TE Vfgh Erkenntnis 2021/9/27 E889/2021

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Veröffentlicht am 27.09.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks, erneut mangelnde Angabe der wesentlichen Entscheidungsgründe

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein irakischer Staatsangehöriger und bekennt sich zum muslimisch-schiitischen Glauben. Er stellte nach Einreise ins Bundesgebiet am 7. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er dahingehend begründete, er sei – nachdem er im Herkunftsstaat als Arzt in der Notaufnahme des Krankenhauses einen Sunniten mit Schussverletzungen behandelt habe – von bewaffneten Milizen aufgesucht, geschlagen und mit dem Tod bedroht worden.

2. Mit Bescheid vom 21. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak als unbegründet ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit am 23. Juni 2020 mündlich verkündetem und am 13. Juli 2020 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis ab.

4. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Oktober 2020, Ra 2020/20/0312, wurde die außerordentliche Revision des Beschwerdeführers zurückgewiesen.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 9. Dezember 2020, E2750/2020, der Beschwerde wegen der Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) stattgegeben und das Erkenntnis aufgehoben.

6. Im fortgesetzten Verfahren erließ das Bundesverwaltungsgericht – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – die nunmehr in Beschwerde gezogene Entscheidung vom 3. Februar 2021, die hinsichtlich der getroffenen Feststellungen und der rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen ident ist mit der Ausfertigung vom 13. Juli 2020. In der Beweiswürdigung verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Feststellungen des behobenen Erkenntnisses vom 13. Juli 2020, "welche auch im Verfahren vor dem VwGH unbeanstandet geblieben sind". Ferner führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass schon im aufgehobenen Erkenntnis ausführlich dargelegt worden sei, dass sich das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als unglaubhaft und in dieser Form nicht nachvollziehbar erweise.

7. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

8. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift wurde vom Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3. Auch mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen Erkenntnis vom 3. Februar 2021 gelingt es dem Bundesverwaltungsgericht nicht, das Mindestmaß einer für die nachprüfende Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof erforderlichen Begründung zu erreichen. Insofern das Bundesverwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung auf die vom Verwaltungsgerichtshof "nicht beanstandeten Feststellungen" verweist, übersieht es, dass der Verwaltungsgerichtshof die Revision mit der Begründung zurückgewiesen hat, sie enthalte keine gesonderte Darstellung der Gründe für die Zulässigkeit und erweise sich sohin als nicht zu ihrer Behandlung geeignet. Feststellungen zum Herkunftsort Bagdad oder zur Gefahr der Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe fehlen gänzlich. Der Verweis auf die beweiswürdigenden Ausführungen zu den Fluchtgründen im aufgehobenen Erkenntnis stellt ebenfalls keine hinreichende Begründung dar.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, da der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im vollen Umfang des §64 ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Ersatzentscheidung, Verwaltungsgerichtshof Revision, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E889.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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