TE Vwgh Erkenntnis 2021/11/29 Ra 2020/11/0134

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Veröffentlicht am 29.11.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

AVRAG 1993 §7i Abs5
VStG §32 Abs2
VStG §44a Z1
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Österreichischen Gesundheitskasse als Kompetenzzentrum LSDB in Wien, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 29. April 2020, Zl. LVwG-S-1065/002-2019, betreffend Übertretung des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn; mitbeteiligte Partei: M K in R (Slowakei)), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 22. März 2019 wurde dem Mitbeteiligten Folgendes zur Last gelegt:

„Zeit: 01.02.2016 bis 31.05.2016

Ort: [...]

Tatbeschreibung:

Sie haben als handelsrechtlicher Geschäftsführer und gemäß § 9 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 zur Vertretung nach außen Berufener der A ... s.r.o. ... in der Slowakei zu verantworten, dass nachstehender Arbeitnehmer beschäftigt wurde, ohne ihm den zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien geleistet zu haben. Der Arbeitnehmer K ..., geboren am ..., wurde für den Tätigkeitszeitraum 01.02.2016 bis 31.05.2016 nicht das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zumindest zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien geleistet.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

§ 7i Abs. 5 AVRAG i.V.m. § 7g Abs. 1 AVRAG iVm § 7e Abs. 3 AVRAG“

2        Über den Mitbeteiligten wurde eine Geldstrafe von € 6.000,-- samt Ersatzfreiheitsstrafe von 198 Stunden verhängt und ihm ein Kostenbeitrag von € 600,-- auferlegt.

3        In der Begründung stellte die belangte Behörde für Februar, März und April 2016 jeweils eine Unterentlohnung von € 706,--, für Mai 2016 von € 739,20, fest, die jeweils 60 % entspreche, und wies darauf hin, dass die niederschriftliche Aussage des Arbeitnehmers zu seinen Arbeitszeiten als Kranken- und Altenbetreuer nicht mit den vorliegenden Lohnzetteln und diese wiederum nicht mit den von der Arbeitgeberin vorgelegten Lohnabrechnungen und Stundenaufzeichnungen vereinbar sei, aus denen sich näher angeführte Auszahlungsbeträge ergäben.

4        Der dagegen erhobenen, vom Verwaltungsgericht dem Mitbeteiligten zugerechneten Beschwerde gab das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß § 50 VwGVG statt, behob das angefochtene Straferkenntnis wegen Verfolgungsverjährung und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG iVm. § 38 VwGVG ein.

5        Begründend ging es davon aus, dass weder das Straferkenntnis noch die wortgleiche behördliche Aufforderung zur Rechtfertigung dem Konkretisierungsgebot des § 44a VStG entsprochen hätten, da in der Tatumschreibung die tatsächlichen Auszahlungen an den Mitbeteiligten nicht angeführt seien. Innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist des § 7i Abs. 7 AVRAG sei somit eine ausreichend konkrete und vollständige Tatanlastung nicht erfolgt. Überdies sei auch aus der Begründung angesichts der dort genannten Beträge nicht eindeutig feststellbar, wie hoch die Auszahlungen an den Mitbeteiligten tatsächlich gewesen seien.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche (Amts-)Revision. In der Zulässigkeitsbegründung wird (unter Hinweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs) vorgebracht, dass das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 50 VwGG iVm. § 44a VStG abweiche.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

8        Die Revision ist aus dem in ihr genannten Grund zulässig. Sie ist auch begründet.

9        Die im Tatzeitpunkt maßgebenden Bestimmungen des AVRAG, BGBl. Nr. 459/1993 idF BGBl. I Nr. 113/2015, lauten auszugsweise:

„Strafbestimmungen

§ 7i. (1) ...

...

(5) Wer als Arbeitgeber/in einen/e Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, liegt eine einzige Verwaltungsübertretung vor. ...

...

(7) Die Frist für die Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 VStG) beträgt drei Jahre ab der Fälligkeit des Entgelts. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, beginnt die Frist für die Verfolgungsverjährung im Sinne des ersten Satzes ab der Fälligkeit des Entgelts für den letzten Lohnzahlungszeitraum der Unterentlohnung. Die Frist für die Strafbarkeitsverjährung (§ 31 Abs. 2 VStG) beträgt in diesen Fällen fünf Jahre. ...“

10       Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu § 44a Z 1 VStG hat die Tatumschreibung so präzise zu sein, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wahren kann und er nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt ist (vgl. dazu etwa VwGH 1.10.2018, Ra 2017/03/0086, mwN). Diese Rechtsschutzüberlegungen sind auch für die Prüfung der Frage anzustellen, ob eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinn des § 32 Abs. 2 VStG gegeben ist. Das bedeutet, dass die der beschuldigten Person vorgeworfene Tat (lediglich) unverwechselbar konkretisiert sein muss, damit diese in die Lage versetzt wird, dem Vorwurf entsprechend zu reagieren und damit ihr Rechtsschutzinteresse zu wahren (VwGH 19.11.2019, Ra 2019/09/0027, mwN).

11       Zum Bestimmtheitsgebot des § 44a VStG hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von der Zielrichtung des Konkretisierungsgebots des § 44a Z 1 VStG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die an die Tatumschreibung zu stellenden Erfordernisse nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall unterschiedlich zu beurteilen sind (vgl. etwa VwGH 6.9.2019, Ra 2019/11/0053 bis 0055, mwN).

12       Im Revisionsfall war nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts sowohl in der behördlichen Aufforderung zur Rechtfertigung als auch im Spruch des Straferkenntnisses dem Mitbeteiligten als Geschäftsführer der A s.r.o. vorgeworfen worden, den - eindeutig bezeichneten - Arbeitnehmer K in einem bestimmten Zeitraum an einem bestimmten Arbeitsplatz unterentlohnt zu haben. Damit wurde die vorgeworfene Tat unverwechselbar konkretisiert. Das Verwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall zu Unrecht davon ausgegangen, dass auch das vom Arbeitgeber tatsächlich ausbezahlte Entgelt schon in der behördlichen Aufforderung zur Rechtfertigung und im Spruch des Straferkenntnisses hätte betragsmäßig präzisiert werden müssen. Dies wäre weder zum Schutz vor Doppelbestrafung (der bereits durch die Präzisierung des Namens des vermeintlich unterentlohnten Arbeitnehmers und des Beschäftigungszeitraums gewährleistet ist) noch zur Verteidigung des Arbeitgebers erforderlich, zumal diesem die Höhe des geleisteten Entgelts ohnehin bekannt ist. Dass eine Präzisierung dieser Unterentlohnung nicht erfolgte, tut daher dem Umstand keinen Abbruch, dass die Aufforderung zur Rechtfertigung eine taugliche Verfolgungshandlung war (vgl. abermals VwGH 6.9.2019, Ra 2019/11/0053 bis 0055).

13       Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben war.

Wien, am 25. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110134.L00

Im RIS seit

27.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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