TE Vwgh Beschluss 2021/11/25 Ra 2020/06/0070

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Veröffentlicht am 25.11.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
90/02 Kraftfahrgesetz

Norm

B-VG Art133 Abs4
KFG 1967 §103 Abs2
MRK Art6
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der S H, vertreten durch Wilfried Merkle, Rechtsanwalt in 76646 Bruchsal (Deutschland), Dr.-Karl-Meister-Straße 8, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 21. Jänner 2020, LVwG-S-10/001-2020, betreffend Übertretung des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Pölten; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten (belangte Behörde) vom 6. Dezember 2019 wurde der Revisionswerberin eine Übertretung des § 20 Abs. 1 i.V.m. §§ 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 zur Last gelegt, weil sie am 27. Februar 2019 ein Kraftfahrzeug auf dem mautpflichtigen Straßennetz gelenkt habe, ohne die zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben. Die am Fahrzeug angebrachte Klebevignette sei nicht gültig gewesen, weil sie nicht ordnungsgemäß angebracht (geklebt) gewesen sei. Über die Revisionswerberin wurde deshalb eine Geldstrafe in der Höhe von € 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 33 Stunden) verhängt.

2        Die gegen den genannten Bescheid von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (LVwG) als unbegründet abgewiesen. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

3        In seinen Erwägungen hielt das LVwG unter anderem fest, die Verwirklichung der objektiven Tatseite stehe auch seitens der Revisionswerberin außer Streit. Diese bestreite ausschließlich ihre Täterschaft. Hierzu habe sie zunächst angegeben, zwar Fahrzeughalterin des betreffenden PKW gewesen zu sein, allerdings das Fahrzeug nicht selbst gelenkt zu haben. Als Reaktion auf eine auf § 103 Abs. 2 Kraftfahrgesetz 1967 (KFG 1967) basierende Lenkererhebung sei lediglich ihre Mitteilung ergangen, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache und die angeforderten Daten nicht bekannt geben werde, weil es sich bei der Fahrzeugführerin um ein Familienmitglied gehandelt habe. In der Beschwerde sei schließlich behauptet worden, es hätten sich mehrere Personen im Fahrzeug befunden, die abwechselnd das Fahrzeug gelenkt hätten. Sie könne nicht angeben bzw. wisse nicht, wer zum fraglichen Zeitpunkt Lenker des gegenständlichen Fahrzeugs gewesen sei.

4        Die Beschuldigte als Zulassungsbesitzerin - so führte das LVwG weiter aus - wäre verpflichtet gewesen, Name und Anschrift der Person, die Lenker/Lenkerin des PKW im Tatzeitpunkt gewesen sei, der Behörde mitzuteilen. Alternativ hätte sie die Person nennen können, die eine derartige Auskunft erteilen hätte können. Sofern für sie selbst aufgrund einer größeren Zahl möglicher Lenker/Lenkerinnen eine unmittelbare Nennung dieser Personen nicht möglich sei, hätte die Verpflichtung bestanden, entsprechende schriftliche Aufzeichnungen zu führen, sodass diese Auskunft möglich gewesen wäre. Keine dieser Möglichkeiten sei von der Beschuldigten umgesetzt worden.

5        Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfasse die Auskunftspflicht die Angabe des Namens und der genauen Adresse des Lenkers (grundsätzlich nicht bzw. nur in Ausnahmefällen des Geburtsdatums). Der objektive Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 sei als erfüllt zu beurteilen, wenn eine Lenkerauskunft des Zulassungsbesitzers nicht richtig und vollständig erfolgt sei (Verweis auf VwGH 3.11.2000, 2000/02/0194; 18.10.2018, Ra 2018/02/0292).

6        Damit stehe fest, dass die geforderte Lenkerauskunft innerhalb der eingeräumten Frist jedenfalls nicht vollständig in einer Form bzw. einem Ausmaß erteilt worden sei, die eine eigenständige Verfolgung dieser Person ermöglicht hätte.

7        Die im Verfassungsrang stehende Bestimmung des § 103 Abs. 2 KFG 1967 finde entgegen der Ansicht der Revisionswerberin auch auf sie Anwendung. Ausnahmeregelungen, wie von ihr angenommen, bestünden auch für Lenker/innen im Verwandtschaftsverhältnis nicht. Habe die Verwaltungsstrafbehörde die Beschuldigte aufgefordert, bekannt zu geben, wer als Lenker/in des auf sie zugelassenen Fahrzeuges - außer ihr selbst - in Betracht käme, so dürfe sie eine diesbezüglich ausweichende Antwort der Beschuldigten auch dahin würdigen, dass die Beschuldigte die ihr als Zulassungsbesitzerin obliegende diesbezügliche Mitwirkungspflicht verletzt und die ihr zur Last gelegte Tat selbst begangen habe (Verweis auf VwGH 11.10.1995, 93/03/0162; 6.11.2002, 2001/02/0273). Habe die Zulassungsbesitzerin in keinem Stadium des Verfahrens konkrete Angaben dazu gemacht, wer sonst außer ihr das Kraftfahrzeug zur Tatzeit am Tatort gelenkt habe, so habe sie jegliche Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhalts verweigert. Der Hinweis, dass es sich um verschiedene Familienangehörige bzw. Personen gehandelt habe, reiche nicht aus. Daher habe die Behörde den Schluss ziehen können, die Zulassungsbesitzerin selbst sei die Täterin gewesen (Verweis unter anderem auf VwGH 25.3.1992, 92/02/0005).

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, als außerordentliche Revision zu qualifizierende „Beschwerde“, die keine (gesonderte) Zulässigkeitsbegründung enthält, sondern sich im Ergebnis auf die Darlegung der Revisionsgründe beschränkt. Die Revisionswerberin bringt darin vor, das LVwG konstruiere zu Unrecht, dass sie als Halterin des Fahrzeuges den Verstoß begangen habe. Tatsächlich sei der Verstoß von einem Familienmitglied begangen worden, welches sie nicht mit ihrer Aussage belasten möchte und unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten auch nicht belasten müsse. Insoweit habe sie das Recht, die Aussage zu verweigern, lege man die deutschen Rechtsstaatsprinzipien und EU-rechtlichen Maßstäbe zugrunde. Die Maßstäbe österreichischen Rechts, wonach aufgrund der Haltereigenschaft auf die Fahrereigenschaft geschlossen werden dürfe (wenn die Fahrereigenschaft negiert werde und eine dritte Person das Fahrzeug geführt habe), seien nicht nachvollziehbar. Eine Zwangsvollstreckung solcher Entscheidungen (die deshalb auf eine Halterhaftung hinausliefen, weil betroffene Familienmitglieder nicht belastet würden) werde von deutschen Gerichten im Hinblick auf EU-Recht (ordre public) - weil rechtswidrig - auch nicht gebilligt. Letztlich sanktionierten solche Entscheidungen im Ergebnis primär nicht den eigentlichen Verstoß, sondern den Umstand, dass der Fahrzeugführer nicht bekannt gegeben werde.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision ist gemäß § 28 Abs. 3 VwGG das Vorbringen im Rahmen der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe maßgeblich (vgl. VwGH 31.3.2021, Ra 2018/22/0162, mwN).

13       Die vorliegende Revision erfüllt die Erfordernisse des § 28 Abs. 3 VwGG nicht, zumal sie keinerlei (gesonderte) Zulässigkeitsbegründung enthält, sondern sich auf die bloße Darstellung der Revisionsgründe (Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit) beschränkt.

14       Die Revision ist daher nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie eine gesonderte Darlegung der Zulässigkeitsgründe vermissen lässt. Sie ist schon deshalb - ohne Erteilung eines Verbesserungsauftrags (vgl. erneut VwGH 31.3.2021, Ra 2018/22/0162, mwN) - als unzulässig zurückzuweisen.

15       Abgesehen davon zeigt die Revisionswerberin aber auch mit ihren inhaltlichen Ausführungen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf.

16       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt § 103 Abs. 2 KFG 1967 die Absicht des Gesetzgebers zugrunde, sicherzustellen, dass der verantwortliche Lenker eines Kraftfahrzeuges jederzeit festgestellt werden kann, weshalb es Sinn und Zweck dieser Regelung ist, der Behörde die jederzeitige Feststellung des verantwortlichen Lenkers eines Fahrzeuges ohne langwierige und umfangreiche Erhebungen zu ermöglichen (VwGH 12.5.2021, Ra 2021/02/0102, mwN).

17       Ferner sind nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 103 Abs. 2 KFG 1967 entsprechende Aufzeichnungen zu führen, wenn die Auskunft im Sinne des § 103 Abs. 2 KFG 1967 ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht erteilt werden kann. Die Notwendigkeit, solche Aufzeichnungen zu führen, erweist sich gerade im Fall der Benützung von Kraftfahrzeugen durch eine Mehrzahl von Personen (wie vorliegend von der Revisionswerberin noch in ihrer Beschwerde gegen das behördliche Straferkenntnis vorgebracht worden war) als vorhersehbar (vgl. nochmals VwGH 12.5.2021, Ra 2021/02/0102, mwN). Dass die Revisionswerberin entsprechende Aufzeichnungen geführt habe, wurde von ihr aber nicht einmal behauptet; ebenso wenig hat sie eine konkrete andere Person genannt, die diese Auskunft erteilen könnte. Das LVwG ist somit nicht von der hg. Judikatur abgewichen.

18       Soweit die Revisionswerberin auf das Verbot der Selbstbezichtigung und auf deutsche Rechtsstaatsprinzipien verweist, ist anzumerken, dass die Vereinbarkeit der Auskunftsverpflichtung nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 mit Art. 6 EMRK vom Verwaltungsgerichtshof bereits unter Berücksichtigung des Urteils des EGMR 10.1.2008, Lückhof und Spanner/Österreich, 58452/00 und 61920/00, bejaht wurde (vgl. erneut VwGH 12.5.2021, Ra 2021/02/0102, und die dort zitierte Rechtsprechung).

19       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

20       Es war daher auch nicht notwendig, die - durch einen deutschen Rechtsanwalt vertretene - Revisionswerberin aufzufordern, das Handeln des einschreitenden deutschen Rechtsanwalts im Einvernehmen mit einem in die Liste der Rechtsanwälte der österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt (Einvernehmensrechtsanwalt) im Sinne des § 5 ElRAG nachzuweisen (vgl. VwGH 03.10.2019, Ra 2019/02/0154, mwN).

Wien, am 25. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020060070.L00

Im RIS seit

24.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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