RS Vfgh 2021/9/27 E1951/2021

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Veröffentlicht am 27.09.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit bzw Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens, wegen Homosexualität verfolgt zu werden; mangelhafte Berücksichtigung der Länderberichte und der einschlägigen Rechtsprechung

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) setzt sich in seiner Entscheidung nicht mit der Rsp des EuGH sowie den Länderberichten des EASO und des UNHCR auseinander: Die Aussage des in der mündlichen Verhandlung als Zeuge einvernommenen Lebensgefährten bleibt ohne nähere Begründung in der Entscheidung unberücksichtigt. Die Begründung des BVwG hinsichtlich der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens zur Homosexualität des Beschwerdeführers erschöpft sich somit darin, dass erst im späteren Verlauf des Verfahrens Angaben dazu gemacht wurden und deshalb von einem gesteigerten Vorbringen auszugehen sei. Der alleinige Umstand, dass eine Person nicht sofort ihre Homosexualität angegeben hat, spricht allerdings angesichts des sensiblen Charakters der Fragen, die die Sexualität betreffen, nicht gegen die Glaubwürdigkeit eines solchen Vorbringens. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Begründung des BVwG zur Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seiner Homosexualität als nicht nachvollziehbar.

Die rechtliche Beurteilung der Asylrelevanz der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers - selbst bei Zutreffen des Vorbringens - ist jedoch mit den eigenen Feststellungen des BVwG zur Lage sexueller Minderheiten im Irak nicht vereinbar. Im Ergebnis würde die Entscheidung des BVwG dazu führen, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Irak gezwungen wäre, seine sexuelle Orientierung im Geheimen zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, Verfolgung und körperlicher Schädigung auszusetzen. Damit verkennt das BVwG die Rechtslage hinsichtlich der Frage, ob eine asylrelevante Bedrohung auf Grund der sexuellen Orientierung vorliegt, in grundsätzlicher Weise. Es widerspricht der Anerkennung eines für die Identität so bedeutsamen Merkmals, auf das zu verzichten die Betroffenen nicht gezwungen werden dürfen, wenn von den Mitgliedern einer sozialen Gruppe, die die gleiche sexuelle Ausrichtung haben, verlangt wird, dass sie diese Ausrichtung geheim halten. Daher kann nicht erwartet werden, dass ein Asylwerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Homosexualität, Entscheidungsbegründung, Verhandlung mündliche

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E1951.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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