kam es landesweit zu einer ungewöhnlich hohen Zahl gut dokumentierter Fälle, in denen politische und religiöse Gefangene in der Haft oder kurz nach ihrer Entlassung aufgrund der Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung starben. Bürger, die Wiedergutmachung für Misshandlungen in der Haft oder Aufklärung verdächtiger Todesfälle von Familienmitgliedern einfordern, werden oft mit Repressalien oder mit Gefängnisstrafen belegt (FH 4.3.2020).

Menschenrechtsaktivisten äußern Besorgnis darüber, dass Rechtsanwälte und Aktivisten weiterhin nach Inhaftierung verschiedenen Formen von Folter, Misshandlung oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sind (USDOS 11.3.2020). Angehörige der ethnischen Minderheit der Uiguren berichten von systematischer Folter und anderer erniedrigender Behandlung durch im Strafvollzug und in den Internierungslagern beschäftigte Beamte (USDOS 11.3.2020; vgl. DFAT 3.9.2019).

Die chinesische Führung erklärte 2014 das Ziel, die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern und Folter, Misshandlungen und Missstände in der Justiz zu verhindern. Gleichzeitig wird radikal gegen unabhängige Rechtsanwälte, Menschenrechtsverteidiger, und Medien vorgegangen, sodass das Ziel einer Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt wird. Neben politischen Absichtserklärungen und einigen wenigen "Vorzeigefällen", in denen Fehlurteile - etwa nach vollzogener Todesstrafe posthum - revidiert wurden, oder einzelne Polizisten nach tödlicher Folter (und öffentlicher Empörung) entlassen werden, ist jedoch nicht bekannt, dass strukturelle Maßnahmen getroffen werden, um das Risiko von Folter und Misshandlungen zu vermindern (ÖB 10.2020; vgl. AI 22.2.2018).

Das revidierte Strafverfahrensrecht verbietet die Verwendung von Geständnissen und Zeugenaussagen, die unter Folter oder anderweitig mit illegalen Mitteln zustande gekommen sind (neuer Art. 53), sowie sonstiger illegal erlangter Beweismittel (Art. 54) im Strafprozess. Trotzdem soll Folter in der Untersuchungshaft häufiger vorkommen als in regulären Gefängnissen (AA 1.12.2020). Die Anwendung von Folter ist nach wie vor weit verbreitet und wird eingesetzt, um Geständnisse zu erhalten oder politische und religiöse Dissidenten zu zwingen, ihre Überzeugungen zu widerrufen (FH 4.3.2020).

Soweit die chinesische Regierung und die staatlich gelenkte Presse Folterfälle einräumen, stellen sie diese als vereinzelte Übergriffe "unterer Amtsträger" dar, gegen die man energisch vorgehe (AA 1.12.2020).

7. Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 18.12.2020

Offiziell erkennt China die grundlegenden Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an. Außerdem hat die Volksrepublik China einer Reihe von Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte der Vereinten Nationen zugestimmt (GIZ 9.2020a; vgl. ÖB 10.2020).

Die Menschenrechtslage in China bietet ein zwiespältiges und trotz aller Fortschritte im Ergebnis negatives Bild. 2004 wurde der Begriff "Menschenrechte" in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erheblich erweitert. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) oberste Prämisse und rote Linie (AA 1.12.2020).

Die Menschenrechtslage ist weiterhin durch ein systematisches Vorgehen gegen jede Form von Dissens gekennzeichnet (AI 30.1.2020). Seit der offiziellen Abschaffung des Systems der "Umerziehung durch Arbeit" werden Menschenrechtsaktivisten nicht mehr in administrativer Haft angehalten, sondern systematisch auf Basis von Strafrechtstatbeständen wie Staatsgefährdung, Separatismus, Volksverhetzung, oder gemeiner Vergehen oder Verbrechen verurteilt, womit der Anschein der Rechtsstaatlichkeit erweckt werden soll. Aufgrund der vagen Tatbestände, des Zusammenhalts der einzelnen Institutionen und des Mangels an unabhängiger engagierter anwaltlicher Vertretung, kann ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht "geschaffen" werden (ÖB 10.2020).

Oberstes Ziel ist die Aufrechterhaltung „sozialer Stabilität“, die aus Sicht der chinesischen Führung unerlässlich für die weitere Entwicklung des Landes ist. Die chinesische Führung geht kompromisslos gegen jene vor, die als Bedrohung dieser Prioritäten angesehen werden, wie beispielsweise regierungskritische Schriftsteller, Blogger, Bürgerrechtsaktivisten, Menschenrechtsanwälte, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Falun Gong, Hauskirchen etc.). Einschüchterungsmaßnahmen umfassen etwa Hausarrest, willkürliche Haft in sogenannten schwarzen Gefängnissen ("black jails" bzw. "legal education center"), Folter, Berufsverbote und Druck auf Familienangehörige durch Bedrohungen bis hin zur "Sippenhaft". Flankiert wird dies durch neue Gesetzgebung sowie eine Verschärfung von bestehenden Verordnungen und Gesetzen in den letzten Jahren. Personen, die in Opposition zu Regierung und herrschender Ideologie stehen, setzen sich unmittelbar der Gefahr von Repression durch staatliche Stellen aus, wenn sie aus Sicht der Regierung die Kommunistische Partei, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas gefährden. Die Schwelle ist immer dann erreicht, wenn die chinesischen Sicherheitsbehörden annehmen, dass ein – noch so loses – Netzwerk gebildet werden könnte. Aus Sicht der Regierung geht von separatistischen Bestrebungen und Untergrundaktivitäten innerhalb Chinas die größte Gefahr aus (AA 1.12.2020).

Es gibt weiterhin besorgniserregende Verletzungen rechtsstaatlicher Mindeststandards in ganz China. So gibt es immer noch willkürliche Inhaftierungen durch die Regierung, erzwungenes Verschwindenlassen von Personen, sowie Folter und unrechtmäßige Tötungen durch die Regierung, harte und lebensbedrohliche Gefängnis- und Haftbedingungen, politische Gefangene, willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre, erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, Zensur und Sperrung von Webseiten, physische Angriffe und strafrechtliche Verfolgung von Journalisten, Anwälten, Schriftstellern, Bloggern, Dissidenten, Petitionären und anderen Personen sowie deren Familienangehörigen, Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, einer restriktiven Gesetzgebung gegenüber Nichtregierungsorganisationen (NGOs), strenge Einschränkungen der Religionsfreiheit, erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Korruption, Geburtenbeschränkungen, in manchen Fällen Zwang zur Sterilisation oder Abtreibung, Menschenhandel und Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020).

Häufig kommt es zu Übergriffen lokaler Amtspersonen bzw. von denen beauftragter Dritter. Dies betrifft im Schwerpunkt die Überwachung politisch Andersdenkender auf lokaler Ebene. Zumeist handelt es sich um Demonstrantinnen und Demonstranten bei Fällen mit wirtschaftlichem Hintergrund (illegale Landnahme, Korruption etc.). Petentinnen und Petenten, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um Unliebsame aus dem Verkehr zu ziehen (AA 1.12.2020).

Die chinesische Regierung hat 2020 ein soziales Kreditsystem (SCS) eingeführt, das Menschen in allen Lebenslagen bewertet und entsprechend belohnt oder bestraft (EuZ 29.8.2019; vgl. LVAk 9.2019). Als Datenquellen werden das Verhalten in den sozialen Medien, beim Online-Shopping, beim Verfassen von Kurznachrichten, aber auch Kranken- und Gerichtsakten, Verkehrsdelikte, Steuersünden, rüpelhaftes Verhalten in der Öffentlichkeit, Rauchen in öffentlichen Räumen etc. genutzt (EuZ 29.8.2019). Die derzeitigen Tests will die Regierung bis Ende 2020 abschließen, um dann landesweit ein verpflichtendes einheitliches SCS einzuführen. Starten soll es aller Voraussicht nach in Peking. Unklar ist derzeit noch, wie später auch ländliche Regionen angeschlossen werden sollen, die aktuell noch keinen Internetzugang haben. Trotz aller Kontrolle ist die Zustimmung hoch (HO 8.5.2020).

8. Meinungs- und Pressefreiheit

Letzte Änderung: 18.12.2020

Obwohl von der Verfassung garantiert, ist die Pressefreiheit in China stark eingeschränkt und nicht gewährleistet (AA 1.12.2020; vgl. ÖB 10.2020, BS 29.4.2020). Die Behörden haben die Nutzungsmöglichkeiten des Internets weiter eingeschränkt und die Regierung behält eine strenge Kontrolle über das Internet und die Massenmedien (HRW 14.1.2020). Die Unterdrückung grundlegender Rechte, wie Rede- und Versammlungsfreiheit, sowie Reisefreiheit ist für Bewohner der autonomen Region Tibet (TAR) und anderen tibetischen Gebieten sowie für Uiguren ausgeprägter als in anderen Teilen des Landes (USDOS 11.3.2020). Das in der chinesischen Verfassung theoretisch gewährte Recht wird durch Vorbehalte in der Verfassung selbst sowie durch zahlreiche einfach gesetzliche Regelungen und administratives Vorgehen weitgehend ausgehöhlt. Die Möglichkeiten von Bürgern zur offenen Meinungsäußerung im privaten Kreis und etwas abgestuft in den sozialen Medien sind teilweise vorhanden und wird geduldet, ist aber immer mit unkalkulierbaren persönlichen Risiken verbunden. Trotz weiter ausgreifender Zensur (Internet) bleibt es der eigentliche Ort der öffentlichen Meinungsbildung in China. So stehen die sozialen Medien besonders im Fokus der staatlichen Einflussnahme. De facto unterliegt die Meinungsfreiheit jedoch nach wie vor strenger Reglementierung. Regierungskritik wird immer wieder als Gefährdung der Staatssicherheit verfolgt und drakonisch bestraft (AA 1.12.2020; vgl. ÖB 10.2020).

Als Sprachrohr von Partei und Staat bleibt es Hauptaufgabe der Medien, die "Einheit von Volk, Staat und Partei" und die politischen Ziele der Staatsführung zu propagieren. Verstöße gegen die Regeln werden teilweise empfindlich bestraft (AA 1.12.2020). Partei und Staat dominieren mit eigenen Medien die öffentliche Meinungsbildung (GIZ 9.2020a). Als Informationsquelle genießen sie in der Bevölkerung jedoch wenig Vertrauen (DFN 28.1.2020). Bei sensiblen Themen, vor allem im politischen Bereich, sind die Spielräume der Berichterstattung eng begrenzt und nehmen seit einigen Jahren wieder ab (GIZ 9.2020a).

Tausende Websites werden über Jahre hinweg blockiert. Die Auswirkungen der Zensur der chinesischen Regierung reichen weiterhin über die chinesischen Grenzen hinaus. WeChat, Chinas beliebte Messaging-Plattform, die von mehr als einer Milliarde Chinesen im In- und Ausland genutzt wird, unterliegt der üblichen chinesischen Zensur, die für alle inländischen sozialen Medien gilt (HRW 14.1.2020; vgl. AI 22.2.2018).

Allerdings durchläuft die chinesische Gesellschaft radikale und spürbare Wandlungsprozesse. Das ganz vorwiegend per Firewall-Sperren auf China beschränkte und systematischer Zensur unterworfene Internet (de facto eine Art Intra-Net) mit einer extrem hohen Nutzerquote (Mitte 2020 rund 904 Mio. Internetnutzer bei 1,4 Mrd. Einwohnern) und die ebenfalls rein innerchinesischen sozialen Netzwerke sind in manchen Fällen auch zu Sprachrohren von Frustrationswellen und der Aufdeckung von Missständen geworden (AA 1.12.2020).

China gehört nach der Evaluierung von "Reporter ohne Grenzen" auch 2019 weiter zu den Ländern mit den stärksten Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit. Es nimmt dort den 177. Platz von 180 Ländern ein (RSF 2020). Demnach befinden sich gegenwärtig 72 Journalisten und 45 Online-Aktivisten in Haft (Stand 9.12.2020) (RSF 2020; vgl. AA 1.12.2020).

9. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Letzte Änderung: 18.12.2020

Art. 35 der Verfassung gewährt das Recht auf Freiheit der Rede, der Presse, der Versammlung, der Vereinigung und der Demonstration; Art. 41 schützt das Recht der Bürger, Kritik oder Vorschläge hinsichtlich eines jeden Staatsorgans oder Funktionärs zu unterbreiten. Diese Verfassungsrechte sind jedoch für den Einzelnen nicht einklagbar und in der Praxis durch die Regierung stark eingeschränkt. Pressekonferenzen von Menschenrechtsaktivisten werden öfters ohne weitere Begründung verhindert. Jeder Anschein von Organisation wird als Bedrohung für die Stabilität verstanden und umfassend unterbunden. Art. 296 des Strafgesetzbuches sanktioniert "rechtswidrige Versammlungen" mit bis zu fünf Jahren Haft, was immer wieder als Delikt gegen Aktivisten vorgebracht wird (AA 1.12.2020; vgl. BS 29.4.2020).

Chinas Verfassung schützt das Demonstrationsrecht der Bürger. Doch in der Praxis erhalten Demonstranten selten eine Genehmigung zur Abhaltung von Demonstrationen und riskieren Strafen für Versammlungen ohne Erlaubnis. Von der offiziellen politischen Linie abweichende (ver-)öffentlich(t)e (auch via Internet) Meinungsäußerungen, welche die Führungsrolle der KP Chinas in Staat und Gesellschaft in Frage stellen, werden mit allen Mitteln unterdrückt. Die Vereins- und Versammlungsfreiheit ist wesentlich eingeschränkt. Spontane Demonstrationen stellen eine gemeinsame Form des Protestes dar (ÖB 10.2020; vgl. FH 4.3.2020). Oftmals werden Kundgebungen durch vorab verhängte Hausarreste im Keim erstickt. Auch rund um sensible Jahrestage werden "sensible" Personen unter Hausarrest gestellt (ÖB 10.2020).

Eine parlamentarische Opposition zur KPCh gibt es nicht. Die in der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes organisierten acht "demokratischen Parteien" sind nach ehemals sowjetischem Muster "gleichgeschaltet". Personen, die in Opposition zu Regierung und herrschender Ideologie stehen, setzen sich unmittelbar der Gefahr von Repression durch staatliche Stellen aus, wenn sie aus Sicht der Regierung die Kommunistische Partei, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas gefährden. Die Schwelle ist immer dann erreicht, wenn die chinesischen Sicherheitsbehörden annehmen, dass ein – noch so loses – Netzwerk gebildet werden könnte (AA 1.12.2020).

10. Haftbedingungen

Letzte Änderung: 18.12.2020

Die Haftbedingungen sind im Allgemeinen sehr hart (AA 1.12.2020), mit unzureichender Ernährung, regelmäßigen Misshandlungen und Entzug von medizinischen Hilfeleistungen (FH 4.3.2020). Das Gesetz verbietet körperliche Misshandlungen und Herabwürdigungen von Häftlingen, wie auch die Erzwingung von Geständnissen (USDOS 11.3.2020). In vielen Fällen wird Inhaftierten in Untersuchungsgefängnissen anfänglich der Zugang zu Rechtsbeistand verwehrt (AI 2.8.2019; vgl. AI 22.8.2019), was mit dem "Verdacht auf Untergrabung der Staatsgewalt" (AI 22.8.2019) oder der "Gefährdung der nationalen Sicherheit" begründet wurde (AI 22.2.2017).

Im Jahr 2018 waren rund 1,7 Millionen Verurteilte in den 752 Haftanstalten (683 Gefängnisse, 41 Frauengefangenenhäuser und 28 Jugendstrafvollzugsanlagen) inhaftiert. Gemäß Zurechnungen von Personen in Untersuchungshaft erhöht sich die Zahl der Gefangenen auf rund 2,36 Millionen Personen. Der Frauenanteil beträgt etwa 8,4 Prozent (WPB 2018).

Neben der Freiheitsstrafe existieren verschiedene Formen freiheitsentziehender Maßnahmen, sogenannte Administrativhaft: "Haft zur Erziehung" (shourong jiaoyu), "Haft zur Umerziehung" und "Zwangsmäßige Drogenrehabilitation in Isolation". Sie zielen häufig auf Prostituierte und Drogenabhängige, aber auch politisch missliebige Personen (z.B. Anti-Falun Gong-Kampagne) ab (AA 1.12.2020). Nach Abschaffung des Systems "Umerziehung durch Arbeit" (laojiao) (AA 1.12.2020) wurden hunderte dieser Haftanstalten in sogenannte "legal education center" umbenannt (AA 14.12.2018).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest (soft detention) ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Personen werden oft über lange Zeit hinweg in ihrer eigenen Wohnung oder an anderen Orten ohne Zugang zur Außenwelt festgesetzt, insbesondere um wichtige politische Veranstaltungen oder Gedenktage herum (AA 1.12.2020).

Illegale und nicht deklarierte Anhaltezentren, sog. "black jails" sind weiterhin landesweit in Verwendung. In psychiatrischen Anstalten dürften unliebsame geistig gesunde Menschen zusammen mit geistig abnormen Rechtsbrechern weggesperrt werden (ÖB 10.2020; vgl. AA 14.12.2018).

Berichten zu Folge sind politische Gefangene, darunter Angehörige der Falun Gong, Uiguren, tibetische Buddhisten und im Untergrund ihren Glauben praktizierende Christen, in Haftanstalten der Gefahr von gewaltsamen Organentnahmen ausgesetzt (WSJ 5.2.2019).

Missbräuchliche Einweisungen politisch missliebiger Personen (vor allem Petitionäre oder Dissidenten) in psychiatrische Anstalten ohne faires Gerichtsverfahren oder aufgrund falscher oder gefälschter medizinischer Gutachten kommen weiterhin vor (AA 1.12.2020). Die Polizei kann in solchen Anstalten Personen nach eigenem Gutdünken ohne zeitliche Begrenzungen festhalten (ÖB 10.2020).

11. Todesstrafe

Letzte Änderung: 18.12.2020

Es gibt Anzeichen, dass China sich langsam in Richtung einer Verminderung der Anwendung der Todesstrafe bewegt (ÖB 10.2020). Die Regierung hat die Zahl der Verbrechen, die mit der Todesstrafe geahndet werden, reduziert (FH 3.4.2020). Die Todesstrafe wird bei 46 Verbrechen angewendet, von denen 21 keine Gewaltverbrechen sind (ÖB 10.2020). Die genaue Zahl der Hinrichtungen bleibt Staatsgeheimnis (AI 30.1.2020; vgl. ÖB 10.2020). Jedoch dürfte China jährlich mehr Menschen hinrichten als alle anderen Länder zusammen. Amnesty International geht von „tausenden Hinrichtungen“ aus (ÖB 10.2020; vgl. AI 21.4.2020). NGOs schätzen aber auch, dass die Zahl der Vollstreckungen seit mehreren Jahren abnimmt (AA 1.12.2020).

Obwohl die Regierung betont, dass die überwiegende Mehrheit der Chinesen für die Beibehaltung der Todesstrafe wäre, gibt es eine offene Debatte zur Anwendung der Todesstrafe, die in den vergangenen Jahren zu positiven Reformen geführt hat. Durch die verstärkte Praxis der außergerichtlichen Mediation, bei der ein Mörder die Familie des Todesopfers finanziell entschädigen kann, konnten ebenfalls einige Todesurteile abgewendet werden (ÖB 10.2020). Angesichts der Tatsache, dass etwa 90 Prozent der Todesurteile in China für schwere Verbrechen wie Mord, Raubmord, Vergewaltigung oder Drogenschmuggel verhängt werden, wird die Beschränkung der Todesstrafe aber absehbar nicht zu signifikant weniger Todesurteilen in China führen. Todesurteile werden entweder zur sofortigen Vollstreckung oder mit zweijährigem Vollstreckungsaufschub verhängt. In letzterem Fall werden die Urteile nach Ablauf der Frist, falls sich der Delinquent in dieser Zeit straffrei verhalten hat, regelmäßig in lebenslange Strafen umgewandelt. Seit 2007 müssen Todesurteile zur sofortigen Vollstreckung wieder vom Obersten Volksgericht (OVG) bestätigt werden. Offiziellen Angaben zufolge werden etwa zehn Prozent dieser Todesurteile im Rahmen dieses Verfahrens aufgehoben. Die NGO Dui Hua, die die Entwicklung seit Jahrzehnten verfolgt und aus verfügbaren Einzeldaten seriöse Hochrechnungen erstellt, geht von einer Reduzierung der Hinrichtungen von ca. 8.000 im Jahr 2008 auf etwa 2.000 im Jahr 2018 aus (AA 1.12.2020).

Die Regierung erklärte, dass sie die Verwendung von Organen hingerichteter Gefangener beendet habe. Jedoch übersteigen Umfang und Geschwindigkeit einer Verfügbarkeit von Organen bei weitem jene Parameter, welche von einem im Entstehen begriffenen freiwilligen Spendensystem erfüllt werden können. Beweise für die Fälschung von Daten im Zusammenhang mit diesem System tauchten 2019 auf. Rechtsaktivisten, Journalisten, Mediziner und ein unabhängiges Expertentribunal, das in London tagte, wiederholten im Laufe des Jahres ihre Besorgnis über unethische und illegale Organbeschaffung von Gefangenen, einschließlich Mitgliedern religiöser und ethnischer Minderheiten, wie Falun Gong und Uiguren (FH 4.3.2020).

Die Todesstrafe wird derzeit verstärkt wegen „Staatsv

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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