TE Vwgh Beschluss 2021/11/11 Ra 2019/21/0266

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Veröffentlicht am 11.11.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §57 Abs1
AVG §58 Abs2
AVG §60
BFA-VG 2014 §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §46
FrPolG 2005 §76
FrPolG 2005 §76 Abs1
FrPolG 2005 §76 Abs3
FrPolG 2005 §80 Abs1
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des A A, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das am 2. August 2019 mündlich verkündete und mit 21. August 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, W117 2131687-2/13E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Zur Darstellung des Verfahrensganges wird zunächst auf das in einer früheren Schubhaftsache betreffend den Revisionswerber, einen tunesischen Staatsangehörigen, ergangene Erkenntnis vom 26. Jänner 2017, Ra 2016/21/0264, verwiesen.

2        Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 17. Juli 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 26. März 2016, mit dem ein Folgeantrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie ein dreijähriges Einreiseverbot erlassen und die Zulässigkeit der Abschiebung nach Tunesien festgestellt worden war, mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf sieben Jahre erhöht wurde.

3        Der Revisionswerber war nämlich in Österreich mehrfach straffällig geworden. Zuletzt wurde er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8. September 2017 wegen des Verbrechens der Vergewaltigung gemäß § 201 Abs. 1 StGB, der Vergehen der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB, der Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs. 1 StGB, des Eingehens einer Aufenthaltsehe gemäß §§ 15 StGB, 117 Abs. 1 FPG als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB und der Hehlerei gemäß § 164 Abs. 2 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einer Geldstrafe verurteilt. Die Freiheitsstrafe verbüßte der Revisionswerber zur Gänze - unter Anrechnung einer Vorhaft - bis zum 24. Juli 2019.

4        Mit Bescheid des BFA vom 18. Juli 2019 wurde gegen den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung - verbunden mit dem Ausspruch, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach seiner Entlassung aus „der Gerichtshaft“ eintreten - angeordnet. Dieser Bescheid wurde unmittelbar nach der Entlassung des Revisionswerbers aus der Strafhaft am 24. Juli 2019 in Vollzug gesetzt.

5        Das BFA beantragte am 18. Juli 2019 bei der tunesischen Botschaft in Wien die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Revisionswerber, das jedenfalls bis Anfang August 2019 noch nicht erteilt wurde.

6        Die gegen den Schubhaftbescheid sowie gegen die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem in der Verhandlung am 2. August 2019 mündlich verkündeten und mit 21. August 2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG, § 76 Abs. 2 Z 2 FPG in Verbindung mit § 76 Abs. 3 Z 3 und 9 FPG als unbegründet ab. Unter einem stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG in Verbindung mit § 76 Abs. 2 Z 2, Abs. 2a, Abs. 3 Z 3 und 9 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG wurde der Revisionswerber zum Aufwandersatz gegenüber dem Bund verpflichtet. Weiters sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

9        In dieser Hinsicht macht der Revisionswerber geltend, die Behörde habe mit der Beschaffung eines Heimreisezertifikates bis zur Beendigung der Strafhaft zugewartet, ohne dies nachvollziehbar zu begründen. Auch das BVwG habe „keine Gründe dafür“ dargelegt.

10       Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Schubhaft stets nur „ultima ratio“ sein darf. Dem entspricht nicht nur die in § 80 Abs. 1 FPG ausdrücklich festgehaltene behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauere, vielmehr ist daraus auch abzuleiten, dass die Behörde (das BFA) schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so ist die Schubhaft unverhältnismäßig. Demzufolge erweist sich die Verhängung von Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung im Anschluss an eine Strafhaft regelmäßig als unverhältnismäßig, wenn die Fremdenpolizeibehörde (das BFA) auch zum absehbaren Ende einer Strafhaft hin mit der (versuchten) Beschaffung eines Heimreisezertifikates untätig bleibt. Das muss auch auf den Fortsetzungsausspruch durchschlagen. Eine sich aus Umständen des Einzelfalles ergebende andere Sicht wäre nachvollziehbar zu begründen (vgl. VwGH 15.10.2015, Ro 2015/21/0026, mwN, und darauf bezugnehmend VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0264, Rn. 20).

11       Im vorliegenden Fall hielt das BVwG jedoch fest, dass mit einer beschleunigten Ausstellung eines Heimreisezertifikates zu rechnen sei, weil die Identität des Revisionswerbers feststehe und er bereits im Jahr 2013 erfolgreich nach Tunesien abgeschoben worden sei. Weiters sei während der Strafhaft des Revisionswerbers das Verfahren über seinen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz anhängig gewesen, das erst (nach vierjähriger Verfahrensdauer) mit Erkenntnis des BVwG vom 17. Juli 2019 rechtskräftig (negativ) abgeschlossen worden sei. Mit dem Antrag vom 18. Juli 2019 auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates habe das BFA somit eine „frühest mögliche Vorbereitungshandlung für eine alsbaldige Abschiebung gesetzt“.

12       Damit wurde entgegen den Ausführungen in der Revision vom BVwG ausreichend im Sinn der in Rn. 10 dargestellten Judikatur begründet, dass es im vorliegenden Fall ausnahmsweise gestattet gewesen sei, mit Schritten zur Organisation der Abschiebung des Revisionswerbers bis zur davor nicht absehbaren Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung im anhängigen Asylverfahren und damit bis zum Ende der Strafhaft zuzuwarten. Dass diese Ansicht fallbezogen unvertretbar ist, wird in der Revision nicht dargetan und ist vor dem Hintergrund, dass Heimreisezertifikate in der Regel nur mit kurzen Befristungen ausgestellt werden und daher nicht unabhängig von einer bereits in Aussicht genommenen Abschiebung gleichsam „auf Vorrat“ beantragt werden können, auch nicht ersichtlich (vgl. zum Ganzen VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0348, Rn. 18).

13       Dem weiteren Vorbringen in der Revision, wonach der Revisionswerber in der Verhandlung vor dem BVwG vom 2. August 2019 eine Wohnanschrift, an der er erreichbar wäre, angegeben habe, und deshalb statt der „Haftfortsetzung“ gelindere Mittel anzuordnen gewesen wären, ist insbesondere auch die gravierende Straffälligkeit des Revisionswerbers entgegenzuhalten, weshalb - worauf auch das BVwG unter Bezugnahme auf § 76 Abs. 2a FPG zutreffend hinwies - ein besonderes öffentliches Interesse an seiner (ehestmöglichen) Abschiebung besteht (vgl. VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0302, Rn. 14, mwN).

14       Im Übrigen ist es ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Frage, ob konkret von einem Sicherungsbedarf bzw. von Fluchtgefahr auszugehen ist, der nur durch Schubhaft und nicht auch durch gelindere Mittel begegnet werden könne, stets eine solche des Einzelfalles ist, die daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. etwa VwGH 11.5.2021, Ra 2020/21/0518, Rn. 7, mwN). Dass diese nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom BVwG getroffene Beurteilung unvertretbar wäre, zeigt die Revision nicht auf.

15       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 11. November 2021

Schlagworte

Begründung von Ermessensentscheidungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019210266.L00

Im RIS seit

20.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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