TE Vwgh Erkenntnis 1996/11/19 96/08/0025

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Veröffentlicht am 19.11.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs6 lite idF 1995/297;
AlVG 1977 §12 Abs6;
AlVG 1977 §36a Abs5 idF 1995/297;
AlVG 1977 §36b Abs2 idF 1995/297;
AlVG 1977 §36c Abs6 idF 1995/297;
AVG §13a;
AVG §45 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des Dr. M in G, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 14. Dezember 1995, Zl. LA 2/7022/B - Dr. J/Fe, VSNr.: 4729 16 07 44, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte am 18. September 1995 unter Verwendung des amtlich aufgelegten Formblattes den Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld. Nach der vorgelegten Arbeitsbescheinigung sei der Beschwerdeführer vom 1. August 1994 bis 31. August 1995 bei seiner Ehegattin arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Laut Antrag sei er selbständig erwerbstätig und sei die Gewerbeberechtigung weder zurückgelegt noch das Ruhen des Gewerbes angemeldet worden. Der Beschwerdeführer wurde daraufhin aufgefordert, bis spätestens 25. September 1995 "EK-Bescheide, Gewerbescheine, Gesellschaftsverträge, EK-Erklärung" vorzulegen. Offenbar fristgerecht wurden vom Beschwerdeführer folgende Urkunden in Fotokopie vorgelegt:

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Gewerbeschein des Beschwerdeführers, ausgestellt vom Magistrat Graz, Gewerbeamt, am 3. Juli 1985,

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Gewerbeschein der R-GmbH, ausgestellt vom Magistrat Graz, Gewerbeamt, am 19. November 1985,

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Notariatsakt vom 10. September 1985 über die Errichtung der R-GmbH mit Sitz in G,

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beglaubigte Abschrift aus dem Handelsregister Abteilung B, betreffend diese Gesellschaft,

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Notariatsakt vom 21. Mai 1990 über die Abtretung des Geschäftsanteiles des A an C,

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Notariatsakt vom 21. Mai 1990 über die Abtretung des Geschäftsanteiles des N an Y,

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Notariatsakt vom 21. Mai 1990 über die Generalversammlung der R-GmbH, wonach die Firma dieser Gesellschaft in N-GmbH geändert wird,

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Notariatsakt vom 21. Mai 1990 betreffend Anbot auf Abtretung des Geschäftsanteiles des J,

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Jahresausgleichsbescheid 1992, Berichtigung gemäß § 293 BAO vom 27. Juni 1994 betreffend den Beschwerdeführer,

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Bescheid über die Einkommensteuer für das Jahr 1993 betreffend C.

Mit Schreiben vom 24. Oktober 1995 forderte das Arbeitsmarktservice Graz den Beschwerdeführer auf, zu einem bestimmten Termin vorzusprechen und folgendes mitzubringen:

"1.

Auszüge aus dem Handelsregister der Firma N-GmbH und Firma

C,

2.

Notariatsakt 508 und 510 (Abtretungsvertrag zwischen Ihnen und Herrn J),

3.

Letzte Einkommens- und Umsatzsteuerbescheide aus der N-GmbH von Ihnen und Ihrer Gattin,

4.

Geänderter Gesellschaftsvertrag vom 10.9.1985."

Am 2. November 1995 nahm das Arbeitsmarktservice Graz mit dem Beschwerdeführer folgende Niederschrift auf:

"Ich gebe dem AMS Graz bekannt, daß ich zwanzig Prozent der Anteile der N-GmbH halte. Ich bin der gewerberechtliche und der handelsrechtliche Geschäftsführer der N-GmbH, bei der Firma C Handelsagentur war ich angestellt. Die Anteile meines Sohnes J habe nicht ich übernommen, sondern mein zweiter Sohn Y, der bei der N-GmbH beschäftigt ist. Ich werde meinen letztgültigen EK-Steuerbescheid nachreichen, einen geänderten Gesellschaftsvertrag gibt es zur Zeit noch nicht (liegt noch beim Notar)."

Am 9. November 1995 langte beim Arbeitsmarktservice Graz eine Kopie des Jahresausgleichsbescheides 1992, Berichtigung gemäß § 293 BAO vom 27. Juni 1994 betreffend den Beschwerdeführer ein.

Mit Bescheid vom 14. November 1995 gab das Arbeitsmarktservice Graz dem Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 12 AlVG mangels Arbeitslosigkeit keine Folge. In der Begründung wurde nach Wiedergabe des § 7 Abs. 1 Z. 1, § 12 Abs. 1, § 12 Abs. 3 lit. b und § 12 Abs. 6 lit. c AlVG ausgeführt, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß der Beschwerdeführer sowohl handelsrechtlicher als auch gewerberechtlicher Geschäftsführer der N-GmbH sei und Arbeitslosigkeit somit nicht vorliege.

Der Beschwerdeführer erhob eine (als Einspruch bezeichnete) Berufung. Er führte aus, daß er (nachweisbar) sowohl als handelsrechtlicher als auch als gewerberechtlicher Geschäftsführer der Firma N-GmbH absolut kein Einkommen habe. Weiters wies er in der Berufung darauf hin, daß er bei der Firma C, Handelsagentur angestellt gewesen sei und nicht bei der Firma N-GmbH.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung keine Folge. In der Bescheidbegründung wird nach Anführung der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen und Wiedergabe des bisherigen Verwaltungsgeschehens ausgeführt, es sei unbestritten, daß der Beschwerdeführer an der N-GmbH, die ursprünglich unter der Firma R-GmbH aufgetreten sei und deren Stammkapital S 500.000,-- betrage, eine Stammeinlage von S 100.000,-- halte, was einem 20%igem Anteil entspreche und er deren handels- und gewerberechtlicher Geschäftsführer sei. Bis 31. Juli 1994 sei der Beschwerdeführer zur N-GmbH, Importgroßhandlung, Handelsagentur mit Konfektionszubehör am Standort G, in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden, ab 1. August (ergänze: 1994) bestehe im Rahmen dieser Ges.m.b.H. eine GSVG-Pflichtversicherung. Vom 1. August 1994 bis 31. August 1995 sei er in einem Beschäftigungsverhältnis zu C (seiner Ehefrau), Handelsagentur-Inhaberin, ebenfalls am Standort G gestanden. Trotz Einladung dazu (Schreiben der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Graz vom 24. Oktober 1995), die zu einer Vorsprache des Beschwerdeführers am 2. November 1995 geführt habe, lasse sich die Firmenkonstruktion nicht nachvollziehen und lägen insbesondere hinsichtlich der Gestion der N-GmbH einschließlich deren steuerrechtlicher Auswirkung keine Angaben oder Nachweise vor. In der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, daß eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld das Vorliegen von Arbeitslosigkeit sei. Jemand, der selbständig erwerbstätig sei, sei grundsätzlich nicht arbeitslos. Als Gesellschaftergeschäftsführer der N-GmbH könne mit der Behauptung, daß er bei dieser Gesellschaft nicht angestellt sei oder gewesen sei, nicht das Auslangen gefunden werden, weil diese Tätigkeit auch selbständig ausgeübt werden könne. Zur Beurteilung der selbständigen Erwerbstätigkeit sei die Vorlage entsprechender Nachweise wie beispielsweise der Steuerbescheide erforderlich. Nachdem solche nicht vorgelegt worden seien, sei aus dieser Hinsicht Arbeitslosigkeit und damit eine der Voraussetzungen für den Bezug des Arbeitslosengeldes nicht gegeben. Insgesamt erweise sich die durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Graz vorgenommene rechtliche Beurteilung als zutreffend, sodaß die Berufung abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid aus, daß sich die rechtliche Beurteilung der Behörde erster Instanz als zutreffend erweise und daher die Berufung abzuweisen sei. Die Behörde erster Instanz stützte die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes aber einzig und allein darauf, daß der Beschwerdeführer handelsrechtlicher und gewerberechtlicher Geschäftsführer der N-GmbH sei. Diese Beurteilung ist jedoch, ausgehend von den unbestrittenen Sachverhaltsannahmen, verfehlt. Es ist nicht strittig, daß der Beschwerdeführer neben dem Beschäftigungsverhältnis, an das zuletzt seine Arbeitslosenversicherungspflicht anknüpfte, schon seit mehr als einem Jahr selbständig erwerbstätig war. Die Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers nach § 12 Abs. 1 AlVG war aber nicht schon deshalb zu verneinen, weil und solange er nicht auch diese selbständige Beschäftigung beendet hat. Er galt vielmehr trotz dieser selbständigen Beschäftigung als arbeitslos, wenn, bzw. solange die Voraussetzungen des - im Beschwerdefall bereits anzuwendenden - § 12 Abs. 6 lit. e AlVG vorlagen (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0148, m.w.N.). Es wäre daher sachverhaltsbezogen im Sinne des § 12 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 3 lit. b und Abs. 6 lit. e AlVG zu ermitteln gewesen, ob der Beschwerdeführer als geschäftsführender Gesellschafter ein Einkommen gemäß § 36a AlVG erzielt, das die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG angeführten Beträge übersteigt, oder ob 11,1 v.H. des aufgrund seiner Anteile aliquotierten Umsatzes der Gesellschaft (deren geschäftsführender Gesellschafter er ist) die in der genannten Gesetzesstelle angeführten Beträge übersteigt. Die Behörde erster Instanz hat zwar ein darauf abzielendes Ermittlungsverfahren abgeführt (vgl. die Rückstellung des Antrages vom 18. September 1995 sowie den Auftrag vom 24. Oktober 1995), jedoch die Ergebnisse bzw. Nichtbefolgung dieser Aufträge ihrem Bescheid nicht zugrundegelegt.

Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung nicht nur den (auch in erster Instanz) unbestrittenen Sachverhalt, daß der Beschwerdeführer als geschäftsführender Gesellschafter (20 %) an der N-GmbH nach dem GSVG pflichtversichert ist und vom 1. August 1994 bis 31. August 1995 in einem Beschäftigungsverhältnis zu C gestanden ist, zugrundegelegt, sondern auch darüber hinaus festgestellt, daß der Beschwerdeführer den Aufforderungen der Behörde erster Instanz nach Vorlage der Einkommensteuerbescheide aus dieser Tätigkeit und der Umsatzsteuerbescheide der Ges.m.b.H., deren geschäftsführender Gesellschafter er ist, nicht nachgekommen ist. Die belangte Behörde hat daher einen anderen Versagungsgrund - nämlich § 36c Abs. 6 AlVG - herangezogen als die Behörde erster Instanz. Darauf weist der Beschwerdeführer zutreffend hin. Wenn aber die Berufungsbehörde den Versagungsgrund gegenüber dem Bescheid der Vorinstanz ändert, ist sie verpflichtet, dies dem Beschwerdeführer gemäß § 13a AVG vorzuhalten (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 Abs. 3 E Nr. 68). Da die belangte Behörde kein eigenes Ermittlungsverfahren in bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 12 Abs. 6 lit. e (i.d.F. BGBl. Nr. 297/1995) AlVG führte, war sie auch nicht berechtigt, die an die Nichtbefolgung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens nach § 36a Abs. 5 und 36b Abs. 2 AlVG geknüpfte Folge ihrem Bescheid zugrundezulegen. Die Nichtbefolgung der Aufforderung durch die Behörde erster Instanz vom 24. Oktober 1995 durch den Beschwerdeführer konnte demnach nicht zum Eintritt der Säumnisfolgen des § 36c Abs. 6 AlVG führen.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß Stempelgebühren nur im erforderlichen Ausmaß (Beschwerde dreifach S 360,-- und Beilagen zweifach S 120,--) zuzusprechen waren.

Schlagworte

Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996080025.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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