TE Vwgh Beschluss 2021/12/1 Ra 2021/02/0237

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Veröffentlicht am 01.12.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
90/02 Kraftfahrgesetz

Norm

AVG §56
B-VG Art133 Abs4
B-VG Art133 Abs5
COVID-19-VwBG 2020 idF 2020/I/024
COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1 Z2 idF 2021/I/002
COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1 Z3 idF 2020/I/024
KFG 1967 §98a
KFG 1967 §98a Abs1
MRK Art7 Abs1
VStG §1
VStG §1 Abs2
VStG §31 idF 2009/I/020
VStG §31 idF 2013/I/033
VwGG §25a Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §38
VwGVG 2014 §43
VwGVG 2014 §43 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des K in K, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Schulstraße 12, gegen das am 26. Februar 2021 verkündete und am 23. März 2021 ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, LVwG-S-2432/001-2019, betreffend Übertretung des KFG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Baden), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 27. September 2019 wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem näher bezeichneten Ort ein konkret genanntes Kraftfahrzeug, an welchem für ihn erkennbar ein sogenannter „Radar- oder Laserblocker“ angebracht gewesen sei, gelenkt, obwohl Geräte oder Gegenstände, mit denen technische Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung beeinflusst oder gestört werden können, weder an Kraftfahrzeugen angebracht noch in solchen mitgeführt werden dürfen, und dadurch § 98a Abs. 1 und 2 KFG verletzt. Die belangte Behörde verhängte gemäß § 134 Abs. 1 KFG eine Geldstrafe in der Höhe von € 2.000,-- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe und verpflichtete den Revisionswerber zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens.

2        2.1. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Beifügung der hier maßgebenden Fassung der verletzten Verwaltungsvorschrift in der Schuldfrage ab. In der Straffrage gab das LVwG der Beschwerde Folge und setzte die Geldstrafe sowie die Ersatzfreiheitsstrafe herab sowie die Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens neu fest. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das LVwG für nicht zulässig.

3        2.2. Das LVwG stellte fest, dass der Revisionswerber das genannte Kraftahrzeug am Tatort zur Tatzeit gelenkt habe. Im Fahrzeug sei ein Gerät der Firma A verbaut gewesen, das aus einem hinter der Armaturenbrett-Verkleidung verbauten Steuergerät (control box) samt (mittels Verkabelung) ins Fahrzeuginnere reichendem Bedienteil und USB-Anschluss bestehe. An das Steuergerät seien mehrere Sensoren angeschlossen, die sowohl an der Frontschürze als auch am Heck des Kraftfahrzeuges - jeweils im Bereich der Kennzeichen - angebracht gewesen seien. Diese Sensoren seien in der Lage Lasersignale zu empfangen und Lasersignale auszusenden. Das angebrachte Gerät könne als Parksensor, Laserdetektor sowie als Laserstörer verwendet werden.Sowohl im Modus „Parksensor“ sowie im Modus „Laserstörer“ würden Laserimpulse ausgesendet. Im Modus „Laserstörer“ würden bestimmte Folgen von Laserimpulsen („Bursts“) ausgesendet, die eine Messung durch eine Laserpistole verhindern könnten und sollten. Das jeweilige Verhalten des Gerätes werde durch die aufs Steuergerät aufgespielte Software (Firmware) bestimmt. Im Auslieferungszustand sei am Steuergerät lediglich eine Firmware installiert, mit welcher das Gerät lediglich als Parksensor fungiere. Werde aber ein USB-Stick mit den notwendigen Dateien an das Steuergerät angesteckt, werde innerhalb kürzester Zeit (etwa eine Minute) ein Upgrade der Firmware durchgeführt, wodurch das Gerät als Laserstörgerät verwendet werden könne. Ziehe man den USB-Stick wieder ab, führe das Gerät automatisch (und wiederum innerhalb kürzester Zeit) ein Downgrade durch, sodass am Steuergerät wiederum nur jene Firmware verfügbar sei, mit welcher das Gerät lediglich als „Parksensor“ funktioniere. Der Revisionswerber habe gewusst, dass dieses Gerät mit den beschriebenen Funktionalitäten am von ihm gelenkten Kraftfahrzeug angebracht gewesen sei. Der Modus „Laserstörer“ sei zum Tatzeitpunkt durch Anstecken eines USB-Sticks mit entsprechender Firmware aktiviert gewesen. Aufgrund dessen sei es dem Zeugen W. nicht möglich gewesen, mittels des von ihm verwendeten, geeichten Lasermessgerätes der Marke T eine gültige Messung der Geschwindigkeit des vom Revisionswerber gelenkten Kraftfahrzeuges zu erlangen. Nach dieser Zeitspanne von 3 bis 4 Sekunden sei der Laserstörer deaktiviert worden, weshalb auf dem Lasermessgerät kein Fehlercode, sondern eine gültige Messung der Geschwindigkeit aufgeschienen sei.

4        2.3. Das LVwG begründete ausführlich seine Beweiswürdigung - u.a. auch unter Bezugnahme auf ein eingeholtes Sachverständigengutachtens für EDV-Technik. Weiters führte das LVwG aus, aus welchen Gründen zwei Beweisanträgen des Revisionswerbers nicht zu folgen sei. Im Übrigen erörterte das LVwG seine rechtlichen Erwägungen sowie jene zur Strafbemessung.

5        3.1. Die Behandlung der vom Revisionswerber zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde von diesem mit Beschluss vom 22. September 2021, E 1736/2021-7, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof u.a. aus, das Vorbringen lasse mit Blick auf die Intention des Gesetzgebers sowie vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (etwa zur Reichweite der Garantien aus Art. 7 EMRK) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

6        3.2. Nunmehr richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis des LVwG.

7        4. Die Revision erweist sich als unzulässig.

8        4.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision - gesondert - vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       4.2.1. Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit zunächst vor, das LVwG sei vom Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2020, Ra 2020/02/0063, abgewichen. Es komme für die Frage der Eignung eines Gerätes zur Störung oder Beeinflussung von technischen Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung darauf an, dass das konkret in einem Fahrzeug angebrachte oder dort mitgeführte Gerät eine solche Beeinflussung oder Störung aktuell verursachen könne, also tatsächlich in Betrieb genommen werden könne, um technische Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung zu beeinflussen oder zu stören. Nicht geeignet sei ein Gerät, das erst durch weitere, nicht am Tatort und zur Tatzeit verfügbare technische Maßnahmen dazu in die Lage versetzt werden müsste, solche Störungen oder Beeinflussungen herbeizuführen. Im Revisionsfall habe der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten konstatiert, dass keine Störimpulse hätten erzeugt werden können. Das LVwG habe dies „damit relativiert“, dass der Revisionswerber angeblich dem Sachverständigen nicht den im Tatzeitpunkt verwendeten USB-Stick mit der „Key-Lock“ Datei zur Verfügung gestellt habe. Dies habe er auch „zu keinem Zeitpunkt“ behauptet, jedoch klargestellt, dass es sich um eine idente Kopie gehandelt habe, die er kurz nach dem Tatzeitpunkt „aus Sicherheitsgründen“ angefertigt habe. Er habe sich „nicht erinnern“ können, welchen der beiden Sticks er zum Tatzeitpunkt im Fahrzeug gehabt habe; der Meldungsleger habe sich geweigert, den USB-Stick zu übernehmen. Bei einer objektiven und schlüssigen Würdigung der Beweise hätte das LVwG zum Ergebnis kommen müssen, dass sein Gerät zur Tatzeit nicht geeignet gewesen sei, technische Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung zu beeinflussen oder zu stören.

12       Eine Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird mit diesem Vorbringen jedoch nicht aufgezeigt:

13       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 98a Abs. 1 KFG maßgeblich, dass Geräte oder Gegenstände, welche geeignet sind, technische Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung zu beeinflussen oder zu stören, an Kraftfahrzeugen angebracht oder in solchen mitgeführt werden (argum.: „beeinflusst oder gestört werden können“). Ob das Gerät oder der Gegenstand tatsächlich in Betrieb genommen wurde bzw. ob es tatsächlich zu einer Beeinflussung oder Störung von technischen Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung gekommen ist, ist für die Erfüllung des Tatbestands hingegen nicht ausschlaggebend. Vielmehr reicht nach dem klaren Gesetzeswortlaut bereits die bloße Eignung des im Kraftfahrzeug angebrachten oder mitgeführten Geräts oder Gegenstands zur Störung oder Beeinflussung von technischen Verkehrsüberwachungseinrichtungen (VwGH 17.6.2019, Ra 2019/02/0069).

14       Nach dieser Rechtsprechung kommt es darauf an, dass das konkrete am Fahrzeug angebrachte oder dort mitgeführte Gerät die Beeinflussung oder Störung aktuell verursachen kann, also tatsächlich in Betrieb genommen werden kann. Dieses Gerät muss demnach im Tatzeitpunkt sämtliche Voraussetzungen erfüllen, um in diesem Zeitpunkt Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung zu beeinflussen oder zu stören. Unwesentlich ist, ob das Gerät - etwa mittels eines im Fahrzeug angebrachten Schalters - tatsächlich in Betrieb genommen worden ist. Für die Störung oder Beeinflussung einer Lasermessung (noch) nicht hinreichend geeignet ist demnach ein Gerät, das erst durch weitere nicht am Tatort und zur Tatzeit verfügbare technische Maßnahmen dazu in die Lage versetzt werden muss, solche Störungen oder Beeinflussungen herbeizuführen, also nicht ohne weiteres - etwa mittels eines im Fahrzeug angebrachten Schalters - in Betrieb genommen werden kann (VwGH 13.10.2020, Ra 2020/02/0063, mwN).

15       Nach den Feststellungen des LVwG war das im Kraftfahrzeug des Revisionswerbers zum Tatzeitpunkt am Tatort aus näher dargestellten Gründen (vgl. die wiedergegebenen Feststellungen in Rn. 3) der Fall.

16       Soweit mit diesem Vorbringen die Beweiswürdigung des LVwG gerügt wird, ist der Revisionswerber darauf hinzuweisen, dass Fragen der Beweiswürdigung regelmäßig als nicht über den Einzelfall hinausreichend keine grundsätzliche Bedeutung iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommen. Die Beweiswürdigung ist nur dahingehend der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, das heißt den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen; die Richtigkeit der Beweiswürdigung ist vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu überprüfen (vgl. etwa VwGH 30.9.2021, Ra 2021/02/0195, mwN).

17       Entgegen den Revisionsausführungen hält die vom LVwG im vorliegenden Fall vorgenommene ausführliche Beweiswürdigung den dargestellten Prüfkriterien der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes stand, gibt doch der Revisionswerber selbst zu, dass der dem Sachverständigen übergebene USB-Stick gerade nicht jener gewesen ist, der zum Tatzeitpunkt am Tatort verwendet wurde und dass die angebliche „Kopie“ erst nach dem Tatzeitpunkt erstellt worden ist.

18       4.2.2. Soweit der Revisionswerber die Nichtaufnahme von weiteren Beweisen, etwa ein Sachverständigengutachten bzw. eine zusätzliche Einvernahme eines Zeugen, moniert, ist darauf hinzuweisen, dass es der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes unterliegt, ob eine Beweisaufnahme notwendig ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt ist und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hat (vgl. VwGH 29.5.2019, Ra 2018/02/0238, mwN).

19       Eine derart grobe Fehlbeurteilung zeigt die Revision nicht auf. Das LVwG stützte seine Einschätzung, wonach es sich bei dem eingebauten Gerät um einen Laserblocker handle, welcher zur Beeinflussung oder Störung technischer Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung zur Tatzeit geeignet war (vgl. zu diesen Anforderungen VwGH 17.6.2019, Ra 2019/02/0069, sowie VwGH 13.10.2020, Ra 2020/02/0063), maßgeblich u.a. auf die Aussagen des Revisionswerbers sowie ein Sachverständigengutachten. Wie das LVwG weiters festgestellt hat, war fallbezogen eine Messung des Kraftfahrzeuges des Revisionswerbers aufgrund eines Störfaktors nicht möglich. Das LVwG begründete auch, warum es von weiteren Beweisaufnahmen Abstand nahm und den Sachverhalt als geklärt ansah. Dem Revisionswerber gelingt es vor diesem Hintergrund nicht, in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz der gerügten Verfahrensmängel, nämlich der Nichtaufnahme weiterer Beweise, konkret darzulegen.

20       4.2.3. Soweit zur Zulässigkeit der Revision zuletzt vorgebracht wird, es sei durch die Covid-19-Begleitgesetze gegen fundamentale Rechtsgrundsätze verstoßen worden, weil die Entscheidungsfrist des § 43 Abs. 1 VwGVG „grundsätzlich“ ohne das Covid-19-Begleitgesetz bereits abgelaufen gewesen sei, was gegen Art. 6 EMRK, den Gleichheitsgrundsatz und das Rückwirkungsverbot von Strafgesetzen gemäß Art. 7 EMRK verstoße, ist Folgendes auszuführen:

21       Der Verfassungsgerichtshof hat die vom Revisionswerber erhobene Beschwerde abgelehnt. Verfassungsrechtliche Rechtsfragen können nicht zur Zulässigkeit der Revision führen (vgl. VwGH 26.3.2021, Ra 2021/05/0043, mwN).

22       Nach den Ausführungen in den Gesetzesmaterialien (zu BGBl. I Nr. 24/2020; IA 403/A, 27. GP, S. 26) findet die in § 2 Abs. 1 Z 3 COVID-19-VwBG (bzw. nunmehr in § 2 Abs. 1 Z 2 leg. cit. idF BGBl. I Nr. 2/2021) „vorgeschlagene Hemmung der Verjährungsfristen“ auch auf § 43 VwGVG Anwendung. Die 15-Monate-Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG gilt daher im Kontext des COVID-19-VwBG nach dem expliziten Willen des Gesetzgebers als „Verjährungsfrist“ im Sinne dessen § 2 Abs. 1 Z 3 (vgl. näher VwGH 7.5.2021, Ra 2020/10/0174). Von dieser Rechtsprechung ist das LVwG nicht abgewichen.

23       § 1 Abs. 2 VStG steht im Übrigen auch einer Anwendung einer geänderten Verjährungsbestimmung auf vor dem Inkrafttreten der jeweiligen Novelle begangene Straftaten nicht entgegen, sofern zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bestimmung Verjährung noch nicht eingetreten war; ein allgemeines, die Verjährungsbestimmung umfassendes Günstigkeitsprinzip lässt sich aus Art. 7 Abs. 1 EMRK entgegen der Revision nicht ableiten (vgl. VwGH 14.4.2016, Ra 2015/06/0042, mwH. Im Sinne der Rechtsprechung des EGMR (vgl. EGMR vom 17. September 2009, Scoppola gg Italien (Nr. 2), Nr. 10.249/03, Tz 110) bezieht sich Art. 7 Abs. 1 EMRK auf das Verbot rückwirkender Strafbestimmungen und rückwirkender Strafverschärfungen, nicht aber auf Vorschriften über Verjährungsfristen, wobei die in § 1 VStG enthaltene Regelung von Art 7 Abs. 1 EMRK verfassungsrechtlich garantiert wird (vgl. nochmals VwGH 14.4.2016, Ra 2015/06/0042).

24       4.3. Ausgehend davon stellt sich daher in diesem Zusammenhang keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (vgl. auch VwGH 13.9.2016, Ra 2016/03/0083, mwN).

25       4.4. In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 1. Dezember 2021

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021020237.L00

Im RIS seit

29.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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