TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/19 L524 2178591-4

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Veröffentlicht am 19.07.2021
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Entscheidungsdatum

19.07.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §57

Spruch


L524 2178591-4/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Irak, vertreten durch RAe Dr. Peter Lechenauer, Dr. Margrit Swozil, Hubert-Sattler-Gasse 10, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.09.2020, Zl. 1089843200/200476975, wegen Anordnung einer Wohnsitzauflage, zu Recht:

A) Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 12.06.2020, Zl. 1089843200/200476975, wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, bis zur Ausreise durchgängig in der Betreuungseinrichtung XXXX , Unterkunft zu nehmen. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Vorstellung.

Mit Schreiben vom 22.06.2020 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt. Der Beschwerdeführer gab hierzu am 06.07.2020 eine Stellungnahme ab.

Mit Bescheid des BFA vom 09.09.2020, Zl. 1089843200/200476975, wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 Abs. 1 FPG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig in der Betreuungseinrichtung XXXX , Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt I.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt II.).

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.10.2020, L524 2178591-4/4E, als unbegründet abgewiesen.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.06.2021, Ra 2021/21/0039, wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben.

II. Feststellungen:

Am 25.09.2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des BFA vom 30.10.2017, Zl. 1089843200-151485323, abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.11.2019, G312 2178591-1/13E, als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am 29.11.2019 zugestellt.

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 14.01.2020, E 70/2020-6, wurde der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 24.02.2020, E 70/2020-10, wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.05.2020, Ra 2020/20/0156, wurde die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobene Revision zurückgewiesen. Dieser Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 09.06.2020 zugestellt.

Der Beschwerdeführer hat Österreich nicht verlassen.

Mit Bescheid des BFA vom 08.06.2020, Zl. 1089843200/200331646, wurde neuerlich eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlassen und ein Einreiseverbot in der Dauer von 18 Monaten verhängt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.08.2020, L510 2178591-2/4E, als unbegründet abgewiesen.

Am 19.06.2020 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Ausstellung einer Duldungskarte nach § 46a Abs. 4 FPG. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 27.08.2020, Zl. 1089843200/200476975, abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.10.2020, L504 2178591-3/2E, gemäß § 46, 46a FPG als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seinen Eltern und sechs Geschwistern nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Eltern und fünf Geschwister des Beschwerdeführers kehrten im Juli 2016 freiwillig in den Irak zurück. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt in Österreich. Auch sein Antrag auf internationalen Schutz wurde rechtskräftig abgewiesen. Er hält sich seither unrechtmäßig in Österreich auf. Der Beschwerdeführer wohnt in XXXX . Er führt keine Lebensgemeinschaft, hat aber eine Freundin. Er hat auch Freunde in Österreich. Der Beschwerdeführer wird von diesen finanziell unterstützt. Er ist nicht berufstätig.

Eine Abschiebung des Beschwerdeführers ist seitens des BFA derzeit nicht geplant. Ein Abschiebetermin steht nicht fest.

III. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung ergeben sich aus dem Bescheid des BFA vom 30.10.2017, Zl. 1089843200-151485323 und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.11.2019, G312 2178591-1/13E.

Die Feststellung zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, zur Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und zur Ablehnung der Beschwerdebehandlung ergeben sich aus den Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofes vom 14.01.2020, E 70/2020-6, und vom 24.02.2020, E 70/2020-10.

Die Feststellung zur Zurückweisung der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Revision ergibt sich aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.05.2020, Ra 2020/20/0156. Die Zustellung mit 09.06.2020 ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde.

Dass der Beschwerdeführer Österreich nicht verlassen hat, ist unstrittig.

Die Feststellungen zur Verhängung einer neuerlichen Rückkehrentscheidung und der Erlassung eines Einreiseverbots ergeben sich aus dem Bescheid des BFA vom 08.06.2020, Zl. 1089843200/200331646, und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.08.2020, L510 2178591-2/4E.

Die Feststellungen zur Abweisung des Antrags auf Ausstellung einer Duldungskarte nach § 46a Abs. 4 FPG ergeben sich aus dem Bescheid des BFA vom 27.08.2020, Zl. 1089843200/200476975 und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.10.2020, L504 2178591-3/2E.

Die Feststellungen zu seinen Familienangehörigen, ihrer freiwilligen Rückkehr und zum in Österreich unrechtmäßig aufhältigen Bruder, dessen Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ergeben sich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Bruder vom 27.11.2019, G312 2178596-1/12E.

Die Feststellungen, dass er keine Lebensgemeinschaft führt, ein Freundin sowie Freunde hat, die ihn finanziell unterstützen, und er nicht berufstätig ist, ergeben sich aus seinen Angaben in der Beschwerde.

Die Feststellungen, dass kein Abschiebetermin feststeht und eine Abschiebung nicht geplant ist, ergeben sich aus den Mitteilungen des BFA vom 19.07.2021, wonach wegen des fehlenden Heimreisezertifikats noch keine Abschiebung geplant ist.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

§ 57 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) lautet auszugsweise:

„Wohnsitzauflage

§ 57. (1) Einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht geduldet (§ 46a) ist, kann aufgetragen werden, bis zur Ausreise in vom Bundesamt bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen, wenn
1.         keine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 gewährt wurde oder
2.         nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

(2) Bei der Beurteilung, ob bestimmte Tatsachen gemäß Abs. 1 Z 2 vorliegen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Drittstaatsangehörige
1.         entgegen einer Anordnung des Bundesamtes oder trotz eines nachweislichen Angebotes der Rückkehrberatungsstelle ein Rückkehrberatungsgespräch (§ 52a Abs. 2 BFA-VG) nicht in Anspruch genommen hat;
2.         nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise seinen Wohnsitz oder den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts gewechselt und das Bundesamt davon nicht in Kenntnis gesetzt hat;
3.         an den zur Erlangung einer Bewilligung oder eines Reisedokumentes notwendigen Handlungen im Sinne der § 46 Abs. 2 und 2a nicht mitwirkt;
4.         im Rahmen des Asylverfahrens, des Verfahrens zur Erlassung der Rückkehrentscheidung oder des Rückkehrberatungsgesprächs erklärt hat, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen;
5.         im Asylverfahren oder im Verfahren zur Erlassung der Rückkehrentscheidung über seinen Herkunftsstaat oder seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht hat.

(3) …

(4) Die Verpflichtungen des Drittstaatsangehörigen aufgrund einer Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ruhen, wenn und solange
1.         die Rückkehrentscheidung gemäß § 59 Abs. 6 oder die Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 12a Abs. 4 AsylG 2005 vorübergehend nicht durchführbar,
2.         sein Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 46a geduldet oder
3.         ihm die persönliche Freiheit entzogen ist.

(5) Wird eine Rückkehrentscheidung gegenstandslos oder tritt eine Anordnung zur Außerlandesbringung außer Kraft, tritt auch die Wohnsitzauflage außer Kraft.

(6) Die Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) anzuordnen. In diesem sind dem Drittstaatsangehörigen auch die Folgen einer allfälligen Missachtung zur Kenntnis zu bringen.“

Gegen den Beschwerdeführer besteht eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung (samt befristetem Einreiseverbot) und der Beschwerdeführer ist seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen. Die Erteilung einer Wohnsitzauflage ist daher gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 FPG zulässig, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

Bei der Beurteilung, ob bestimmte Tatsachen gemäß Abs. 1 Z 2 vorliegen, ist gemäß § 57 Abs. 2 FPG insbesondere zu berücksichtigen, ob der Drittstaatsangehörige im Rahmen des Asylverfahrens, des Verfahrens zur Erlassung der Rückkehrentscheidung oder des Rückkehrberatungsgesprächs erklärt hat, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen (Z 4).

Da es sich bei § 57 Abs. 2 FPG um eine demonstrative Aufzählung handelt, kommen auch weitere Umstände in Betracht, welche die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

Die Erlassung einer Wohnsitzauflage soll nicht systematisch erfolgen, sondern hat jedenfalls abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ergehen. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Art. 8 EMRK – insbesondere im Hinblick auf das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen auch im Sinne der Jugendwohlfahrt – zu berücksichtigen. Die Wohnsitzauflage soll daher als ultima ratio nur dann angeordnet werden, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Ausreise bislang nicht nachgekommen ist und aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist, dass er auch weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird (vgl. BlgNR 2285/A XXV. GP, S. 63f).

Bei Erlassung einer Wohnsitzauflage ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Art. 8 EMRK – insbesondere im Hinblick auf das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen auch im Sinne der Jugendwohlfahrt – zu berücksichtigen (vgl. BlgNR 2285/A XXV. GP, S. 63f).

Die Erlassung einer Wohnsitzauflage erfordert, wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis VwGH 17.05.2021, Ra 2020/21/0406, ausführlich dargelegt hat, das Vorliegen von Gefahr im Verzug sowie eine einzelfallbezogene Prüfung ihrer Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit unter Anlegung insbesondere der Kriterien des Art. 8 EMRK. Eine Wohnsitzauflage kann vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK niemals Selbstzweck sein, sondern sie muss – als ultima ratio – einem bestimmten Ziel, nämlich der Durchsetzung einer bestehenden, bislang nicht wahrgenommenen Ausreiseverpflichtung, dienen. Insoweit muss sich die Wohnsitzauflage als unaufschiebbare Maßnahme darstellen, deren Einsatzes es zur Abwendung von Gefahr im Verzug bedarf.

Vom Vorliegen einer Situation, die eine solche Maßnahme zum Entgegenwirken einer bestehenden Gefahr im Verzug notwendig macht, wird in aller Regel – so stellte der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis klar – nur dann ausgegangen werden können, wenn eine alsbaldige Abschiebung des betreffenden Drittstaatsangehörigen im Raum steht, deren Vorbereitung seine Unterkunftnahme in dem konkret in Betracht gezogenen Quartier des Bundes erfordert.

Im vorliegenden Fall ist eine Abschiebung des Beschwerdeführers nicht geplant und es steht kein Abschiebetermin fest. Vom Vorliegen einer Situation, die die Erlassung einer Wohnsitzauflage zum Entgegenwirken einer bestehenden Gefahr im Verzug notwendig macht, kann daher nicht ausgegangen werden. Dies wäre nur dann der Fall, wenn eine alsbaldige Abschiebung des Beschwerdeführers im Raum steht (vgl. VwGH 23.06.2021, Ra 2021/21/0039). Die Verlegung des Beschwerdeführers in eine Rückkehrberatungseinrichtung ist daher – ohne erkennbare Absehbarkeit eines konkreten Abschiebetermins – zum jetzigen Zeitpunkt nicht geboten. Der angefochtene Bescheid ist daher ersatzlos zu beheben.

Von einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG abgesehen werden, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übereinstimmt.

Schlagworte

Abschiebung Ausreiseverpflichtung Ersatzentscheidung Rechtsanschauung des VwGH Rückkehrentscheidung Wohnsitzauflage Zeitnähe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L524.2178591.4.00

Im RIS seit

06.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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