TE Vwgh Erkenntnis 2021/11/17 Ra 2021/12/0042

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Veröffentlicht am 17.11.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz
66 Sozialversicherung

Norm

BDG 1979 §15b
Berufstätigkeiten besonders belastende 2007 §1 Z4 lita
MRK Art6 Abs1
SchwerarbeitsV 2007
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, sowie Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und Hofrat Mag. Cede als Richterin und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers MMag. Dr. Gotsbacher, über die Revision des H K in L, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. April 2021, W257 2231802-1/4E, betreffend Feststellung von Schwerarbeitsmonaten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ist im Bundeskriminalamt tätig.

2        Am 1. Februar 2019 beantragte der Revisionswerber die Feststellung von Schwerarbeitsmonaten gemäß § 15b Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979). Dazu brachte er vor, er würde zumindest die Hälfte seiner Dienstzeit im wachespezifischen Außendienst verbringen. Diese Zeit bestehe in der Mitwirkung und Teilnahme an Hausdurchsuchungen, während deren er sich immer in einer erhöhten Gefahr befinde, weil er in das „Terrain“ des Verdächtigen eindringe. Die Hausdurchsuchungen, die Sicherstellungen sowie die Auswertung des Datenmaterials seien oft psychisch sehr belastend. Aus der Arbeitsplatzbeschreibung ergäbe sich eine 35-prozentige Mitwirkung an Hausdurchsuchungen. Die Auswertung des sichergestellten Datenmaterials werde zum größten Teil vor Ort vorgenommen. Etwa 40 % der Arbeitstätigkeit entfalle auf Datensicherung, die großteils vor Ort vorgenommen werde. Der Revisionswerber erhalte seit dem 1. Oktober 2003 durchgehend eine erhöhte Gefahrenzulage. Seine Tätigkeiten im Bundeskriminalamt seien „analog der Tätigkeiten im Landeskriminalamt zu sehen“, welche als Schwerarbeitsmonate gelten würden.

3        Mit Bescheid vom 16. Jänner 2020 stellte der Bundesminister für Inneres fest, dass der Revisionswerber zum Stichtag 28. Februar 2019 keine Schwerarbeitsmonate aufweise.

4        Zum Sachverhalt hielt der Bescheid fest, der Beschwerdeführer beziehe seit 1. Oktober 2006 eine „erhöhte Gefahrenzulage“. Seit diesem Zeitpunkt sei er im Büro für interne Angelegenheiten (BIA) bzw. im Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) und seit dem 1. November 2013 im Bundeskriminalamt, Büro II/BK/5.2, tätig. Für die Zeiten der Tätigkeit im BIA und im BKA könne auf Grundlage der Arbeitsplatzbeschreibungen keine Außendiensttätigkeit bescheinigt werden, die mehr als die Hälfte der monatlichen Dienstzeit ausmache. Der Revisionswerber sei für die Beweismittelsicherung und die Auswertung von bei Hausdurchsuchungen sichergestellten mobilen Datenendgeräten verantwortlich gewesen. Diese Auswertungen fänden sowohl vor Ort als auch in den Büroräumlichkeiten der Dienststelle und teils „unter psychisch belastenden Umständen infolge der auszuwertenden Dateninhalte“ statt. Der Revisionswerber habe regelmäßig Journaldienste, auch in den Nachtstunden, geleistet.

5        In rechtlicher Hinsicht wurde im Bescheid ausgeführt, dass dem Argument des Revisionswerbers, dass Hausdurchsuchungen immer mit einer erhöhten Gefahr verbunden seien, weil man in das „Terrain“ eines Verdächtigen eindringe, „nicht ganz gefolgt“ werden könne. Zu den Hauptaufgaben des Revisionswerbers als „digitaler Forensiker“ zählten die Datensicherstellung und Auswertung von (mobilen) Endgeräten wie Computern, Tablets, Mobiltelefonen oder Navigationsgeräten. Es handle sich dabei „um die klassische Form der Tatortarbeit“, die in der Suche und Sicherung von digitalen Spuren und deren systematischer Auswertung vor Ort oder in den Büroräumlichkeiten der Dienststelle bestehe. Mit Ausnahme des Setzens von notwendigen Zwangsmaßnahmen im Zuge der Hausdurchsuchung gingen diese Tätigkeiten nicht mit besonders hohen Gefahren einher, bei denen das tatsächliche Risiko für Leib und Leben im Einsatz die Grenze von allgemein akzeptierter Gefahr in erheblichem Ausmaß übersteige. Aus dem Argument, dass der Revisionswerber in einer Vielzahl von Fällen aufgrund des Inhalts der auszuwertenden Daten unter besonderer psychischer Belastung stehe, sei nichts zu gewinnen. Weder aus den Arbeitsplatzbeschreibungen noch aus den Stellungnahmen seiner Dienstvorgesetzten oder den eigenen Ausführungen des Revisionswerbers gehe hervor, dass er Tätigkeiten verrichtet habe, die den Voraussetzungen der Verordnung BGBl. II 104/2006 (Verordnung der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufstätigkeiten - Schwerarbeitsverordnung) entsprächen.

6        In seiner dagegen erhobenen Beschwerde trat der Revisionswerber der Bescheidbegründung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht entgegen und stellte den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Er brachte dazu unter anderem vor, dass aus der Arbeitsplatzbeschreibung hervorgehe, dass er „zu 35 % an polizeilichen Hausdurchsuchungen (Datensicherung)“ mitgewirkt und „im Ausmaß von weiteren 35 %“ (in der Zeit beim Bundeskriminalamt von 40 %)“ kriminalpolizeiliche Auswertungen der sichergestellten Datenträger vorgenommen habe. Die Auswertung sichergestellter Datenträger finde größtenteils, „aber zumindest im Ausmaß von 50-75 % davon“ direkt vor Ort statt. Während der Mitwirkung an Hausdurchsuchungen und darüber hinaus an kriminalpolizeilichen Schwerpunkten sei er den Uniformierungsvorschriften entsprechend bekleidet und stets mit seiner Dienstwaffe bewaffnet gewesen. Er sei daher als Polizist erkennbar und „zum jederzeitigen Einschreiten verpflichtet“ gewesen. Hausdurchsuchungen und kriminalpolizeiliche Schwerpunkte würden stets an Tatorten stattfinden und somit grundsätzlich bereits an „mit hohem Gefahrenpotential behangenen Orten“. Bei allen bei Hausdurchsuchungen anwesenden uniformierten Polzisten oder Ermittlern der Landeskriminalämter werde die Tätigkeit als Schwerarbeit qualifiziert; jene des Revisionswerbers finde „im gleichen Gefahrenbereich“ statt.

7        Mit Schreiben vom 9. Juni 2020 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vor und hielt dem Beschwerdevorbringen entgegen, dass bei der Durchführung von Hausdurchsuchungen für die einschreitenden Beamten durchaus „fallweise gefährliche Situationen entstehen“ könnten. Im Normalfall sei der Revisionswerber am Beginn solcher Amtshandlungen lediglich unterstützend tätig. Seine Haupttätigkeit beginne erst nach dem Einschreiten am „gesicherten“ Tatort, wo das „über das normale Maß hinaus gehende Gefahrenmoment“ bereits gebannt sei. Aus der Tatsache, dass der Revisionswerber bei den Amtshandlungen als Polizist erkennbar und bewaffnet sei, könne daher nichts gewonnen werden. Die vom Revisionswerber verrichteten Tätigkeiten der Sicherstellung und Auswertung von am Tatort befindlichen digitalen Datenmaterialien, fänden entweder gleich vor Ort oder im Büro statt. Bei Ermittlungen gegen spezielle Tätergruppen, bei denen eine besondere Gefährdungslage für die einschreitenden Beamten zu erwarten sei, würden eigens geschulte Exekutivbeamte (Cobra, Wega) herangezogen.

8        Der Revisionswerber replizierte auf diese Äußerung.

9        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde ohne Durchführung einer Verhandlung keine Folge. In dem mit „Feststellungen“ überschriebenen Abschnitt des angefochtenen Erkenntnisses gab das Verwaltungsgericht den Wortlaut der Arbeitsplatzbeschreibungen des Revisionswerbers auszugsweise wieder, führte aus, dass ein Vorgesetzter des Revisionswerbers dazu in einem Aktenvermerk festgehalten habe, dass „keine Außendiensttätigkeit bescheinigt werden könne“, die mehr als die Hälfte der monatlichen Dienstzeit ausgemacht habe, und hielt fest, dass der Revisionswerber auch nicht konkret habe nachweisen können, dass er „zumindest die Hälfte der monatlichen Dienstzeit tatsächlich als wachespezifischen Außendienst“ ausgeübt habe. Im Anschluss an diese Ausführungen merkte das Verwaltungsgericht an, dass sich die in der Beschwerde enthaltenen Ausführungen des Revisionswerbers auf seine „persönliche Einschätzung“ beschränkten und zudem keine Nachweise dafür vorlägen, dass die Außendiensttätigkeiten - „bei Unterstellung, dass diese tatsächlich 50 % der Gesamtarbeitszeit übersteigen“ - die mit dem Exekutivdienst grundsätzlich einhergehenden üblichen Gefahren „erheblich“ übersteigen würden. Unter der Überschrift „Beweiswürdigung“ hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die von ihm getroffenen Feststellungen „unstrittig“ seien und sich „aus dem Akt in Verbindung mit dem Vorbringen“ des Revisionswerbers ergäben. Der erkennende Richter sei selbst neun Jahre bei der Polizei und ein halbes Jahr im Bundeskriminalamt tätig gewesen und habe deshalb „eine Vorstellung der Tätigkeit“ des Revisionswerbers. Unter der Überschrift „Rechtliche Beurteilung“ enthält das angefochtene Erkenntnis weitere, ihrem Inhalt nach als zusätzliche (dislozierte) Feststellungen zu qualifizierende Aussagen. Diesen Ausführungen zufolge habe der Revisionswerber im relevanten Zeitraum Außendienst versehen und dabei die mit der Funktion eines „digitalen Forensikers“ verbundenen Aufgaben verrichtet. Die Tatortarbeit finde in der Regel „an einem gesicherten Tatort“ statt. Eine besonders hohe Gefahr sei bei der Tatortarbeit und Beweismittelsicherung in der Regel nicht gegeben.

10       Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht unter Heranziehung von § 24 Abs. 4 VwGVG damit, dass sich der Sachverhalt „klar aus den Akten“ ergeben habe und es sich auch nicht um eine übermäßig komplexe Rechtsfrage gehandelt habe. Im Rahmen der Schilderung des Verfahrensgangs hielt das Verwaltungsgericht fest, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt worden sei.

11       Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.

12       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, in der (unter anderem) das Unterbleiben der Verhandlung bemängelt und als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Ihre Zulässigkeit begründet die Revision (unter Anführung von Rechtsprechungsnachweisen) damit, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht abgewichen sei.

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 VwGG gebildeten Senat erwogen:

14       § 15b Abs. 1 und 2 BDG 1979, BGBl. Nr. 333, lauten in der hier maßgeblichen Fassung dieser Absätze BGBl. I Nr. 64/2016:

„Versetzung in den Ruhestand durch Erklärung bei Vorliegen von Schwerarbeitszeiten (‚Schwerarbeitspension‘)

§ 15b. (1) Die Beamtin oder der Beamte kann durch schriftliche Erklärung, aus dem Dienststand ausscheiden zu wollen, ihre oder seine Versetzung in den Ruhestand bewirken, wenn sie oder er zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Versetzung in den Ruhestand eine nach dem vollendeten 18. Lebensjahr zurückgelegte ruhegenussfähige Gesamtdienstzeit (pensionswirksame Zeit bei Beamtinnen und Beamten, auf die § 1 Abs. 14 des Pensionsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 340/1965, anzuwenden ist) von 504 Monaten, davon mindestens 120 Schwerarbeitsmonate innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Versetzung in den Ruhestand, aufweist. Die Versetzung in den Ruhestand kann frühestens mit Ablauf des Monats in Anspruch genommen werden, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird. Beamtinnen und Beamten, die die Anspruchsvoraussetzungen zum Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres oder danach erfüllen, bleiben diese auch bei einer späteren Ruhestandsversetzung gewahrt.

(2) Ein Schwerarbeitsmonat ist jeder Kalendermonat, in dem mindestens 15 Tage Schwerarbeit vorliegen. Die Bundesregierung hat mit Verordnung festzulegen, unter welchen psychisch oder physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen Schwerarbeit vorliegt.“

15       Die Verordnung der Bundesregierung über besonders belastende Berufstätigkeiten, BGBl. II Nr. 105/2006, lautet auszugsweise:

„Anwendung von Bestimmungen der Schwerarbeitsverordnung

§ 1. Die Verordnung der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufstätigkeiten samt Anlage, BGBl. II Nr. 104/2006, (Schwerarbeitsverordnung), ist auf Beamte und Bundestheaterbedienstete mit den Maßgaben anzuwenden, dass

...

4.   als Schwerarbeit auch Tätigkeiten mit erhöhter Gefährdung gelten, bei denen das tatsächliche regelmäßige Risiko für Leib und Leben im Einsatz die Grenze von allgemein akzeptierter Gefahr in erheblichem Ausmaß übersteigt. Als solche gelten ausschließlich Tätigkeiten von

a.   Exekutivorganen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. Nr. 566/1991, die zumindest die Hälfte ihrer monatlichen Dienstzeit tatsächlich als wachespezifischen Außendienst zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit ausüben, und

b.   ...“

16       Die Verordnung der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufstätigkeiten (Schwerarbeitsverordnung) lautet in den für den Revisionsfall maßgeblichen, in der Stammfassung BGBl. II Nr. 104/2006 geltenden Teilen:

„Besonders belastende Berufstätigkeiten

§ 1. (1) Als Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht werden, gelten alle Tätigkeiten, die geleistet werden

1.   in Schicht- oder Wechseldienst auch während der Nacht (unregelmäßige Nachtarbeit), das heißt zwischen 22 Uhr und 6 Uhr, jeweils im Ausmaß von mindestens sechs Stunden und zumindest an sechs Arbeitstagen im Kalendermonat, sofern nicht in diese Arbeitszeit überwiegend Arbeitsbereitschaft fällt, oder

2.   regelmäßig unter Hitze oder Kälte im Sinne des Art. VII Abs. 2 Z 2 und 3 des Nachtschwerarbeitsgesetzes (NSchG), BGBl. Nr. 354/1981, oder

3.   unter chemischen oder physikalischen Einflüssen im Sinne des Art. VII Abs. 2 Z 5, 6 und 8 NSchG oder

4.   als schwere körperliche Arbeit, die dann vorliegt, wenn bei einer achtstündigen Arbeitszeit von Männern mindestens 8 374 Arbeitskilojoule (2 000 Arbeitskilokalorien) und von Frauen mindestens 5 862 Arbeitskilojoule (1 400 Arbeitskilokalorien) verbraucht werden, oder

5.   zur berufsbedingten Pflege von erkrankten oder behinderten Menschen mit besonderem Behandlungs- oder Pflegebedarf, wie beispielsweise in der Hospiz- oder Palliativmedizin, oder

6.   trotz Vorliegens einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 14 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970) von mindestens 80%, sofern für die Zeit nach dem 30. Juni 1993 Anspruch auf Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 nach § 5 des Bundespflegegeldgesetzes, BGBl. Nr. 110/1993, oder nach den Bestimmungen der Landespflegegeldgesetze bestanden hat.

(2) ...

Schwere körperliche Arbeit

§ 3. Ob eine bestimmte Tätigkeit als schwere körperliche Arbeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 4 gilt, ist nach den in der Anlage zu dieser Verordnung festgeschriebenen Grundsätzen festzustellen.

...“

17       Die Feststellung von Schwerarbeitsmonaten gemäß § 15b BDG 1979 fällt als dienstrechtliche Streitigkeit öffentlich Bediensteter unter den Begriff der „civil rights“ im Verständnis des Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. VwGH 22.9.2020, Ra 2020/12/0024, mwN).

18       Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen durchzuführen. Ein Verwaltungsgericht hat (selbst bei anwaltlich vertretenen Personen) auch ohne Antrag von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es dies für erforderlich hält, wobei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichts steht. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde substantiiert bekämpft und/oder ein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet wird (vgl. VwGH 30.1.2019, Ra 2018/03/0131).

19       Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Begründung für die Abstandnahme von einer Verhandlung darauf gestützt, dass sich der Sachverhalt „klar aus den Akten“ ergeben habe und es sich auch nicht um eine übermäßig komplexe Rechtsfrage gehandelt habe, und hat in der Schilderung des Verfahrensgangs darauf verwiesen, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt worden sei.

20       Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass eine Verhandlung nicht beantragt worden sei, erweist sich angesichts des ausdrücklich darauf abzielenden Antrags in der Beschwerde als aktenwidrig.

21       Der Revisionswerber ist den (der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde zugrunde liegenden) Feststellungen des angefochtenen Bescheides in seiner Beschwerde mit Ausführungen entgegengetreten, denen nicht von vornherein die Eigenschaft als für die Feststellung von Schwerarbeitsmonaten relevantes Tatsachenvorbringen abgesprochen werden kann. Das Verwaltungsgericht hat diese Ausführungen auch nicht seinen eigenen Feststellungen zugrunde gelegt, sondern davon abweichende Feststellungen getroffen, auf die es die Abweisung der Beschwerde gestützt hat. Es ist daher unzutreffend, dass vorliegendenfalls relevante Sachverhaltsfragen unstrittig und nur wenig komplexe Rechtsfragen zu lösen waren (vgl. auch VwGH 13.9.2017, Ro 2016/12/0024), sodass sich das Absehen von einer mündlichen Verhandlung als rechtswidrig erweist.

22       Im - hier gegebenen (vgl. Rn 17) - Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK (oder des Art. 47 GRC) führt ein Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen die Verhandlungspflicht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits ohne nähere Prüfung einer Relevanz dieses Verfahrensmangels zur Aufhebung des Erkenntnisses (vgl. VwGH 9.5.2018, Ra 2017/12/0111; 10.12.2018, Ra 2018/12/0048).

23       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

24       Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. November 2021

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021120042.L00

Im RIS seit

13.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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