TE Vfgh Erkenntnis 2021/9/22 V605/2020 (V605/2020-15)

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Veröffentlicht am 22.09.2021
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Index

90/01 Straßenverkehrsrecht

Norm

B-VG Art 139 Abs1 Z1
StVO 1960 §43 Abs1, §44, §48, §52 Z13b, §54, §94d
Halte- und ParkverbotsV des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck vom 29.05.2019
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit eines Halte- und Parkverbotes mangels (Nachweis der) ebenfalls angeordneten Aufstellung der Zusatztafel (Wendeplatz) betreffend eine Verordnung eines Tiroler Bürgermeisters; mangelhafte Kundmachung auf Grund Abweichung des Aufstellungsortes des Straßenverkehrszeichen vom kundgemachten Verordnungstext

Spruch

I. Punkt 6. b) der "Verkehrsregelung in der Schöpfstraße 6b unmittelbar nach Aufstellung des Kranes" in der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck vom 29. Mai 2019, Z MagIbk/22502/SV-BS/8/9, war gesetzwidrig.

II. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, "dass Punkt 6. litb betreffend 'Verkehrsregelung in der Schöpfstraße 6b unmittelbar nach der Aufstellung des Kranes' der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck vom 29.05.2019, Zl MagIbk/22502/SV-BS/8/9, wegen Kundmachung in gesetzwidriger Weise gesetzwidrig war".

II. Rechtslage

1. Aus Anlass von Baumeisterarbeiten in der Andreas-Hofer-Straße 16/18 und in der Schöpfstraße 6b (Kranstandplatz) bis 2. August 2019 wurde einvernehmlich mit dem Stadtpolizeikommando Innsbruck/Verkehrsinspektion, der Innsbrucker Verkehrsbetriebe und Stubaitalbahn GmbH, der MA III Verkehrsplanung, Verkehrsmanagement und dem Straßenerhalter mit Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck vom 29. Mai 2019, MagIbk/22502/SV-BS/8/9, folgende Verkehrsregelung erlassen (auszugsweise Wiedergabe, Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"V E R O R D N U N G

Aufgrund der §§43 (1 a) 94d StVO 1960, BGBl Nr 159, zuletzt geändert durch das Gesetz BGBl I Nr 37/2019, wird im Interesse der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs folgende Verkehrsregelung verfügt:

[…]

Verkehrsregelung in der Schöpfstraße 6b unmittelbar nach der Aufstellung des Kranes:

1.-4. […]

5.     'Einfahrt verboten' (§52 Z2 StVO 1960)

       Schöpfstraße: beidseitig, unmittelbar vor der Baustelle (Kranstandplatz),  für den Verkehr in Fahrtrichtung Osten mit der Zusatztafel

       – ausg. Radfahrer –

6.     'Halten und Parken verboten' (§52 Z13 b StVO 1960)

       a) Schöpfstraße: südseitig von der westlichen Gebäudekante des Hauses  Nr 17 in Richtung Osten auf eine Länge von 10 m – mit der Zusatztafel

       – Wendeplatz –

       b) Schöpfstraße: nordseitig: von der westlichen Gebäudekante des Hauses  Nr 6b in Richtung Westen auf eine Länge von 8,50 m – mit der Zusatztafel  – Wendeplatz –

7.-8. […]

Diese Verkehrsregelung gilt bis 02.08.2019.

Dieser Verordnung entgegenstehende Verkehrsregelungen werden hierdurch zwischenzeitlich außer Kraft gesetzt.

[…]

Für den Bürgermeister:

[…]"

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159/1960, lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt:

"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.

(1) […]

(1a) Sofern es sich nicht um Arbeitsfahrten im Sinne des §27 Abs1 handelt, hat die Behörde zur Durchführung von Arbeiten auf oder neben einer Straße, die zwar vorhersehbar sind und entsprechend geplant werden können, bei denen aber die für die Arbeitsdurchführung erforderlichen Verkehrsregelungen örtlich und/oder zeitlich nicht genau vorherbestimmbar sind, durch Verordnung die aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs oder zur Sicherheit der mit den Arbeiten beschäftigten Personen erforderlichen Verkehrsbeschränkungen, Verkehrsverbote und/oder Verkehrsgebote zu erlassen. In diesen Fällen sind die Organe des Bauführers ermächtigt, nach Maßgabe der Arbeitsdurchführung den örtlichen und zeitlichen Umfang der von der Behörde verordneten Verkehrsmaßnahmen durch die Anbringung oder Sichtbarmachung der betreffenden Straßenverkehrszeichen mit der Wirkung zu bestimmen, als ob der örtliche und zeitliche Umfang von der Behörde bestimmt worden wäre. Der Zeitpunkt und der Ort (Bereich) der Anbringung (Sichtbarmachung) ist von den Organen des Bauführers in einem Aktenvermerk (§16 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG, BGBl Nr 51/1991) festzuhalten.

(2) – (11) […]

§44. Kundmachung der Verordnungen.

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. Als Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen die Vorschriftszeichen sowie die Hinweiszeichen 'Autobahn', 'Ende der Autobahn', 'Autostraße', 'Ende der Autostraße', 'Einbahnstraße', 'Ortstafel', 'Ortsende', 'Internationaler Hauptverkehrsweg', 'Straße mit Vorrang', 'Straße ohne Vorrang', 'Straße für Omnibusse' und 'Fahrstreifen für Omnibusse' in Betracht. Als Bodenmarkierungen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen Markierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie etwa Sperrlinien, Haltelinien vor Kreuzungen, Richtungspfeile, Sperrflächen, Zickzacklinien, Schutzwegmarkierungen oder Radfahrerüberfahrtmarkierungen in Betracht.

(1a) – (5) […]

§52. Die Vorschriftszeichen

Die Vorschriftszeichen sind

       a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,

       b) Gebotszeichen oder

       c) Vorrangzeichen.

a) Verbots- oder Beschränkungszeichen

1. – 13a. […]

13b. 'HALTEN UND PARKEN VERBOTEN'

       [Zeichen]

Dieses Zeichen zeigt mit der Zusatztafel 'ANFANG' den Beginn und mit der Zusatztafel 'ENDE' das Ende eines Straßenabschnittes an, in dem das Halten und Parken verboten ist. Das Verbot bezieht sich auf die Straßenseite, auf der sich dieses Zeichen befindet.

Eine Zusatztafel mit der Aufschrift 'AUSGENOMMEN ZUSTELLDIENSTE' zeigt an, dass das rasche Auf- oder Abladen geringer Warenmengen vom Halteverbot ausgenommen ist.

Eine Zusatztafel mit der Aufschrift 'AUSGENOMMEN LADETÄTIGKEIT' zeigt eine Ladezone an.

Hinsichtlich weiterer Zusatztafeln gelten die Bestimmungen der Z13a sinngemäß.

13c. – 25b. […]

[…]

§54. Zusatztafeln.

(1) Unter den in den §§50, 52 und 53 genannten Straßenverkehrszeichen sowie unter den in §38 genannten Lichtzeichen können auf Zusatztafeln weitere, das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen erläuternde oder wichtige, sich auf das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen beziehende, dieses erweiternde oder einschränkende oder der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs dienliche Angaben gemacht werden.

(2) Die Angaben und Zeichen auf Zusatztafeln müssen leicht verständlich sein. Insbesondere kann auch durch Pfeile in die Richtung der Gefahr oder des verkehrswichtigen Umstandes gewiesen werden.

(3) Die Zusatztafeln sind Straßenverkehrszeichen. Sie sind, sofern sich aus den Bestimmungen des §53 Z6 nichts anderes ergibt, rechteckige, weiße Tafeln; sie dürfen das darüber befindliche Straßenverkehrszeichen seitlich nicht überragen.

(4) Zusatztafeln dürfen nicht verwendet werden, wenn ihre Bedeutung durch ein anderes Straßenverkehrszeichen (§§50, 52 und 53) zum Ausdruck gebracht werden kann.

(5) […]

§94d. Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde

Sofern der Akt der Vollziehung nur für das Gebiet der betreffenden Gemeinde wirksam werden und sich auf Straßen, die nach den Rechtsvorschriften weder als Autobahnen, Autostraßen, Bundesstraßen oder Landesstraßen gelten noch diesen Straßen gleichzuhalten sind, beziehen soll, sind folgende Angelegenheiten von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen:

1. – 3a. […]

4. die Erlassung von Verordnungen nach §43, mit denen

       a) Beschränkungen für das Halten und Parken,

       b) – d) […]

       erlassen werden,

4a. – 21. […]."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Beim Landesverwaltungsgericht Tirol ist ein Verfahren über eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck anhängig. Dem Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht wird zur Last gelegt, er habe am 17. Juni 2019 um 10.52 Uhr ein nach dem Kennzeichen näher bestimmtes Kraftfahrzeug in einem durch das Vorschriftszeichen "Halten und Parken verboten" mit der Zusatztafel "Wendeplatz" gekennzeichneten Bereich in der Schöpfstraße 6a, 6020 Innsbruck, abgestellt und damit eine Verwaltungsübertretung gemäß §24 Abs1 lita iVm §99 Abs3 lita StVO 1960 begangen. Über den Beschwerdeführer wurde daher gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe in Höhe von € 45,– (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von einem Tag) verhängt.

2. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol gemäß Art139 Abs1 Z1 B-VG den Antrag, "[d]er Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, dass Punkt 6. litb betreffend 'Verkehrsregelung in der Schöpfstraße 6b unmittelbar nach der Aufstellung des Kranes' der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck vom 29.05.2019, Zl MagIbk/22502/SV-BS/8/9," wegen nicht ordnungsgemäßer Kundmachung gesetzwidrig war.

2.1. Begründend wird vom Landesverwaltungsgericht Tirol ausgeführt, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung, deren zeitliche Geltungsdauer bereits mehrfach verlängert worden sei, erstmals am 24. Oktober 2018 durch die Aufstellung entsprechender Verkehrszeichen kundgemacht worden sei; sie habe dadurch ein Mindestmaß an Publizität erlangt. Der Strafausspruch des vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht angefochtenen Straferkenntnisses stütze sich auf die angefochtene Verordnungsbestimmung.

2.2. Das vom Landesverwaltungsgericht Tirol durchgeführte Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass es im Zusammenhang mit der Beschilderung der verfahrensgegenständlichen Baustelle wiederholt Unregelmäßigkeiten gegeben habe. Sowohl das verantwortliche Bauunternehmen als auch die zuständige Verkehrsinspektion hätten übereinstimmend angegeben, dass wiederholt Verkehrsschilder im Baustellenbereich verdreht, verschoben oder gar entwendet worden seien.

2.3. Die angefochtene Verordnung habe für den verfahrensgegenständlichen Bereich Folgendes festgelegt: "Halten und Parken verboten (§52 Z13 b StVO 1960) Schöpfstaße: nordseitig: von der westlichen Gebäudekante des Hauses 6b in Richtung Westen auf eine Länge von 8,50 m – mit der Zusatztafel – Wendeplatz". Der Verordnungsgeber habe damit ein Halte- und Parkverbot im Sinne der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs erlassen, um in dem verfahrensgegenständlichen Baustellenbereich auf einer Länge von 8,50 Metern das Wenden für jene Fahrzeuge zu ermöglichen, die dieses Manöver auf Grund des im Anschluss befindlichen Fahrverbotes ("Einfahrt verboten" gemäß Punkt 5. der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck vom 29. Mai 2019, Z MagIbk/22502/SV-BS/8/9, betreffend die Verkehrsregelung in der Schöpfstraße 6b) durchführen müssten.

2.4. Auf Grund eines im Gerichtsakt einliegenden Lichtbildes vom 17. Juni 2019 sei davon auszugehen, dass das in der angefochtenen Verordnungsbestimmung verordnete Halte- und Parkverbot zum Tatzeitpunkt folgendermaßen ausgeschildert gewesen sei: Unmittelbar an der westlichen Gebäudekante des Hauses Schöpfstraße 6b habe sich ein Verkehrsschild "Halten und Parken verboten" befunden, das in Richtung Osten aufgestellt gewesen sei. Entlang des Gebäudes Schöpfstraße 6a, das in westlicher Richtung an das Gebäude Schöpfstraße 6b anschließe, sei im Bereich der dort mittels Bodenmarkierung gekennzeichneten Kurzparkzone innerhalb der verordneten 8,50 Meter ein Verkehrsschild "Halten und Parken verboten" parallel zur Gehsteigkante aufstellt gewesen. Eine Zusatztafel "Wendeplatz" sei unter keinem der beiden Verkehrsschilder angebracht gewesen. Die verordnete Länge des Halte- und Parkverbotes von 8,50 Metern sei nicht ausgewiesen gewesen.

2.5. Es sei daher davon auszugehen, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung angesichts der Nichtübereinstimmung des verordnungsmäßig festgelegten Halte- und Parkverbotes mit der tatsächlich vorgenommenen Anbringung der Straßenverkehrszeichen vor Ort zum Tatzeitpunkt nicht ordnungsgemäß kundgemacht gewesen sei.

3. Die verordnungserlassende Behörde hat die Unterlagen betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnungsbestimmung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

3.1. Der Stadtmagistrat Innsbruck habe mit Bescheid vom 29. Mai 2019 die Bewilligung für die Durchführung von Arbeiten auf und neben der Straße gemäß §90 StVO 1960 in der Andreas-Hofer-Straße 16 in Innsbruck erteilt. Diese Bewilligung stelle bereits die zweite Verlängerung dar. Im Zuge der Bewilligung seien auch straßenverkehrsrechtliche Regelungen in der Andreas-Hofer-Straße und in der Schöpfstraße zu treffen gewesen, welche mit Verordnung des Bürgermeisters vom 29. Mai 2019, MagIbk/22502/SV-BS/8/9, gemäß §43 Abs1a StVO 1960 iVm §94d StVO 1960 erlassen worden seien.

3.2. Auf den vorliegenden Fall sei die Spezialnorm des §43 Abs1a StVO 1960 für Verkehrsmaßnahmen aus Anlass von Arbeiten auf oder neben der Straße anzuwenden. Nach §43 Abs1a StVO 1960 obliege die Kundmachung von Verordnungen im Rahmen von Arbeiten auf oder neben der Straße den Organen des Bauführers. Ein Verstoß gegen die der Behörde gemäß §44 Abs1 StVO 1960 obliegende Verpflichtung, den Zeitpunkt der erfolgten Anbringung des Straßenverkehrszeichens in einem Aktenvermerk festzuhalten, berühre nach der höchstgerichtlichen Judikatur weder die Normqualität noch die Rechtmäßigkeit der kundzumachenden Verordnung. Dies müsse in gleicher Weise für einen allfälligen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Erstellung eines Aktenvermerks nach §43 Abs1a StVO 1960 gelten.

3.3. Das Stadtpolizeikommando Innsbruck habe in seiner Sachverhaltsdarstellung vom 30. August 2019 bestätigt, dass das Fahrzeug des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung im Bereich des verordneten Halte- und Parkverbotes mit der Zusatzbeschilderung "Wendeplatz" in der Schöpfstraße abgestellt gewesen sei.

Der Bauleiter des die Baumeisterarbeiten in der Andreas-Hofer-Straße 16/18 (Kranstandplatz in der Schöpfstraße 6b) durchführenden Bauunternehmens (im Folgenden: Bauleiter) habe mit E-Mail vom 8. Juni 2020 bestätigt, dass der verfahrensgegenständliche Wendeplatz in der Schöpfstraße entsprechend der angefochtenen Verordnungsbestimmung beschildert gewesen und täglich kontrolliert worden sei. Daraus gehe hervor, dass die Verordnung des Bürgermeisters vom 29. Mai 2019 ordnungsgemäß kundgemacht worden sei.

4. Der am Verfahren beteiligte Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol hat eine Äußerung erstattet, in der er sich im Wesentlichen den Bedenken des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes anschließt.

5. Die Tiroler Landesregierung hat von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B-VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017 mwN). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl VfSlg 20.251/2018).

Die angefochtene Verordnungsbestimmung wurde ausweislich des vom Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegten Akten- und Bildmaterials durch Aufstellung des entsprechenden Verkehrszeichens ("Halten und Parken verboten") kundgemacht, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft (vgl VfSlg 18.710/2009, 19.409/2011, 19.410/2011). §54 Abs1 StVO 1960 bestimmt, dass unter den in §52 leg cit genannten Straßenverkehrszeichen auf Zusatztafeln weitere, das Straßenverkehrszeichen erläuternde oder wichtige, sich auf das Straßenverkehrszeichen beziehende, dieses erweiternde oder einschränkende Angaben gemacht werden können.

2.4. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Verordnungsbeschluss im Zuge der Kundmachung weder ergänzt noch sonst verändert werden. Jede Änderung des Inhaltes des Verordnungsbeschlusses obliegt allein der zur Willensbildung zuständigen Behörde (vgl VfSlg 13.910/1994 mwN). Eine Verordnung ist gesetzwidrig, wenn die vom Verordnungsgeber beschlossene normative Festlegung nicht mit dem kundgemachten Text übereinstimmt (VfSlg 15.192/1998, 19.980/2015).

2.4.1. Dem Verfassungsgerichtshof ist es angesichts der vom Landesverwaltungsgericht Tirol und von der verordnungserlassenden Behörde vorgelegten Unterlagen nicht möglich, festzustellen, dass die Kundmachung der angefochtenen Verordnungsbestimmung zum Tatzeitpunkt mit der vom Verordnungsgeber beschlossenen Festlegung übereinstimmte.

2.4.1.1. Punkt 6. b) der "Verkehrsregelung in der Schöpfstraße 6b unmittelbar nach Aufstellung des Kranes" in der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck vom 29. Mai 2019, Z MagIbk/22502/SV-BS/8/9, verfügte in der Schöpfstraße, nordseitig von der westlichen Gebäudekante des Hauses Nr 6b in Richtung Westen auf einer Länge von 8,50 Metern ein Halte- und Parkverbot gemäß §52 lita Z13b StVO 1960 mit einer Zusatztafel "Wendeplatz".

2.4.1.2. Seitens der Bauleitung des die Baumeisterarbeiten in der Andreas-Hofer-Straße 16/18 durchführenden Bauunternehmens wurde zwar bestätigt, dass (ua) die mit der angefochtenen Verordnungsbestimmung verfügten Verkehrsschilder, insbesondere auch die Zusatztafel "Wendeplatz", am 24. Oktober 2018 aufgestellt und die aufgestellten Verkehrszeichen nach Angaben der Bauleitung "immer wieder kontrolliert und in den Tagesberichten protokolliert" worden seien. Dem beigefügten Lichtbild ist jedoch lediglich zu entnehmen, dass neben den – nicht mit der angefochtenen Verordnungsbestimmung verfügten – untereinander angebrachten Verkehrszeichen "Einfahrt verboten", "Fahrbahnverengung" und "Baustelle" ein laminiertes Schild mit der Aufschrift "Wendeplatz" aufgestellt wurde. Für die Angaben der Bauleitung, wonach die Zusatztafel "Wendeplatz" unterhalb des Verkehrszeichens "Halten und Parken verboten" angebracht worden sei, finden sich keine Belege in den vorgelegten Unterlagen.

2.4.1.3. Der Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht hat ein am 17. Juni 2019 um 11.09 Uhr angefertigtes Lichtbild vorgelegt, auf dem ersichtlich ist, dass sein Fahrzeug in einem mit dem Verkehrszeichen "Halten und Parken verboten" gekennzeichneten Bereich abgestellt ist. Unterhalb des Verkehrszeichens "Halten und Parken verboten" ist keine Zusatztafel angebracht. Im Verfahren wurde nicht bestritten, dass es sich dabei um den im bekämpften Straferkenntnis als Tatort bezeichneten Bereich handelt.

2.4.1.4. Die verordnungserlassende Behörde bringt in ihrer Äußerung vor, dass das Stadtpolizeikommando Innsbruck in seiner Sachverhaltsdarstellung vom 30. August 2019 bestätigt habe, dass das Fahrzeug des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung im Bereich des verordneten Halte- und Parkverbotes mit der Zusatzbeschilderung "Wendeplatz" abgestellt worden sei.

Dieser Sachverhaltsdarstellung ist jedoch entgegen der Ansicht der verordnungserlassenden Behörde keine Aussage über die konkrete Beschilderung zum Tatzeitpunkt zu entnehmen, sondern lediglich, dass zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung in der Schöpfstraße auf Grund einer Baustelle ein Halte- und Parkverbot mit der Zusatzbeschilderung "Wendeplatz" verordnet war. In einem Telefonat mit der erkennenden Richterin des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes vom 17. November 2020, dessen Inhalt in einem Aktenvermerk festgehalten wurde, gab der Abteilungsleiter der Verkehrsinspektion Innsbruck an, dass er "heute nicht mehr sagen" könne, ob die Zusatztafel "Wendeplatz" unterhalb des Verkehrszeichens "Halten und Parken verboten" angebracht gewesen sei. Er könne sich lediglich erinnern, "dass einmal nur ein laminiertes Blatt mit 'Wendeplatz' aufgestellt" gewesen sei. Ein Lichtbild vom Tatzeitpunkt existiere nicht.

2.4.1.5. Die verordnungserlassende Behörde stützt die ihrer Ansicht nach ordnungsgemäße Kundmachung der angefochtenen Verordnungsbestimmung ferner auf ein E-Mail des Bauleiters vom 8. Juni 2020, in dem dieser bestätigt habe, dass der verfahrensgegenständliche Wendeplatz entsprechend der angefochtenen Verordnungsbestimmung beschildert gewesen und täglich kontrolliert worden sei.

Der Bauleiter führt in dem vorgelegten E-Mail zwar aus, dass der in Rede stehende Wendeplatz mittels Zusatztafeln markiert und die Beschilderung der in Rede stehenden Baustelle täglich kontrolliert worden sei. In dem beigefügten Tagesbericht des Bauunternehmens vom 17. Juni 2019 findet sich in der Rubrik "Art der Leistung" ua der Vermerk "Absicherung kontrollieren + Aufräumarbeiten". Im Hinblick auf das vom Beschwerdeführer im Verfahren vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht vorgelegte Lichtbild vom Tatzeitpunkt und die in einem Aktenvermerk festgehaltenen Ausführungen des Bauleiters in einem Telefonat mit der erkennenden Richterin des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes, wonach die in Rede stehende Baustelle schwierig und sehr "speziell" gewesen und es immer wieder vorgekommen sei, dass Verkehrszeichen verstellt oder entfernt worden seien, vermögen die Ausführungen in dem E-Mail des Bauleiters vom 8. Juni 2020 jedoch nicht davon zu überzeugen, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung zum Tatzeitpunkt ordnungsgemäß kundgemacht war. Auch seitens der Verkehrsinspektion Innsbruck wurde ausgeführt, dass es bei dieser Baustelle wiederholt zu Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Beschilderung gekommen sei. Es habe auch eine Anzeige gegen das Bauunternehmen gegeben, nachdem Mängel über einen längeren Zeitraum nicht behoben worden seien.

2.4.2. Der Verfassungsgerichtshof kann angesichts obiger Ausführungen sowie des Umstandes, dass keines der dem Akt des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes beigefügten – zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommenen – Lichtbilder eine der angefochtenen Verordnungsbestimmung entsprechende Zusatztafel unterhalb des Verkehrszeichens "Halten und Parken verboten" zeigt, nicht feststellen, dass die Kundmachung der angefochtenen Verordnungsbestimmung zum Tatzeitpunkt mit der vom Verordnungsgeber beschlossenen Festlegung übereinstimmte. Die Verordnung war schon aus diesem Grund im angefochtenen Umfang gesetzwidrig, sodass sich ein Eingehen auf weitere Bedenken des antragstellenden Gerichtes erübrigt.

2.5. Gemäß Art139 Abs3 Z3 B-VG hat der Verfassungsgerichtshof nicht nur die präjudiziellen Teile einer Verordnung, sondern die ganze Verordnung aufzuheben (vgl VfSlg 18.068/2007), wenn er zur Auffassung gelangt, dass die ganze Verordnung gesetzwidrig kundgemacht wurde. Diese Bestimmung ist von dem Gedanken getragen, den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, in all jenen Fällen, in denen die festgestellte Gesetzwidrigkeit der präjudiziellen Verordnungsstelle offenkundig auch alle übrigen Verordnungsbestimmungen erfasst, die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben (vgl VfSlg 19.128/2010). Gemäß Art139 Abs4 B-VG ist diese Bestimmung sinngemäß auf jene Fälle anzuwenden, in denen die angefochtene Verordnung im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten ist und der Verfassungsgerichtshof ausspricht, dass die angefochtene Verordnung gesetzwidrig war.

Der festgestellte Kundmachungsmangel betrifft ausschließlich das angefochtene – im Verfahren vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht präjudizielle – Halte- und Parkverbot. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck vom 29. Mai 2019, MagIbk/22502/SV-BS/8/9, verfügte zahlreiche weitere Verkehrsregelungen, die auf andere Weise, insbesondere durch Aufstellung entsprechender Verkehrszeichen, an näher bezeichneten Orten kundzumachen waren. Eine Feststellung der Gesetzwidrigkeit der ganzen Verordnung gemäß Art139 Abs3 Z3 B-VG kommt daher nicht in Betracht.

2.6. Da die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck vom 29. Mai 2019, Z MagIbk/22502/SV-BS/8/9, nicht mehr in Kraft ist, hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs4 B-VG festzustellen, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung gesetzwidrig war.

V. Ergebnis

1. Punkt 6. b) der "Verkehrsregelung in der Schöpfstraße 6b unmittelbar nach Aufstellung des Kranes" in der Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Innsbruck vom 29. Mai 2019, Z MagIbk/22502/SV-BS/8/9, war gesetzwidrig.

2. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litj Tir Landes-Verlautbarungsgesetz 2013.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Der beteiligten Partei sind die für die abgegebene Äußerung begehrten Kosten nicht zuzusprechen, da es im Falle eines auf Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens Sache des antragstellenden Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 19.019/2010 mwN).

Schlagworte

Straßenverkehrszeichen, Halte(Park-)verbot, Verordnung Kundmachung, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Verwerfungsumfang, Verordnungserlassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:V605.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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