TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/24 95/20/0195

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Veröffentlicht am 24.10.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Dezember 1994, Zl. 4.311.028/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Pakistans, der am 20. Februar 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am selben Tag den Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner am 25. Oktober 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien erfolgten niederschriftlichen Befragung zu seinen Fluchtgründen folgendes angegeben:

"Ich bin seit 1968 Mitglied der Pakistan Peoples Party (PPP genannt). Sogar während meiner Studenten-Zeit war ich aktives Mitglied. Es handelt sich um eine bis 1990 an der Macht befindliche Partei, die im August 1990 von militärischen Machenschaften gestürzt wurde. Im Oktober 1990 gab es Scheinwahlen. Ich war von meiner Partei als Wahlaufsichtsperson bestellt. Mitglieder der IGI Muslim League Partei, diese Partei ist jetzt an der Macht, kamen in das Wahllokal und zwangen mich, falsche Stimmzettel in die Wahlurne zu werfen. Aus diesem Grund wurde die Wahl gewonnen. Die Wahlen fanden im Oktober 1990 statt. Ich weigerte mich, falsche Stimmzettel einzuwerfen. Aus diesem Grund gewannen die PPP-Kandidaten Chaudhari, Ahmed, Mukhtar, in unserem Wahllokal. In anderen Wahllokalen gelang jedoch der Wahlbetrug, so daß die Igi Muslim Partei gewann. Die Igi Muslim Partei gelangte an die Regierung. Seit diesem Zeitpunkt waren alle Mitglieder der PPP-Partei Staatsfeinde. Im besonderen wurde ich verfolgt, da ich mich weigerte, am Wahlbetrug teilzunehmen. Ich sowie meine ganze Familie wurden von der Polizei ständig belästigt. Es wurden Scheinanzeigen erstattet. Diese Anzeigen reichten von kleinen Streitigkeiten bis zum Mord. Manche Mitglieder der PPP-Partei wurden verhaftet und zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Teilweise wurden sie sogar getötet. Ich konnte die Verfolgung nicht länger ertragen und beschloß, mein Heimatland zu verlassen."

Mit formularmäßigem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 31. Oktober 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei. In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung rügte der Beschwerdeführer Begründungsmängel des erstinstanzlichen Bescheides und bekräftigte im wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere konkretisierte er, er sei wegen illegalen Waffenbesitzes und Terrorismus fälschlich beschuldigt worden, die Polizei habe sein Haus einige Male überfallen, ihn jedoch nicht angetroffen; so habe sie eben seinen Vater verhaftet, der jedoch, da er nicht wußte, wo sich der Beschwerdeführer aufhielt, am nächsten Tag wieder freigelassen worden sei. Weiters brachte der Beschwerdeführer vor, es bestehe ein Haftbefehl gegen ihn, und bekräftigte schließlich, die Anklagen gegen ihn in Pakistan seien "pure Fabrikation", vor einer Restauration der Demokratie in Pakistan sei es ihm nicht möglich, sich seinem Prozeß zu stellen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und Ausführungen zur Rechtslage begründete die belangte Behörde ihren Spruch wie folgt:

"Sie führen im wesentlichen aus, in Ihrem Heimatstaat dahingehend verfolgt worden zu sein, als man Scheinanzeigen gegen Sie wegen "kleiner Streitigkeiten" bis zum Mord erstattet habe. Zu diesem Vorbringen hat die erkennende Behörde folgendes erwogen:

Das asylrechtlich Entscheidende ist immer die Motivation der einschreitenden Staatsorgane; wenn diese subjektiv ehrlich davon überzeugt sind, ein gemeinstrafrechtliches Delikt zu untersuchen, so verschlägt es auch nichts, wenn sie verleumderisch dazu angeregt worden sein sollten. Das Asylrecht schützt vor illegitim motiviertem Staatshandeln, aber nicht vor Verleumdung oder Justizirrtümern, welche ein ubiquitäres Risiko jedes Rechtsunterworfenen in allen Rechtskulturen darstellen.

Gerade der Umstand, daß Ihre politischen Gegner sich auf das Mittel der Verleumdung verwiesen sahen, zeigt ja deutlich, daß es ihnen nicht möglich war, die staatliche Gewalt direkt - und deren Organe bewußt - zu Zwecken politischer Nachstellung zu instrumentalisieren.

In jedem Fall wäre es Ihnen angesichts falscher Beschuldigungen möglich und zumutbar gewesen, sich wie jeder andere Staatsbürger in jedem anderen Staat dem Gericht zu stellen, um die aufgebotenen Beweismittel zu entkräften.

Im übrigen schützt das Asylrecht nur Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen wird. In diesem Sinne gilt als Verfolgung nur zielgerichtetes Handeln des Heimatstaates, das sich direkt gegen den Asylwerber wendet. Derartige Maßnahmen haben Sie jedoch nicht dargetan.

Verfolgungshandlungen gegen Ihre Parteigenossen sind für eine Entscheidung in Ihrem Asylverfahren nicht entscheidungsrelevant."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Begründung der belangten Behörde ist in ihrem tragenden Teil in sich widersprüchlich. Einerseits geht sie davon aus, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgungshandlungen, die sich direkt gegen ihn wendeten, dargetan, andererseits wird nicht angezweifelt, daß Scheinanzeigen gegen den Beschwerdeführer selbst erstattet worden seien. Diesen Scheinanzeigen sprach die belangte Behörde deshalb keine Asylrelevanz zu, weil sie nicht den staatlichen Organen, sondern den politischen Gegnern des Beschwerdeführers zuzurechnen seien und im übrigen derartige "Justizirrtümer" ein "ubiquitäres Risiko jedes Rechtsunterworfenen in allen Rechtskulturen" darstellten.

Dem ist entgegenzuhalten, daß die Annahme der belangten Behörde, die einschreitenden Staatsorgane handelten in Verfolgung der verleumderisch gegen die Oppositionellen des Landes geführten Ermittlungen "subjektiv ehrlich", gerade im Hinblick auf die dezidiert anderslautende Behauptung des Beschwerdeführers jeglicher Grundlage entbehrt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. März 1996, Zl. 95/20/0200, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Bereits in den erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers sind konkrete Hinweise darauf enthalten, daß die von ihm behaupteten Scheinanzeigen von den Polizeibehörden selbst als dem verlängerten Arm der an die Regierung gekommenen politischen Gegner (... "seit diesem Zeitpunkt waren alle Mitglieder der PPP-Partei Staatsfeinde" ...) ausgingen, in welchem Zusammenhang die vom Beschwerdeführer angegebenen sogenannten "Belästigungen" ("Anzeigen von kleineren Streitigkeiten bis zum Mord") zu sehen sind. Der Beschwerdeführer hat in seiner Ersteinvernahme konkret dargetan, daß die gegen ihn unternommenen gerichtlichen Schritte auf seine langjährige politische Betätigung, insbesondere auf die Verhinderung eines Wahlbetruges zurückzuführen seien, womit er einen asylrechtlich relevanten Zusammenhang hergestellt hat.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200195.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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