TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/16 W226 2126254-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.08.2021
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Entscheidungsdatum

16.08.2021

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W226 2126260-3/3E
W226 2126254-4/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX und 2. XXXX , geb. XXXX , angebliche StA: Ukraine, vertreten durch BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, vom 09.06.2021, Zlen. 1.) 1051469607-210451690 und 2.) 1051469705-210451665, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß § 58 Abs. 10 AsylG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Das Vorbringen der Beschwerdeführer steht in einem derartigen Zusammenhang bzw. ist soweit miteinander verknüpft, dass die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens aller Beschwerdeführer abzuhandeln war. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers (BF2). Gemeinsam werden sie als die „BF“ bezeichnet.

Erstes Asylverfahren:

1. BF1 und BF2, Staatsangehörige der Ukraine, reisten am 06.02.2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag wurde BF1 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gab sie an, ukrainische Staatsangehörige und der russischen Volksgruppe zugehörig zu sein. Zu den Fluchtgründen brachte sie vor, dass in der Ukraine Bürgerkrieg herrsche und die russische Armee die Stadt ständig bombardiere. Sie sei von bewaffneten Männern nach dem geschiedenen Mann gefragt worden, wo er sei und auf welcher Seite er kämpfe. Der Sohn habe ständig geweint. BF1 sei bedroht worden, getötet zu werden.

2. Am 16.02.2016 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, dass sie seit dem Jahr 2014 geschieden sei, jedoch keine diesbezüglichen Unterlagen habe. Zuletzt habe sie in ihrer Heimatstadt als Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft gearbeitet und in einer Mietwohnung gelebt. Ihre Eltern seien bereits verstorben. Im Fall der Rückkehr in die Ukraine könne sie nicht mehr an der Wohnadresse oder bei Verwandten wohnen, auch in Österreich habe sie aber keine Familienangehörigen. Auf einem kleinen Markt in ihrer Heimatstadt hätten zwei Männer zu ihr gesagt, dass sie für 1.500 US-Dollar BF1 und den Sohn nach Europa bringen würden. Dann habe sie den Schmuck verkauft, mit diesem Geld und dem ersparten Geld habe sie die Flucht finanziert.

Die BF1 schilderte in weiterer Folge, dass im Juni, Juli und August 2014 in der Ukraine der Krieg ausgebrochen sei, in dieser Zeit sei sie mit dem Kind immer zu einem Bunker unterwegs gewesen. Auf diesem Weg habe sie auch den Inlandspass verloren und sei es im Herbst 2014 ruhiger geworden. Im Oktober 2014 sei die neue Regierung an die Macht gekommen und diese habe gesagt, dass sie die Heimatstadt der BF1 kontrollieren werde. Polizisten und Sicherheitsbehörden seien einfach geflüchtet, die Geschäfte seien zu gewesen. Es sei weder Russland noch Ukraine gewesen, da die Heimatstadt in der Mitte gelegen sei. Immer habe sie mit der Angst leben müssen. Im November 2014 seien zwei Personen in Militäruniform zu ihr in die Wohnung gekommen und hätten nach dem geschiedenen Mann gefragt. Die Männer hätten wissen wollen, auf welcher Seite er kämpfe. Die BF1 habe den Männern gesagt, dass sie das nicht wisse und seit einem Jahr nicht mehr mit ihrem Mann zusammenlebe. Sie seien geschieden und wisse sie nicht, was der geschiedene Mann mache. Sie sei von einem dieser zwei Männer mit einer Pistole bedroht worden: er würde sie töten, sollte sie nicht die Wahrheit sagen. Dies habe sich mehrmals wiederholt und einmal hätten sie ihr sogar ins Gesicht geschlagen, vor den Augen des BF2. Bis heute habe die BF1 deshalb Angst, BF2 habe mit seinen Spielsachen nach diesen Männern geworfen. Sie habe deshalb entschieden, zu fliehen, um das gemeinsame Leben zu schützen. Sie wolle, dass ihr Kind ein ruhiges und normales Leben führt. Der BF2 habe angefangen zu stottern und sie habe befürchtet, dass es schlimmer werden könne.

Auf die Frage, warum sie nicht mit dem BF2 in einen westlicheren, sicheren Teil der Ukraine gezogen sei, zumal sie dort auch keine sprachlichen Probleme hätte, führte die BF1 aus, dass sie sich für Europa entschieden habe, weil es hier sicherer sei. In der Ukraine habe sie sich niemals politisch betätigt und sei auch niemals Mitglied einer Partei gewesen. Zu wem konkret die beiden uniformierten Männer gehört hätten, wisse sie nicht, sie habe auch nicht danach gefragt, weil es zu gefährlich gewesen sei. Abgesehen von den bisherigen Schilderungen habe sie keine weiteren Befürchtungen. Die BF1 führte nochmals aus, sich niemals in der Ukraine politisch betätigt zu haben, sie sei auch niemals strafgerichtlich verurteilt worden, habe niemals mit Verwaltungsbehörden Probleme gehabt. Es hätten auch keine Übergriffe gegen ihre Person stattgefunden, sie sei auch niemals wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer gezielten Verfolgung ausgesetzt gewesen. Auch sonst habe sie niemals Probleme mit ukrainischen Behörden oder der Polizei gehabt.

Darüber hinaus führte BF1 zu ihrem sozialen Umfeld in Österreich aus, dass sie gerne in der Altenpflege arbeiten würde, weil sie ihre verstorbenen Eltern sehr vermisse und diese Arbeit ihr helfen würde, über diesen Schmerz hinwegzukommen.

3. Mit Bescheiden des BFA vom 11.04.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF vom 06.02.2015 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

In rechtlicher Hinsicht verneinte die belangte Behörde, dass eine asylrelevante individuelle Gefährdung der BF vorliege. Spruchpunkt II. wurde dahingehend begründet, dass in der gesamten Ukraine derzeit keine extreme Gefährdungslage herrsche, durch die praktisch jeder Bewohner im Falle einer Rückkehr einer Verletzung der durch Artikel 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. BF1 sei gesund und arbeitsfähig. Zu Spruchteil III. führte die belangte Behörde aus, dass die BF keine Verwandten in Österreich haben, somit sei kein Eingriff in das Familienleben gegeben. Sie seien erst kurze Zeit im Bundesgebiet sowie illegal eingereist und hätten den Großteil des Lebens in der Ukraine verbracht. Auf Grund einer Gesamtabwägung der Interessen ergebe sich, dass der Eingriff in das Privatleben der BF gerechtfertigt sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

4. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.02.2017, Zlen. W226 2126260-1/11E und W226 2126254-1/4E, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.10.2016, als unbegründet abgewiesen. In der Beweiswürdigung zum individuellen Vorbringen und zur Identität wurde dabei folgendes ausgeführt:

„Wie bereits die belangte Behörde hat auch das erkennende Gericht massive Zweifel an der Identität der beiden Beschwerdeführer. Die BF1 hat sowohl vor der belangten Behörde, als auch vor dem erkennenden Gericht keinerlei Dokumente vorgelegt, welches die tatsächliche Identität belegen würde. Für das erkennende Gericht ist es jedoch nicht nachvollziehbar, warum der BF1 in Zeiten moderner Telekommunikation die Vorlage irgendwelcher Bescheinigungs- oder Beweismittel, um zumindest die eigene Identität glaubhaft machen zu können, nicht möglich sein sollte.

Sowohl vor der belangten Behörde als auch vor dem erkennenden Gericht beharrt die BF1 darauf, dass sie zum Vater des BF2, dem angeblich geschiedenen ehemaligen Ehegatten, seit der Scheidung vor einem Gericht in der Stadt XXXX Anfang 2014 keinerlei Kontakt mehr haben will. Unabhängig davon, dass dies auch in der Ostukraine im Jahr 2014 eine seltsame Vorgangsweise ist, mit dem einzigen Verwandten des eigenen Kindes keinerlei Abmachungen zu treffen, wie dessen Unterhalt gesichert wird bzw. wie in dringenden Fällen Kontakt zum Kindesvater aufgenommen werden könnte, ist evident, dass die BF1 sämtliche Angaben zur Verifizierbarkeit relativ stereotyp beantwortet: So führt die BF1 aus, dass sowohl der Vater, als auch die Mutter bereits verstorben sein sollen, dazu kommt, dass sie das einzige Kind aus dieser Ehe gewesen sein will und sollen auch die beiden Elternteile angeblich beide Waisenkinder gewesen sein, dies ohne jegliche Geschwister. Dies mag im Ergebnis eine denkbare Konstellation sein, dass die BF1 die Eltern bereits verloren hat und die Eltern selbst keinerlei Verwandte hatten, zu dieser seltsamen Konstellation, die das Fehlen jeglicher Kontaktaufnahme zu anderen Verwandten bewirken würde, kommt jedoch, dass auch zum Kindesvater, somit zum Vater des BF2, angeblich überhaupt kein Kontakt bestehen soll und verweigert die Beschwerdeführerin auch alle Fragen, ob sie nicht beispielsweise nach einem jahrzehntelangen Aufenthalt in der Ostukraine Freunde oder Berufskollegen haben könnte damit, dass diese nicht mehr erreichbar seien, weil sie ebenfalls die Ukraine verlassen hätten.

Auffallend ist weiters, dass die BF1 die Frage nach Dokumenten im Zuge der Beschwerdeverhandlung dahingehend zurückweist, dass sie angeblich alle Dokumente „gleichzeitig verloren“ haben will, sie somit überhaupt kein einziges Dokument habe, welches ihre Identität belegen würde. Auf nähere Nachfrage schildert die Erstbeschwerdeführerin dann jedoch, dass diese Dokumente alle gleichzeitig bei einem „Durcheinander“ verloren gegangen seien, sie jedoch heute nicht mehr wisse, ob diese Dokumente von ihr in einem Luftschutzbunker in der Ostukraine zurückgelassen worden sein sollen, ob diese Dokumente zu Hause gelassen wurden oder ob sie diese Dokumente möglicherweise „unterwegs“ verloren hätte. Diese Angaben erscheinen dem erkennenden Gericht höchst konstruiert, genauso die Angaben zur Reisebewegung.

Für das erkennende Gericht ist nicht zur Gänze nachvollziehbar, dass man im Februar 2015 in der von der BF1 geschilderten Art und Weise von einem Markt in einer ostukrainischen Stadt mit einem Schlepper bis Österreich gelangen könnte, ohne bei dieser Fahrt auch nur eine einzige Grenzüberquerung, Grenzkontrolle etc. wahrgenommen zu haben. Gerade vor dem Hintergrund, dass es im Februar 2015 zwischen den Separatistengebieten und der West-Ukraine eine gut bewachte Waffenstillstandslinie gegeben haben muss, ist eine Reisebewegung aus dem östlichsten Teil der Ukraine bis Österreich nur dahingehend zu erklären, dass entweder über den Umweg über die Russische Föderation oder aber durch die Westukraine der Weg in die Europäische Union gewählt wurde. Dabei müssen jedoch jedenfalls entweder zahlreiche militärische Kontrollpunkte passiert worden sein oder aber – davon ausgehend, dass die Reise tatsächlich in einem Kleinbus stattgefunden hat – Fahrten über diverse Anrainerstaaten und anschließend etwa über Polen etc. stattgefunden haben.

Zu all diesen Aspekten hat die Beschwerdeführerin einzig stereotyp geantwortet, keine Kontrollen bemerkt zu haben, nur wegen der Toilette fallweise das Auto verlassen zu haben.

Als Zwischenergebnis ist somit festzustellen, dass die Beschwerdeführerin jeglichen Nachweis für ihre eigene Identität schuldig geblieben ist, ebenso für den BF2, wobei nicht zur Gänze nachvollziehbar ist, warum beispielsweise sämtliche Dokumente für beide Personen bei allfälligen kriegerischen Handlungen in einen Luftschutzbunker mitgenommen werden müssten bzw. warum die BF1 nicht wissen will, ob sie nicht vielleicht doch sämtliche Dokumente zu Hause zurückgelassen hat. Es ist somit höchst fraglich, ob die BF die von ihnen angegebene Identität besitzen und tatsächlich aus einem umkämpften Teil der Ost-Ukraine stammen, wie im Asylverfahren behauptet wurde.

Diese Zweifel werden auch dadurch bestärkt, als die BF1 beispielsweise im Zuge der Erstbefragung, somit im Februar 2015, die Behauptung aufstellt, dass ihre Heimatstadt, welche sich seit Sommer 2014 durchgehend unter der Kontrolle der aufständischen Separatisten befand, „ständig von der russischen Armee bombardiert wurde.“(AS 13).

Ihre Heimatstadt XXXX werde bis zum heutigen Tag bombardiert und hätten sie somit bis Februar 2015 in den Schutzbunker fliehen müssen. Dieses Vorbringen erscheint dem erkennenden Gericht nicht nachvollziehbar, zumal nicht erklärbar ist, warum die russische Luftwaffe bzw. Armee die Grenzstadt XXXX noch im Februar des Jahres 2015 unter Beschuss nehmen sollte, haben sich doch ab Sommer 2014 ukrainische Sicherheitskräfte aus dieser Region längst zurückgezogen. Die Angaben der BF1 würden bedeuten, dass die russische Armee gegen russische Separatisten in der Ost-Ukraine in einem dauerhaften Konflikt wären und werden die Zweifel an den diesbezüglichen Angaben auch dadurch bestärkt, als die BF1 im Zuge der Beschwerdeverhandlung ausführt, dass sie im Herbst 2014 nicht einmal erkannt hätte, ob die Männer, die nach dem geschiedenen Ehegatten zu Hause gesucht haben sollen, Russen oder Ukrainer waren. Warum jedoch im Spätherbst 2014 in einer Grenzstadt zur Russischen Föderation eine Einheimischer Zweifel darüber haben sollte, ob es sich bei Personen, die uniformiert durch XXXX marschieren, um russische Separatisten oder um Mitglieder der ukrainischen Armee handelt, dies ist nicht nachvollziehbar, sind doch ukrainische Sicherheitskräfte wie dargestellt zu diesem Zeitpunkt sicher seit längerer Zeit nicht mehr in jenen Teilen der Region XXXX aufhältig gewesen, können demzufolge auch niemals im Herbst 2014 nach dem geschiedenen Gatten gefragt haben.

Auch die sonstigen Angaben der BF1 zu ihrem Aufenthalt in der im Osten der Ukraine gelegenen Region XXXX bzw. zur Stadt XXXX selbst waren höchst allgemein und im Ergebnis solche, die jeder ukrainische Staatsbürger tätigen könnte, der jemals in seinem Leben etwa in einem Buch oder Einträge im Internet über diese Region gelesen hat. Die BF1, die nach Angaben in der Erstbefragung in der Stadt XXXX eine Ausbildung in einem College absolviert haben will, konnte im Zuge der Beschwerdeverhandlung beispielsweise zu ihrem dortigen Vorleben weder angeben, warum gerade in der Stadt XXXX sie geschieden worden sein soll, bzw. vor welcher Gerichtsabteilung dies in XXXX passiert sein soll und wie der entscheidende Richter geheißen hätte. Die BF1 war weiters nicht in der Lage, den zweiten Fluss zu nennen, der durch XXXX fließt bzw. sind auch die vier von der BF1 genannten Bezirksteile der Stadt XXXX bei einem Vergleich mit den Angaben in WIKIPEDIA nicht zutreffend. Da die BF1 im Zuge der Beschwerdeverhandlung angegeben hat, sich gerne Sehenswürdigkeiten von XXXX anzusehen und sich sehr für Kirchen zu interessieren, wurde sie beispielsweise weiters gefragt – erneut nach Studium von WIKIPEDIA –Einträgen - wie denn die bekanntesten orthodoxen Kirchen in XXXX heißen würden und konnte die BF1 auch diese Angaben nicht tätigen. Wenn die BF1 aber von ihrer Bezirksstadt, in der sie angeblich auch gelebt haben will im Zuge der Ausbildung, bei welcher sie auch bestimmte Behördenwege wahrgenommen haben will, nicht einmal die imposantesten und wichtigsten Gebäude nennen kann und auch sonstige Sehenswürdigkeiten ( XXXX Bücherei etc.), die für die Stadt XXXX im Internet die Sehenswürdigkeiten angepriesen werden, schlichtweg nicht erkannt hat, dann ist im Ergebnis nicht mit der erforderlichen Gewissheit anzunehmen, dass die BF1 und ihr Sohn tatsächlich aus diesem Teil der Ostukraine stammen.

Im Ergebnis kann zur Person der beiden Beschwerdeführer somit einzig festgehalten werden, dass diese angesichts ihrer Sprachkenntnisse möglicherweise der russischen Volksgruppe aus der Ukraine angehören, scheinbar stammen sie jedoch nicht aus der Region XXXX , sondern aus einem anderen Landesteil, den sie nicht preisgeben wollen.

Führt man sich nunmehr das etwas stereotyp anmutende Vorbringen der BF1 vor Augen, ist evident, dass ein vergleichbares Vorbringen praktisch von jedem Bewohner der Ukraine erstattet werden könnte, dass er nämlich aus einem Teil der Ostukraine stammt, in dem Separatisten die Staatsgewalt vertrieben haben und dass diese unbedingt wissen wollen, auf welcher Seite der eigene ehemalige Ehegatte lebt. Wie bereits die belangte Behörde hat auch das erkennende Gericht an die BF1 die logische Frage gestellt, warum sie die angeblich erschienenen bewaffneten Männer nicht danach gefragt hat, warum sie nicht einfach die Nachbarn befragen, um herauszufinden, dass der eigene Ehegatte seit längerer Zeit nicht mehr an dieser Adresse aufhältig ist. Der BF1 wäre bei Zutreffen ihrer Angaben auch möglich gewesen, die erschienenen Männer darauf hinzuweisen, dass bei einem Bezirksgericht in XXXX (bei welchem angeblich eine Scheidung im Frühjahr 2014 erfolgt sein soll) nähere Angaben zum geschiedenen Gatten und Kindesvater des BF2 aufscheinen müssten, sodass im Bereich der Rebellen, nämlich in der Stadt XXXX , schriftliche Unterlagen über die Person des verschwundenen Ehegatten existieren müssten. Warum vor diesem Hintergrund die BF1 dies nicht gesagt hat bzw. warum die uniformierten Männer mehrmals mit immer der gleichen Fragestellung erschienen sein sollen, dies erscheint dem erkennenden Gericht nicht sehr nachvollziehbar.

In Summe kommt das erkennende Gericht somit zum klaren Ergebnis, dass die BF1 – möglicherweise nach einer Trennung und damit einhergehenden privaten Problemen vom Kindesvater – beschlossen haben könnte, durch Ausreise in die Europäische Union bzw. nach Österreich einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, wobei sie sich eines Vorbringens bedient haben dürfte, der in der vorgetragenen Form keinesfalls der Wahrheit entspricht. Das erkennende Gericht kommt somit zum klaren Ergebnis, dass die BF1 aus guten Gründen die Vorlage irgendwelcher Dokumente verweigert. Dies wird auch durch die ursprünglichen Angaben der BF1 verstärkt, als diese eine eher zufällige Entscheidung zur Abreise aus der Ukraine schildert (Erstbefragung, Seite 11: „Ich bin in XXXX zum Markt gegangen. Dort standen zwei Männer, die den Menschen die Reise nach Europa angeboten haben. Ich stimmte zu und diese Männer organisierten die weitere Reise.“)

Wenn die BF1 jedoch eher zufällig auf einem Markt ihrer Heimatstadt auf die Möglichkeit angesprochen worden sein will, für den Preis von 1.500 Euro in die Europäische Union zu gelangen und wenn sie in weiterer Folge noch die Organisation dieser Ausreise durch Verkauf von Schmuck etc. in Angriff genommen haben will, dann sind in weiterer Folge die Angaben der BF1, dass sie gar nicht mehr weiß, wann und wo bzw. bei welcher Gelegenheit alle personenbezogenen Dokumente verschwunden sind, nicht nachvollziehbar. Bei Zutreffen der Angaben der BF1 über die Umstände der Kontaktaufnahme zu den Schleppern wäre vielmehr davon auszugehen, dass die BF1 nach Hause zurückkehrt, dort die finanziellen Dinge regelt und sich auch mit der Frage befasst, ob im Februar 2015 Dokumente existieren, die sie für die Reise nach der Europäischen Union für sich und den Sohn mitnehmen sollte oder nicht. Wie die BF1 dann in weiterer Folge im Verfahren behaupten kann, dass sie gar nicht weiß, ob im Februar 2015 Dokumente noch existiert haben, bzw. ob sie diese Dokumente erst später auf der Reise mit den Schleppern verloren hätte, dies alles erscheint höchst konstruiert.

Wenn man den Beschwerdeführern jedoch nicht glaubt, dass sie aus einem Teil der von Separatisten besetzten Region in der Ostukraine stammen und wenn man auch das individuelle Vorbringen der BF1 nicht glaubt, dann gibt es keinen vernünftigen Grund, warum die BF1 nicht gemeinsam mit dem Sohn in den Herkunftsstaat Ukraine zurückkehren sollte. Die BF1 wurde nämlich – abgesehen von den behaupteten Problemen mit uniformierten Männern in der Ostukraine – auch mehrfach danach befragt, ob sie andere Probleme hätte, seien es politische oder Probleme mit Polizei aus anderen Gründen. All diese Fragen hat die BF1 wie dargestellt mehrfach verneint, sie will niemals mit ukrainischen Behörden, Gerichten oder Polizei mit Ausnahme der Ereignisse in der Ostukraine nach Kriegsbeginn irgendwelche Probleme gehabt haben.“

Es wurde somit begründend festgehalten, dass Zweifel an der Identität der BF bestehen, zumal BF1 – trotz der Verfügbarkeit moderner Telekommunikationsmittel – keinerlei Dokumente vorgelegt hat. Selbiges gelte für die Familienangehörigen der BF im Herkunftsstaat. So sei nicht davon auszugehen, dass sowohl BF1, als auch ihr ehemaliger Ehemann, Waisen seien und dass BF1 auch den Kontakt zu diesem, dem Kindesvater, komplett abgebrochen hätte. Die Angaben von BF1 hinsichtlich ihrer Identität, zu den Verwandten im Herkunftsstaat und zur Reise nach Österreich würden dem Gericht höchst konstruiert erscheinen. Auch habe sie nicht nachvollziehbar erklären können und sei auch nicht erklärbar, warum die russische Luftwaffe bzw. Armee die Grenzstadt XXXX noch im Februar des Jahres 2015 unter Beschuss hätte nehmen sollen, wenn sich die ukrainischen Sicherheitskräfte ab Sommer 2014 aus dieser Region längst zurückgezogen haben. Auch seien die sonstigen Schilderungen zum Herkunftsort höchst vage gewesen, weshalb nicht davon auszugehen sei, die BF würden aus der Ostukraine stammen. Doch selbst bei Wahrunterstellung sei das Vorbringen der BF sehr abstrakt vorgebracht worden und überdies logisch nicht nachvollziehbar gewesen. Auch gebe es keinen Grund, wieso den BF eine Rückkehr in die Ukraine, fernab der umkämpften Gebiete in der Ostukraine, nicht möglich sein sollte und sie in eine ausweglose Situation geraten würden. Auch angesichts der im Rahmen der Beschwerdeverhandlung erörterten Rückkehrprojekte, etwa dargestellt in "UNHCR-Operational Update, September 2016", sei davon auszugehen, dass die BF1 und ihr Sohn – unabhängig vom Wahrheitsgehalt ihrer Angaben über ihren tatsächlichen Herkunftsort – in der Lage sein würden, zumindest vorübergehend in zahlreichen "Collective-Centres" Unterkunft zu nehmen, die nach den eingesehenen Dokumenten in größerer Anzahl für Binnenvertriebene existieren und von staatlichen, nicht staatlichen Organisationen und UNHCR geführt und betrieben werden. Dass der völlig unpolitischen BF1 aus individuellen Gründen eine existierende Notversorgung in temporären Unterkünften sowie die Ausstellung von Dokumenten verwehrt würde, sei nicht zu Tage getreten. Schließlich sei kein Sachverhalt hervorgekommen, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe, dass die angefochtenen Bescheide einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben der BF darstelle.

5. Die dagegen eingebrachte Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 12.01.2018, Zl. Ra 2017/18/0298-0299-6, zurückgewiesen.

6. Mit Ladungsbescheid des BFA vom 14.03.2017 wurde BF1 zu einer Einvernahme hinsichtlich der Erlangung eines Heimreisezertifikates für den 30.03.2017 geladen, welcher sie Folge geleistet hat, jedoch sich im Rahmen dieser geweigert hat, ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht nachzukommen.

7. Mit Ladungsbescheid des BFA vom 05.05.2017 wurde BF1 erneut zu einer Einvernahme hinsichtlich der Erlangung eines Heimreisezertifikates für den 01.06.2017 geladen.

8. Die am 30.05.2017 gegen den Ladungsbescheid des BFA vom 05.05.2017 erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.10.2017, Zl. W226 2163565-1/2E, als unbegründet abgewiesen. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13.12.2017, Zl. E 4052-4053/2017-5 abgelehnt.

9. Mit Schriftsatz vom 17.11.2017 wurde vom rechtsfreundlichen Vertreter von BF1 außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.10.2017, Zl. W2262163565-1/2E beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, welche mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.12.2017, Zl. Ra2017/21/0235 zurückgewiesen wurde.

10. Mit Ladungsbescheid des BFA vom 05.10.2017 wurde BF1 erneut zu einer Einvernahme hinsichtlich der Erlangung eines Heimreisezertifikates für den 30.10.2017 geladen. Dagegen wurde Beschwerde erhoben.

11. Am 28.11.2017 wurde ein Festnahmeauftrag gem. § 34 Abs.3 Z 4 BFA-VG erlassen.

12. Am 15.12.2017 ist durch das BFA ein Durchsuchungsauftrag gem. § 35 Abs. 1 BFA-VG ergangen, in welchem auch eine Sicherstellung allfällig vorhandener Identitätsdokumente gem. § 39 BFA-VG angeordnet wurde.

13. Am 10.01.2018 ist BF1 im Zuge einer GVS-Kontrolle erstmals zuhause angetroffen und von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgefordert worden, am 11.01.2018 persönlich vor dem BFA zu erscheinen. Aus Rücksicht auf BF2 wurde von einer Festnahme abgesehen.

14. BF1 kam dem Auftrag am 11.01.2018 persönlich beim BFA zu erscheinen niemals nach, worauf sie festgenommen und der Behörde vorgeführt wurde

15. Mit Mandatsbescheid des BFA vom 11.01.2018 wurde BF1 aufgetragen sich binnen 3 Tagen in die Rückkehrberatungseinrichtung Flüchtlingsheim XXXX einzufinden. Dem ist BF1 niemals nachgekommen.

16. Am 15.01.2018 erhob BF1 durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter eine Maßnahmenbeschwerde gem. Art. 130 Abs. 1 und Art. 132 Abs. 2 B-VG. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.01.2018, Zl. L515 2182940-1/4E wurde der Maßnahmenbeschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt.

17. Am 19.01.2018 stellten die BF einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK, welcher mit Bescheid des BFA vom 22.02.2018, Zl. 1051469607-180067775, als unzulässig zurückgewiesen wurde.

18. Mit Beschluss und Erkenntnis des BVwG vom 05.04.2018, Zl. L515 2182940-1/13E, wurde die Maßnahmenbeschwerde hinsichtlich der Festnahmeanordnung und dem erfolgten Aufsuchen an der Wohnung, sowie zwangsweisen Dokumentenkontrolle am 10.01.2018, als unzulässig zurückgewiesen. Hinsichtlich der Festnahmeanordnung, das erfolgte Aufsuchen der Unterkunft von BF1 und der zwangsweisen Verbringung zum BFA am 11.01.2018 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Zweites Asylverfahren:

19. Am 05.02.2018 stellten die BF die nächsten Anträge auf internationalen Schutz.

Am selben Tag wurde BF1 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Befragung unterzogen. Zu den Gründen für die Stellung des neuerlichen Antrages auf internationalen Schutz gab BF1 zu Protokoll, dass BF2 medizinische Behandlung brauche; er erinnere sich an den Krieg in der Ukraine, habe Albträume, könne nicht schlafen, sei Bettnässer geworden und stottere. Noch dazu gehe er hier in die Schule und sei in diversen Sportvereinen. BF1 habe eine Arbeitsstelle, wo sie monatlich 190,- Euro verdiene, auch helfe sie jeden Sonntag freiwillig in der Kirche aus und habe einen Kurs des Niveaus A2 der deutschen Sprache absolviert.

20. Am 22.02.2018 wurde BF1 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen, wo sie angab, dass Russisch ihre Muttersprache sei und sie auch etwas Deutsch könne. Sie sei gesund. Auf Nachfrage führte sie an, dass sie über keine identitätsbezogenen Dokumente verfüge, weil sie alles in der Ukraine verloren habe. Als Grund für die Stellung des neuerlichen Antrages gab sie den Gesundheitszustand ihres Sohnes an. In diesem Zusammenhang führte sie zu BF2 aus, dass er derzeit in der Kinderpsychiatrie sei, da die Polizei zu ihnen gekommen sei und er nun Angst habe, in die Ukraine abgeschoben zu werden. Er habe nicht mehr in die Schule oder zum Sport gehen wollen, sei Bettnässer geworden und habe gesagt, er würde aus dem Fenster springen und davonlaufen, wenn die Polizei wiederkäme. Er benötige Therapie und würden die BF ein angstfreies Leben wollen. Eine Rückkehr würde für BF2 viel Stress bedeuten. Dabei wurden durch die Rechtsvertretung entsprechende Unterlagen vorgelegt und wurde BF1 weiters aufgefordert, sämtliche Unterlagen zum Gesundheitszustand von BF2 der Behörde vorzulegen. Zu den Lebensumständen im Bundesgebiet führte BF1 aus, dass sie Bekannte in Österreich habe, zu denen kein Abhängigkeitsverhältnis bestünde. Sie lerne auch weiterhin Deutsch und versuche, wo es geht, auszuhelfen oder zu arbeiten. BF2 gehe in die Schule sowie zum Judo- und Fußballtraining. Die BF würden in einer Wohnung wohnen, die BF1 selbst gemietet habe und zahle. Schließlich gab die Beschwerdevertretung an, dass der neuerliche Antrag aufgrund des Gesundheitszustandes von BF2 gestellt worden sei; bei ihm sei eine psychische Krise nach Abschluss des vorangegangenen Verfahrens eingetreten und drohe ihm – laut Auskunft der behandelnden Ärzte – für den Fall einer Rückkehr eine ernsthafte Re-Traumatisierung, die mit schwerwiegenden Persönlichkeits- und Entwicklungsstörungen einhergehen könne. Auch habe BF2 suizidale Gedanken geäußert. Es liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor, die dringend zu behandeln sei.

21. Am 21.08.2018 wurde BF1 neuerlich vor dem BFA einvernommen und gab dabei an, dass sie gesund sei. BF2 sei vor zwei Monaten aus dem Krankenhaus entlassen worden, sei aber noch unter Beobachtung. Diesbezügliche Unterlagen wurden der Behörde vorgelegt, sowie ein Konvolut an Integrationsunterlagen. Weiters gab BF1 zu Protokoll, dass sie russisch-orthodoxen Glaubens und geschieden sei. Russisch sei ihre Muttersprache. Sie sei in Kasachstan geboren, wo sie zehn Jahre die Schule besucht habe. Sie sei mit siebzehn in die Ukraine gezogen, wo sie dreißig Jahre gelebt habe. Dort habe sie zwei Jahre ein Technikum besucht, in einer Mietwohnung gewohnt und als Verkäuferin gearbeitet, wovon sie habe leben und den Alltag problemlos bestreiten können.

Zu den Fluchtgründen brachte BF1 den Gesundheitszustand von BF2 vor, wonach sich dieser nach dem Erscheinen der Polizei im Jänner 2018 akut verschlechtert habe. Er habe nicht mehr in die Schule oder zu seinen sportlichen Aktivitäten gehen wollen und habe gedroht, aus dem Fenster zu springen. Aufgrund seines schlechten Zustandes habe BF1 ihn ins Krankenhaus gebracht, wo er sich von 06.02.2018 bis 25.05.2018 in stationärer Behandlung befunden habe. Am 20.09.2018 seien sie wieder bei der Ärztin. BF1 mache sich Sorgen für den Fall einer Rückkehr von BF2 in den Herkunftsstaat, was für ihn ein großes Trauma bedeuten würde. Außerdem könne er gar nicht auf Russisch schreiben. BF1 habe auch keine Verwandten oder Bekannten im Herkunftsstaat und pflege zu niemandem den Kontakt. Auf die Frage, warum sie nicht in XXXX leben könne, gab sie an, dass sie niemals daran gedacht habe und XXXX eine teure Stadt sei. BF1 verneinte die Frage, ob sie im Herkunftsstaat jemals aus Gründen der politischen Gesinnung, Nationalität, Volksgruppe, Religion, oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt worden sei. Sie habe auch niemals Probleme mit den heimatlichen Behörden oder Privaten gehabt.

Im Bundesgebiet habe BF1 gearbeitet und sich etwas angespart. Auch werde sie von Freunden unterstützt. Sie habe viele Bekannte in Österreich, was durch die vorgelegten Empfehlungsscheiben belegt wäre.

Am Ende der Einvernahme wurde den BF die Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zu den Länderberichten zur Lage im Herkunftsstaat im Rahmen einer Woche gewährt.

22. Mit Stellungnahme der Rechtsvertretung vom 31.08.2018 wurde auf die in der Einvernahme vor dem BFA ausgefolgten Länderberichten zur Lage im Herkunftsstaat Stellung bezogen. Vor dem Hintergrund von Problemen bedingt durch den innerstaatlichen Konflikt in der Ukraine, die sich auf die Sicherheitslage im Allgemeinen und insbesondere im Osten der Ukraine, auf die Lage von (insbesondere weiblichen) Binnenvertriebenen, die allgemeine Menschenrechtslage, Korruption, Rechtsstaatlichkeit und Gesundheitsversorgung sowie Sozialsystem auswirken würden, wurde darauf hingewiesen, dass den BF für den Fall einer Rückkehr die Verletzung ihrer in Art. 3 EMKR gewährleisteten Rechte drohe. Der Aufbau einer neuen Existenz erscheine im Hinblick auf die dortige, besonders unsichere Lage, als äußerst unwahrscheinlich. Flüchtlinge müssten sich für die Beantragung neuer Dokumente an jenen Ort begeben, an dem sie zuletzt gemeldet waren. Ohne Dokumente sei eine Wohnungs- und Arbeitssuche mit großen Schwierigkeiten verbunden. Abgesehen davon gäbe es in der Ukraine keine adäquaten Behandlungsmöglichkeiten für BF2, die er jedoch dringend benötige. Schließlich würde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung das im Bundesgebiet begründete Privat- und Familienleben der BF verletzen, zumal sie außerordentlich gut integriert seien und stelle die Nichtgewährung eines Aufenthaltsrechtes eine unzulässige Beeinträchtigung des Kindeswohles dar. Insbesondere weise BF2 keinerlei Bindung zur Ukraine auf und würde ihn die Rückkehr mehrere Jahre in seiner Entwicklung zurückwerfen. Dem Schreiben angehängt wurden diverse Berichte über die Sicherheitslage und dem mangelnden Angebot an Kinderpsychiatern in der Ukraine.

23. Mit Parteiengehör des BFA vom 02.10.2019 wurde die durch die Behörde eingeholte Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Psychotherapie für Kinder, alleinerziehende Frauen und Schulbildung in der Ukraine zur Abgabe einer etwaigen Stellungnahme übermittelt.

24. Mit Schreiben der Rechtsvertretung vom 18.10.2018 wurde insbesondere moniert, dass laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation eine Behandlungsmöglichkeit theoretisch gegeben sei, die tatsächliche Zugänglichkeit (im Hinblick auf Kosten) jedoch nicht gewährleistet sei. Auch beziehe sich diese ausschließlich auf XXXX . Überdies handle es sich bei BF2 um eine chronische posttraumatische Belastungsstörung und einer drastischen Reaktivierung des Traumas, die jedenfalls einer 24-Monatigen Behandlung sowie langfristige Stabilität in seinem Umfeld bedürfe. Auch sei in der Anfragebeantwortung keine Familientherapie thematisiert worden, die ebenso dringend benötigt werde. Durch eine polizeiliche Abschiebung und in der Ukraine abzusehender, zu passierender Checkpoints und Ähnlichem würde sich das von BF2 bereits erlittene Trauma potenzieren und zu einer lebenslangen, irreversiblen Schädigung seiner Psyche führen. Auch würde BF1 eine Therapie anstreben. Überdies seien Binnenflüchtlinge in XXXX Diskriminierungen ausgesetzt. Die BF müssten sich jedoch zunächst an ihre letzte Meldeadresse (Stadt: XXXX ) und somit den Gefahren des innerstaatlichen Konfliktes begeben. Auch im Falle einer (fraglichen, aber eventuell erfolgten) Registrierung der BF in der Ukraine, sei die Kostenfrage der Behandlung auch weiterhin nicht geklärt, denn es wäre BF1 als Alleinerzieherin nicht möglich, aus eigenem für sämtliche Kosten aufzukommen. BF2 würde auch schulisch zurückfallen, da ihm die Jahre im Bundesgebiet nicht angerechnet würden und er zudem das kyrillische Alphabet nicht kenne. Beantragt wurde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens, eines kinder- und familienpsychologischen Gutachtens.

25. Mit Urkundenvorlage vom 22.10.2018 wurden der Behörde Bestätigungen der behandelnden Psychotherapeutin vorgelegt.

26. Mit Schreiben der Rechtsvertretung vom 13.12.2019 wurden ärztliche Unterlagen vorgelegt und erneut auf die Erforderlichkeit und Dringlichkeit der Behandlung von BF2 im Bundesgebiet hingewiesen und moniert, dass es in der Ukraine keine entsprechende gäbe.

Im Verfahren vorgelegt wurden insbesondere:

* ÖSD-Zertifikate des Niveaus A1 vom 07.09.2016 und A2 vom 06.12.2016;

* 2 Kursbestätigungen (Deutsch) der Universität XXXX vom 30.01.2018 und vom 29.06.2018;

* 2 Einstellungsbestätigungen betreffend BF1;

* Bestätigung privater Bekannter über die Leistung freiwilliger Betreuung vom 07.08.2018;

* Bestätigung des Diakoniewerks über ehrenamtliche Tätigkeit vom 16.08.2018;

* fünf Empfehlungsschreiben von Bekannten und Pfarren;

* Bericht Pfarrblatt Mai 2018;

* Schulbesuchsbestätigung betreffend BF2 vom 06.07.2018;

* Bestätigung des Fußballvereines betreffend BF2;

* Bestätigung des Judo-Vereines und Judo Urkunde betreffend BF2;

* Empfehlungsschreiben des Klassenvorstandes betreffend BF2.

27. Mit Bescheiden des BFA vom 01.03.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF erneuert, sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Weiters wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt VI.) sowie gemäß § 46 FPG die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Ukraine festgestellt (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde gegen die BF ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG für die Dauer von drei Jahren erlassen. Gemäß § 55 Abs. 1a und 4 FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII). Unter Spruchpunkt VIII. werde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 Z 1 die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. insbesondere ausgeführt, dass die BF nicht in der Lage gewesen seien, eine Bedrohungssituation iSd. Genfer Flüchtlingskonvention darzulegen. In ihrem Vorverfahren hinsichtlich des ersten Antrages auf internationalen Schutz sei bereits festgestellt worden, dass BF1 in der Ukraine weder aus Gründen der politischen Gesinnung, der Volksgruppenzugehörigkeit bzw. Rasse, ihrer Religion, der Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt wurde. Weiters seien die Behandlung der Beschwerde beim VfGH abgelehnt, sowie die außerordentliche Revision beim VwGH zurückgewiesen worden. Neuerliche Verfolgungsgründe habe BF1 in gegenständlichem Verfahren bezüglich des Folgeantrags nicht vorgebracht. Die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass kein reales Risiko einer derart extremen Gefahrenlage vorliege, welches einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstelle würde und somit einer Rückführung der BF in ihr Heimatland entgegenstehen würde. Mentaler Stress, der durch eine Abschiebungsentscheidung hervorgerufen wird, rechtfertige nicht die Abstandnahme von der Effektuierung dieser Entscheidung. Auch wenn eine akute Suizidgefahr bestehe, sei ein Vertragsstaat nicht dazu verpflichtet, von der Durchführung der Abschiebung Abstand zu nehmen, wenn konkrete Maßnahmen getroffen werden, um einen Selbstmord zu verhindern. Auch wenn es sich im Falle von BF2 um eine sehr ernste und schwere Erkrankung handle, stehe diese einer Abschiebung in den Herkunftsstaat nicht entgegen, wenn dort eine adäquate Behandlungsmöglichkeit möglich sei, was in der Ukraine der Fall sei: Laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation sind Behandlungsmöglichkeiten von PTSD sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen in der Ukraine vorhanden. BF1 sei es möglich und zumutbar, in der Ukraine wieder Fuß zu fassen. Schließlich bestünden im Bundesgebiet keine Hinweise auf weitere familiäre Anknüpfungspunkte oder eine außerordentliche Integration, weshalb das Vorliegen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden könne. Insbesondere sei der Aufenthalt im Bundesgebiet während der gesamten Dauer des Asylverfahrens nie als sicher anzusehen gewesen, zumal die BF einzig und allein auf Grund ihres Asylantrages zum vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen seien. Da die Stellung der Folgeanträge nach der rechtskräftigen Beendigung des ersten Asylverfahrens unberechtigt gewesen seien, die BF auch nicht über die erforderlichen Mittel verfügen um den Lebensunterhalt in Österreich zu bestreiten und der Verbleib der BF zudem eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle, sei das verhängte Einreiseverbot für die Dauer von drei Jahren als gerechtfertigt anzusehen. Zudem seien die BF niemals ihrer Ausreiseverpflichtung nachgekommen. Die Aufhebung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde wurde damit begründet, dass die BF aus einem sicheren Herkunftsstaat stammen und ihre sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei. In diesem Fall bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise.

28. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und des Vorbringens wurde auch erstmals eine Vergewaltigung der Person der BF1, als sie vor ihrer Ausreise von „privaten Soldaten“ aufgesucht worden sei, vorgebracht. Diesen Teil des Vorbringens habe sie erst jetzt, als ihr Sohn therapeutische Behandlung in Anspruch genommen hat, offenbaren können. Zuvor habe sie diese Tatsache verdrängt und sei es ihr nicht möglich gewesen, darüber zu sprechen. Der Behörde wurden insbesondere mangelhafte Ermittlungen sowie eine mangelhafte Beweiswürdigung hinsichtlich der Fluchtgründe vorgeworfen, zumal sie sich in ihrer Argumentation offensichtlich nur Textbausteinen bedient habe. So hätten die BF zu den fluchtauslösenden Vorfällen konkrete und umfangreiche Angaben gemacht und würden sich die geschilderten Erlebnisse mit den Länderberichten decken. Bei den BF sei zu berücksichtigen, dass beide dringend therapeutische Behandlung benötigen würden, und zwar konkret eine Familientherapie, die in der Form, in der sie im Bundesgebiet durchgeführt werde, in der Ukraine nicht existent sei. Die Rückkehr der BF stelle eine massive Gefahr der Verletzung ihrer in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dar. Vor allem würde BF2 retraumatisiert werden und hätte er mit einer irreversiblen Verschlechterung seiner Psyche zu rechnen. Auch habe sich die Behörde nicht damit auseinandergesetzt, wie BF1 als Alleinerzieherin sowohl Lebenskosten, als auch Therapiekosten, aufbringen soll. Die BF würden sich aktuell einer „systemischen Traumatherapie“ unterziehen, die auch in Zukunft dringend erforderlich sei. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei für die BF nicht gegeben, da IDPs sich an ihrer letzten Meldeadresse melden müssten, was für die BF bedeute, sich in die Ostukraine zu begeben, was ihnen nicht zumutbar sei. Auch hätte BF1 mit einer Verfolgung im gesamten Staatsgebiet zu rechnen. Schließlich sei die Integration der BF außerordentlich fortgeschritten, was die zahlreichen Unterlagen unter Beweis stellen würden. Zum Einreiseverbot wurde ausgeführt, dass die BF über Haftungserklärungen verfügen und in der Lage sind, auch ohne Leistungen aus der Grundversorgung, das Auslangen zu finden. Auch sei der Folgeantrag kein unbegründeter gewesen, weshalb insgesamt betrachtet von den BF aus keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe. Beantragt wurden die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und die Bestellung eines psychologischen Sachverständigengutachtens.

Der Beschwerde angehängt wurden ein Konvolut an Beilagen hinsichtlich des Gesundheitszustandes von BF2, sowie einer Unterschriftenliste gegen die Abschiebung der BF, Haftungserklärungen für diese, Empfehlungsschreiben, Bestätigung des Diakoniewerkes XXXX vom 02.04.2019 über das freiwillige Engagement von BF1, eine Kursbestätigung des Museums XXXX sowie der Universität XXXX betreffend BF1, sowie Schulunterlagen des BF2.

29. Am 23.08.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch statt, zu welcher die BF und die belangte Behörde ordnungsgemäß geladen wurden. In der Verhandlung wurde BF1 die Möglichkeit eingeräumt, zum Folgeantrag und ihren Rückkehrbefürchtungen ausführlich Stellung zu beziehen. Auch wurde die Integration der BF und die Gründe, die gegen eine Rückkehr sprechen, besprochen. Am Ende der Befragung wurde der Rechtsvertretung die Möglichkeit geboten, binnen einer Woche eine Stellungnahme zu den im Verfahren herangezogenen Länderberichten abzugeben.

In der Verhandlung vorgelegt wurden: Patientenbrief der Psychotherapeutin XXXX vom 13.08.2019, Schreiben der XXXX , Abteilung Kinder und Jugendabteilung vom 27.03.2019 betreffend Psychotherapie mit BF1 und BF2; Entlassungsbrief der XXXX , Abteilung Kinder und Jugendpsychiatrie, vom 27.05.2019, Fachärztliche Stellungnahme samt fachärztlicher Stellungnahme vom 08.08.2019, Kursbestätigung der Universität XXXX , Sprachenzentrum betreffend Teilnahme an Deutschkurs Ziel Niveau B1 vom 28.06.2019, Schreiben eines Herrn XXXX vom 08.08.2019 als Freund der BF1, sowie mehrere Begleitschreiben der/des Diakonie Werks, sowie der Pfarre XXXX vom 05.08.2019, sowie vom 11.08.2019, Jahreszeugnis betreffend BF2 Schuljahr 2018/2019 der Volksschule XXXX , Bestätigung des Amateursportvereines XXXX vom 20.08.2019 betreffend BF2 als Mitglied einer Fußballmannschaft, Anmeldebestätigung der Uni XXXX Sprachenzentrum betreffend Kurs Deutsch als Fremdsprache Aufbaustufe 2 für das Winter Semester 2019, weitere Empfehlungsschreiben der Pfarre XXXX 18.08.2019, Empfehlungsschreiben des Schachclubs XXXX vom 11.08.2019 betreffend Teilnahme von BF1 und BF2 an Clubabenden, Schreiben des XXXX vom 29.03.2019 betreffend BF2, Schreiben der Hotelpension XXXX vom 05.08.2019 betreffend in Aussicht genommener Beschäftigung der BF1 im Betrieb, Urkunde des österreichischen Judoverbands vom 13.03.2019 betreffend BF2, Schreiben der Volksschule XXXX vom 04.04.2019 betreffend BF2, Formular des AMS vom 20.04.2014 von der Hotelpension XXXX eingereicht mit dem Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung sowie Mietvertrag der BF1 betreffend Vermietung einen Garconniere bis einschließlich 30. Juni 2020.

30. Mit Eingabe der Rechtsvertretung vom 30.08.2019 wurde nochmals auf das bisherige Vorbringen in Zusammenschau der aktuellen Länderberichte verwiesen, sowie eine Bestätigung des Lebensgefährten von BF1 vorgelegt, wonach er die BF in den letzten 8 Monaten mit 5.200, Euro unterstützt habe (mtl. ca. 650,-) und er beabsichtige, dies auch weiterhin zu tun, mit einem monatlichen Betrag in der Höhe von 750,- Euro. Auch wurde ein Kontoauszug von BF1 hinsichtlich ihrer Mietzahlungen und Zahlungen an ihre Rechtsvertretung vorgelegt.

31. Das BVwG wies mit Erkenntnis vom 10.10.2019 die Beschwerde jeweils vollinhaltlich ab, einzig das von der belangten Behörde erlassene Einreiseverbot gegen BF1 wurde ersatzlos behoben. Das BVwG traf dabei folgende Feststellungen:

„1.1. Die BF sind nach eigenen Angaben Staatsangehörige der Ukraine. Genauere Feststellungen sind in Ermangelung personenbezogener Dokumente nicht möglich. Sie sind Angehörige der russischen Volksgruppe und bekennen sich zum russisch-orthodoxen Glauben. BF1 ist in Kasachstan geboren, wo sie in die Schule ging. Mit 17 Jahren zog sie in die Ukraine. Dort machte sie eine zweijährige Ausbildung in einem Technikum und arbeitete als Verkäuferin und ging regelmäßig in die Kirche. BF1 lebte gemeinsam mit BF2 in einer Mietwohnung und finanziell abgesichert. Sie ist mit dem Kindesvater geschieden.

1.2. BF1 und BF2 reisten gemeinsam illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 06.02.2015 erstmals Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Erkenntnis des BVwG vom 21.02.2018, Zlen. W226 2126260-1/11E und W226 2126254-1/4E, rechtskräftig negativ entschieden wurden.

BF1 vereitelte die Rückführung der BF, indem sie ihrer Ausreiseverpflichtung niemals nachkamen und sie auch im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht mitwirkte.

Am 05.02.2018 stellten die BF die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Nicht festgestellt werden kann, dass den BF in der Ukraine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität – oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität – in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären. Die BF können jedenfalls in ein weit von den von Unruhen entfernten Gebiet in der Ukraine und wo die Lage ruhig ist, wie zum Beispiel in Kiew , ziehen.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass die BF – auch unter Berücksichtigung der vorgebrachten Beeinträchtigungen – an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden, welche eine Rückkehr in die Ukraine iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würden.

BF1 ist nicht lebensbedrohlich erkrankt. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und wird im Bundesgebiet, auch medikamentös, behandelt. Die Ukraine verfügt über eine funktionierende medizinische Versorgung für BF1.

Der minderjährige BF2 ist nicht lebensbedrohlich erkrankt. Er leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) – dabei handelt es sich um kein Krankheitsbild, mit dem Lebensgefahr verbunden ist. Bei ihm kommen Symptome der Hypervigilanz, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, sowie Alpträume, depressiv-ängstliche Stimmung, hoher psychomotorischer Anspannung und Konzentrationsschwankungen. Er wird im Bundesgebiet diesbezüglich therapiert, und zwar in Form einer „systemischen Traumatherapie“ und „traumabezogenen Spieltherapie“ bei einer Psychotherapeutin. Die Krankheit steht einer Rückführung von BF2 in den Herkunftsstaat nicht entgegen. Eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten sind in der Ukraine verfügbar: In Kiew sind sowohl stationäre als auch ambulante Behandlungen sowie Folgebehandlungen durch pädiatrische Psychiater verfügbar. Dasselbe gilt für stationäre und ambulante Behandlung und Folgebehandlung durch pädiatrische Psychologen. Auch sind unterschiedliche Behandlungsmethoden verfügbar.

Die BF haben keine Verwandten oder Familienangehörigen im Bundesgebiet und sie sind in Österreich nicht außerordentlich integriert. BF1 hat seit Dezember 2018 einen Freund, mit dem sie seit Jänner 2019 verlobt ist. Es besteht kein gemeinsamer Haushalt, aber ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis. Der Verlobte von BF1 finanziert den Aufenthalt der BF mit einem monatlichen Betrag von 650,- bzw. 750,- Euro. Die Rückkehrentscheidung bildet keine Verletzung des Familienlebens.

Die BF leben seit Februar 2015 in Österreich und beziehen seit Jänner 2018 keine Leistungen aus der Grundversorgung. Sie sind weder kranken- noch unfallversichert. Sie wohnen privat in einer Mietwohnung, für die ein Gesamtbetrag von 350.- Euro bezahlt wird. BF1 beherrscht die deutsche Sprache, ihr ist es möglich, sich in Alltagssituationen zu verständigen. Sie arbeitete in der Vergangenheit legal mit Dienstleistungschecks als Reinigungskraft und verdiente dabei 190,- Euro monatlich. Auch hilft sie in ihrer Umgebung freiwillig aus. Sie ist in der Pfarre aktiv und hat sich einen Freundschafts- bzw. Bekanntenkreis aufgebaut. BF2 beherrscht die deutsche Sprache und besucht die Schule. Er wird als guter Schüler bezeichnet. Er ist in einem Judoverein, betätigt sich sportlich und spielt Schach in einem Schachclub.

Im Herkunftsstaat hat die BF1 bis zur Ausreise gearbeitet, sie verfügt über eine Ausbildung. Die BF lebten finanziell abgesichert. Es konnte nicht festgestellt werden, über welche Verwandten und Familienangehörigen BF1 im Herkunftsstaat tatsächlich verfügt.

Tatbestandsmerkmale für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art. 8 EMRK haben sich nicht ergeben.

BF1 ist strafgerichtlich unbescholten.“

Nach umfangreichen Feststellungen zur Lage in der Ukraine – auch betreffend die Russische Volksgruppe, Bewegungsfreiheit, Grundversorgung, etc. – verwies das BVwG fallbezogen auf folgende Berichte:

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.10.2018 betreffend Psychotherapie für Kinder, Situation von alleinerziehenden Frauen und Schulbildung in der Ukraine:

Ist in der Ukraine (außerhalb des Konfliktgebietes) Psychotherapie für Kinder mit Traumata, speziell PTSD, zu erhalten? Wenn ja, wo ist eine solche Behandlung zu erhalten und wer trägt die Kosten?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

Aufgrund der medizinisch spezifischen Art der Fragestellung, wurde diese an eine externe Stelle zur Recherche übermittelt. Eine Quellenbeschreibung zu MedCOI findet sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at sowie in der dort ersichtlichen Methodologie der Staatendokumentation.

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten (recherchiert wurde für Kiew) verfügbar sind. Es sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich aus der allgemeinen Verfügbarkeit von Medikation/medizinischen Behandlungen, keinerlei Garantien zu deren tatsächlicher Zugänglichkeit im Einzelfall ableiten lassen. Zur Frage der Kosten(tragung) gibt es laut den Quellen zumindest eine Einrichtung, wo offiziell keine vom Patienten zu tragende Kosten anfallen, jedoch ist mit inoffiziellen Kosten zu rechnen, die aus eigener Tasche zu begleichen sind. Siehe dazu weiterführend die Angaben in aktuellen LIB Ukraine, sowie ältere AFBs zum Thema, etwa UKRA_MEV_Frühgeburt_Behandlung_Medikamente_2017_11_03, jeweils zu finden auf dem Koordinationsboard bzw. auf www.staatendokumentation.at.

Einzelquellen:

MedCOI berichtet in seiner Anfragebeantwortung vom 30.8.2018, dass sowohl stationäre als auch ambulante (Folge-)Behandlung durch pädiatrische Psychiater in Kiew in öffentlichen (ambulant auch in privaten) medizinischen Einrichtungen verfügbar sind. Ebenso sind verfügbar: stationäre und ambulante (Folge-)Behandlung durch pädiatrische Psychologen in Kiew in öffentlichen (ambulant auch in privaten) medizinischen Einrichtungen; sowie stationäre und ambulante (Folge-)Behandlung durch Psychologen in Kiew in öffentlichen (ambulant auch in privaten) medizinischen Einrichtungen. Des weiteren verfügbar ist psychiatrische Behandlung von PTSD mittels EMDR (Eye movement desensitization and reprocessing) sowie mittels kognitiver Verhaltenstherapie (cognitive behavioural therapy), sowie mittels Narrativer Expositionstherapie in öffentlichen und privaten medizinischen Einrichtungen in Kiew.

Die Originale folgender Anfragebeantwortungen von MedCOI werden als Anlage übermittelt:

• MedCOI (30.8.2018): BMA 11533, Zugriff 27.9.2018

Zum Aspekt der Kosten(tragung) berichtet MedCOI in seiner Anfragebeantwortung vom 26.9.2018, dass zur Behandlung der PTSD internationale Protokolle zwei Standardverfahren empfehlen: trauma-focused Cognitive-Behavioural Therapy (CBT) und EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing). Die Dauer der Behandlung ist je nach Grad der Erkrankung unterschiedlich. Die Quelle nennt Anlaufstellen in privaten Einrichtungen, wo für CBT-Behandlungen Kosten zwischen UAH 457 und 900 pro Sitzung anfallen. Weiters genannt wird ein psychiatrisches Hospital in Kiew, wo für die Behandlungen durch die diversen Spezialisten offiziell keine Kosten anfallen, inoffiziell müssen jedoch alle Behandlungen aus eigener Tasche bezahlt werden.

Die Originale folgender Anfragebeantwortungen von MedCOI werden als Anlage übermittelt:

• MedCOI (26.9.2018): BDA 6894, Zugriff 5.10.2018

Wie gestaltet sich die Behandlung von PTSD bei Erwachsenen in der Ukraine?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

Aufgrund der medizinisch spezifischen Art der Fragestellung, wurde in der Datenbank von MedCOI recherchiert. Eine Quellenbeschreibung zu MedCOI findet sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at sowie in der dort ersichtlichen Methodologie der Staatendokumentation.

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten in Kiew verfügbar sind. Es sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich aus der allgemeinen Verfügbarkeit von Medikation/medizinischen Behandlungen, keinerlei Garantien zu deren tatsächlicher Zugänglichkeit im Einzelfall ableiten lassen. Weiterführend darf auf die Angaben in aktuellen LIB Ukraine verwiesen werden, zu finden auf dem Koordinationsboard bzw. auf www.staatendokumentation.at.

Einzelquellen:

MedCOI berichtete im Juli 2017 in einem anderen Fall (35-jähriger Mann, PTSD und andere Begleiterkrankungen), dass sowohl stationäre als auch ambulante (Folge-)Behandlung durch Psychiater und Psychologen (stationär nur in öffentlichen Einrichtungen) in öffentlichen und privaten medizinischen Einrichtungen in Kiew verfügbar sind; das gilt auch für Psychotherapie (z.B. kognitive Verhaltenstherapie) und Behandlung der PTSD mittels Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) und Narrative Exposure Therapy (NET) (nur in privater Einrichtung).

Die Originale folgender Anfragebeantwortungen von MedCOI werden als Anlage übermittelt:

• MedCOI (3.9.2017): BMA 9749, Zugriff 28.8.2018

Weiter berichtete MedCOI im Oktober 2017 im Rahmen einer Zugänglichkeitsanfrage zum in BMA 9749 beschriebenen Fall, dass das System der psychischen Gesundheitsversorgung in der Ukraine dringend reformbedürftig ist. Die Dauer der Behandlung ist je nach Grad der Erkrankung unterschiedlich. Die Quelle nennt Anlaufstellen in privaten Einrichtungen für die beiden genannten Standardverfahren trauma-focused Cognitive-Behavioural Therapy (CBT) und EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) und die relevanten Preise (zumindest für CBT).

Die Originale folgender Anfragebeantwortungen von MedCOI werden als Anlage übermittelt:

• MedCOI (3.9.2017): BDA 6616, Zugriff 28.8.2018

Wie gestaltet sich die Situation von alleinerziehenden Müttern in der Ukraine? Welche staatlichen Unterstützungen können in Anspruch genommen werden?

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch wenig relevante Informationen gefunden. Eine ausgewogene Auswahl wird entsprechend den Standards der Staatendokumentation im Folgenden zur Verfügung gestellt. Ausführliche Quellenbeschreibungen finden sich unter http://www.ecoi.net/5.unserequellen.htm oder im Abschnitt „Einzelquellen“.

Zusammenfassung:

Siehe Einzelquellen. Weiterführend darf auf die Angaben in aktuellen LIB Ukraine verwiesen werden, zu finden auf dem Koordinationsboard bzw. auf www.staatendokumentation.at.

Einzelquellen:

In einer Studie zu sozialen Sicherheitsnetzen in der Ukraine anhand von Beispielen aus dem vom Konflikt betroffenen Donezkbecken, veröffentlicht im Jänner 2018, berichtet das World Food Programme der Vereinten Nationen, dass die Armutsquote in der Gesamtukraine bei 4,8% liegt und 58% der Bevölkerung unter dem Subsistenzlevel leben. Schutz der Kinderrechte war eine Priorität der ukrainischen Sozialpolitik. Frauen werden vom Staat aber der Schwangerschaft, bis zu einem gewissen Alter des Kindes unterstützt. Die Höhe der Unterstützung ist abhängig davon, ob die Frau versichert ist oder nicht. Erstere erhalten Unterstützung in Höhe ihres Gehalts vor Mutterschaftsurlaub, letztere erhalten UAH 400. Nach der Geburt besteht ein Recht auf Kinderbeihilfe (Einmalzahlung UAH 10.320, danach monatlich UAH 860) für drei Jahre. Alleinstehende Mütter haben ein Recht auf eine Alleinerzieherinnenbeihilfe (ist das Kind unter 6 Jahre alt: UAH 1.492; Kinder zwischen 6 und 18 Jahre: UAH 1.860; Kinder 18-23 Jahre: UAH 1.762).

In der Ukraine gelten A

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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