TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/8 E842/2021

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Veröffentlicht am 08.06.2021
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Index

L0010 Landtagsgeschäftsordnung

Norm

B-VG Art30, Art57, Art96, Art130 Abs1 Z1
Bgld L-VG 1981 Art24
Bgld Landtags-GeschäftsO §12, §20, §51
StPO §65, §390
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Abweisung einer Beschwerde betreffend ein Antwortschreiben der Präsidentin des Burgenländischen Landtags auf das Ersuchen um Aufhebung der Immunität eines bestimmten Abgeordneten; Schreiben der Gesetzgebung zuzurechnen und nicht vor dem Landesverwaltungsgericht anfechtbar; Kosten zu Beginn eines allfälligen Privatanklageverfahrens nicht unverhältnismäßig

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

II. Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Beschluss in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit einem an den Burgenländischen Landtag gerichteten Schreiben vom 28. Oktober 2020 begehrte der Beschwerdeführer die Einleitung eines Verfahrens zur Aufhebung der Immunität eines bestimmten Landtagsabgeordneten.

2. Mit Schreiben der Präsidentin des Burgenländischen Landtages vom 9. November 2020 teilte diese dem Beschwerdeführer mit, dass sie seinem Begehren nicht entsprechen könne.

3. Die vom Beschwerdeführer gegen dieses Schreiben erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Burgenland mit Beschluss vom 2. Februar 2021 als unzulässig zurück.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das angefochtene Schreiben der Präsidentin des Burgenländischen Landtages dem Bereich der Gesetzgebung zuzurechnen sei und dem Landesverwaltungsgericht Burgenland daher keine Zuständigkeit in dieser Angelegenheit zukomme.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG, Art2 StGG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt werden.

Begründend wird darin im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erledigung von Anträgen an die Präsidentin des Burgenländischen Landtages der Parlamentsverwaltung zuzurechnen sei. Dies sei auch verfassungsrechtlich geboten, weil der Beschwerdeführer ansonsten keinen Rechtsschutz habe. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer als Privatankläger auf die Aufhebung der Immunität bereits vor Erhebung einer Privatanklage angewiesen sei, weil er ansonsten ein erhebliches Kostenrisiko zu tragen habe. Insofern sei der Begriff "Behörde" in Art24 Abs3 Landes-Verfassungsgesetz vom 14. September 1981 über die Verfassung des Burgenlandes (im Folgenden: Bgld L-VG) und §51 Gesetz vom 14. September 1981 über die Geschäftsordnung des Burgenländischen Landtages (im Folgenden: Bgld LTGO) auch auf einen Privatankläger anzuwenden.

II. Rechtslage

1. Art24 Landes-Verfassungsgesetz vom 14. September 1981 über die Verfassung des Burgenlandes (L-VG), LGBl 42/1981, idF LGBl 43/2020 lautet wie folgt:

"Artikel 24

Persönliche Immunität

(1) Die Mitglieder des Landtages dürfen wegen der in Ausübung ihres Berufes geschehenen Abstimmungen niemals, wegen der in diesem Beruf gemachten mündlichen oder schriftlichen Äußerungen nur vom Landtag verantwortlich gemacht werden; dies gilt nicht bei behördlicher Verfolgung wegen Verleumdung.

(2) Die Mitglieder des Landtages dürfen wegen einer strafbaren Handlung - den Fall der Ergreifung auf frischer Tat bei Verübung eines Verbrechens ausgenommen - nur mit Zustimmung des Landtages verhaftet werden. Desgleichen bedürfen Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern des Landtages der Zustimmung des Landtages.

(3) Ansonsten dürfen Mitglieder des Landtages ohne Zustimmung des Landtages wegen einer strafbaren Handlung nur dann behördlich verfolgt werden, wenn diese offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit der oder des betreffenden Landtagsabgeordneten steht. Die Behörde hat jedoch eine Entscheidung des Landtages über das Vorliegen eines solchen Zusammenhanges einzuholen, wenn dies die oder der betreffende Landtagsabgeordnete oder mindestens ein Drittel der Mitglieder des mit diesen Angelegenheiten betrauten ständigen Ausschusses verlangt. Im Falle eines solchen Verlangens hat jede behördliche Verfolgungshandlung sofort zu unterbleiben oder ist eine solche abzubrechen.

(4) Die Zustimmung des Landtages gilt in allen diesen Fällen als erteilt, wenn der Landtag über ein entsprechendes Ersuchen der zur Verfolgung berufenen Behörde nicht innerhalb von acht Wochen entschieden hat; zum Zwecke der rechtzeitigen Beschlußfassung des Landtages hat die Präsidentin oder der Präsident des Landtages ein solches Ersuchen spätestens am vorletzten Tag dieser Frist zur Abstimmung zu stellen. Die tagungsfreie Zeit wird in diese Frist nicht eingerechnet.

(5) Im Falle der Ergreifung auf frischer Tat bei Verübung eines Verbrechens hat die Behörde der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landtages sogleich die geschehene Verhaftung bekanntzugeben. Wenn es der Landtag oder in der tagungsfreien Zeit der mit diesen Angelegenheiten betraute ständige Ausschuß verlangt, muß die Haft aufgehoben oder die Verfolgung überhaupt unterlassen werden.

(6) Die Immunität der Mitglieder des Landtages endet mit dem Tag des Zusammentrittes des neuen Landtages, bei Organen des Landtages, deren Funktion über diesen Zeitpunkt hinausgeht, mit dem Erlöschen dieser Funktion."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes vom 14. September 1981 über die Geschäftsordnung des Burgenländischen Landtages, LGBl 47/1981, idF LGBl 54/2020 lauten auszugsweise wie folgt:

"§12

Geschäftsführung des Präsidenten des Landtages

(1) Der Präsident wacht darüber, daß die Würde und die Rechte des Landtages gewahrt, die dem Landtag obliegenden Aufgaben erfüllt und die Verhandlungen ohne unnötigen Aufschub durchgeführt werden.

(2) Der Präsident hat den Ort, die Tagesordnung und die Dauer jeder Sitzung des Landtages zu bestimmen, führt den Vorsitz, leitet die Verhandlungen, eröffnet und schließt die Sitzungen.

(3) Er handhabt die Geschäftsordnung und achtet auf deren Einhaltung, erteilt das Wort, stellt die Fragen zur Abstimmung und spricht das Ergebnis aus.

(4) Der Präsident führt die erforderlichen Zuweisungen der im §20 Abs1 aufgezählten Verhandlungsgegenstände in der auf ihr Einlangen folgenden Sitzung des Landtages an die Ausschüsse durch.

(5) Er hat das Recht der Entgegennahme und der Zuteilung aller an den Landtag gelangenden Schriftstücke.

(6) Wahlen und Bestellungen auf die Tagesordnung zu stellen, ist der Präsident jederzeit berechtigt.

(7) Er handhabt die Hausordnung und hat für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Sitzungssaal und in den Räumen des Landtages zu sorgen. Er ist jederzeit, insbesondere im Falle einer Störung, berechtigt, die Sitzung auf längstens 48 Stunden zu unterbrechen oder zu schließen; er kann die Entfernung einzelner Ruhestörer und die Räumung der Galerie verfügen.

(8) Dem Präsidenten obliegt die Vertretung des Landtages und seiner Ausschüsse nach außen. Er unterzeichnet schriftliche Ausfertigungen, die vom Landtag ausgehen.

(9) Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben ist dem Präsidenten und dem Zweiten Präsidenten das erforderliche Personal zur Verfügung zu stellen.

[…]

§20

Verhandlungsgegenstände

(1) Gegenstände der Verhandlung im Landtag sind:

[1.–17. …]

18. Ersuchen um die Ermächtigung zur Verfolgung von Personen wegen Beleidigung des Landtages

[…]

[…]

§51

Immunitätsausschuß

(1) Ersuchen um Zustimmung zur behördlichen Verfolgung eines Landtagsabgeordneten gemäß Artikel 24 Absatz 2 und 3 erster Satz L-VG, Ersuchen um Entscheidung über das Vorliegen eines Zusammenhanges im Sinne des Artikels 24 Absatz 3 L-VG, Mitteilungen von Behörden gemäß Artikel 24 Absatz 5 L-VG sowie Ersuchen um die Ermächtigung zur Verfolgung von Personen wegen Beleidigung des Landtages weist der Präsident des Landtages dem mit diesen Angelegenheiten betrauten ständigen Ausschuß (Immunitätsausschuß) sofort nach dem Einlangen zu.

(2) Über Auslieferungsbegehren hat der Ausschuß dem Landtag so rechtzeitig Bericht zu erstatten, daß dieser spätestens am vorletzten Tag der gemäß Artikel 24 Absatz 4 L-VG vorgesehenen achtwöchigen Frist hierüber abstimmen kann.

(2a) Bei den Sitzungen des Immunitätsausschusses ist lediglich die Anwesenheit der Ausschussmitglieder, des Landtagsdirektors und seines Stellvertreters zulässig.

(2b) Die Mitglieder der Landesregierung und die Präsidenten des Landtages sind verpflichtet, über Einladung des Obmannes (Obmann-Stellvertreters) des Immunitätsausschusses an den Sitzungen des Immunitätsausschusses zur Erteilung von Auskünften und Aufklärungen teilzunehmen. Der Immunitätsausschuss hat das Recht, Landesbedienstete zur Erteilung von Auskünften und Aufklärungen der Sitzungen des Immunitätsausschusses beizuziehen.

(3) Für den Fall, daß der Ausschuß nicht rechtzeitig Bericht erstattet, hat der Präsident des Landtages das Auslieferungsbegehren spätestens am vorletzten Tag der achtwöchigen Frist zur Abstimmung zu stellen."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.

2. Nach dem Konzept des Art30 B-VG, das auch den landes(verfassungs)rechtlichen Bestimmungen zu den Landtagen zugrunde liegt, sind Handlungen des Präsidenten des Nationalrates, die im Zusammenhang mit "parlamentarischen Aufgaben" stehen, dem Bereich der Gesetzgebung zuzurechnen (vgl zB VfSlg 18.366/2008, 19.112/2010 jeweils mwN). Die Handhabung der Regelungen zur außerberuflichen Immunität der Abgeordneten (siehe Art57 Abs3 iVm Art96 Abs1 B-VG und Art24 Abs3 Bgld L-VG) sind vom Begriff der "parlamentarischen Aufgaben" schon insofern erfasst, als die Aufhebung der Immunität nach den genannten Bestimmungen vom Gesetzgebungsorgan zu beschließen ist. Dementsprechend ist ein Beschluss über die Aufhebung der Immunität ebenso vom Bereich der Gesetzgebung erfasst (vgl VfSlg 5781/1968; Kopetzki, Art57 B-VG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 1. Lfg. 1999, Rz 56; Muzak, B-VG6, 2020, Art57 B-VG, Rz 12) wie die Zuweisung eines Aufhebungsersuchens an den Immunitätsausschuss, etwa nach §51 Bgld LTGO.

Die im Zusammenhang mit diesen "parlamentarischen Aufgaben" erfolgte Mitteilung der Präsidentin des Landtages an den Beschwerdeführer, dass seinem Ersuchen um Aufhebung der Immunität eines bestimmten Abgeordneten nicht entsprochen werde, ist somit ebenfalls dem Bereich der Gesetzgebung zuzurechnen. Diese Mitteilung stellt entgegen dem Beschwerdevorbringen keinen nach Art130 Abs1 Z1 B-VG anfechtbaren Bescheid und auch sonst keine nach Art130 B-VG beim Landesverwaltungsgericht Burgenland anfechtbare Handlungsform dar. Die im angefochtenen Beschluss ausgesprochene Zurückweisung war daher rechtmäßig.

3. Soweit in der Beschwerde vorgebracht wird, dass im Ergebnis kein Rechtsschutz gegen die Untätigkeit der Präsidentin des Landtages bestehe, ist darauf hinzuweisen, dass sich dies bereits aus dem zuvor dargelegten verfassungsrechtlichen Konzept ergibt (vgl VfSlg 5781/1968).

4. Im Übrigen ist der Privatankläger entgegen dem Beschwerdevorbringen – unabhängig davon, dass er gemäß §71 Abs6 StPO im Hauptverfahren grundsätzlich die gleichen Rechte wie die Staatsanwaltschaft hat – keine "Behörde", die nach Art57 Abs3 B-VG bzw Art24 Bgld L-VG berechtigt bzw verpflichtet ist, die Zustimmung des Gesetzgebungsorgans zur Verfolgung einzuholen. Ungeachtet dessen kann der Beschwerdeführer jedenfalls eine Privatanklage erheben, auf Grund derer das zuständige Gericht den Angeklagten nach den Vorgaben des Art57 B-VG verfolgen kann und gegebenenfalls den Burgenländischen Landtag um Zustimmung zur Verfolgung zu ersuchen hat. Im zuletzt genannten Fall wäre die Präsidentin des Burgenländischen Landtages gemäß §51 Bgld LTGO dazu verpflichtet, das Ersuchen dem Immunitätsausschuss zuzuweisen. Dem Beschwerdeführer ist zwar dahingehend zuzustimmen, dass für ihn als Privatankläger gemäß §390 Abs1 StPO ein Kostenrisiko verbunden ist, weil die Entscheidung, ob die Immunität aufgehoben wird, letztlich im Ermessen des Burgenländischen Landtages liegt. Es bestehen jedoch keine Bedenken gegen die Sachlichkeit dieser Regelung, insbesondere weil zu Beginn des Privatanklageverfahrens, wenn das Gericht um Zustimmung zur weiteren Verfolgung des Angeklagten zu ersuchen hat, in der Regel noch keine unverhältnismäßigen Kosten entstanden sein können.

IV. Ergebnis

1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

2. Die Beschwerde ist daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 und 4 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Landtag, Mandatare, Anklage, Kosten, Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Kostenrisiko

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E842.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.12.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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