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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des 1. LB,
2. des mj. ÖB, 3. der mj. NB und 4. des mj. OB, alle in X, die Mj. vertreten durch den Erstbeschwerdeführer LB, dieser vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 4. August 1995, Zl. Ia370-334/94, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 4. August 1995 wurden der Antrag des Erstbeschwerdeführers, ihm die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen, und die Anträge der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer auf Erstreckung abgewiesen.
Hiezu wurde im wesentlichen ausgeführt, der Erstbeschwerdeführer sei in C, Türkei, geboren und besitze die türkische Staatsangehörigkeit. Er lebe seit 20. April 1973 ununbrochen in Österreich. Bis zum Jahr 1991 sei er mit MB verheiratet gewesen, die am 20. September 1991 im Stadtspital D verstorben sei. Aus dieser Ehe entstammten die mj. Kinder Ö und N. Im September 1992 habe er seine derzeitige Frau H geheiratet, aus dieser Ehe entstamme das mj. Kind O. Der Erstbeschwerdeführer sei wegen sieben, im einzelnen aufgelisteter Verwaltungsübertretungen nach der Straßenverkehrsordnung rechtskräftig im Zeitraum von 1989 bis 1994 verurteilt worden. Die belangte Behörde beurteilte dies dahingehend, daß aufgrund der jüngsten Verwaltungsübertretungen, deren Häufigkeit sowie deren Verschuldensgrad davon auszugehen sei, daß der Verleihungswerber (der Erstbeschwerdeführer) zur Republik Österreich nicht bejahend eingestellt sei. Auch die Tatsache, daß der Erstbeschwerdeführer noch zu einem Zeitpunkt, der unmittelbar nach der Antragstellung liege, sich schwerwiegender Verstöße gegen die Straßenverkehrssicherheit zuschulden habe kommen lassen, lasse den Schluß zu, daß er möglicherweise auch in Zukunft wesentliche, zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für Leib, Gesundheit, Sicherheit sowie öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften mißachten werde. Er erfülle daher die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) nicht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführer erachten sich unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften dadurch beschwert, daß die Behörde die - von ihr nicht wahrgenommene - Verpflichtung getroffen hätte, die Art und die Schwere der einzelnen, dem Erstbeschwerdeführer angelasteten Übertretungen zu ergründen, d.h. sich mit den näheren Umständen der von ihm begangenen Verstöße auseinanderzusetzen. Obwohl die belangte Behörde aus der "Art der Schwere oder der Häufigkeit dieser Übertretungen" eine negative Zukunftsprognose erstellt habe, habe sie es unterlassen, die näheren Umstände für diese Verstöße zu ermitteln, sondern habe diese Feststellung lediglich der Strafkartei entnommen. Die meisten der Geschwindigkeitsüberschreitungen und Mißachtungen von Parkverboten seien nämlich nicht vom Erstbeschwerdeführer selbst, sondern von dritten Personen mit dessen Kleintransporter begangen worden, mit dem täglich über 200 km Brotauslieferungen über das ganze Bundesland Vorarlberg verstreut vorgenommen würden und das daher von einer Mehrzahl von Personen gesteuert werde. Der Erstbeschwerdeführer habe die jeweiligen Strafverfügungen in Unkenntnis darüber, daß sie ihm im Rahmen der Verleihung der Staatsbürgerschaft zur Last fallen könnten, pünktlich und anstandslos bezahlt, habe jedoch die Strafgelder von den Fahrzeuglenkern, die die Verwaltungsübertretungen tatsächlich verübt hätten, jeweils refundiert erhalten. Darüber hinaus sei die Person des Erstbeschwerdeführers an keiner Stelle den Verpflichtungen entsprechend gewürdigt worden, insbesondere seien die von der Bezirkshauptmannschaft Bregenz, der Sicherheitsdirektion und der Stadt Bregenz erstatteten positiven Stellungnahmen unberücksichtigt geblieben. Es fehlten daher wesentliche Ermittlungsergebnisse und darauf basierende Feststellungen sowie zu dem gesamten aufgezeigten Themenkomplex sowohl hinsichtlich der Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z. 6 als auch zu § 11 StbG die entsprechende Einräumung des Parteiengehörs.
Dem Erstbeschwerdeführer wurde anläßlich der niederschriftlichen Einvernahme am 27. Dezember 1994 Parteiengehör eingeräumt und er wurde insbesondere auch zur "Bestrafung durch in- oder ausländische Verwaltungsbehörden" einvernommen. Anläßlich dieser Vernehmung wies er nicht darauf hin, er habe die ihm nunmehr zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen nicht selbst begangen, sondern entschuldigte diese lediglich damit, er fahre jeden Tag mit dem Auto ca. 200 km rein beruflich, er stelle das Brot seinen Kunden zu und besuche auch oft die Kundschaft, um über verschiedene Probleme zu sprechen, daher passiere es hin und wieder, daß er zu schnell unterwegs sei oder daß "etwas mit dem Auto nicht in Ordnung" sei. Er werde sich bemühen, hinkünftig vermehrt auf die Einhaltung der Verkehrsvorschriften zu achten. Das Vorbringen, nicht er selbst, sondern dritte Personen hätten die ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen begangen, unterliegt daher dem Neuerungsverbot des § 41 VwGG, weshalb im verwaltungsgerichtlichen Verfahren darauf nicht eingegangen werden kann, und wäre im übrigen auch nicht relevant, da die belangte Behörde an die Tatsache der rechtskräftigen Verurteilungen gebunden war.
Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes machen die Beschwerdeführer jedoch auch geltend, die belangte Behörde hätte bei ihrer Entscheidungsfindung im Rahmen der Beurteilung des Gesamtverhaltens des Erstbeschwerdeführers jedenfalls berücksichtigen müssen, daß dieser seit der Führerscheinausstellung im Jahr 1974 bis zum Jahr 1989, sohin 15 Jahre, ohne jeglichen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung gefahren sei und auch sonst sich nichts habe zuschulden kommen lassen. Er sei seit 1988 im Rahmen eines Großbäckereibetriebes gewerblich und kaufmännisch tätig und führe seit dieser Zeit auch persönlich nahezu täglich Brotauslieferungen (bis zu 200 km) mit dem von ihm gehaltenen Kleintransporter durch, sei daher überdurchschnittlich viel unterwegs und in weit überdurchschnittlichem Maße der Gefahr ausgesetzt, Übertretungen der Straßenverkehrsordnung zu begehen. Dazu komme, daß bei Brotzulieferungen gerade in Bregenz oft keine Parkmöglichkeiten bestünden und stets erheblicher Termindruck herrsche. Es sei ihm auch nicht bewußt gewesen, daß die größtenteils geringfügigen Verwaltungsübertretungen ihm im Staatsbürgerschaftsverfahren zur Last gelegt werden könnten. Nach Art und Schwere dieser "einschlägigen" Verwaltungsübertretungen sei die von der belangten Behörde vorgenommene Zukunftsprognose jedoch lebensfremd und unrichtig. Der auf den ersten Blick gravierend erscheinende Verstoß aus dem Jahre 1990 (Fahrerflucht mit Sachschaden) sei ein Kratzer gewesen, der beim Ausparken entstanden sei.
Angemerkt wird, daß die Beschwerdeausführungen das Verhältnis der Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG zu jener des § 11 leg. cit. unrichtig wiedergeben, das Ermessen im Sinne des § 11 leg. cit. erst auszuüben ist, wenn die Prüfung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG für den Bewerber positiv ausfällt.
Die Beschwerdeführer weisen aber nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in diesem Punkt zutreffend darauf hin, daß die belangte Behörde die aus den vorliegenden, insgesamt sieben, "zum Teil gravierenden" Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung gezogene Schlußfolgerung, der Erstbeschwerdeführer werde möglicherweise auch in Zukunft wesentliche, zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für Leib, Gesundheit, Sicherheit sowie öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften mißachten, im wesentlichen unbegründet gelassen hat. Keiner der dem Erstbeschwerdeführer zur Last gelegten Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung (dreimal § 52 Z. 10a, zweimal § 24 Abs. 1 lit. a, je einmal §§ 4 Abs. 1 lit. a, 4 Abs. 5, 20 Abs. 2) stellt für sich allein einen schwerwiegenden, die Sicherheit anderer Straßenverkehrsteilnehmer im besondern Maße gefährdenden Verstoß dar, zumal allein auf Grund der Tatsache der Bestrafung die näheren Umstände der inkriminierten Handlungen (insbesondere die Zeiten der Tatbegehung und die Geschwindigkeitsdifferenz der festgestellten zur erlaubten Höchtstgeschwindigkeit) nicht aktenkundig geworden sind. Erst unter Berücksichtigung dieser näheren Umstände könnte davon ausgegangen werden, daß diese Tatsachen gegenüber dem Umstand, daß der Erstbeschwerdeführer seit über 20 Jahren in Österreich lebt und er und seine Familie hier bestens integriert scheinen, schwerwiegend ins Gewicht fallen. Ausgehend von einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht hat daher die belangte Behörde wesentliche Feststellungen nicht getroffen und damit Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil in dem pauschalierten Betrag für Schriftsatzaufwand Umsatzsteuer bereits enthalten ist.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995010419.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
17.03.2009