TE OGH 2021/11/29 8ObA50/21t

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Veröffentlicht am 29.11.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* H*, vertreten durch die Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei K * GmbH, *, vertreten durch die Cho? & Axmann Rechtsanwaltspartnerschaft in Graz, wegen 4.381,59 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Mai 2021, GZ 6 Ra 19/21t-14, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Jänner 2021, GZ 28 Cga 125/20a-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin war ab 28. 7. 2017 bei der Beklagten beschäftigt. Zur Lösung von Beschäftigungsproblemen durch die COVID-Maßnahmen bestand bei der Beklagten eine „Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“ (Formularversion 7.0, Stand 1. 6. 2020) über Begleitmaßnahmen während der Kurzarbeit, abgeschlossen zwischen den Körperschaften der Arbeitgeber und Arbeitnehmer und der Beklagten sowie sämtlichen ihrer Arbeitnehmer, darunter die Klägerin. Punkt IV.2. der Sozialpartnervereinbarung lautet auszugsweise:

„IV.2. Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes

a) Während der Kurzarbeit (Behaltepflicht):

Der/Die ArbeitgeberIn ist verpflichtet, jenen Beschäftigtenstand im Betrieb aufrecht zu erhalten, der unmittelbar vor Beginn des Kurzarbeitszeitraumes (Abschnitt I Punkt 3) bestanden hat, sofern nicht bereits vorher festgelegte Änderungen, welche gemäß lit c zulässig sind, berücksichtigt werden (Behaltepflicht).

[…]

b) Nach der Kurzarbeit (Behaltefrist):

Die Dauer der Behaltepflicht nach Ende der Kurzarbeit beträgt einen Monat.

[…]

c) Gemeinsame Bestimmungen:

Arbeitgeberkündigungen dürfen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden. Davon ausgenommen sind jedoch Kündigungen in den unten angeführten Fällen.

Folgende Beendigungen während der Kurzarbeit bzw innerhalb der Behaltefrist lösen keine Auffüllverpflichtung aus:

• vor Beginn der Kurzarbeit gekündigte Arbeitsverhältnisse, deren Kündigungsfrist in den Zeitraum der Kurzarbeit oder Behaltefrist fallen,

• Zeitablauf eines vor Beginn der Kurzarbeit begonnenen befristeten Arbeitsverhältnisses, dessen Endtermin in den Zeitraum der Kurzarbeit oder Behaltefrist fällt,

• Kündigung durch den/die ArbeitnehmerIn,

• berechtigte Entlassung oder unberechtigter Austritt,

• einvernehmliche Auflösung, wenn der/die ArbeitnehmerIn vor Abgabe der Willenserklärung von der Gewerkschaft bzw Arbeiterkammer über die Folgen der Auflösung beraten wurde,

• Beendigung infolge des Todes des Arbeitnehmers bzw der Arbeitnehmerin,

• Beendigung aufgrund eines Pensionsanspruches, unabhängig von der Beendigungsart,

• Auflösung während der Probezeit,

• Kündigung durch den/die ArbeitgeberIn zum Zweck der Verringerung des Beschäftigtenstandes, wenn der Fortbestand des Unternehmens bzw. Betriebsstandortes in hohem Maß gefährdet ist, sofern die Gewerkschaft innerhalb von 7 Tagen zustimmt oder eine Ausnahmebewilligung durch den RGS-Regionalbeirat vorliegt, wenn die Gewerkschaft nicht zugestimmt hat.

Folgende Beendigungen während der Kurzarbeit bzw. innerhalb der Behaltefrist führen zu einer Auffüllverpflichtung:

• Kündigung durch den/die ArbeitgeberIn aus personenbezogenen Gründen, wenn die Kündigung während der Kurzarbeit oder vor Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen wird,

• unberechtigte Entlassung oder berechtigter vorzeitiger Austritt,

• einvernehmliche Auflösung ohne vorherige Beratung von der Gewerkschaft bzw. Arbeiterkammer über die Folgen der Auflösung.

Eine zufällige Unterschreitung des Beschäftigtenstandes aufgrund der üblichen betrieblichen Fluktuation ist unerheblich. Wird das Arbeitsverhältnis in einer Art beendet, die eine Auffüllverpflichtung auslöst, steht dem Arbeitgeber bzw der Arbeitgeberin eine angemessene Zeit zur Personalsuche zur Verfügung. Die Glaubhaftmachung von Suchaktivitäten ist ausreichend (beispielsweise Vorlage Stellenausschreibung, Nachweis der Meldung freier Stellen an das AMS).

[...]“

[2]       Die Klägerin befand sich von 1. 4.  bis 30. 9. 2020 in Kurzarbeit.

[3]       Da die Klägerin ein etwas forscheres Auftreten hatte, beklagten sich einige (Außendienst-)Mitarbeiter seit geraumer Zeit darüber beim Geschäftsführer der Beklagten. Dieser suchte seit Sommer 2020 im Einvernehmen mit P* G*, der die Außendienstmitarbeiter leitete, nach einem Ersatz für die Klägerin. Mit Schreiben vom 18. 9. 2020 wurde die Klägerin unter Einhaltung der gesetzlichen und dienstvertraglichen Kündigungsfrist zum 2. 10. 2020 gekündigt. Bereits mit 1. 10. 2020 stellte der Geschäftsführer der Beklagten einen neuen Mitarbeiter für den Arbeitsplatz der Klägerin ein. Dieser verrichtet nun die Tätigkeit, die die Klägerin bis zu ihrer Kündigung verrichtet hat.

[4]       Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage von der Beklagten die Zahlung einer – der Höhe nach unstrittigen – Kündigungsentschädigung für die Zeit von 3. 10.  bis 15. 11. 2020. Sie nimmt den Standpunkt ein, dass wegen der Behaltepflicht in der Corona-Kurzarbeit-Sozialpartnereinzelvereinbarung bis 30. 9. 2020 ein Kündigungsverbot bestanden und die Beklagte durch die Kündigung gegen dasselbe verstoßen habe. Kündigungsgründe, die in ihrer Person begründet gewesen seien, habe es nicht gegeben.

[5]       Die Beklagte trat der Klage entgegen und wandte zusammengefasst ein, dass die Kündigung nicht rechtsunwirksam gewesen sei. Die Sozialpartnervereinbarung enthalte kein Kündigungsverbot. Für die Kündigung der Klägerin habe es personenbezogene Gründe, die der Beklagten ein Aufrechterhalten des Dienstverhältnisses unmöglich gemacht hätten, gegeben. Die Beklagte habe den Mitarbeiterstand auch aufgefüllt.

[6]       Das Erstgericht wies ausgehend vom eingangs (gekürzt auf das Wesentliche) dargestellten unstrittigen Sachverhalt das Klagebegehren ab. In rechtlicher Hinsicht vertrat es den Standpunkt, dass durch gegen kurzarbeitsbedingte Kündigungsbeschränkungen verstoßende Kündigungen kein besonderer gesetzlicher Kündigungsschutz verletzt werde. Mangels eines – auch nicht durch die Sozialpartnervereinbarung begründeten – Schutzes individueller Arbeitsverhältnisse seien solche Kündigungen nicht unwirksam. Der einzelne Arbeitnehmer könne im Fall einer vor Ablauf der Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung keine Kündigungsentschädigung infolge fristwidriger Kündigung geltend machen. Verstoße ein Arbeitgeber gegen die Kündigungsbeschränkungen, müsse er, weil er gegenüber den Sozialpartnern gebunden sei, unter Umständen aber die Förderung zurückzahlen.

[7]       Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es schloss sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts an (§ 500a ZPO). Nach Darlegung des Meinungsstandes in der Literatur vertrat es zusammenfassend die Auffassung, eine an Wortlaut und Zweck der Sozialpartnervereinbarung orientierte Auslegung ergebe, dass selbst entgegen der Vorgaben der Sozialpartnervereinbarung ausgesprochene Kündigungen nicht nichtig und damit nicht rechtsunwirksam seien. Das von der Klägerin dagegen angeführte Argument, dass § 37b AMSG bei systematischer Interpretation doch einen individuellen Kündigungsschutz normiere, sei nicht stichhältig. Den einzelnen Arbeitnehmern sollte kein subjektiver Anspruch auf Bestand ihrer Arbeitsverhältnisse eingeräumt werden. Der einzelne Arbeitnehmer könne daher gegen eine vor Ablauf der Behaltefrist ausgesprochene Kündigung weder mit Feststellungsklage die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung noch – wie hier die Klägerin – eine Kündigungsentschädigung infolge einer fristwidrigen Kündigung geltend machen.

[8]       Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage zu, ob aus der „Corona-Kurzarbeit-Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“ für den einzelnen Arbeitnehmer ein individueller Kündigungsschutz mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit während der Kurzarbeit ausgesprochener Kündigungen abgeleitet werden kann.

[9]            Die Klägerin beantragt in ihrer wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision die Abänderung der Entscheidung im Sinne einer vollinhaltlichen Klagestattgebung; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10]           Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[11]     Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

[12]           Die Klägerin führt in ihrer Rechtsrüge zusammengefasst aus, der Regelungszweck des § 37b AMSG sei „den individualisierten Vereinbarungen [gemeint wohl: deren Auslegung; Anm] zu Grunde zu legen“. Er liege in der Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Diese werde nicht durch die vermehrte Einstellung neuer Arbeitnehmer, sondern durch die Vermeidung der Beendigung bereits bestehender Arbeitsverhältnisse erreicht. Die einzelvertragliche Sozialpartnervereinbarung erlange für den einzelnen Arbeitnehmer erst dann Wirksamkeit, wenn dieser sie – wie hier geschehen – unterfertigte. Alleine schon daraus, dass nach Pkt IV.2. lit c Arbeitgeberkündigungen grundsätzlich frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürfen, resultiere ein individueller Kündigungsschutz. Schon der gewöhnliche Wortsinn des damit geregelten Kündigungsverbots spreche für die Unwirksamkeit einer entgegen der Vereinbarung ausgesprochenen Kündigung. Der Verzicht des Arbeitnehmers auf wesentliche Entgeltbestandteile und andere in der Sozialpartnervereinbarung zu seinen Lasten zu treffende Vereinbarungen sei erkennbar daran gekoppelt, dass er auf den Erhalt seines Arbeitsplatzes vertrauen dürfe, solange nicht durch persönliches Fehlverhalten oder eine unerwartet verschlechterte wirtschaftliche Lage Beendigungsmaßnahmen erforderlich würden. Spräche man den von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmern einen individuellen Kündigungsschutz ab, stellte sich die Frage, welchen Vorteil diese überhaupt hätten, obgleich sie auf einen Teil ihres Entgelts verzichteten. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte man zum Ergebnis kommen müssen, dass eine an Wortlaut und Zweck der Sozialpartnervereinbarung orientierte Auslegung ergebe, dass eine entgegen den Vorgaben der Sozialpartnervereinbarungen ausgesprochene Kündigung nichtig und damit rechtsunwirksam sei. Den einzelnen Arbeitnehmern sollte ein subjektiver und durchsetzbarer Anspruch auf den Bestand ihrer Arbeitsverhältnisse eingeräumt werden, sodass im Falle der Kündigung während der Kurzarbeit eine Kündigungsentschädigung gefordert werden könne.

Rechtliche Beurteilung

[13]           I. Der Senat hatte jüngst einen dem hier vorliegenden im Wesentlichen entsprechenden Fall zu entscheiden, in welchem der Arbeitnehmer die Sozialpartnervereinbarung aber – anders als hier – nicht unterfertigt hatte. Der Senat führte in seinem Urteil vom 22. 10. 2021, 8 ObA 48/21y, wie folgt aus:

„2.1. […]

In der höchstgerichtlichen Rechtsprechung wurde die Frage, ob die Kündigungsbeschränkungen der Sozialpartnervereinbarung bloß den Beschäftigungsstand in den Unternehmen oder auch die individuellen Arbeitnehmer schützen sollen, noch nicht behandelt.

         In der Literatur wird die Diskussion über das Bestehen eines individuellen Kündigungsschutzes innerhalb der Sozialpartnervereinbarung kontrovers geführt. Einigkeit besteht insoweit, dass der Beschäftigungsstand im Unternehmen grundsätzlich erhalten und Arbeitslosigkeit vermieden werden soll, im Übrigen lassen sich die Ergebnisse wie folgt zusammenfassen:

2.2. Spitzl (Sind Kündigungen des AG im Zuge von Kurzarbeit nichtig? ecolex 2020, 474 [476 f]), Kühteubl/Müller (Kurzarbeit und Restrukturierung, ZAS 2021, 26 [30]), Schedle (Kündigungen während der Kurzarbeit bzw innerhalb der Behaltefrist, ARD 6728/4/2020), Resch (Kurzarbeitsbeihilfe und Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes, RdW 2021, 116 [120]), Sabara (Kein individueller Kündigungsschutz während Corona-Kurzarbeit, ARD 6740/6/2021), Schöffmann/Marhold (Kündigung während Kurzarbeit – Weder Wiedereinstellung noch Kündigungsentschädigung, ASoK 2021, 238 [238 ff]) sowie Wolf/Potz/Krömer/Jöst/Stella/Hörmann/Holuschka/ Scharf (Kurzarbeit und Kurzarbeitsbeihilfe, in Resch [Hrsg], Corona-HB1.06, Rn 141) sind der Meinung, dass sich aus der Sozialpartnervereinbarung zur Kurzarbeit kein individueller Kündigungsschutz ableiten lässt.

Dieses Ergebnis wird von den Autoren vorrangig damit begründet, dass die beihilfengestützte Kurzarbeit primär arbeitsmarktpolitische Ziele verfolge, nämlich die Aufrechterhaltung des Beschäftigungsstandes und die Vermeidung von Arbeitslosigkeit, und somit gerade nicht den Schutz der Einzelnen. Der allgemeine Bestandschutz des § 105 ArbVG bestehe ohnedies weiterhin parallel. Die Sanktionierung von Verstößen gegen die Corona-Kurzarbeitsvereinbarung erfolge auf förderungsrechtlicher Ebene.

2.3. Andererseits kommen Auer-Mayer (Ausgewählte Fragen zur Kurzarbeit, ZAS 2020, 202 [227]), Drs (Kurzarbeit, DRdA 2010, 203 [208 f]), Pfeil (Corona-Kurzarbeit und Bestandsschutz, DRdA 2021, 179 [182 ff]), Zischka/Guerrero (Die arbeitsrechtlichen Eckpunkte zur COVID-19-Kurzarbeit, die Personalisten kennen sollten, PVP 2020, 91 [102 f]) sowie Dvo?ák/Kozak (Kurzarbeit ohne Kündigungsschutz, geht das?, DRdA-infas 2021, 145 [147 ff]) zu dem Ergebnis, dass gegen die Sozialpartnervereinbarung verstoßende Kündigungen unwirksam seien.

Diese Rechtsansicht basiert überwiegend auf der Prämisse, dass die Vereinbarung zusätzlich zur Verfolgung arbeitsmarktpolitischer Ziele auch die individuellen Arbeitnehmer schützen solle. Dies ergebe sich aus dem konkreten Wortlaut und dem Zweck des Dienstgeberkündigungsverbots.

2.4. Wesentlicher Zweck der auf der Sozialpartnervereinbarung gegründeten Corona-Kurzarbeitsvereinbarungen ist es, die Voraussetzung für die Erlangung von Kurzarbeitsbeihilfen gemäß § 37b Abs 2 AMSG zu schaffen. Mit der Voraussetzung des Vorliegens einer Sozialpartnervereinbarung will der Gesetzgeber offenbar die Fachexpertise der Sozialpartner bei den im Gesetz genannten Bereichen – „Entschädigung“, „nähere Bedingungen“, „Beschäftigungsstand“ – nutzen (vgl etwa Dvo?ák/Kozak aaO, 146; zu den Rahmenbedingungen und Grenzen einer solchen Regelung Resch aaO). Alle „Vereinbarungen“ (vgl dazu, dass unabhängig von der „technischen“ Durchführung etwa durch Betriebsvereinbarung oder Einzelvereinbarung ein identes Ergebnis erzielt werden sollte [Pfeil aaO, 187]) sind daher im Lichte der Erfordernisse des Gesetzes zu lesen, wonach zumindest hinsichtlich des von der Kurzarbeit erfassten „Beschäftigtenstandes“ sichergestellt sein muss, dass während der Kurzarbeit und in einem allenfalls darüber hinaus zusätzlich vereinbarten Zeitraum nach deren Beendigung der Beschäftigtenstand aufrechterhalten wird, es sei denn, dass die regionale Organisation des Arbeitsmarktservice in besonderen Fällen eine Ausnahme bewilligt. Das Gesetz stellt explizit auf die Zahl der insgesamt Beschäftigten ab, ohne einen individuellen Kündigungsschutz zu statuieren (vgl § 38 AMSG; anders § 45a Abs 5 AMFG – zuletzt etwa 9 ObA 47/21h).

Dem entsprechend definiert die Sozialpartnervereinbarung in ihrem Punkt IV Abs 2 lit a die Behaltepflicht als Verpflichtung, den „Beschäftigtenstand“ im Betrieb aufrecht zu erhalten, der zum Zeitpunkt des Geltungsbeginns der Kurzarbeitsvereinbarung bestanden hat. Auf die so zu verstehende Behaltepflicht bezieht sich dann auch die in Punkt IV lit b genannte Monatsfrist.

         Diese Definition der Behaltepflicht entspricht dem Zweck der Kurzarbeitsbeihilfe, die pandemiebedingten finanziellen Einbußen auf Arbeitgeberseite in einem ersten Schritt durch die Verringerung der Kosten (vgl zu den Wirkungen etwa Auer-Mayer aaO) auszugleichen und in diesem „Wirtschaftszweig“ Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Nehmen Arbeitgeber Kurzarbeit und somit eine Kostenverringerung in Anspruch ist dies im Rahmen der Beurteilung, inwieweit Kündigungen aus betrieblichen Erfordernissen iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG gerechtfertigt werden können, zu berücksichtigen. Unter dem Aspekt von § 37b AMFG liegt der „Preis“ der Förderung in der Aufrechterhaltung des „Beschäftigungsstandes“. Hinter diesem System stehen somit durch finanzielle Anreize verfolgte arbeitsmarktpolitische Aspekte.

Ein bloßer Austausch von Arbeitnehmern ist für ein Unternehmen in der Regel so wenig erstrebenswert wie der Verlust der Beihilfe im Fall des Verstoßes gegen die Beendigungsbeschränkungen. Mittelbar werden dadurch aber auch über die Effekte im bestehenden Kündigungsschutz (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) individuelle Arbeitsverhältnisse geschützt, weil dadurch trotz wirtschaftlicher Krise des Arbeitgebers Arbeitslosigkeit im Regelfall verhindert werden kann. Ein über diese Zwecke hinausgehender Eingriff in das System des Beendigungsschutzes hat der Gesetzgeber hier offenbar nicht für geeignet erachtet (vgl § 45a Abs 5 AMFG einerseits und § 38 AMSG andererseits). Auch die hier herangezogenen Vereinbarungen müssen nicht in einem Sinn ausgelegt werden, dass damit neben dem allgemeinen Beendigungsschutz mit seinen austarierten Abwägungen und Grenzen ein weiterer individueller Kündigungsschutz vereinbart worden wäre. Dafür spricht neben den gesetzlichen Grundlagen etwa auch, dass selbst bei unberechtigten Entlassungen offenbar nur eine bloße Auffüllpflicht vereinbart wurde (vgl dazu etwa Schöffmann/Marhold aaO, 241). Es braucht daher auch gar nicht darauf eingegangen werden, inwieweit ein darüber hinausgehender Beendigungsschutz mit den Zielen der Förderung vereinbar wäre, weil in derartigen Krisen doch häufig ein Bedarf nach rascher Umstrukturierung bestehen kann, der zwar zu keiner Reduktion der Gesamtzahl der Arbeitnehmer führen muss, aber doch zu einer Verschiebung (vgl etwa Spitzl aaO, 475).

3. Auf eine allfällige einzelvertragliche Vereinbarung eines besonderen Kündigungsschutzes hat sich der Kläger im vorliegenden Verfahren auch zu Recht nicht berufen, weil er in der (hier strittigen) ersten Phase überhaupt nicht in die Kurzarbeit einbezogen war und auch in der zweiten Phase keine individuelle Kurzarbeitsvereinbarung mit ihm zustande gekommen ist.

4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass [sich] aus den Bestimmungen des § 37b AMSG iVm den hier maßgeblichen Regelungen der Kurzarbeitsvereinbarungen keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung ergibt, sondern die Förderung im Rahmen einer allfälligen Kündigungsanfechtung bei der Beurteilung des Vorliegens „betriebliche Erfordernisse“ für die Kündigung (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) zu berücksichtigen ist. Ebensowenig resultiert daraus eine Änderung der Kündigungsfristen und -termine.

Auf die in der Revision aufgeworfene Frage einer Schutzwirkung der im Unternehmen mit anderen Arbeitnehmern geschlossenen Kurzarbeitsvereinbarungen zu Gunsten des Klägers, der selbst nicht an der Kurzarbeit teilgenommen hat, ist bei diesem Ergebnis nicht weiter einzugehen.

Es kann auch dahingestellt bleiben, ob als zulässiger (lediglich die Auffüllpflicht begründender) personenbezogener Kündigungsgrund im Sinn des Punktes IV Abs 2 der Sozialpartnervereinbarung zur Corona-Kurzarbeit jedes auf die Person des Arbeitnehmers bezogene Motiv in Frage kommt, oder ob es sich um besonders gewichtige und dem Arbeitnehmer vorwerfbare Beendigungsgründe handeln muss.“

[14]           II. An diesen Ausführungen ist im vorliegenden Fall grundsätzlich anzuknüpfen. Dabei ist zu klären, ob die Unterfertigung der Vereinbarung durch die Arbeitnehmerin (Klägerin) einen ins Gewicht fallenden Unterschied macht.

[15]           Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich aus dem Umstand, dass sie die Vereinbarung mitunterfertigt hat und diese für die Konstellation des Fehlens eines Ausnahmefalls anordnet, dass Arbeitgeberkündigungen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürfen, nicht die Unwirksamkeit einer dennoch ausgesprochenen Kündigung:

[16]           II.1. Nach welchen Grundsätzen (§§ 6, 7 oder §§ 914 f ABGB) eine „Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“ wie die hier vorliegende auszulegen ist, ist – ebenso wie die Rechtsnatur von der Einführung von Kurzarbeit dienenden Sozialpartnervereinbarungen überhaupt – noch nicht abschließend geklärt (vgl 9 ObA 208/01f; Schnorr, Rechtsfragen der Kurzarbeit, DRdA 1987, 261 [265]; Mazal, Rechtsfragen der Einführung von Kurzarbeit, ZAS 1988, 83 [87 f]; Mosing, COVID-19-Kurzarbeit, JAS 2020, 141 [146 ff]).

[17]           Selbst wenn man aufgrund der Mitwirkung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei ihrem Abschluss von einer grundsätzlichen Anwendbarkeit der allgemeinen vertragsrechtlichen Auslegungsregeln der §§ 914 f ABGB ausgehen sollte, dürfte nicht übersehen werden, dass die Vereinbarung nach ihrem Konzept gerade nicht nur zwischen den Arbeitsvertragsparteien, sondern auch zwischen den Sozialpartnern abgeschlossen wird. Es liegt insoweit eine Art „Vierparteienvereinbarung“ vor (vgl im Übrigen dazu, dass bei Beteiligung von mehr als zwei Personen an einem Rechtsgeschäft bei dessen Auslegung auf diesen Umstand Bedacht zu nehmen ist, Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 914 Rz 4; Vonkilch in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 914 ABGB Rz 75, 314 f; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II – Das Rechtsgeschäft3 [1979] 304 f; Looschelders, GPR 2014, 268 [270 – Buchbesprechung ua von Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag [2013]).

[18]           II.2. Auszugehen ist jedenfalls vom Wortlaut der Vereinbarung. Dieser statuiert, dass Arbeitgeberkündigungen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürfen, nennt aber keine Rechtsfolge für den Fall eines Verstoßes gegen diese Vorgabe. Aus dem Wortlaut der Vereinbarung lässt sich die Unwirksamkeit einer dennoch ausgesprochenen Kündigung daher nicht ableiten.

[19]           II.3. Dass mit einer Formulierung wie der hier vorliegenden eine solche individuelle Sanktion gerade nicht ausdrücklich ausgesprochen werde und es daher unklar sei, ob mit einer solchen Formulierung ein Schutz des individuellen Arbeitsverhältnisses verbunden ist, wurde bereits lange vor der Corona-Pandemie in der Literatur angemerkt (Drs, Kurzarbeit, DRdA 2010, 203 [209]). Dabei wurde auch darauf aufmerksam gemacht, dass die seinerzeit von der Gewerkschaft (auf Grundlage des § 97 Abs 1 Z 13 ArbVG) erarbeitete Muster-Betriebsvereinbarung (abgedruckt bei Resch, Beschäftigungssicherung in der Wirtschaftskrise [2009] 193 ff) in Punkt 7. explizit die Rechtsunwirksamkeit einer vereinbarungswidrig ausgesprochenen Kündigung vorsieht. Sollte ein solcher individueller Schutz durch den auch durch die Gewerkschaft erfolgten Abschluss der hier vorliegenden Vereinbarung intendiert gewesen sein, wäre angesichts dessen eine ebensolche explizite Formulierung zu erwarten gewesen. Es waren nämlich die Sozialpartner (und nicht die Parteien dieses Prozesses als Arbeitgeber und Arbeitnehmer), die die vorliegende Vereinbarung inhaltlich ausverhandelten. Weil der Wortlaut der vorliegenden Vereinbarung anders als jener der Mustervereinbarung nicht zum Ausdruck bringt, dass die Verletzung der in Rede stehenden Pflicht die Rechtsunwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung nach sich zieht, muss davon ausgegangen werden, dass diese Rechtsfolge hier gerade nicht gewollt war, sodass auf die Frage der Vereinbarkeit eines solchen Beendigungsschutzes mit den Förderzielen nicht weiter einzugehen ist (8 ObA 48/21y). Ein Arbeitnehmer, der die Vereinbarung unterfertigt, muss sie im Zweifel so verstehen, wie sie auch die Interessenvertretung der Arbeitnehmerseite, die Gewerkschaft, die die Vereinbarung mit der Wirtschaftskammer (bzw dem zuständigen Arbeitgeberverband; siehe Seite 1 der Vereinbarung) ausverhandelte, redlicherweise nur verstehen konnte.

[20]           II.4. Gegen die Annahme eines vereinbarten individuellen Kündigungsschutzes spricht weiters, dass die Formulierung „dürfen frühestens gekündigt werden“ sprachlich als Handlungsanleitung für Arbeitgeber formuliert ist (zB Jöbst/Wolf in Resch, Corona-HB1.06, Kap 4 Rz 142).

[21]           II.5. Gleiches gilt für den – bereits in 8 ObA 48/21y erörterten – volkswirtschaftlichen Schutzzweck der Subventionierung von Kurzarbeit. Die vorliegende Vereinbarung dient – zumindest in erster Linie – bloß dessen Effektuierung (idS bereits Schedle, Kündigungen während der Kurzarbeit bzw innerhalb der Behaltefrist, ARD 6728/4/2020 [Pkt 6.3.]; Resch, Kurzarbeitshilfe und Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes, RdW 2021, 116 [120]).

[22]           II.6. Gegen die Annahme einer individuellen Unwirksamkeit einer Kündigung bei einem Verstoß gegen den ersten Satz von Punkt IV.2.c der vorliegenden Vereinbarung spricht nicht zuletzt, dass die sonstigen Reglungen dieses Punktes nur die Frage betreffen, wann eine Auffüllpflicht besteht, somit eine Thematik, die für den einzelnen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ein Ende fand, ohne Bedeutung ist.

[23]           II.7. Nichts zu gewinnen ist für die klagende Arbeitnehmerin schließlich auch aus dem Satz auf Seite 1 der Vereinbarung, dass diese „eine Vereinbarung über Begleitmaßnahmen während der Kurzarbeit insbesondere gemäß § 881 ABGB (Verträge zu Gunsten Dritter) [darstellt]“. Die Bezugnahme auf § 881 ABGB ist unverständlich, geht doch die Vereinbarung davon aus, dass der Arbeitnehmer diese unterfertigt, wodurch er unmittelbar Partei derselben und nicht nur Dritter ist. Aber auch wenn ein Arbeitnehmer die Vereinbarung nicht unterfertigen sollte, kann aus ihr nicht im Wege des § 881 ABGB abgeleitet werden, dass eine gegen die Vereinbarung verstoßende Kündigung des Arbeitnehmers unwirksam wäre, ergibt sich doch aus den zuvor dargelegten Gründen diese Rechtsfolge nicht einmal für einen Arbeitnehmer, der selbst Partei der Vereinbarung wurde.

[24]           II.8. Der Senat gelangt daher zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass auch im hier zu beurteilenden Fall einer Unterfertigung der Vereinbarung durch einen Arbeitnehmer an dem in 8 ObA 48/21y gewonnenen Ergebnis (dort Pkt 4. erster Absatz) festzuhalten ist.

[25]           III. Der Revision war daher keine Folge zu geben.

[26]     Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO.

Textnummer

E133268

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:E133268

Im RIS seit

15.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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