TE Lvwg Erkenntnis 2021/12/7 LVwG-AV-1028/001-2021

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Veröffentlicht am 07.12.2021
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Entscheidungsdatum

07.12.2021

Norm

EpidemieG 1950 §32
EpidemieG 1950 §33
STROG NÖ 1999 §18
B-VG Art 119 Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch seinen Richter Dr. Marvin Novak, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde der A GmbH, ***, ***, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt St. Pölten vom 29. April 2021, Zl. ***, zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird insoweit Folge gegeben als der angefochtene Bescheid wegen Unzuständigkeit der Behörde aufgehoben wird.

2.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

ad 1.:    § 28 Abs. 1 und 2 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG)

ad 2.:    § 25a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG)

         Art. 133 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG)

Entscheidungsgründe:

1.   Maßgeblicher Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt St. Pölten vom 3. Juni 2020 wurde Herr C wegen des Verdacht auf Erkrankung mit der Lungenerkrankung COVID-19 ab 3. Juni 2020 abgesondert. Am darauffolgenden Tag wurde die Absonderung infolge eines negativen PCR-Testergebnisses beendet.

1.2. Die nunmehr beschwerdeführende Partei beantragte mit E-Mail vom 9. Juni 2020 die Vergütung des Verdienstentganges hinsichtlich des abgesonderten Dienstnehmers in Höhe von insgesamt *** Euro gemäß § 32 EpiG. Das E-Mail wurde von der beschwerdeführenden Partei an die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten gerichtet und von dieser am selben Tag an den Magistrat der Stadt St. Pölten weitergeleitet.

1.3. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt St. Pölten vom 29. April 2021 wurde dem Antrag auf Vergütung des Verdienstentganges in Höhe von *** Euro stattgegeben und der darüberhinausgehende Betrag von *** Euro abgewiesen, wobei begründend im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass sich der anteilige Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung unter Berücksichtigung des beantragten regelmäßigen Entgeltes sowie der Höchstbemessungsgrundlage auf *** Euro belaufe (statt *** Euro).

Im Spruch des Bescheides ist dabei der Magistrat ausdrücklich als die bescheiderlassende Behörde genannt („Der Magistrat der Stadt St. Pölten gibt dem Antrag des Antragstellers […] teilweise statt“).

Der Magistrat scheint auch im Kopf des Bescheides auf („Gesundheitsamt Magistrat der Stadt St. Pölten“) und es wird in der Begründung des Bescheides unter Punkt I. Sachverhalt festgestellt, dass die Vergütung „beim Magistrat der Stadt St. Pölten“ beantragt worden sei. Gefertigt ist der Bescheid „Für den Bürgermeister“ mit einer Amtssignatur des Magistrates.

1.4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in welcher ausgeführt wird, dass eine Vergütung in Höhe von *** Euro begehrt werde. Dazu wurde eine Berechnung vorgelegt, mit welcher u.a. auch eine Vergütung für variable Zulagen und Sonderzahlung begehrt wird.

1.5. Der Verwaltungsakt wurde dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem Ersuchen um Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.

2.   Beweiswürdigung:

Der dargelegte maßgebliche Verfahrensgang und Sachverhalt gründet sich auf die vorliegende unbedenkliche Aktenlage.

3.   Maßgebliche Rechtslage:

Die §§ 33 und 49 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl. Nr. 186/1950 idgF, (EpiG) lauten:

„Frist zur Geltendmachung des Anspruches auf Entschädigung oder Vergütung des Verdienstentganges.

§ 33. Der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 29 ist binnen sechs Wochen nach erfolgter Desinfektion oder Rückstellung des Gegenstandes oder nach Verständigung von der erfolgten Vernichtung, der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 binnen sechs Wochen vom Tage der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen, widrigenfalls der Anspruch erlischt.“

„Sonderbestimmung für die Dauer der Pandemie mit SARS-CoV-2

§ 49. (1) Abweichend von § 33 ist der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges, der aufgrund einer wegen des Auftretens von SARS-CoV-2 ergangenen behördlichen Maßnahme besteht, binnen drei Monaten vom Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen.

(2) Bereits vor Inkrafttreten dieser Bestimmung laufende und abgelaufene Fristen beginnen mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 62/2020 neu zu laufen.

(3) Die Bezirksverwaltungsbehörde ist verpflichtet, über Anträge auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32, die auf Grund einer wegen des Auftretens von SARS-CoV-2 ergangenen behördlichen Maßnahme eingebracht werden, ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber zwölf Monate nach deren Einlangen zu entscheiden.“

4.   Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich:

4.1. Zur Behebung des angefochtenen Bescheides:

4.1.1. Im vorliegenden Fall besteht kein Zweifel daran, dass der angefochtene Bescheid vom Magistrat der Stadt St. Pölten erlassen wurde.

Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes ist die Frage, welcher Behörde eine Erledigung zuzuordnen ist, anhand des äußeren Erscheinungsbildes nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen (vgl. etwa VwGH 18.3.2010, 2008/07/0229; VfSlg. 19.223/2010). Dabei genügt es nicht, dass die Behörde in Korrektur des äußeren Anscheines des Bescheides aus dem rechtlichen Zusammenhang erschlossen werden kann (vgl. etwa VwGH 5.4.1990, 90/09/0009; VfSlg. 19.223/2010). Das äußere Erscheinungsbild wird auch nicht schon durch ein bloßes Gesetzeszitat in Frage gestellt (vgl. VwGH 18.10.2000, 95/12/0367). Bei fehlender Erkennbarkeit einer bestimmten Behörde liegt überhaupt kein Bescheid vor (vgl. etwa VwGH 30.9.1996, 96/12/0268).

Im vorliegenden Fall ergibt sich anhand des äußeren Erscheinungsbildes des angefochtenen Bescheides klar und unmissverständlich die Zurechnung zum Magistrat der Stadt St. Pölten. Der Magistrat wird nämlich im Spruch des angefochtenen Bescheides ausdrücklich als bescheiderlassende Behörde genannt und es wird darüber hinaus der Magistrat – und zwar ausschließlich dieser – auch im Kopf des Bescheides und in der Begründung angeführt. Der Fertigungsklausel („Für den Bürgermeister“) kann Gegenteiliges nicht entnommen werden, zumal der Magistrat u.a. aus dem Bürgermeister als Vorstand besteht (s. § 46 Abs. 1 NÖ STROG; vgl. dazu auch VwGH 29.4.1992, 92/17/0045, VfGH 11.10.2017, V 43/2016).

Darauf hinzuweisen ist, dass im Gegensatz dazu im dem Vergütungsantrag zu Grunde liegenden Absonderungsbescheid der Bürgermeister der Stadt St. Pölten ausdrücklich als bescheiderlassende Behörde genannt wird.

4.1.2. Wie sich aus der unter Punkt 3. wiedergegebenen maßgeblichen Rechtslage ergibt, ist zur Entscheidung über einen Antrag auf Vergütung des Verdienstentganges die „Bezirksverwaltungsbehörde“ berufen.

Bezirksverwaltungsbehörde ist die Bezirkshauptmannschaft sowie – da die Bezirksverwaltung in Statutarstädten Teil des übertragenen Wirkungsbereiches ist – in Städten mit eigenem Statut der Bürgermeister (vgl. Art. 119 Abs. 2 B-VG sowie § 18 NÖ STROG; vgl. weiters z.B.: Stolzlechner, Art. 116 B-VG, Rz 54, in: Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 24. Lfg. [2020]; Hengstschläger/Leeb, AVG § 2, Rz 2 [Stand 1.1.2014, rdb.at]; VwSlg. 11.692 A/1985 und 14.651 A/1997; VwGH 26.6.2013, 2010/03/0029; VfSlg. 12.920/1991; VfGH 11.10.2017, V 43/2016).

Zuständig zur Entscheidung über den Antrag der beschwerdeführenden Partei war somit nicht der Magistrat, sondern der Bürgermeister der Stadt St. Pölten.

4.1.3. Im vorliegenden liegt demgemäß ein dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. April 1992, Zl. 92/17/0045, vergleichbarer Sachverhalt vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis einen Bescheid auf Grund ausdrücklicher Bezeichnung dem Magistrat der Statutarstadt und nicht einer anderen Behörde, insbesondere nicht dem Bürgermeister, zugerechnet und in weiterer Folge ausgeführt, dass es keine Norm gebe, die den Magistrat zum Einschreiten ermächtigt hätte.

Darauf hinzuweisen ist schließlich, dass die Einhaltung der Zuständigkeitsregeln in enger Nahebeziehung zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter steht und damit eine rechtsstaatliche Forderung von grundlegender Bedeutung darstellt (vgl. etwa VwGH 16.9.2013, 2012/12/0156).

Die fehlende Zuständigkeit der belangten Behörde ist von Amts wegen aufzugreifen (vgl. etwa VwGH 29.1.2020, Ra 2018/08/0234, Rz 21).

Der Beschwerde ist daher Folge zu geben und es ist der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Die Durchführung einer Verhandlung konnte angesichts dieses Verfahrensergebnisses unterbleiben (§ 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG). Darüber hinaus wurde eine Verhandlung nicht beantragt und es lässt eine mündliche Erörterung im vorliegenden Fall keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten und es stehen dem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (vgl. zu einer angemessenen Entscheidung anhand der Aktenlage auch etwa EGMR 18.7.2013, Fall Schädler-Eberle, Appl. 56.422/09).

4.2. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Derartige Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind im vorliegenden Fall nicht hervorgekommen. Die Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich folgen der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und es stellen sich keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Rechtsfragen.

Schlagworte

Gesundheitsrecht; COVID-19; Vergütung; Verdienstentgang; Verfahrensrecht; Zuständigkeit;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.1028.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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