TE Vwgh Beschluss 2021/10/12 Ra 2021/04/0175

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Veröffentlicht am 12.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
14/01 Verwaltungsorganisation
40/01 Verwaltungsverfahren
83 Naturschutz Umweltschutz

Norm

B-VG Art133 Abs4
UVPG 2000 §40 Abs3
VwGG §28 Abs3
VwGG §30a Abs7
VwGG §34 Abs1
VwGG §36 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/04/0176
Ra 2021/04/0177
Ra 2021/04/0178
Ra 2021/04/0179
Ra 2021/04/0180
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Ra 2021/04/0183
Ra 2021/04/0184
Ra 2021/04/0185
Ra 2021/04/0186

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision 1. der DI E F, 2. des W H, beide in U, 3. der B B, 4. der B B, beide in B, 5. des E H, 6. des J O, 7. der R O, alle in O, 8. des H W in B, 9. des B in W, 10. des H F in O, 11. der G W in S, und 12. des A V in U, alle vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis und den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts je vom 26. Juli 2021, Zl. W113 2244005-1/6E, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung von Beschwerden in einer Angelegenheit gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Partei: N GmbH, vertreten durch die Lindner Stimmler Rechtsanwälte GmbH & Co KG, 1090 Wien, Währinger Straße 2-4/1/29), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionsbeantwortung der mitbeteiligten Partei wird ebenso wie der damit verbundene Antrag auf Kostenersatz zurückgewiesen.

Begründung

1        1. Die Mitbeteiligte stellte mit Schreiben vom 7. April 2021 den Antrag, die belangte Behörde möge gemäß § 3 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (in Folge UVP-G 2000) feststellen, dass für das Vorhaben „110 kV-Einfachleitung UW Untersiebenbrunn - UW Oberweiden“ keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei.

2        Mit Bescheid der belangten Behörde vom 27. April 2021 wurde festgestellt, dass das betreffende Vorhaben der Mitbeteiligten keinen Tatbestand des Anhangs 1 zum UVP-Gesetz 2000 erfülle und damit nicht der Verpflichtung zur Durchführung einer UVP unterliege.

3        Den insofern unstrittigen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zufolge wurde dieser Feststellungsbescheid mit Edikt vom 27. April 2021 im Internet sowie in analoger Form durch Anschlag an den Amtstafeln der betroffenen Standortgemeinden kundgemacht und bei diesen auch zur Einsicht aufgelegt.

4        Das Edikt war auf der Homepage des Landes Niederösterreich vom 27. April 2021 bis zum 10. Juni 2021 kundgemacht. Der Feststellungsbescheid lag während dieser Zeit zur Einsichtnahme bei der belangten Behörde auf. Die Kundmachung enthielt einen Hinweis, dass diese ab 27. April 2021 erfolgt sei. Das Edikt war zudem auf der analogen Amtstafel der Gemeinde Untersiebenbrunn von 27. April 2021 bis 9. Juni 2021, sowie von 27. April 2021 bis 10. Juni 2021 auf der Amtstafel der Gemeinde Weikendorf und von 27. April 2021 bis 8. Juni 2021 auf der Amtstafel der Gemeinde Weiden an der March kundgemacht. Während dieser Zeit lag der Bescheid zur Einsichtnahme bei den betreffenden Gemeinden auf.

5        Die Beschwerdefrist habe gemäß § 40 Abs. 3 UVP-G 2000 am 25. Mai 2021 geendet.

6        2.1. Der Zweitrevisionswerber verfügt über keinen Internetzugang. Dieser stellte am 8. Juni 2021 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Versäumnis der Beschwerdefrist gegen den Feststellungsbescheid und brachte hierzu vor, er habe mangels Internetzugang erst am 27. Mai 2021 durch einen Hinweis seiner Schwester Kenntnis von der Existenz des Feststellungsbescheides erlangt.

7        2.2. Die übrigen Revisionswerber erhoben mit Schriftsatz vom 7. Juni 2021, eingelangt bei der Behörde am 8. Juni 2021, Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid.

8        2.3. Mit Bescheid vom 30. Juni 2021 wies die belangte Behörde den Antrag des Zweitrevisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab.

9        Die Beschwerden der übrigen Revisionswerber wurden mit dem Hinweis auf deren Verspätung dem Verwaltungsgericht vorgelegt.

10       3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Zweitrevisionswerbers gegen die Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ebenfalls ab. Die Revision erklärte es für unzulässig (Spruchpunkt A.I. und II.).

11       Unter einem fasste es den Beschluss, die Beschwerden der übrigen Revisionswerber als verspätet zurückzuweisen. Die Revision erklärte es in diesem Zusammenhang ebenso für unzulässig (Spruchpunkt B.I. und II.).

12       3.1. In der gemeinsam ausgeführten Entscheidungsbegründung des Erkenntnisses und des Beschlusses führte das Bundesverwaltungsgericht ausgehend von dem oben wiedergegebenen - insofern unstrittigen - Sachverhalt aus, die Revisionswerber seien Nachbarn in Hinblick auf das verfahrensgegenständliche Vorhaben.

13       3.2.1. Der Zweitrevisionswerber habe vorgebracht, er verfüge über keine Möglichkeit, auf einen Internetzugang zu greifen. Aufgrund der Angaben über die Auflage des Bescheides sei er davon ausgegangen, dass die Beschwerdefrist bis zum 8. Juni 2021 laufe. Ein nicht Rechtskundiger habe die verkürzte Rechtsmittelfrist für die Nachbarn nicht erkennen können. Es sei der Rechtsmittelbelehrung auch nicht zu entnehmen, dass den Nachbarn ein Beschwerderecht zukomme.

14       3.2.2. Hierzu führte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus, die Rechtsmittelbelehrung entspreche § 61 AVG. Das Beschwerderecht der Nachbarn werde durch die allgemein gehaltene Formulierung nicht in Frage gestellt. Es handle sich weder um eine falsche noch um eine fehlende Rechtsmittelbelehrung. Dort sei auch klar die vierwöchige Frist angeführt. Das Datum der Kundmachung im Internet als fristauslösendes Ereignis sei im Edikt angeführt. Der Revisionswerber sei zudem in der Lage gewesen innerhalb von vier bis sechs Wochen einen Rechtsanwalt mit der Einbringung des gegenständlichen Antrages zu befassen. Er habe daher um sein Beschwerderecht gewusst. Es stelle in diesem Zusammenhang eine auffallende Sorglosigkeit dar, wenn sich der Revisionswerber nicht ebenso über die Frage des Fristenlaufs erkundigt hätte. Das Vorbringen des Zweitrevisionswerbers zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages, er habe kein Internet und habe aus diesem Grund sein Beschwerderecht nicht rechtzeitig ausüben können, gehe schon deswegen ins Leere, weil der Feststellungsbescheid auch auf andere Weise kundgemacht worden sei, so etwa durch den analogen Anschlag an den Amtstafeln der betroffenen Gemeinden, darunter auch der Wohnsitzgemeinde des Beschwerdeführers. Aus diesem Grund sei dem Wiedereinsetzungsantrag nicht stattzugeben.

15       3.3. Hinsichtlich der übrigen Revisionswerber sei festzuhalten, dass auch wenn eine weitgehende Beteiligung der Öffentlichkeit in Umweltverfahren unionsrechtlich geboten sei, unbestritten sei, dass die Ausgestaltung des Gerichtszugangs im Rahmen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten unter Beachtung des unionsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes Beschränkungen, etwa in Form von Rechtsmittelfristen, unterworfen werden könne. Der qualifiziert betroffenen Öffentlichkeit müsse das Recht zukommen, eine Entscheidung zur Frage der UVP-Pflicht einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren zuführen zu können. Der gegenständliche Feststellungsbescheid sei auf mehrfache Weise und im Einklang mit den innerstaatlichen Normen kundgemacht worden. Die Revisionswerber hätten auch tatsächlich von dieser Kundmachung erfahren. Die Rechtschutzmöglichkeit der Nachbarn sei unzweideutig im nationalen Recht verankert und die Beschwerdefrist mit vier Wochen nicht zu kurz bemessen. Es sei daher nicht ersichtlich, inwiefern die innerstaatliche Ausgestaltung des Beschwerderechts im UVP-Feststellungsverfahren nicht im Einklang mit der Aarhus-Konvention stehen sollte. Das Bundesverwaltungsgericht gehe daher davon aus, dass die gegenständlichen Beschwerden verspätet eingebracht worden und daher zurückzuweisen seien.

16       Gegen dieses Erkenntnis und gegen den Zurückweisungbeschluss richtet sich die gemeinsam ausgeführte Revision der vor dem Bundesverwaltungsgericht jeweils beschwerdeführenden Parteien.

17       Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.

18       4. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

19       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

20       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

21       4.1. Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung dahingehend, ob gegenüber einer Person, welche keine Verbindung zum Internet habe, die Frist gemäß § 40 Abs. 3 UVP-Gesetz 2000 überhaupt zu laufen beginnen könne. Einer Person, welche nicht einmal die theoretische Möglichkeit der Kenntniserlangung des UVP-Feststellungsbescheids habe, werde das Rechtsmittelrecht gegen diesen UVP-Feststellungsbescheid entzogen.

22       Zudem beinhalte § 40 Abs. 3 UVP-Gesetz 2000 eine rechtswidrige Ausgestaltung der Rechtsmittelmöglichkeit unter Missachtung des unionsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes. Spätestens seit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache „Gruber“ sei es unstrittig, dass der qualifiziert betroffenen Öffentlichkeit in einem UVP-Feststellungsverfahren das Recht zukommen müsse, eine Entscheidung zu der Frage der UVP-Pflicht einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren zuzuführen. Ein Recht der Nachbarn auf Teilnahme am behördlichen Feststellungsverfahren als Partei oder auf Antragstellung wurde den betroffenen Nachbarn durch die UVP-Gesetzesnovelle 2016 nicht eingeräumt.

23       4.2. Vorauszuschicken ist, dass eine der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision ist, dass die verfahrensgegenständliche Revisionsentscheidung, von der Lösung der in der Zulässigkeitsbegründung geltend gemachten Rechtsfragen abhängt.

24       In Hinblick auf die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages ist festzuhalten, dass unstrittig festgestellt wurde, dass der UVP-Feststellungsbescheid nicht nur via Internet, sondern auch in analoger Form - durch Anschlag - bei den betroffenen Gemeinden, insbesondere auch bei der Standortgemeinde des Zweitrevisionswerbers kundgemacht wurde. Inwiefern daher die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtstattgabe des Wiedereinsetzungsantrages von der Lösung der Rechtsfrage abhängig sein sollte, welche Auswirkungen es habe, dass dem Zweitrevisionswerber ein Internetzugang nicht zur Verfügung stehe, ist angesichts der alternativen Möglichkeit der Kenntnisnahme von dem Feststellungsbescheid nicht nachvollziehbar.

25       Hinsichtlich der übrigen Nachbarn ist darauf hinzuweisen, dass Beschwerdegegenstand des angefochtenen Beschlusses lediglich die Frage der Rechtzeitigkeit der erhobenen Beschwerden der Revisionswerber ist. Hinsichtlich der Frage der Nichteinhaltung der vierwöchigen Beschwerdefrist des § 40 Abs. 3 UVP-Gesetz 2000 bringt die Zulässigkeitsbegründung nichts vor. Die von der Revision in der Zulässigkeitsbegründung angesprochene Frage der Parteistellung der Revisionswerber wird indes durch den angefochtenen Beschluss, mit dem die Beschwerden als verspätet zurückgewiesen wurden, nicht behandelt und ist daher für die Entscheidung über den in Revision gezogenen Beschluss nicht von Relevanz. Auch diese Rechtsfrage kann daher die Zulässigkeit der Revision nicht begründen.

26       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

27       Nach § 30a Abs. 7 in Verbindung mit § 36 Abs. 1 VwGG hat im Fall einer außerordentlichen Revision der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren zu führen und die Parteien zur Einbringung einer Revisionsbeantwortung aufzufordern. Eine solche Aufforderung ist im vorliegenden Fall seitens des Verwaltungsgerichtshofes nicht ergangen, weil die außerordentliche Revision zurückgewiesen wird. Der Ersatz der Kosten für die seitens der mitbeteiligten Partei erstattete Revisionsbeantwortung konnte daher nicht zugesprochen werden (vgl. etwa VwGH 3.7.2015, Ra 2015/03/0041, mwN).

Wien, am 12. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021040175.L00

Im RIS seit

30.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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