TE Vwgh Beschluss 2021/12/3 Ra 2021/18/0269

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Veröffentlicht am 03.12.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Norm

ABGB §1332
VwGG §26
VwGG §26 Abs1
VwGG §26 Abs3
VwGG §46 Abs1
VwGG §61

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, in der Revisionssache des B S, geboren am 22. November 1990, vertreten durch Mag. Verena Leimgruber, Rechtsanwältin in 6330 Kufstein, Josef-Egger-Straße 3, als bestellte Verfahrenshelferin, diese vertreten durch die Waldbauer Paumgarten Naschberger Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 6330 Kufstein, Josef-Egger-Straße 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juni 2021, G308 2190463-1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Revision wird als verspätet zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger des Irak. Er stellte am 14. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) - in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27. Februar 2018 - zur Gänze abgewiesen wurde. Das BVwG erteilte dem Revisionswerber auch keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

2        Zur Erhebung einer außerordentlichen Revision gegen dieses Erkenntnis stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Verfahrenshilfe u.a. betreffend Beigebung eines Rechtsanwaltes, dem der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 5. August 2021 stattgab. Mit Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 9. August 2021 wurde die Verfahrenshelferin bestellt.

3        Am 23. September 2021 brachte der Revisionswerber, vertreten durch die Verfahrenshelferin, im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eine außerordentliche Revision beim BVwG ein.

4        Einem im Akt der Tiroler Rechtsanwaltskammer befindlichen Rückschein zufolge hat eine für RSb-Briefe bevollmächtigte Person in der Kanzlei der Verfahrenshelferin den Bestellungsbescheid vom 9. August 2021 am 11. August 2021 übernommen.

5        Der Verwaltungsgerichtshof hielt dem Revisionswerber mit Verfügung vom 3. November 2021 diesen Umstand sowie die vorläufige Ansicht vor, die sechswöchige Revisionsfrist habe deshalb bereits am 22. September 2021 geendet, weshalb die Revision verspätet erhoben worden sein dürfte.

6        Daraufhin beantragte der Revisionswerber die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist. Der Bescheid der Tiroler Rechtsanwaltskammer betreffend die Bestellung zur Verfahrenshelferin sei dieser zwar am 11. August 2021 postalisch zugegangen, allerdings ohne die zu bekämpfende verwaltungsgerichtliche Entscheidung. Am 13. August 2021 sei der Verfahrenshelferin im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs abermals der Bescheid über die Bestellung zur Verfahrenshelferin und gleichzeitig erstmals auch die zu bekämpfende Entscheidung des BVwG übermittelt worden. Die Verfahrenshelferin sei zur Bestimmung des Endes der Revisionsfrist irrtümlich von der Übermittlung am 13. August 2021 ausgegangen; dass bereits am 11. August 2021 postalisch eine Zustellung des Bescheides erfolgt war, habe sie nicht zuletzt aufgrund des Umfangs des Aktes von ca. 100 Seiten übersehen. Es sei auch ungewöhnlich, dass der Bescheid über die Bestellung der Verfahrenshelferin sowohl postalisch als auch im elektronischen Rechtsverkehr zugestellt worden sei.

Zu Spruchpunkt I:

7        Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

8        Im Hinblick auf die einem Vertreter unterlaufenen Fehler ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei trifft, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. VwGH 17.3.2021, Ra 2021/14/0054, mwN).

9        Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. der Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH 17.12.2020, Ra 2020/18/0287, mwN).

10       Gemäß § 26 Abs. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes (Revisionsfrist) sechs Wochen. Hat die Partei innerhalb der Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt (§ 61 VwGG), so beginnt gemäß § 26 Abs. 3 VwGG für sie die Revisionsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts an diesen. Auf eine Zustellung (auch) der zu bekämpfenden Entscheidung an den als Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt stellt § 26 Abs. 3 VwGG nicht ab (vgl. VwGH 18.12.2014, Ro 2014/01/0038).

11       Der Revisionswerber sieht das die Einhaltung der Revisionsfrist hindernde Ereignis darin, dass die Verfahrenshelferin bei der Fristenberechnung irrtümlich von der (neuerlichen) Übermittlung des Bestellungsbescheides im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs am 13. August 2021 ausgegangen sei. Dass die Frist jedoch tatsächlich bereits durch die Zustellung des Bestellungsbescheides auf postalischem Wege am 11. August 2021 ausgelöst wurde, wird nicht bestritten.

12       Zum Vorliegen eines bloß minderen Grad des Versehens verweist der Wiedereinsetzungsantrag darauf, dass der Akt mit ca. 100 Seiten sehr umfangreich gewesen sei und dass die Vorgehensweise der Tiroler Rechtsanwaltskammer, den Bestellungsbescheid zwei Mal - zunächst postalisch und wenige Tage später unter Anschluss der Verfahrensunterlagen im elektronischen Rechtsverkehr - zu übermitteln, unüblich sei.

13       In Anbetracht der Bedeutsamkeit der Wahrung von Rechtsmittelfristen (vgl. etwa VwGH 9.9.2015, Ra 2015/03/0049, mwN) ist der Rechtsvertreterin eine einen minderen Grad des Versehens übersteigende Sorglosigkeit anzulasten. Auch ein größerer Umfang eines Aktes - der im vorliegenden Fall mit ca. 100 Seiten im Übrigen keineswegs ungewöhnlich groß war - entbindet die bestellte Verfahrenshelferin nicht von einem sorgfältigen Aktenstudium im Hinblick auf die Sicherstellung der Einhaltung der Rechtsmittelfrist. Die zweimalige Übermittlung des Bestellungsbescheides durch die Rechtsanwaltskammer mag unüblich sein; dass die Revisionsfrist jedoch bereits mit der ersten Zustellung zu laufen begonnen hatte, wird im Wiedereinsetzungsantrag nicht bestritten und musste der einschreitenden beruflichen und rechtskundigen Parteienvertreterin jedenfalls bekannt sein.

14       Im Wiedereinsetzungsantrag wurde somit nicht dargetan, dass dem Revisionswerber an der Versäumung der Revisionsfrist kein ihm zurechenbares Verschulden seiner Rechtsvertreterin oder ein lediglich minderer Grad des Versehens anzulasten sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gemäß § 46 Abs. 1 und Abs. 4 VwGG abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II:

15       Die - wie oben dargestellt - verspätet eingebrachte Revision war gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 3. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180269.L00

Im RIS seit

27.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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