TE Vwgh Erkenntnis 2021/11/25 Ra 2020/11/0156

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Veröffentlicht am 25.11.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

LSD-BG 2016 §26
LSD-BG 2016 §28
LSD-BG 2016 §72 Abs10
VStG §16

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/11/0157
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2020/11/0203 E 25.11.2021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revisionen des T K in G (Polen), vertreten durch Mag. Heimo Fresacher und Mag. Gerald Krenker, Rechtsanwälte in 9400 Wolfsberg, St. Michaeler Straße 2/1, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich 1.) vom 24. März 2020, Zlen. LVwG-302308/24/BMa/PP und LVwG-302358/2/BMa/PP (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0156) sowie 2.) vom 20. März 2020, Zlen. LVwG-302310/20/BMa/TK und LVwG-302359/2/BMa/TK (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0157), jeweils betreffend Übertretungen des LSD-BG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Perg),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revisionen werden hinsichtlich der Schuldsprüche zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Den Revisionen wird insoweit stattgegeben, als die angefochtenen Erkenntnisse in ihren Strafaussprüchen dahingehend abgeändert werden, dass die mit ihnen und mit den ihnen zugrundeliegenden Straferkenntnissen jeweils verhängten Ersatzfreiheitsstrafen entfallen.

Der Bund hat dem Revisionswerber jeweils Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40, insgesamt somit € 2.692,80, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit den angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnissen wurde dem Revisionswerber in teilweiser Abänderung zweier Straferkenntnisse der belangten Behörde, jeweils vom 21. März 2019, zur Last gelegt, er habe als Verantwortlicher der Gesellschaft E mit Sitz in Polen zu verantworten, dass diese als Arbeitgeberin näher genannte polnische Arbeitnehmer eingesetzt bzw. beschäftigt habe, wobei sie, wie anlässlich einer Kontrolle am 13. September 2017 festgestellt worden sei,

zu 1.) (Ra 2020/11/0156) die Lohnunterlagen wie Arbeitsvertrag, Lohnzettel, Lohnaufzeichnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen, Unterlagen betreffend die Lohneinstufung und Lohnzahlungsnachweise gemäß § 22 Abs. 1 LSD-BG für zwölf Arbeitnehmer nicht am Arbeits(Einsatz)Ort bereitgehalten und diese Unterlagen der Abgabenbehörde auch nicht unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich gemacht habe. Dadurch habe der Revisionswerber § 28 Z 1 iVm. § 22 Abs. 1 LSD-BG verletzt, weshalb gegen ihn eine Gesamtstrafe von € 7.500,-- samt Ersatzfreiheitsstrafe (126 Stunden) verhängt wurde. Der Kostenbeitrag für das Verfahren vor der belangten Behörde wurde reduziert und ausgesprochen, dass kein Kostenbeitrag für das Beschwerdeverfahren zu leisten sei.

zu 2.) (Ra 2020/11/0157)

A.) die Unterlagen über die Anmeldung zur Sozialversicherung (Sozialversicherungsdokument A1) für vier entsandte Arbeitnehmer nicht am Arbeits(Einsatz)Ort bereitgehalten und diese Unterlagen den Organen der Abgabenbehörde auch nicht unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich gemacht habe. Dadurch habe der Revisionswerber § 26 Abs. 1 Z 3 iVm. § 21 Abs. 1 Z 1 LSD-BG verletzt, weshalb gegen ihn eine Gesamtstrafe von € 1.250,-- samt Ersatzfreiheitsstrafe (42 Stunden) verhängt wurde, sowie

B.) für neun entsandte Arbeitnehmer die Meldung über die Arbeitsaufnahme dieser Arbeitnehmer nicht vor der jeweiligen Arbeitsaufnahme der Zentralen Koordinationsstelle des Bundesministeriums für Finanzen für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und dem LSD-BG erstattet habe. Dadurch habe der Revisionswerber § 26 Abs. 1 Z 1 iVm. § 19 Abs. 1 und 3 LSD-BG verletzt, weshalb gegen ihn eine Gesamtstrafe von € 3.000,-- samt Ersatzfreiheitsstrafe (100 Stunden) verhängt wurde. Der Kostenbeitrag für das Verfahren vor der belangten Behörde wurde reduziert und ausgesprochen, dass kein Kostenbeitrag für das Beschwerdeverfahren zu leisten sei.

Gleichzeitig wurde jeweils gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision unzulässig sei.

2        Der Revisionswerber erhob zunächst Beschwerden gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerden mit Beschlüssen jeweils vom 26. Juni 2020, E 1642/2020, E 1643/2020, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Der Revisionswerber erhob daraufhin die vorliegenden (außerordentlichen) Revisionen. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

3        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Revisionen erwogen:

Zu Spruchpunkt I:

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5        In den Revisionen werden zu den Schuldsprüchen keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, da die Revisionen kein diesbezügliches Vorbringen enthalten. Die Revisionen waren daher insoweit zurückzuweisen.

Zu Spruchpunkt II:

6        Die - wortgleichen und inhaltlich nur gegen die Strafaussprüche gerichteten - Revisionen führen in ihrer jeweiligen Zulässigkeitsbegründung aus, die angefochtenen Erkenntnisse widersprächen dem hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033, 0034, und dem Urteil des Gerichtshofs der EU vom 12. September 2019, C-64/18 ua., Maksimovic ua., weil die in den Revisionsfällen angewendeten Strafnormen der §§ 26 und 28 LSD-BG idF BGBl. I Nr. 64/2017 gegen Art. 56 AEUV verstießen und daher nicht anzuwenden seien.

7        Abgesehen davon, dass der Verwaltungsgerichtshof schon im Erkenntnis Ra 2019/11/0033, 0034 der Überlegung entgegen getreten ist, die gesamte Strafbestimmung unangewendet zu lassen (a.a.O, Rn. 29), ist auf die am 1. September 2021 in Kraft getretene Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 zum Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) hinzuweisen, deren Ziel es war, dem Urteil in der Rechtssache Maksimovic und dem daran anschließenden hg. Erkenntnis Ra 2019/11/0033, 0034 entsprechend, die Strafen für die sogenannten „Formaldelikte“ der §§ 26 bis 28 LSD-BG unionsrechtskonform zu normieren (vgl. VwGH 12.10.2021, Ra 2019/11/0015, 0016 und Ra 2021/11/0033, 0034). Die im Revisionsfall maßgebenden Bestimmungen in der Fassung dieser Novelle lauten (auszugsweise):

„Verstöße im Zusammenhang mit den Melde- und Bereithaltungspflichten bei Entsendung oder Überlassung

§ 26. (1) Wer als Arbeitgeber oder Überlasser im Sinne des § 19 Abs. 1

1.   die Meldung oder die Meldung über nachträgliche Änderungen bei den Angaben (Änderungsmeldung) entgegen § 19 nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erstattet oder

2.   ...

3.   die erforderlichen Unterlagen entgegen § 21 Abs. 1 oder Abs. 2 nicht bereithält oder dem Amt für Betrugsbekämpfung oder der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vor Ort nicht unmittelbar in elektronischer Form zugänglich macht,

begeht unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 20 000 Euro zu bestrafen.

...

Nichtbereithalten und Nichtübermitteln der Lohnunterlagen

§ 28. Wer als

1.   Arbeitgeber entgegen § 22 Abs. 1, Abs. 1a oder 1b die Lohnunterlagen nicht bereithält, oder

...

begeht unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 20 000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 40 000 Euro, zu bestrafen.“

Gemäß § 72 Abs. 10 letzter Satz LSD-BG idF der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 sind die §§ 26 bis 29 in der Fassung der Novelle auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmungen anhängigen Verfahren einschließlich von Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof anzuwenden.

8        Den - somit in den Revisionsfällen anzuwendenden - §§ 26 und 28 LSD-BG idF BGBl. I Nr. 174/2021 entsprechen die angefochtenen Erkenntnisse, da (in Abänderung der Straferkenntnisse) jeweils nur eine Gesamtgeldstrafe ohne Abstellen auf eine Mindeststrafe verhängt wurde.

9        Hingegen erweist sich die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen aus den im Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2020/11/0164 bis 0166, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargelegten Gründen als rechtswidrig.

10       Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und diese Entscheidung im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Da diese Voraussetzungen vorliegen, waren die Strafaussprüche der angefochtenen Erkenntnisse dahingehend abzuändern, dass die jeweils verhängten Ersatzfreiheitsstrafen entfallen.

11       Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte im Hinblick auf die vor dem Verwaltungsgericht durchgeführte Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG unterbleiben.

12       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110156.L00

Im RIS seit

27.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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