TE Vwgh Erkenntnis 1974/3/12 1947/73

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Veröffentlicht am 12.03.1974
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Index

Abgabenverfahren
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §22 Abs1 implizit
AVG §3 litc implizit
BAO §26 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schimetschek und die Hofräte Hofstätter, Mag. DDr. Heller, Dr. Simon und Dr. Seiler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Landesregierungsoberkommissär Dr. Cede, über die Beschwerde des Ing. OS in P, vertreten durch Dr. Wilhelm Buchta, Rechtsanwalt in Wien I, Schellinggasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18. Oktober 1973, Zl. GA 5-1383/4/73, betreffend Aufhebung eines Bescheides, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte für 1972 - wie auch schon für das Vorjahr - die Eintragung eines steuerfreien Betrages auf der Lohnsteuerkarte. Als Grund machte er die Alimentierung an seine erste, von ihm geschiedene, Frau und an seine zweite Frau (aufrechte Ehe) geltend. Den von der belangten Behörde vorgelegten Akten betreffend den amtswegigen Jahresausgleich des Beschwerdeführers ist zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer dem Finanzamt für den IX.. XVIII. und XIX. Bezirk in Wien bereits am 19. Mai 1969 davon Mitteilung machte, daß er seit 12. Dezember 1968 den gemeinsamen Haushalt mit seiner zweiten Frau in Wien XVIII, W...straße 73/3 aufgegeben habe. Er wohne seither abwechselnd in Hotels und Pensionen.

Das oben genannte Finanzamt gab dem Antrag des Beschwerdeführers auf Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte für 1972 nur teilweise statt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er führte in dem diesbezüglichen Schriftsatz u. a. aus, daß er von seiner zweiten Frau schon seit Jahren getrennt lebe. Die Trennung von seiner Frau sei nicht aus freien Stücken, sondern gezwungenermaßen um des Friedens Willen erfolgt, da sich seine Frau bereits 1942 wegen eines Selbstmordversuches in einer psychiatrischen Klinik befunden habe. Dem Beschwerdeführer sei die Abartigkeit seiner Frau schon vor der Eheschließung bekannt gewesen, weshalb er keine Aussicht habe, daß die Ehe über sein Verlangen geschieden werde. Als die Frau des Beschwerdeführers in der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember 1968 betrunken nach Hause gekommen sei und den Beschwerdeführer - so sinngemäß die Berufungsausführungen - angepöbelt habe, habe der Beschwerdeführer seinen Koffer gepackt, die Wohnung verlassen und sei bis heute - das seien vier Jahre - nicht mehr zurückgekehrt.

Die belangte Behörde, der die Berufung zur Entscheidung vorgelegt worden war, hat den Bescheid des Finanzamtes für den IX., XVIII. und XIX. Bezirk in Wien betreffend die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte für 1972 mit der spruchmäßigen Feststellung, daß der Berufung Folge gegeben werde, ersatzlos aufgehoben. In der Begründung dieses Bescheides hat die belangte Behörde im wesentlichen ausgeführt:

Aus der Aktenlage und auch aus den diversen Eingaben des Beschwerdeführers sei eindeutig zu ersehen, daß der Beschwerdeführer seit dem 12. Dezember 1968 die eheliche Wohnung in Wien XVIII wegen dauernder Zwistigkeiten mit seiner Gattin verlassen habe. Er wohne seit diesem Zeitpunkt in P. Es fehle daher an einem Wohnsitz im Bereich des Finanzamtes für den IX., XVIII. und XIX Bezirk in Wien. Denn unter einer Wohnung, die Voraussetzung für das Vorliegen eines Wohnsitzes sei, verstehe man eingerichtete Räume, die der Inhaber ohne wesentliche Änderung jederzeit zum Wohnen benutzen könne. Dies sei aber im gegenständlichen Fall nicht gegeben. Die polizeiliche Meldung sei für die Begründung und die Aufgabe des Wohnsitzes ohne Bedeutung. Es spiele keine Rolle, aus welchen Gründen der Abgabepflichtige die Wohnung verloren habe, gleich viel, ob er sie freiwillig oder unter Zwang aufgegeben habe. Da der Beschwerdeführer 1972 keinen Wohnsitz im Beriech des Finanzamtes für den IX., XVIII. und XIX. Bezirk in Wien gehabt habe, sei das genannte Finanzamt auf Grund des § 57 Abs. 1 BAO zur Behandlung des gegenständlichen Falles nicht zuständig gewesen. Auf Grund des § 50 Abs. 1 BAO sei die Unzuständigkeit im Rechtsmittelverfahren auch dann aufzugreifen, wenn sie von der Partei nicht bekämpft worden sei. Der Umstand, daß die Rechtsmittelbehörde sowohl der zuständigen (Finanzamt Mödling) wie auch der unzuständigen Behörde übergeordnet sei, vermöge nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes den Mangel der Unzuständigkeit der eingeschrittenen Unterbehörde nicht zu beheben. Bei dem gegebenen Sachverhalt sei aber eine Sachentscheidung der belangten Behörde nicht möglich, weil eine solche unzulässig sei, wenn die meritorische Rechtsmittelerledigung einen Eingriff in die sachliche Zuständigkeit der Behörde erster Instanz (Finanzamt Mödling) mit sich bringen würde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. In ihr wird vorgebracht, daß sich in der Wohnung des Beschwerdeführers in Wien XVIII seine Bücher- und Münzensammlung befinde, ebenso auch seine Wäsche und Kleider. Er habe auch die Wohnungs- und Haustorschlüssel und übe von dort aus sein Wahlrecht aus. Seit dem Verlassen der Wohnung habe sich der Beschwerdeführer in unterschiedlicher Dauer aufgehalten im Hotel G in P, im Hotel Z in W, in der Pension Siedlung E, in der Lungenheilstätte X; in den Sommermonaten jeweils in L. und in der Ost- und Weststeiermark. Seine derzeitige Unterkunft in P sei ein 9 m² großes Hotelzimmer. Während einer jeweils längeren Abwesenheit verpacke der Beschwerdeführer seine Sachen und räume das Zimmer und dieses werde zwischenzeitig anderweitig vermietet. Zwei Umstände hielten den Beschwerdeführer in seinem „Schwebezustand“. Einerseits würde er die Rückkehr in die eheliche Wohnung bzw. die ihn erwartende Lebensweise nicht „durchhalten“, anderseits sei ein Scheidungsbegehren aussichtslos. Jederzeit könnten Ereignisse eintreten, die es dem Beschwerdeführer ermöglichten, in seine Wohnung in Wien XVIII. zurückzukehren.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Für die Eintragung von Freibeträgen auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitnehmers ist zufolge § 57 Abs. 1 BAO das Wohnsitzfinanzamt zuständig, Seinen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften hat jemand dort, wo er eine Wohnung innehat, unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 26 Abs. 1 BAO).

Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, einen Wohnsitz des Beschwerdeführers in der gegenständlichen Wohnung darzutun.

Das Gesetz verlangt für das Vorhandensein eines Wohnsitzes zunächst das „Innehaben“ einer Wohnung, worunter im Sinne von Lehre und Rechtsprechung die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, über die Wohnung zu verfügen, zu verstehen ist. Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob bei dem gegebenen Sachverhalt diese Voraussetzung erfüllt ist. Das Zutreffen des Tatbestandsbildes eines Wohnsitzes hängt darüber hinaus nämlich auch vom Vorliegen von Umständen ab, die auf die Beibehaltung und Benutzung der Wohnung schließen lassen. Solche Umstände müssen objektiv erkennbarer Art sein und sind nicht in subjektiven Absichten des Steuerpflichtigen zu erblicken, eine zur Verfügung stehende Wohnung später einmal bei Zutreffen bestimmter, nicht vorhersehbarer, Ereignisse zu beziehen (vgl. das hie Erkenntnis vom 25. September 1973, Zl. 111/73). Der Beschwerdeführer hat im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die eheliche Wohnung bereits seit annähernd vier Jahren verlassen gelabt. Er bringt ins verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Übereinstimmung mit seiner Darstellung im Verwaltungsverfahren sinngemäß vor, daß es ihm unmöglich sei, die Wohnung wieder zu beziehen, solange sich dort seine Frau befinde. Dies Wird durch die objektiv erkennbare Tatsache bestätigt, daß der Beschwerdeführer seit dem Verlassen der ehelichen Wohnung in wechselnden Quartieren wohnte. Bei diesem Sachverhalt kann von Umständen, die auf das Beibehalten und Benutzen der Wohnung schließen lassen, nicht gesprochen werden. Der Besitz von Möbeln und anderen Gegenständen in dieser Wohnung sowie die Tatsache der polizeilichen Nichtabmeldung und die Ausübung des Wahlrechts haben demgegenüber keine relevante Bedeutung.

Ob der Beschwerdeführer in P einen Wohnsitz hat, was in der Beschwerde bestritten wird, ist für die Beschwerdeentscheidung deshalb ohne Belang, weil nicht zu prüfen ist, wo der Beschwerdeführer einen Wohnsitz hat, sondern nur, ob er ihn im Bereich des in erster Instanz eingeschrittenen Finanzamtes hatte. Das konnte die belangte Behörde auf Grund der vorstehenden Ausführungen verneinen.

Daß die belangte Behörde, falls sie von der Unzuständigkeit des Finanzamtes für den IX., XVIII. und XIX. Bezirk ausgehen konnte, berechtigt war, diesen Zuständigkeitsmangel im Berufungsverfahren von Amts wegen aufzugreifen, wurde in der Beschwerde nicht bestritten. Es trifft dies auch zu (siehe Reeger-Stoll, große Ausgabe, Anmerkung 5 zu § 50 BAO).

Die belangte Behörde irrt zwar, wenn sie auf einen Eingriff in die sachliche Zuständigkeit des Finanzamtes Mödling verweist, denn zufolge § 3 Z. 1 des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1954, BGBl. Nr. 149 (allgemein als Abgabenorganisationsgesetz bezeichnet), sind sachlich für die Eintragung von Freibeträgen auf Lohnsteuerkarten sowohl das Finanzamt für den IX., XVIII. und XIX. Bezirk in Wien als auch das Finanzamt Mödling zuständig. Das ändert jedoch nichts an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, denn die belangte Behörde war - wie dargelegt - auch berechtigt, den Mangel der örtlichen Zuständigkeit aufzugreifen.

Somit erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen war.

Der Verwaltungsgerichtshof möchte jedoch auf folgendes hinweisen:

Die Verletzung der örtlichen Zuständigkeit ist, gemessen an dem Wert der Rechtsgüter, eine verhältnismäßig leichte Rechtsverletzung. Sie wiegt insbesondere nicht so schwer wie die Verletzung dar sachlichen Zuständigkeit (vgl. in dieser Richtung das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 3966 und Spanner hiezu in JBl. Nr. 9/10/1965). Auf dem Gebiete der Eintragungen von Freibeträgen auf der Lehnsteuerkarte gilt das umso mehr, als auch finanzausgleichsrechtliche Überlegungen für die Wahrnehmung der örtlichen Zuständigkeit nicht in Betracht kommen, da für die Ertragsteilung des Lohnsteueraufkommens nicht der Wohnsitz des Arbeitnehmers, sondern nur die Betriebsstätte des Arbeitgebers von Bedeutung ist. Vergleicht man das eben Gesagte mit den Auswirkungen des angefochtenen Bescheides auf den Einzelfall, daß nämlich der Beschwerdeführer nicht nur gehindert ist, sein vermeintliches Mehrbegehren im Berufungsweg durchzusetzen, sondern darüber hinaus aus rein formalen Gründen auch jenen Freibetrag verliert, der ihm unbestrittenermaßen zusteht und durch das Finanzamt auch schon bescheinigt wurde, so wird das bei der Entscheidung aber ein allenfalls vom Beschwerdeführer noch einzubringendes Nachsichtsansuchen nicht unberücksichtigt bleiben können. Hinsichtlich des Mehrbegehrens, über das meritorisch im Berufungsverfahren nicht entschieden werden konnte, wird das allerdings nur zutreffen, soweit der Berufung - hätte sie nicht zur Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides wegen Unzuständigkeit geführt - Folge zu geben gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 14. November 1972, BGBl. Nr. 427.

Wien, am 12. März 1974

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1974:1973001947.X00

Im RIS seit

03.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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